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Bibliotheksdienst Heft 4, 1996

Bibliothekswesen in den USA Mitte der neunziger Jahre

Eindrücke von einer Studienreise der Humboldt Universität Berlin, Teil 31)

Diann Rusch-Feja

Library of Congress (Barbara Hamer-Hänsch, Cordula Heintze)

Als im Jahre 1800 der Regierungssitz der Vereinigten Staaten von Amerika in die neue Hauptstadt Washington D.C. verlegt wurde, entstand auf dem Capitol Hill auch eine Bibliothek, die den Namen Library of Congress (LOC) erhielt. Damit ist über ihre ursprüngliche Bestimmung alles gesagt, stand sie doch bis Mitte des 19. Jahrhunderts ausschließlich den Abgeordneten offen. Heute ist sie Amerikas Nationalbibliothek und ihr immenser Bestand kommt nicht nur Mitgliedern und Ausschüssen des Kongresses zugute, sondern ebenso der Öffentlichkeit, nationalen und internationalen Bibliotheken, sowie Forschern, Künstlern etc. Ihre Hauptaufgabe besteht jedoch noch immer in der Versorgung des Kongresses mit Informationen und Forschungsarbeiten. Zuständig ist der Congressional Research Service. Die Sammlungen der Bibliothek betreffen beinahe alle Wissensgebiete in über 470 Sprachen auf den unterschiedlichsten Datenträgern. Die Gesamtzahl aller Nachweise liegt bei über 84 Millionen. Hier finden sich über 26 Millionen Bücher, die größte kartographische Sammlung der Welt, Nachlässe amerikanischer Persönlichkeiten, eine bedeutende Musikbibliothek, Graphiken, Photographien und Bilder, sowie Mikrofilme, Zeitschriften etc. In Zusammenarbeit mit 2.500 US-amerikanischen und kanadischen Bibliotheken wird der National Union Catalog (NUC) herausgegeben, dieses Verzeichnis ihrer Bestände stellt eine zentrale Quelle für bibliographische Nachweise dar. Seit 1870 beherbergt die LOC das Copyright Office, hier erfolgt der Urheberschutz für die literarische und künstlerische Produktion des Landes. Heute besteht die LOC aus drei gewaltigen Gebäudekomplexen: dem Thomas Jefferson Building (1897), dem James Madison Memorial Building (1980) sowie dem John Adams Building (1939).

Unser Besuch der Library of Congress am 7. November 1995 nahm einen ganzen Tag in Anspruch. Die einzelnen Abteilungen wurden uns von Mitarbeitern mit großem Engagement und Stolz gezeigt. Obwohl die sechs Stationen unseres Rundgangs nur Einblicke in Teilbereiche der Bibliothek vermitteln konnten, haben wir doch einen lebendigen Eindruck vom Charakter der amerikanischen Nationalbibliothek erhalten.

Der Auftakt unserer Tour führte uns durch das architektonisch beeindruckende Jefferson Gebäude, erbaut 1897. Das Wahrzeichen der Bibliothek, der restaurierte, im italienischen Renaissancestil erbaute Kuppellesesaal beherbergt 70.000 Bände und Nachschlagewerke. Dieser Lesesaal für die Sozial- und Geisteswissenschaften bietet 250 Benutzern an seinen Lesepulten Platz. Daneben wurden uns angrenzende Räume gezeigt, die aufwendig instandgesetzt, heute für Veranstaltungen vermietet werden. Es schloß sich ein Besuch der Ausstellung "Treasures from the Bibliothèque Nationale de France" an, Buchillustrationen unter dem Motto: 'Creating French Culture', die nun auch im Internet anzusehen ist.

Computer Catalog Center

Über den Hauptlesesaal gelangt man zu den Katalogen der Library of Congress. Der Main Card Catalog und das Computer Catalog Center verzeichnen die Sammlungen der Bibliothek, darüber hinaus verschlagwortete Zeitschriftenartikel, Informationen über die Gesetzgebung des Kongresses, sowie Nachweise über die urheberrechtlich geschützten Materialien des Copyright Centers.

Der Computer Card Catalog enthält die englischsprachigen Titel seit 1968 und für fast alle anderen Sprachen Nachweise seit 1973. Für ältere Titel muß auf den Main Card Catalog zurückgegriffen werden. Systeme, die unter verschiedenen Aspekten nach Einträgen suchen können, sind MUMS (Multiple-Use-MARC System) und SCORPIO (Subject-Content-Oriented-Retriever-for-Processing-Online). SCORPIO verfügt über verschiedene Dateien, von denen besonders oft genutzt werden: die Copyright Information Files, die IAC Business Index Files mit den bibliographischen Nachweisen von Zeitschriftenaufsätzen aus Hunderten von Wirtschaftszeitschriften seit 1991 oder Karten (GMAP) mit Nachweisen von non-book Materialien, z. B. Karten, Atlanten, Globen etc.

