2   Der Online-Markt (Multimedia-Markt)

Trotz vieler Studien, politischer Programme zu seiner Förderung und Anerkennung als wichtigster Wachstumsfaktor sind die Begriffe "Online-Markt" oder "Multimedia-Markt" ähnlich unscharf geblieben wie die "Informationsgesellschaft".
Manchmal wird der Eindruck erweckt, als definiere jeder den Markt so, wie er es für seine Argumentation gerade benötigt. Dabei macht es einen großen Unterschied, ob hier z.B. der Mobilfunkmarkt mit seinen enormen Wachstumszahlen hinzugerechnet wird oder nicht.
Eine reine Gliederung nach Produkten erweist sich dabei für den hier vorherrschenden Untersuchungszweck als nicht besonders hilfreich, denn Produkten lassen sich aus den Arbeitsmarktstatistiken keine Beschäftigungszahlen zuordnen. Dies ist – wenn überhaupt – nur bei Branchen möglich. Benötigt wird also eine Marktbeschreibung bei der Produkte einzelnen Branchen oder Wirtschaftszweigen zugeordnet werden können und bei der die Gliederung der Branchen bzw. Wirtschaftszweige einem bestimmten nachvollziehbaren Prinzip folgt, das es erlaubt, auch später produzierte Güter und Dienstleistungen noch sinnvoll zuzuordnen.

 

2.1   Darstellung des Online-Marktes

Hier soll der Versuch zu einer solchen Darstellung des Online-Marktes gemacht werden. Auf der untersten Stufe stehen Produkte, deren Existenz Voraussetzung für Produktion und Nutzung aller darüber aufgeführten Güter und Dienstleistungen ist. Dies gilt für die folgenden Ebenen in gleicher Weise. Damit wird gleichzeitig die Wertschöpfungskette derjenigen Produkte beschrieben, die auf einer bestimmten Ebene betrachtet werden und es wird dabei deutlich, auf welchen anderen Ebenen sich Veränderungen auf der Betrachtungsebene (Wachstum oder Umsatzeinbußen) auswirken. Von einem Glied der Wertschöpfungskette zum nächsten wird den Produkten ein Mehrwert hinzugefügt, weshalb diese dann auch bezogen auf die Ausgangsprodukte als "value added services" bezeichnet werden.

 

2.1.1 Physische Netze und Hardwareprodukte

Auf der untersten Ebene sind hier die physischen Netze und die Hardwareprodukte (PC, Drucker, Scanner etc.) angesiedelt. Anbieter sind hier die (in vielen Fällen ehemals staatlichen) Telekommunikationsunternehmen, die inzwischen durch EU-Richtlinien und nationale Gesetzgebung dazu gezwungen sind, unter bestimmten Bedingungen auch anderen Anbietern die Nutzung ihrer Festnetze zu gestatten. Diese Netze sind gewissermaßen die physische Grundlage für alle darauf aufbauenden Dienste, so wie es die Hardware für die Erstellung, Speicherung und Nutzung der dazu benötigten Daten ist.
Der Markt der Endgeräte wird in Deutschland von ausländischen Anbietern beherrscht.

 

2.1.2 Software für digitale Vermittlung und Betriebssysteme

Das nächste Glied der Wertschöpfungskette bildet die Software, die unmittelbar zum Betrieb der Netze (z.B. digitale Vermittlung) und der Hardware (Betriebssysteme) benötigt wird.
Bei den Betriebssystemen nimmt Microsoft die führende Stellung ein, die Ausnutzung dieser Monopolstellung wurde der Firma in mehreren, sehr aufwendigen Verfahren letztlich nicht nachgewiesen.7

 

2.1.3 Anwendungssoftware

An diese Stufe schließt sich der vielfältig ausgestaltete und auf eine große Zahl von Anbietern verteilte Markt der Anwendungssoftware an, zu dem auch die für die Nutzung des Internet gehörenden Navigations- und Umwandlungsprogramme gehören.
Bei den Navigationsprogrammen konkurrieren Microsoft und Netscape bei z.Z. etwa gleichgroßen Marktanteilen.

