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Köszönöm és Viszontlátásra

Informationen und Eindrücke, gesammelt in 10 ungarischen Bibliotheken

Irene Scheer

Magyar Tudományos Akadémia Könyvtár = Zentralbibliothek der ungarischen Akademie der Wissenschaften - Budapest

Wie die ungarische Akademie der Wissenschaften selbst ihre Existenz einem gebildeten Aristokraten verdankt - István Széchényi stellte ein ganzes Jahreseinkommen, 60.000 Gulden, für die Gründung zur Verfügung - wurde auch der Grundstock für die Akademiebibliothek durch eine Schenkung von 30.000 Büchern (davon 1.000 Inkunabeln und "2 bis 3" Corvinen) von Graf Józef Teleki gelegt. Die Gründungsurkunde legt fest, daß die Bibliothek nicht nur den Aufgaben der "Gelehrten Gesellschaft" dienen soll, sondern der Öffentlichkeit "zum Nutzen aller Patrioten". Der Neorenaissancepalast der Akademie wurde von 1863 - 1865, am Pester Donauufer nahe der Kettenbrücke, nach dem Entwurf des Berliner Architekten Friedrich Stüber gebaut. In dem ebenfalls damals für die Mitarbeiter der Akademie gebauten Wohnhaus (die Mieteinnahmen von 20 Jahren waren das Architektenhonorar) ist seit 1988, nach einem grundlegenden Umbau, die Bibliothek untergebracht. In den Jahren zwischen dem "Ausgleich" mit Österreich (1867) und dem 1. Weltkrieg entwickelte sich die Bibliothek ungestört. Die finanziellen Bedürfnisse wurden aus dem Stiftungsbesitz der Akademie befriedigt. 1913 hatte die Bibliothek bereits 250.000 Bücher und 287 Tauschpartner in aller Welt. Die verheerende Inflation nach dem 1. Weltkrieg und die Folgen des 2. Weltkrieges vernichteten den Wert der Stiftungen und verursachten an den Gebäuden erhebliche Schäden. Im Jahre 1949 wurde die Akademie das höchste wissenschaftliche Organ des Landes und verlor ihren privaten Charakter. Ihre Aufgabe war von nun an die Leitung und Koordinierung der wissenschaftlichen Forschung in Ungarn. Den Akademiefunktionen entsprechend, veränderten sich die Aufgaben der Bibliothek: Unterstützung der Forschung mit in- und ausländischer Literatur, Betreuung der Fachbibliotheken der neugegründeten Forschungsinstitute, Beteiligung an der Sammelgebietskoordinierung der wissenschaftlichen Bibliotheken, Forschung auf dem Gebiet der Bibliothekswissenschaft. Die Kooperation mit den wissenschaftlichen Fachbibliotheken wirkte sich tiefgreifend auf die Sammeltätigkeit der Akademiebibliothek aus: Kaum Bücher aus Technik und Medizin, nur die wichtigsten Werke für die naturwissenschaftliche Grundlagenforschung. Schwerpunkte sind: Altertumsgeschichte, klassische Philologie, Linguistik, Literaturgeschichte, Orientalistik, Wissenschafts- und Forschungsorganisation. Die Sammelgebiete für Zeitschriften sind nicht begrenzt, sie werden durch die intensiven Tauschaktivitäten bestimmt (1.500 Partner in 70 Ländern). Den heutigen Bestand bilden fast 1,1 Mio. Monographien, 930.000 Zeitschriftenbände, 5.500 "laufende" Zeitschriften. Die Bibliothek ist einbezogen in die Publikationstätigkeit der Akademie mit Bibliographien, gedruckten Katalogen, speziell ihrer reichen Orientalia-Sammlung. Die Mitarbeiter der Akademiebibliothek, "(das ungarische Bibliothekswesen überhaupt) waren immer aufgeschlossen für ausländische Veränderungen". Seit den 30er Jahren wurden Kontakte zur IFLA gepflegt. FID, AIB, LIBER sind weitere Partner. Die Westkontakte bekamen, nach dem völligen Zusammenbruch in den 50er Jahren, in den 60er Jahren erneut starke Impulse. In den 70er Jahren hielten die ersten westlichen Magnetbänder Einzug, in den 80ern die CD-ROM: AGRICOLA, Analytical Abstracts, DAO, INIS, MEDLINE, PASCAL, SCI, SSCI. Parallel setzten Versuche mit der Bibliotheksautomatisierung ein. Die Akademiebibliothek hat sich für das integrierte Bibliothekssystem ALEPH entschieden. Im OPAC sind bis jetzt über 100.000 Titelsätze verfügbar (ab Erscheinungsjahr 1986). Seit 1993 gibt es keinen Zettelkatalog mehr. Dissertationen werden seit 1992 in ALEPH erfaßt. Es gibt einen gemeinsamen Datenspeicher für Keilschriftdaten mit der katholischen Universität. Die Erwerbung läuft ebenfalls seit 1993 vollständig "elektrisch" (das Erwerbungsmodul enthält Währungskonvertor und Etatüberwachung). Das Ausleihmodul soll im Herbst 1995 in Betrieb genommen werden. Der Erwerbungsetat beträgt 8 Mio. Forint (DM 96.000,--). Ein großer Anteil der Zugänge stammt aus Pflichtexemplaren, Schenkungen (z. B. auch 1.300 von der Akademie ausgesuchte Bücher vom BMBF 1994) und Tausch. Gute Tauschbeziehungen bestehen zu: British Museum, Bodleian Library, DFG und LOC (die LOC bekommt eine Kopie von jeder geisteswissenschaftlichen ungarischen Veröffentlichung, als Gegenleistung erstattet sie 20.000 Dollar jährlich). Auch die Akademiebibliothek hat Finanzsorgen. Schuld sind der Zusammenbruch der Tauschbeziehungen mit den Partnern in den Ländern des früheren Ostblocks, Inflation, Kursverfall, Mehrwertsteuer und Zoll (8 %). Die stattlich dunkelgetäfelten Leserräume (2 Lesesäle Monographien und Zeitschriften mit 120 Plätzen, 4 Einzelarbeitsräume), der Vortragssaal und die Magazine sind klimatisiert. 18.000 Nachschlagewerke sind freihand aufgestellt und 1.300 von den 5.500 aktuellen Zeitschriften. In den 4 Magazinen des Bibliotheksgebäudes befinden sich 800.000 Einheiten, in einem 20 km von Budapest entfernten Speichermagazin weitere 900.000. Sofortausleihe der im "Stammhaus" befindlichen Bücher ist möglich. 30.000 Ausleihen jährlich sind ausgewiesen. 150 Mitarbeiter versorgen 8.000 Benutzer (3.600 Wissenschaftler, der Rest überwiegend Studenten, die nicht ausleihberechtigt sind). Die Sondersammlungen der Bibliothek befinden sich auch heute noch im "alten" Akademiepalast (mit Durchgangsmöglichkeit in das "neue" Bibliotheksgebäude): Handschriftenabteilung, alte Literatur, Mikrofilmabteilung, Akademiearchiv und Orientalia.

