Publikationen Hierarchiestufe höher Vorherige Seite Nächste Seite

Köszönöm és Viszontlátásra

Informationen und Eindrücke, gesammelt in 10 ungarischen Bibliotheken

Irene Scheer

Bibliothek des Landwirtschaftlichen Forschungsinstitutes der ungarischen Akademie der Wissenschaften - Martonvásár

Martonvásár, oder die Idylle, könnte zusammenfassend über diesem Abschnitt stehen. Das Dörfchen Martonvásár liegt unweit der Autobahn Budapest-Plattensee, etwa 25 km von der Hauptstadt entfernt. 1953 wurde dort das landwirtschaftliche Forschungsinstitut der ungarischen Akademie der Wissenschaften angesiedelt. Als Verwaltungssitz dient ein Schlößchen im englisch-neogotischen Stil, das dieses Aussehen der Bierdynastie Dreher verdankt. In den Schloßpark eingebettet befinden sich die verschiedenen Forschungsgebäude, vor seinen Hecken Versuchsfelder. Sonntags ist der englische Park für Besucher geöffnet. Im Sommer finden auf einer Insel Konzerte statt, deren Mittelpunkt Werke Beethovens bilden. Martonvásár ist nämlich, wie die Gastgeber gleich am Anfang betonen, auch eine Beethovengedenkstätte. Die andere Attraktion von Martonvásár steht in direktem Zusammenhang mit den Forschungsaufgaben des Instituts, der Welt größtes Phytotron. In dem Gebäude befinden sich begehbare Kammern, in denen jeweils die Rahmenbedingungen eines bestimmten Klimas simuliert werden, um dessen Auswirkungen auf Pflanzen zu untersuchen. Die Miete incl. wissenschaftlicher Betreuung kostet monatlich 20.000 HUF (ca. DM 230,--). Kein Wunder, daß es viele ausländische Kunden gibt. Im Schlößchen befinden sich neben der Verwaltung die Institutsbibliothek und das Beethovenmuseum. Die Bestände der Institutsbibliothek sind zugeschnitten auf die Forschungsschwerpunkte Pflanzenzüchtung, speziell Mais und Weizen, und Gentechnologie, die in Ungarn kein Reizthema darstellt. Die Sammlung der Bibliothek umfaßt 8.000 Monographien und 8.000 gebundene Zeitschriftenbände, 50 ungarische und 80 ausländische Zeitschriften sind abonniert. Für Benutzer stehen 8 Carrels zur Verfügung. Die Bibliothek ist eine Präsenzbibliothek mit Freihandaufstellung. Bis jetzt gibt es nur konventionelle Kartenkataloge. Den hochspezialisierten, PC-vertrauten Forschern scheint die Elektronik in der Bibliothek bis jetzt nicht zu fehlen. Die Leiterin der Bibliothek ist Historikerin und eingebunden in die lokale Beethoven-Forschung.

Martonvásár hat eine Tradition als Mustergut. Begründet wurde diese Tradition von der Familie Brunszvik zur Zeit Maria Theresias. Beethoven war ein Freund der Familie und hielt sich zweimal längere Zeit in Martonvásár auf. Gleich zwei Töchter wurden von der Forschung als Kandidatinnen für die "unsterbliche Geliebte" herangezogen. Dem Grafen Férenc widmete Beethoven u. a. die Sonate "Appassionata", deren Komposition möglicherweise in Martonvásár beendet wurde. In dem kleinen Museum befindet sich ein Teil der gräflichen Bibliothek (164 Bände): griechische und lateinische Klassiker, Rousseau und Voltaire (beide damals auf dem Index). Die bemerkenswerte Notensammlung befindet sich heute in der Franz-Liszt-Musikhochschule in Budapest. Ein besonderes Anliegen der Bibliotheksleiterin soll noch erwähnt werden: die Edition der 160 Tagebücher der Beethovenfreundin Teréz Brunszvik (deutsch verfaßt, sie selbst lernte erst mit 70 ungarisch), die eine Fundgrube zum geistigen Leben im 19. Jahrhundert darstellen. Sie war eine bedeutende Pädagogin und stand mit der geistigen Elite ihrer Zeit in lebhaftem Austausch.


Seitenanfang