ACCES, eine Entwicklung des Information Technology Centers verfügt über eine leicht zu benutzende graphische Oberfläche für die Suche im OPAC der Bibliothek. Dieses Touchscreen-System erlaubt die Suche nach Autor, Titel, Schlagwort und anderen Elementen des Katalogs ohne aufwendige Einführung des Benutzers. Für Besucher mit Behinderungen bietet das Computer Card Catalogue Center Hilfen an, z.B. Ausdrucke des Katalogs in Großdruck- oder Brailleschrift. Über das Internet führt der Zugang zum Bibliothekskatalog bzw. seinen verschiedenen Datenbanken über LC MARVEL, das bibliotheksweite Informationssystem.

Information Technology Services

Information Technology Services unterstützt die Library of Congress bei ihrer Aufgabe, Dienstleistungen, Informationen und Produkte dem Congress, Bibliotheken, der Öffentlichkeit und dem hauseigenen Bibliothekspersonal zur Verfügung zu stellen. ITS ist verantwortlich für die Planung und Entwicklung von neuen Informationssystemen, sowie für den Betrieb der Hardware und die Pflege der Software für die LOC. Seinen Sitz hat es im James Madison Memorial Building. Zu den Mitarbeitern gehören Computer- und Systemprogrammierer, Telekommunikationsspezialisten, etc. ITS besteht aus sechs verschiedenen Abteilungen: System Development, Production Systems, Systems Engineering, Systems Integration, User Support und Computer Operation. Für die Fortbildung der Mitarbeiter gibt es interne und externe Trainingsprogramme, sowie Selbstlernprogramme.

Einrichtung und Service:

Zu den Einrichtungen gehört das rund um die Uhr besetzte Computer Center, dessen Rechnerkapazität von zwei Mainframe-Systemen mit 320 Megabyte Arbeitsspeicher versorgt wird, 144 Ports und einem 175 Gigabyte direkt verfügbaren Plattenspeicher. Täglich werden über 300.000 Online-Transaktionen registriert. Eine ITS Hotline ist für Fragen und Probleme im Zusammenhang mit der Hard- und Software und dem Library Online System zuständig. ITS unterhält ein Information Center (IC), das als Zentrum für Computer- und Netzwerktraining (Präsentation und Demonstration) verantwortlich ist. Die Aufgabe von ITS ist zum einen der Betrieb und die Pflege der laufenden Computersysteme, wie der 150 Datenbanken und des Library of Congress Informationsystems (LOCIS) mit seinen verschiedenen Retrievalmöglichkeiten MUMS, SCORPIO, COPICS. Diese schon etwas älteren Systeme werden durch neuere Entwicklungen wie AQUIRE (ein Programm, das alle Schritte der Erwerbung, mit Ausnahme der Copyrightexemplare, automatisiert) und ISIS II ergänzt. Zum anderen widmet sich ITS der Entwicklung neuer Kommunikationstechnologien. In einem information technology integration project geht es um die Erprobung moderner Technologien im Bereich von lokalen Netzwerken, graphischer Oberflächen und kommerzieller Datenbanken.

Copyright Office

Unser nachmittäglicher Besuch galt dem Copyright Office. Diese Urheberrechtsschutzabteilung ist für die Registrierung des amerikanischen Copyright zuständig. Jedes literarische, dramatische, musikalische oder künstlerische Werk muß in zwei Exemplaren an das Copyright Office geliefert werden, damit wird das geistige Eigentum des Urhebers geschützt.

Joan Dohery, Mitarbeiterin der Abteilung, stellte uns in ihrem Vortrag die Aufgaben und Dienstleistungen ihrer Institution vor, für deren Urheberschutzaktivitäten die LOC seit 1870 das Zentrum ist. Sie erläuterte die historische Entwicklung des Urheberrechts in Amerika, die Eckdaten wichtiger Gesetze (1790 erstes US-Copyrightgesetz zum Schutz amerkanischer Bürger, Einbeziehung verschiedenster Veröffentlichungsformen in das Copyright im Laufe der Jahrzehnte, Copyright Act von 1976 mit der entscheidenden Veränderung, daß der Urheberschutz lebenslang und 50 Jahre über den Tod hinaus gilt) und das Verhältnis Amerikas zu internationalen Abkommen (der späte Beitritt des Landes 1989 zur Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst von 1886).

Die Urheberrechtsschutzabteilung verzeichnet seit 1870 die Urhebereintragungen des Landes in ihrem Copyright Card Catalog; die seit 1978 maschinenlesbaren Dokumente sind über das LOC Information System (LOCIS) zugänglich. Sie enthalten folgende Dateien: COHM enthält alle Werke mit Urheberanspruch z.B. Bücher, Poster, Musikaufnahmen, bis auf Serien. COHD und COHS enthalten die Dokumente und Serien.