Die orientalische Sammlung bildet ein international bewundertes Glanzlicht. Sie besteht aus 100.000 Bänden (60.000 Monographientitel und 11.000 Zeitschriftentitel), 5.000 Handschriften (etwa 3.000 tibetanische) und 800 "laufenden" Zeitschriften. Die Erwerbungsauswahl erfolgt in der Abteilung, Bestellkatalogisierung zentral in der Akademiebibliothek, endgültige Katalogisierung (formal und UDK) wieder in der Abteilung. Sammelschwerpunkte sind Geschichte, Philologie und Literaturwissenschaft der islamischen Länder und des Vorderen Orients. Früher stand der Tausch als Erwerbungsart im Vordergrund, heute eher der Kauf. Wobei die meisten Käufe durch Forscher am Forschungsort getätigt werden. International berühmte Teilsammlungen sind: Szilágyi-Sammlung (türkische Handschriften), Csoma-Sammlung (tibetanische Handschriften), die Kaufmann-Sammlung (Hebräische Codices, Handschriften und alte Drucke), Vámbéry-Sammlung (türkische, persische, arabische Handschriften), Kégl und Sir A. Stein-Bibliothek (Schenkung 1926, ältestes persisches Manuskript von 1319, 13.000 Monographien), die Briefsammlung Goldziher mit 13.000 Briefen zur semitischen Philologie und Islamstudien. Der elegante kleine Lesesaal "mit Aussicht" auf Donau und Kettenbrücke bietet 8 Arbeitsplätze und vermittelt die Atmosphäre eines Gelehrtenzimmers mit islamischen Architekturelementen. Erstaunlicherweise sind die meisten Benutzer Studenten, wenige Forscher finden den Weg in dieses Bibliothekskleinod!


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