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Hans Peter Thun
Eine Einführung in das Bibliothekswesen der Bundesrepublik Deutschland
DEUTSCHES BIBLIOTHEKSINSTITUT
2000


3. Koordinierung, Kooperation, Dienstleistung

Das (Ehemalige) Deutsche Bibliotheksinstitut

Mit dem Deutschen Bibliotheksinstitut (DBI) in Berlin hatten sich die Länder und der Bund 1978 eine gemeinsame Dienstleistungs- und Entwicklungseinrichtung geschaffen, die negative Folgen der föderalen Struktur überwinden sollte. Die Bemühungen deutscher Bibliothekare um eine solche Einrichtung reichen jedoch bis in die fünfziger Jahre zurück. Siet damals existierten in der Bundesrepublik aber auch in der DDR zentrale Dienstleistungseinrichtungen für das Bibliothekswesen. Das DBI war 20 Jahre lang die einzige gemeinsame Einrichtung dieser Art im deutschen Bibliothekswesen, die von den Ländern und dem Bund sowohl finanziert (70% Länder, 30% Bund) als auch kontrolliert wurde. Ein zusätzlicher bibliothekarischer Beirat, der alle Bibliothekstypen repräsentierte, sollte dafür sorgen, daß das Institut neutral und auf der Grundlage der aktuellen Fachdiskussion arbeitete und mit seinen Aktivitäten sowohl den fachlichen als auch politischen Kompromiß aller am deutschen Bibliothekswesen Beteiligter umsetzte. Diese breite demokratische Basis bot keine andere bibliothekarische Einrichtung in der Bundesrepublik. Auftrag des Instituts war der Interessenausgleich und die Koordinierung zwischen den Trägern eines dezentral organisierten Bibliothekswesens mit den täglich erfahrenen Tendenzen zu regionalen Eigenentwicklungen mit daraus folgender Inkompatibilität, Doppelarbeit und als Ergebnis Verschwendung öffentlicher Mittel.

Das Deutsche Bibliotheksinstitut bot mit 150 Mitarbeitern und einem Jahresetat von 18 Millionen DM Beratungs- und Informationsdienste zu vielen bibliothekarischen Arbeitsgebieten, führte in Kooperation mit anderen Einrichtungen große zentrale Katalognachweise, wie den deutschen Verbundkatalog maschinenlesbarer Daten (VK) oder die Zeitschriften-Datenbank (ZDB). EDV-Dienstleistungen und Entwicklungen, Online-Dienste für bibliothekarische Datenbanken, Gutachten, bibliothekarische Fachpublikationen, Fortbildungsseminare und Förderung internationaler Kontakte gehörten zum Programm. Die Arbeit des deutschen Bibliotheksinstituts wurde von ständigen Kommissionen und temporären Arbeitsgruppen unterstützt, wodurch eine enge Verknüpfung mit der bibliothekarischen Praxis gewährleistet war. Das Institut führte darüber hinaus Projekte durch, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, dem Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie sowie anderen finanziert wurden.

Vorläufer des Instituts existierten bereits seit 1958 in Form einer Selbsthilfeeinrichtung des Deutschen Bibliotheksverbandes (Arbeitsstelle für das Büchereiwesen), die sich, zunächst nur für die Öffentlichen Bibliotheken zuständig, im Laufe der Jahre zu einer spartenübergreifenden Funktion entwickelte und dann zusammengelegt wurde mit einer ähnlichen Arbeitsstelle, die im Rahmen eines Projekts der DFG entwickelt worden war (Arbeitsstelle für Bibliothekstechnik) und den Auftrag hatte, die Entwicklung von EDV-Dienstleistungen für deutsche wissenschaftliche Bibliotheken zu fördern. Im Jahre 1978 erkannten Bund und Länder den Wert dieser bis dahin von ihnen nur finanziell geförderten Einrichtung und überführten sie durch ein Gesetz des Landes Berlin in öffentliche Trägerschaft. Mit der Wiedervereinigung wurde das Deutsche Bibliotheksinstitut in Aufgaben, Zuständigkeiten und Ausstattung erweitert und damit den gewachsenen Anforderungen angepaßt. Zahlreiche Mitarbeiter der bis dahin existierenden Paralleleinrichtungen der Deutschen Demokratischen Republik (Zentralinstitut für Bibliothekswesen und Methodisches Zentrum für wissenschaftliche Bibliotheken) konnten in das erweiterte Institut übernommen werden, so daß das Deutsche Bibliotheksinstitut auch in seinem Personal seit der Zeit der Wende das vereinigte deutsche Bibliothekswesen repräsentierte.

Im Jahre 1996 wurde das DBI vom sogenannten "Wissenschaftsrat"  turnusgemäß überprüft. Der Wissenschaftsrat ist eine jener Einrichtungen, mit denen die deutsche Politik versucht, ihren Entscheidungen mehr Fachverstand zu Grunde zu legen, indem sie Experten, Fachleute, Gutachter, Arbeitsgruppen u. dgl. beauftragt, Sachverhalte für sie zu begutachten, um Entscheidungen sachgerechter treffen oder sie gegenüber Kritikern besser rechtfertigen zu können.

Der durch ein Abkommen der Bundesregierung und Länderregierungen im Jahre 1957 gegründete Wissenschaftsrat ist das höchste wissenschaftspolitische Beratungsgremium in Deutschland mit Sitz in Köln. Aufgabe des Wissenschaftsrates ist zum Beispiel die Erarbeitung von Empfehlungen zur inhaltlichen und strukturellen Entwicklung der Hochschulen, der Wissenschaft und der Forschung und des Hochschulbaues. Er überprüft regelmäßig die von Bund und Ländern im Rahmen der gemeinsamen Förderung getragenen Forschungseinrichtungen. Der Wissenschaftsrat gliedert sich in eine 32 Mitglieder umfassende Wissenschaftliche Kommission, die vom Bundespräsidenten berufen wird, und einer 22 Mitglieder umfassenden Verwaltungskommission. Diese insgesamt 54 Mitglieder gliedern sich in 16 Vertreter der Landesregierungen, 6 Vertreter der Bundesregierung, 24 Wissenschaftler auf Vorschlag von wissenschaftlichen Organisationen ernannt und 8 Personen des öffentlichen Lebens .

Das Gutachten zum DBI wurde im Mai 1997 fertiggestellt und durch eine "wissenschaftspolitische Stellungnahme" ergänzt. Die Regierungschefs des Bundes und der Länder haben im April 1998 beschlossen, das DBI nur noch bis Ende 1999 zu fördern. Das DBI-Gesetz wurde zum 31.12.1999 durch den Senat von Berlin außer Kraft gesetzt. Zum Zwecke der endgültigen Abwicklung wurde stattdessen mit Wirkung vom 8.10.1999 durch das Land Berlin das "Ehemalige Deutsche Bibliotheksinstitut" errichtet.

Die Gründe für die Abwicklung des DBI sollen an dieser Stelle nicht erläutert werden. Es vermischen sich hier zu sehr fachliche und politische Interessen, aber auch persönlich geprägte Beweggründe, als daß es an einem so offiziellen Ort opportun wäre, alle Gründe offenzulegen. Interessenten mögen sich anhand der Stellungnahme des damaligen Direktors in die Thematik einlesen, oder die Dokumente und Diskussionen in den öffentlichen Listen verfolgen.


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