Die Abteilung gibt Auskunft über den Urheberrechtsschutz, über Eintragungen und Übertragungen, bearbeitet Anfragen zur Rechtsinhaberermittlung von Privatpersonen und aus der Forschung. Herausgegeben wird eine Reihe von Publikationen, die sich mit spezifischen Problemen des Copyright befassen, wie z. B. über die Vervielfältigung von Werken durch Lehrer und Bibliotheken, Gesetzesänderungen, Copyright Basics, Registration bestimmter Veröffentlichungsformen, etc.

Motion Picture, Broadcasting, and Recording Sound Facilities

Auch die Filmsammlung der LOC war Teil unseres Besichtigungsprogramms. Sie wurde 1894 gegründet, und da es zu diesem Zeitpunkt noch keine Bestimmungen des Copyrights für Filme gab, wurden diese als "Photographien auf Papierrollen" gelagert und gesammelt. Erst 1919 erlaubte ein neues Copyrightgesetz, auch Filme als selbständiges Material zu erfassen. Aufgrund der Lagerschwierigkeiten des damals noch entflammbaren Nitratfilmmaterials sammelte die Bibliothek zu Beginn keine Filme, sondern nur Materialien zu Filmen. 1942 beginnt dann die eigentliche Filmsammlung, ab 1949 kamen auch Fernsehfilme dazu. Heute umfaßt sie ebenfalls Videos und Disketten, Schallplatten und Radioprogramme und ist auf einen Bestand von 75.000 Titeln angewachsen. Kurzfilme und ca. 300.000 Filmphotographien ergänzen das Sammelprofil.

Erwähnt seien hier auch die dazugehörenden historischen Sammlungen, darunter die "Theodore Roosevelt Collection", die ausschließlich politische und sozialgeschichtliche Themen zu Beginn des Jahrhunderts enthält und die "Kleine-Sammlung", die die Anfänge der Filmindustrie enthält. Alle amerikanischen Filmstudios sind mit historischem Material in der Sammlung vertreten, und dank des Amerikanischen Filminstituts stehen auch mehr und mehr Kopien der zwischen 1912 und 1942 entstandenen Nitratfilme zur Verfügung. Weitere Sammlungen enthalten Dokumentar- und Propagandafilme aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, die in Deutschland, Japan und Italien produziert wurden. Eine 1994 gegründete Arbeitsgruppe befaßt sich vor allem mit dem amerikanischen Film und hat es sich zur Aufgabe gemacht, ihn fachgerecht zu sammeln, zu konservieren und dem Publikum zugänglich zu machen.

Der Lesesaal der Abteilung enthält neben Kartenkatalogen ausgewähltes bibliographisches Material zum Film sowie Filmzeitschriften und Jahrbücher. In einem angrenzenden Raum können Filme und Videos an Einzelarbeitsplätzen angeschaut werden, eine Ausleihe von Filmen, Büchern oder Photographien ist jedoch nicht möglich.

Wie für andere Bereiche der Bibliothek gibt es auch für die Filmabteilung Veröffentlichungsreihen, z. B. einen vierteljährlich erscheinenden Katalog, den "LOC Catalog - Audiovisual Material", der dann im NUC kumuliert. Das Copyright Office gibt zusätzlich noch einen halbjährlich erscheinenden Katalog: "Catalog of Copyright Entries: Motion Pictures" heraus.

Digital Library Visitor's Center

Den Abschluß des Besichtigungsprogramms bildete der Besuch des "Digital Library Visitor's Center" der Library of Congress. Es dient zum einen der umfassenden Darstellung der Informationsmöglichkeiten der LOC, zum anderen bietet es Fachleuten die Gelegenheit, sich mit den neuesten elektronischen Medien bekannt zu machen.

Zwei Einführungen werden angeboten: ein Video über die in der Bibliothek schon benutzten Systeme und eine Darstellung der zukünftigen Serviceleistungen und elektronischen Systeme. Schwerpunkt des Besucherzentrums ist die ausführliche Information zum Internet, in dem auch die LOC seit April 1993 mit LOCIS (Library of Congress Information System) vertreten ist. ACCESS bietet seit 1994 graphische Benutzerhilfen und erleichtert so den Zugang zum Internet. Über die Homepage der LOC kann der Zugang zu den verschiedenen Seiten erfolgen: zu Ausstellungen, Veröffentlichungen und Dienstleistungen der Bibliothek im World Wide Web, zum Online-Service, zu Informationen von Kongreß und Regierung, zu bereits digitalisierten Sammlungen der Bibliothek und zu Registern anderer WWW-Services. Die erwähnten Kongreßmaterialien sind über THOMAS anwählbar, AMERICAN MEMORY bietet historische Sammlungen im Internet digitalisiert an.

