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Köszönöm és Viszontlátásra

Informationen und Eindrücke, gesammelt in 10 ungarischen Bibliotheken

Irene Scheer

Országos Széchényi Könyvtár (OSK) = Széchényi-Nationalbibliothek - Budapest

Die Vokabel "atemberaubend" ist nicht übertrieben, wenn Dimensionen und Topographie der Széchényi-Nationalbibliothek beschrieben werden sollen. Der Haupteingang befindet sich im Bereich der riesigen Budaer Burg, die Architekturelemente sämtlicher "Neostile" des 19. Jahhunderts aufweist (Wiederaufbau nach dem 2. Weltkrieg). Noch eindrucksvoller ist der "Hintereingang" auf der tibetanische Götterburgen assoziierenden Rückseite. Das Bibliotheksgebäude ist teilweise in den Burgfelsen eingebaut. Am Fuß des Berges wartet ein Lift auf den Bibliotheksbenutzer. Wer dem Portier keinen Bibliotheksausweis vorweisen kann, bezahlt eine Benutzungsgebühr. Die Seilbahn am gegenüberliegenden Abhang kostet schließlich auch etwas, bei freilich schöner Aussicht. Über 5 Stockwerke geht die Aufzugfahrt in die Eingangshalle des Benutzungsbereiches, der sich über 3 weitere Stockwerke in die Höhe erstreckt. Zwei Innenhöfe sind mit 11-stöckigen Magazinen ausgefüllt. Obgleich für das Jahr 2000 mit einer vollständigen Auslastung des Stellplatzes gerechnet wird, wirken die Benutzungsräume fürstlich geräumig und gediegen. Schon jetzt gibt es 2 Ausweichmagazine in Budapest und ein Speichermagazin außerhalb. Der Grundstock der Bibliothek wurde im Jahre 1802 von Graf Férenc Széchényi (nicht zu verwechseln mit seinem Sohn István, dem Akademiegründer) "dem ungarischen Volk" geschenkt (damals 13.000 Bücher, 1.200 Manuskripte und Hunderte von Landkarten und Gravierungen). Vom darauffolgenden Jahr an war die Sammlung als Teil des ungarischen Nationalmuseums öffentlich zugänglich. Erst 1969 wurde die Nationalbibliothek eine eigenständige Einrichtung, und 1985 erst bekam sie mit ihrem heutigen Sitz ein eigenes Gebäude. Die Sammlung ist mittlerweile auf 7 Mio. Einheiten angewachsen (2,5 Mio. Bücher, 300.000 Zeitschriftenbände, 1 Mio. Handschriften, 3,5 Mio. kleine Schriften). Hinzu kommen Mikromaterialien, Schallplatten, Tonbänder, Videos. 75.000 Bücher sind freihand in Lesesälen bereitgestellt. Über den traditionellen Rahmen einer Nationalbibliothek hinausgehend wird die Literatur der finno-ugrischen Völker und die der Ungarn benachbarten Länder nach Möglichkeit vollständig erworben. Repräsentative Schwerpunkte sind Linguistik, Literatur und Geschichte der Weltsprachen. Zu den Schätzen der OSK gehören 1700 Inkunabeln, die älteste ungarische Handschrift aus dem 12. Jahrhundert, Manuskripte Kossuths, Petöfis, Liszts, Kodálys und Bartóks, eine theatergeschichtliche Sammlung, eine historische Kartensammlung (200.000) und 32 Corvinen (Kodizes aus der glanzvollen Bibliothek des Humanistenfreundes Mátyás I. Hunyadi, auch Corvinus genannt). 14 weitere Corvinen befinden sich in ungarischen Universtitätsbibliotheken, 2 in der Akademie der Wissenschaften Budapest, weltweit gibt es 216. Ungewöhnlich scheint die Videosammlung zeitgeschichtlicher Interviews. Die Bibliothek besitzt ein eigenes Aufnahmestudio für Interviews mit Künstlern, Wissenschaftlern und Politikern als Dokumente für spätere Forschungen. Seit 1992 wird hier außerdem die gesamte ungarische Produktion von Features und Dokumentarfilmen auf Videokassetten umgeschnitten. Seit 1946 gibt die OSK die ungarische Nationalbibliographie heraus und eine Bibliographie der Zeitschriftentitel, Zeitschriften- und Zeitungsaufsätze. Die fachbibliographische Arbeit für Agrarwissenschaft, Medizin und Technik wird seit 15 Jahren von den betreffenden Zentralbibliotheken wahrgenommen. Seit 1961 erfaßt die Nationalbibliothek Schallplatten. Für die Bestandserschließung gibt es alphabetische, UDK-, ISBN-, ISSN- und Spezialkataloge auf Zetteln. Aufsätze in Sammelbänden sind Bestandteil der Erschließung. Betreut wird ein Zettelkatalog ausländischer Bücher und Zeitschriften in ungarischen Bibliotheken. Seit 1991 wird im MARC-Format mit DOBIS/LIBIS-Software in einen Online-Katalog erfaßt. Zu diesem Zeitpunkt wurden die Zettelkataloge abgebrochen. Die EDV-Ausstattung und Vernetzung der Arbeitsplätze verursacht wegen der Größe des Gebäudes Finanzengpässe. Ein Online-Datentransfer mit den Bibliotheken des Landes findet nicht statt. Die wissenschaftlichen Bibliotheken erhalten die OSK-Daten auf Diskette oder CD-ROM, die dann auf einem gesonderten Terminal bereitgestellt werden. Meldungen an den Zentralkatalog der OSK sind nur per Zettel möglich, die Meldungen sind aus diesem Grund inzwischen sehr lückenhaft. Die "Benutzerelektronik" der OSK setzt sich so zusammen: 1 CD-ROM-Arbeitsplatz (ungarische Datenbanken, BIP, Ulrich und DNB, CD-ROM-Server mit 21 Laufwerken), 8 PCs für den OPAC, 2 PCs für Forscher, und 3 PCs speziell für die Recherche ausländischer Literatur mit fachlicher Betreuung. Die Internetnutzung ist gering (vermutlich für Hungarica über das Angebot der OSK hinaus unergiebig). 25.000 Benutzerausweise sind ausgestellt. 180.000 Besucher jährlich werden registriert, überwiegend Studenten. In Prüfungszeiten bilden sich "Arbeitsplatzwarteschlangen"2. Eine Nutzung von jährlich 1.800.000 Dokumenten wird geschätzt. Den 800 Mitarbeitern der Bibliothek (300 Bibliothekare) stehen 60 PCs zur Verfügung. Der Nationalbibliothek obliegt die Verteilung der Pflichtexemplare, außer an einige Budapester Bibliotheken gehen die Kopien an die Universitätsbibliotheken Miskolc, Pécs, Szeged, Szombathely und Debrecen. Die Nationalbibliothek organisiert die internationale Fernleihe (gebend 774, nehmend 8776). Zu den mannigfaltigen Aktivitäten der OSK gehört die Organisation von Ausstellungen ungarischer Künstler, die im Ausland leben und/oder Künstlern, die Bücher, Bibliotheken oder die Typographie zum Gegenstand ihrer Arbeit machen. Schön wäre es, wenn häufiger eine ARS LIBRORUM-Ausstellung den Weg nach Deutschland fände.


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