Die Demonstration all dieser Möglichkeiten war für unsere Gruppe sehr beeindruckend. Ich möchte noch die Bemühungen und Absichten der LOC, eine "National Digital Library" zu schaffen, erwähnen. Ihr Ziel soll es sein, noch mehr Wissen verfügbar zu machen, Zugang zu ansonsten nicht zugänglichen Sammlungen zu schaffen und zukunftsweisend für Amerikas Wettbewerbsfähigkeit zu werden, indem sie für einen gut informierten Bürger sorgt. Die "National Digital Library" soll in Zukunft auch nicht auf die LOC beschränkt bleiben, sondern eine national und international verknüpfte Bibliothek darstellen. Als Amerikas Nationalbibliothek und größte Bibliothek der Welt fühlt sie sich geradezu verpflichtet, dieses Projekt zu unterstützen und voranzutreiben.

Es wird deutlich, wie groß das Interesse amerikanischer Bibliothekare an der Informationsvermittlung ist, wie sie sich bemühen, die neuen Informationsmöglichkeiten benutzerfreundlich anwendbar zu machen und somit das Potential der Bibliotheken auszuschöpfen

Virtuelle Öffentlichkeitsarbeit: Die Homepage der Library of Congress

(Caroline Meynen)

Mit einem aktuell auf 110 Millionen Werke bezifferten Gesamtbestand (davon 80 Millionen Bücher) dient die größte Bibliothek der Welt, die Library of Congress in Washington D.C., sowohl dem amerikanischen Senat (ca. 500.000 Anfragen jährlich) als auch der interessierten Öffentlichkeit. Im folgenden möchte ich zunächst Gedanken zur essentiellen Bedeutung von Public Relations für Non-Profit-Organisationen wie Bibliotheken äußern, um daraufhin ausgewählte Aspekte der von der Library of Congress geleisteten Öffentlichkeitsarbeit anhand ihrer im World Wide Web verfügbaren Homepage2) zu untersuchen.

Public Relations für Bibliotheken ?

In Anlehnung an die Definition der Deutschen Akademie für Public Relations verwende ich den anglo-amerikanischen Begriff "Public Relations", oder auch die Abkürzung "PR" als "bewußte, zielgerichtete und systematische Gestaltung der kommunikativen Beziehungen einer Organisation"3). "Public Relations" und "Öffentlichkeitsarbeit" werden in meiner Darstellung als Synonyme verwendet. Ihre Funktion besteht darin, Zielsetzungen und Interessen, Tätigkeiten und Verhaltensweisen einer Institution (o. ä.) zu verdeutlichen, für deren öffentliche Akzeptanz einzutreten.

Hasse (1994) konstatiert eine "eher distanzierte Haltung" zur Öffentlichkeitsarbeit bei Bibliotheken. Ansätze zur Pflege eines Dialogs seien eher bei öffentlichen als bei wissenschaftlichen Bibliotheken festzustellen4). Die Notwendigkeit von Public Relations für Non-Profit-Organisationen wie Bibliotheken ergibt sich aus folgendem Sachverhalt: Der gezielte und fortwährende Einsatz von Public Relations kann bewirken, Bibliotheken in dynamische Informationszentren für Bürger zu verwandeln. Öffentlichkeitsarbeit entspricht damit der Tatsache, daß Bibliotheken aus öffentlichen Geldern finanziert werden und der Verpflichtung unterliegen, ihren Kunden zu dienen. In einer Zeit, die von einer zunehmenden Verknappung der öffentlichen Gelder gekennzeichnet ist, erscheint PR als eine besonders vordringliche Aufgabe. Sie kann der bedeutsamen Veränderung des klassischen Bibliothekarberufs durch die elektronischen Medien Rechnung tragen, indem sie neue Anreize und Kommunikationsforen schafft.

Die im Amerikanischen bezeichnender Weise als "patrons" (das Wort umschließt gleichzeitig die Bedeutungen "Schirmherr", "Gönner", "Förderer" als auch "Kunde" und "Stammgast") benannten "Bibliothekskunden" werden sich nur in dem Maße des Bibliotheksangebots bedienen, in dem sie davon wissen, dieses Wissen ihnen fachkundig vermittelt wird. Hier setzt Öffentlichkeitsarbeit an.

Es besteht insbesondere bei Bibliotheken eine enge Verflechtung zwischen PR und Serviceleistung: "´Library´ must translate ´service´ in the minds of the public or ´library´ will be that respectable place downtown that is seldom visited"5).

Digitaler Zugriff

Die bisher geltende Auflage, Benutzer der Library of Congress sollten das High-School-Alter erreicht haben, d.h. mindestens 18 Jahre alt sein, um die riesigen Sammlungen aktiv zu nutzen, wird durch die unbeschränkte Verfügbarkeit der sehr ausführlichen und vielfach verzweigten Homepage aufgehoben. Auch Kinder und Jugendliche haben seit deren Erstellung 1994 einen potentiellen Zugriff. Allein über den WorldWideWeb-Zugang werden monatlich 30.000 Transaktionen verzeichnet6).

Der elektronische Zugriff verändert das Erwerbungs- und Aufbereitungsprofil: Verstärkt werden nun Schulbücher digitalisiert, Fotos und Materialien, die beispielsweise für den Schulunterricht wertvoll sind, aufbereitet und digital zur Verfügung gestellt. Zielvorstellung sei es, so verrät der Verantwortliche des Information Technology Services, vom heutigen Stand von 300.000 - 400.000 digitalisierten Werken bis zum Ende der 90er Jahre auf fünf Millionen Artikel in digitalisierter Form vorzurücken. Dieses ehrgeizige Vorhaben werde durch den Trend zum rein digitalen Publizieren, der sich in den kommenden Jahren voraussichtlich verstärken wird, unterstützt7).

Ausgewählte Aspekte der Homepage

Der Blick des "virtuellen Besuchers" fällt zunächst auf das Logo: ein Foto des Jefferson Buildings (das älteste der drei Gebäude der Library of Congress), das auf der rechten Seite vom Namenszug der Bibliothek (in großer roter Schrift) samt Wappen und Gründungsdatum ergänzt wird. Der Eröffnungsbildschirm bietet sieben Themenbereiche zur Auswahl an, die ihrerseits weitere, hypermedial verbundene Verzweigungen anbieten. Schlußpunkt jeder inhaltlichen Abteilung bilden die Wahlmöglichkeiten "Comments" (der Benutzer wird auf Mouseklick zu einem E-Mail-Formular befördert) und der Sprung zurück zum Anfang der Homepage. Die zahlreichen Aufforderungen, Stellung zu nehmen, sichern einerseits eine Rückmeldung (Feedback) in puncto Benutzerzufriedenheit, und erweisen sich zudem aufschlußreich hinsichtlich der "Computer"- bzw. "Internetliteracy" der elektronischen Besucher.

"Exhibits and Events"

Sehr umfangreich und in seinen Serviceleistungen herausragend erscheint mir die Rubrik "Exhibits and Events". Erläuterungen zu großen, in der Library of Congress stattfindenden Ausstellungen (zur Auswahl stehen derzeit elf verschiedene Sammlungen) sind elektronisch verfügbar. Diese fassen den inhaltlichen Rahmen der Ausstellungen kurz zusammen, informieren über Öffnungszeiten, Ausstellungsdauer und Möglichkeiten, Eintrittskarten im voraus zu reservieren. Dies heißt jedoch nicht, daß farbenprächtige Handzettel und Informationstafeln rund um die Ausstellungen fehlen! Es handelt sich um eine zusätzliche Art der Informationsvermittlung bzw. -präsentation. Der "Events"-Terminplan (als Beispiel wähle ich die Veranstaltungen im Monat Dezember 1995) ist in seiner, "bibliotheksuntypischen" Programmstruktur erwähnenswert. In rascher Abfolge (zwei bis drei Veranstaltungen pro Woche) wechseln sich Filme über Jazzgrößen mit Autorenlesungen ab, politische Diskussionsforen mit Ausstellungseröffnungen.

Value-added-Service

Die von mir stichprobenartig untersuchte Library and Information Science-Seite (URL: http://lcweb.loc.gov/global/library) listet mehr als fünf DIN-A4 Seiten Hypertext-Links zu namhaften Universitäten und Forschungseinrichtungen in den USA und der restlichen Welt auf. Eine grobe Strukturierung (Allgemeine Ressourcen, National /International) wird von einer feinmaschigen Unterteilung in einzelne Bibliotheksbereiche, Verbindungen zu Fachverbänden bzw. einer Aufstellung von Fachzeitschriften und kommerziellen Anbietern abgelöst. Hiermit leistet die Library of Congress einen "value-added-service" in Hinblick auf den allseits drohenden "Information overload": Sie wählt wichtige Institutionen aus und stellt hypermediale Verbindungen zu deren Sammlungen her, die der Benutzer andernfalls mühsam und mit großem Zeitaufwand zusammentragen müßte.

Zusammenfassung

Eine Homepage für einen derart großen und heterogenen Benutzerkreis wie den der Library of Congress international zugänglich zu machen, sie in einer detaillierten und dennoch übersichtlichen Struktur zu präsentieren und kontinuierlich auf neuestem Stand zu halten ist kein leichtes Unterfangen8). Meiner Ansicht nach ist es den Verantwortlichen gelungen, dem Benutzer ein umfangreiches und individuell bestimmbares Suchwerkzeug an die Hand zu geben und z. T. sehr interessante Hypertext-Verbindungen anzubieten. Diese sind präzis definiert und führen den Nutzer von der gewünschten Stelle auch wieder an den gewünschten Ort zurück. Die hohe Aktualisierungsfrequenz ist sehr erfreulich.

Im Vergleich zum deutschen Bibliothekswesen zeichnet sich eine Tendenz ab: Schwerpunkt und vorrangiges Ziel des amerikanischen Bibliotheksbetriebs scheinen weniger in der Bewahrung der Sammlungen zu liegen als in der Aufgabe, diese dem Nutzer bestmöglich zugänglich zu machen9). Kennzeichen dieser Haltung sind die gut ausgestatteten (telefonischen) Auskunftsdienste (ich verweise stellvertretend auf die Public Library Milwaukee), das breite Angebot besonderer Serviceleistungen (Hilfe beim Ausfüllen der Steuererklärung, elektronisch abrufbare Stellenangebote, Kinderbetreuung) und der unkomplizierte Zugang zu technischen Hilfsmitteln.

Zum Berufsbild Bibliothekar in den USA

Bezeichnend waren während der gesamten Reise, unabhängig von Ort, Bibliothekstyp, Größe der Bibliothek o. ä. bestimmte Merkmale des amerikanischen Berufsstandes, die die Studenten veranlaßt haben, über ihre eigene Berufseinstellung nachzudenken.

Über "nichttraditionelle" Berufsfelder für Bibliothekare (Sophie Hoffmann)

Die bibliothekarische Ausbildung in den Vereinigten Staaten ist eine integrierte Ausbildung, in der neben bibliothekarischen auch dokumentarische und informationswissenschaftliche Inhalte vermittelt werden. Die Trennung Bibliothek - Dokumentation gibt es in den U.S.A. nicht, so daß der amerikanische Bibliothekar auch in die Bereiche gehen kann, die in Deutschland von anderen Berufsgruppen, wie zum Beispiel den Dokumentaren, besetzt werden. Im Laufe des Studiums spezialisiert sich der Student abhängig vom Bereich, in dem er später einmal arbeiten will10). Spezialisierte Bibliotheken stellen die häufigste und wichtigste Bibliotheksform in den U.S.A. dar. Berufsfelder, nachfolgend beschrieben, sind für amerikanische Verhältnisse somit schon traditionell bzw. klassisch. Nichttraditionell auch im amerikanischen Sinne sind Bibliotheken in Großfirmen und sogenannte Information Offices.

1. Westinghouse Corporation

Die Westinghouse Corporation ist ein privates Unternehmen. Der Bereich der Firma, den wir in Pittsburgh besuchten, beschäftigt sich mit der Entwicklung von Energiesystemen, insbesondere mit Atomanlagen. Die Bibliothek, als "Non-Profit-Abteilung" eines privaten Unternehmens, steht hier unter einem ständigen Rechtfertigungsdruck ihrer Existenz. Die Leiterin der Bibliothek ist direkt dem Präsidenten des Unternehmens unterstellt, zumal sie gleichzeitig andere ihm zuarbeitende Abteilungen leitet.

Auffällig an dieser Bibliothek ist ihre Marktorientiertheit. So werden zum Beispiel unter einem "Dach" Informationen angeboten, die sich mit Marktanalyse, neuen Produkten, anderen Unternehmen (als Konkurrenten) usw. beschäftigen, Informationen, die für strategische (Produkt-/Marktentscheidungen) Entscheidungsprozesse notwendig sind. Die Bibliothekare in der Bibliothek beschäftigen sich vorrangig mit der optimalen Nutzung der existierenden Informationen und Informationsquellen. Es wird versucht, die Informationen, die die Westinghouse-Mitarbeiter benötigen könnten, aus dem Internet und anderen elektronischen Quellen herauszuziehen und in der Bibliothek strukturiert und geordnet anzubieten. Der Bibliothekar beschäftigt sich also hier mit den ihm zur Verfügung stehenden Informationsquellen und der sinnvollen Anbietung der darin enthaltenen Informationen. Die "Verwaltung" der Bibliothek erledigen ausschließlich technische Kräfte.

2. Washington Post

Die Tätigkeit des Bibliothekars bei der Washington Post, neben der New York Times eine der größten Tageszeitungen in den U.S.A., würde ich als Assistent des Redakteurs umschreiben. Er verschafft dem Redakteur die Informationen, die der für seinen Artikel oder seine Reportage benötigt. Auch hier steht die Ausnutzung aller zur Verfügung stehenden Informationsquellen im Vordergrund. Der Bibliothekar bezeichnet sich hier selbst als Navigator, der die, seiner Meinung nach, besten und wichtigen Quellen auswählt und zusammenstellt.

3. Schulbibliotheken

(eine Bibliotheksform, die in Deutschland weniger verbreitet ist)

Der Bibliothekar, oft ein Lehrer mit bibliothekarischer Zusatzausbildung, hier als "Zuarbeiter" des Lehrers, der den Zugang zu für die Schüler wichtigen Informationen, Quellen, Medien etc. ermöglicht, den Umgang mit der dafür notwendigen Technik lehrt und sehr eng mit dem Lehrer, die Gesamtunterrichtsgestaltung an der Schule betreffend, zusammenarbeitet.

An amerikanischen Bibliotheken zeichnet sich folgende Entwicklung ab: Neben traditionellen Aufgaben widmet sich der Bibliothekar immer stärker der Informationsvermittlung. Als wichtiges Berufsfeld kristallisiert sich das des Informationsspezialisten heraus, der Informationen/Informationsquellen strukturiert und geordnet vermittelt und ggf. mit Mehrwertdiensten anbietet. Ich denke, diese Entwicklung wird auch am deutschen Bibliothekswesen, angesichts der rasanten Entwicklung auf dem Informationssektor, nicht spurlos vorbeigehen.

Das Selbstverständnis amerikanischer Bibliothekare (Elgin Jakisch)

Warum ist das Selbstverständnis des Bibliothekars wichtig im täglichen Arbeitsleben, und was fällt dem Nicht-Amerikaner auf ?

Versucht man, den Bibliothekar durch seine Arbeitseinstellung zu definieren, so stellt man fest, daß der amerikanische Bibliothekar stolz auf seine Arbeit in der Bibliothek ist.

Ein Mitarbeiter muß wissen, wofür er arbeitet. Im amerikanischen Bibliothekswesen heißt die Antwort eindeutig Service für den Benutzer. Dazu muß der Bibliothekar aus sich heraus auf den Benutzer zugehen, muß sich und seine Fähigkeiten anpreisen und für die Bibliothek als unersetzlichen Bestandteil des gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Lebens werben.

Das Ausmaß an persönlichem Einsatz verhilft zum beruflichen Erfolgserlebnis und prägt das Selbstwertgefühl.

Die Motivation spielt eine entscheidende Rolle, denn sie bewirkt zusammen mit den erreichten Erfolgserlebnissen bei einem zufriedenen Benutzer eine wechselseitige Befruchtung: die Arbeit macht Spaß, der Benutzer kommt gerne wieder und die Bibliothek hat somit ihre Daseinsberechtigung erfüllt. An der offenen Art, auf Benutzer zuzugehen, jede Art von Anstrengung zu unternehmen, damit er zufrieden die Bibliothek wieder verläßt, gelten dort als Selbstverständlichkeit und prägen die gegenseitige Umgangsatmosphäre, das Miteinander von Bibliothekar und Benutzer. Ein offenes und mißtrauensloses Zugehen auf Benutzer und Leser verhindert von vornherein, daß sich Schwellenängste sowohl beim Benutzer als auch beim Bibliothekar einstellen, die keinem dienlich wären - am wenigsten der Bibliothek als notwendiger Einrichtung.

Man sollte mit dem Bibliothekslogo beginnen: es stellt ein lesendes Strichmännchen mit einem aufgeklappten Buch dar, daß heißt es stehen Mensch und Buch im Mittelpunkt des Interesses. Außerdem fällt auf, daß die "user interests" immer Priorität genießen vor den Verwaltungsaufgaben in der Bibliothek. Das zeigt sich unter anderem bei den langen Öffnungszeiten, bei der Vorliebe, die Bücher freihand auszustellen, und bei der Gestaltung der Benutzungsräumlichkeiten mit vielen Sitzgelegenheiten, die zum Lesen und Verweilen einladen.

Die vielfach ausgestellten Willkommensschilder an den Eingangspforten der Bibliotheken veranschaulichen eine Offenheit und Transparenz, der sich die Amerikaner sicher auch aufgrund ihres eigenen Demokratieverständnisses verpflichtet fühlen. Zur Durchsetzung der "Freedom of Information" im bibliothekarischen Bereich kommt man durch Zugang zu einer erstaunlichen Bandbreite von allen Arten von Auskuftsmitteln in öffentlichen als auch wissenschaftlichen Bibliotheken nach. Freier Internet-Zugang für alle Benutzer ist eine Selbstverständlichkeit. Man ist dort stolz darauf, mitzuhelfen, keine neuen Informationsbarrieren und -privilegien entstehen zu lassen, weil man als Bibliothekar die Chance wahrnehmen kann, im entstehenden neuen Informationszeitalter uneingeschränkten Zugriff auf die Informationsquellen für die Öffentlichkeit zu gewährleisten.

Alles in allem entsteht ein positiver Eindruck von den Bibliothekaren in Amerika - man fühlt sich enthusiastisch und engagiert betreut. Eine Haltung, die man als Benutzer sicher nicht immer in Deutschland vorfindet, die aber bestimmt nachahmenswert ist.

Im erfolgsorientierten Arbeitsleben der USA ist es verständlich, daß eine Einrichtung wie die Bibliothek, die ja nichts erwirtschaftet, um sich zu tragen, sondern in erster Linie von öffentlichen Mitteln lebt, die bestmögliche Leistung an Service und Einsatz der Mitarbeiter bringen muß, die die Unentbehrlichkeit der Bibliothek verdeutlichen, damit die Mittel nicht gekürzt werden. Diese Gefahr droht jederzeit.

Eine weitere Rolle spielt auf jeden Fall die Bedeutung der Bibliothek im gesellschaftlichen Leben. Der Umgang mit Büchern in konzentrierter Form an einem Ort wird schon in der Schule in "library lessons" vermittelt, in denen die Schüler u.a. lernen, was sie in der Bibliothek finden können, wie sie eine Klassifikation benutzen müssen.

Stichwort Teamarbeit: In der Schule wird bereits Wert auf Gruppenarbeit gelegt. Seine Aufgaben verantwortungsbewußt für die "gemeinsame Sache" zu erfüllen, setzt sich in der Organisation des Berufsalltags und in der Bibliothek fort. Auf Rundgängen durch die internen Abteilungen in den Bibliotheken fielen uns immer wieder Poster mit moralischen Aufmunterungen und guten Ratschlägen auf (z. B. "be successful", "belief in yourself"), die das Selbstbewußtsein sowie die Arbeitseinstellung positiv beeinflussen sollten - für mich ein Hinweis darauf, daß sich das Selbstverständnis im Berufsleben nicht nur durch individuelle Einstellungen formt, sondern durchaus eine (kollektive) Erziehungsfrage sein kann.

Es bleibt zumindest der Eindruck bestehen, daß der Bibliothekar in den USA den Sinn seiner Arbeit und die Liebe zur Bibliothek nicht aus den Augen verliert und daß so vielleicht die größere Akzeptanz dieses Berufes und die Anerkennung der möglichen Leistungen im Vergleich zu Deutschland zustandekommen.


Teil 1 dieses Artikels
Teil 2 dieses Artikels

1) Teil 1 in BIBLIOTHEKSDIENST 30 (1996) Heft 2,
Teil 2 in BIBLIOTHEKSDIENST 30 (1996) Heft 3

2) Die Zugangsadressen lauten: URL: "http://www.loc.gov" und "http://lcweb.loc.gov".

3) Siehe auch: Broom, Glen M.; Center, Allen H.; Cutlip, Scott M.: Effective Public Relations. Englewood Cliffs, NJ (Prentice-Hall), 7. Ausgabe, 1994

4) Hasse, Rolf M.: "Öffentlichkeitsarbeit - Der Zwang zur Partnerschaft", in: Bibliothek 18 (1994), Nr. 2, 241-252

5) Sherman, Steve: ABC´s of Library Promotion. Metuchen, N.J. & London (The Scarecrow Press) 3. Ausgabe, 1992

6) Dieser ist nur einer von verschiedenen Zugangswegen: seit 1992 könne aus dem "Digital Library Center" per File Transfer Protocol (ftp) Dokumente bezogen werden, seit 1993 besteht der gopherbasierte Suchmodus "LCMarvel" (Library of Congress Machine-Assisted Realization of the Virtual Library). Beide werden unter der Rubrik "LC Online Systems" auch auf dem Eröffnungsbildschirm der WWW-Homepage angeboten. Mehr zum Thema Digitaler Zugriff der Library of Congress, siehe Rusch-Feja, Diann; Lux, Claudia: "Information Superhighway und Internet. Satellitenkonferenz in Berlin", in: Bibliotheksdienst 29 (1994), Heft 1, 77-82

7) Der Urheberrechtsschutz ist insofern gewährleistet, als die Digitalisierung sich bisher auf ältere Materialien (deren Copyright bereits erloschen ist) oder Regierungsdokumente (die nicht unter Urheberrechtsschutz stehen) beschränkt.

8) Weiteres zu diesem Thema siehe: Falcigno, Kathleen; Green, Tim: "Home page, sweet home page. Creating a web presence.", in: Database 18, Vol. 2, April/Mai (1995), 20-28

9) Sommer, Dorothea: "Bibliotheken in den USA - ein Reisebericht", in: Bibliotheksdienst 28 (1994), Heft 2, 155-174

10) Als Beispiele: Schulbibliothekar, Reference Librarian, Bibliothekar für Spezialbibliotheken


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