 

2.1.4 Elektronische Informationen im Netz

Netze, Hard- und Software speziell zur Speicherung, zum Retrieval und zum Verbreiten von Informationen werden für die unübersehbare Vielfalt von elektronischen Informationen im Netz benötigt, die das nächste Glied der Wertschöpfungskette darstellen. Hier reichen die Angebote von elektronischer Post über den Riesenkomplex der elektronischen Publikationen (Einzeldokumente, Dokument- und Linksammlungen, Datenbanken) bis hin zu Suchmaschinen, die die gesuchten Informationen möglichst vollständig, möglichst schnell und möglichst redundanzfrei auffinden sollen. Informationsanbieter im Netz kann jeder werden, der über die notwendigen technischen Voraussetzungen verfügt.
"Wer sich in das Internet einloggt, begibt sich in ein Reich der Anarchie, in dem jeder über alles sprechen kann, aber niemand hat das sagen."8
Zu diesem Glied der Wertschöpfungskette gehören auch die elektronischen Zeitschriften aus Verlagen und die elektronischen Kataloge und Linksammlungen von Bibliotheken.
Auch aus einem anderen Grunde sind die Suchmaschinen für die Hard- und Softwareindustrie attraktiv: Sie öffnen die Märkte, auf denen schon jetzt und in Zukunft noch viel mehr Umsätze zu erzielen sind. Verkäufe von Gütern und Dienstleistungen über das Netz sind erst dann möglich, wenn der potenzielle Käufer schnell und ohne Umwege zu den gesuchten Angeboten geführt wird. Wollen die Hard- und Softwareproduzenten also durch Verkauf ihrer Produkte am zu erwartenden Boom des elektronischen Handels (E-commerce) teilhaben, müssen sie den Weg zu den Informationen über die vielfältigen Angebote mit leistungsfähigen Suchmaschinen ebenen. Dabei werden die Kunden auch künftig nicht für die Nutzung zahlen wollen, denn sie müssen auch zur Zeit bei dem "konventionellen" Versandhandel die Kataloge nicht kaufen.

 

2.1.5 Value added services I: Electronic-Commerce

Electronic-Commerce bildet das nächste Glied der Wertschöpfungskette. Es nutzt die Verteilfunktion der Netze für Geschäftsinformationen und ihre Dialogfähigkeit für den Informationsaustausch mit den Kunden. Hierbei sind zu unterscheiden die Geschäfte zwischen Anbietern (z.B. Verlag und Buchhandel), Geschäfte innerhalb von Betrieben und Konzernen sowie der Geschäftsverkehr zwischen den Anbietern von Gütern und Dienstleistungen und dem Endverbraucher. Electronic Commerce setzt sich besonders bei beratungsintensiven Produkten sowie bei solchen Gütern und Dienstleistungen durch, bei denen keine körperliche Qualitätsprüfung notwendig ist.9
Die Vorteile des E-Commerce liegen auf der Hand: Die Angebote sind weltweit und rund um die Uhr verfügbar. Es werden keine hohen Investitionen für Verkaufsräume benötigt. Auch der Personalaufwand für Beratung und Vertrieb kann erheblich reduziert werden (hier werden Produktivitätssteigerungen um den Faktor 10 für möglich gehalten).10 Die Angebote lassen sich z.B. bei Preisveränderungen und bei ausverkauften Produkten sofort aktualisieren. Links werden hergestellt zu komplementären Produkten (z.B. bei Reisebuchungen zu gedruckten oder elektronischen Reiseführern, bei Kauf von Lebensmitteln zu Rezeptsammlungen etc.; der Fantasie und Kreativität sind hier keine Grenzen gesetzt). "Beispielsweise enthält die Homepage eines Küchenausstatters Links zu Feinkostläden ... Wie gut dieses Prinzip funktioniert, demonstriert die Online-Pornoindustrie in den USA seit langem." Der Service nach dem Verkauf verbilligt sich durch Online-Informationsdienste; eine direkte Ansprache der Kunden durch den Produzenten (etwa bei Produktneuentwicklungen, besonderen Aktionen) ist per e-mail jederzeit möglich. Analysen des Käuferverhaltens werden leicht durchführbar.
"Today, for a few thousand dollars, anyone can become a merchant and reach millions of consumers worldwide ... the Internet has done for electronic commerce what, Henry Ford did for the automobile."11
Auch Nachteile sind jedoch mit dem Electronic Commerce verbunden. So wird der Kaufvertrag nicht unterschrieben und der Händler trägt das Risiko des Zahlungseingangs. Deshalb schließen sich zur Zeit an die elektronische Bestellung noch konventionelle Liefer- und Verrechnungsvorgänge an: Es wird per Nachnahme oder nur gegen Vorkasse versandt.
Zahlungen per Kreditkarte sind üblich und entgegen landläufiger Meinung sicherer als die Zahlung mit der Karte im Ladengeschäft: im Gegensatz hierzu erfährt der Verkäufer bei der elektronischen Zahlung die Kartennummer nicht; Verschlüsselungsverfahren sichern den Übertragungsvorgang vor unbefugtem Zugriff.
Die derzeit üblichen Abrechnungsverfahren stellen der schnellen Ausbreitung des E-Commerce noch Hindernisse in den Weg. Abhilfe erhofft man sich von der Entwicklung neuer Abrechnungsverfahren (s. Kapitel 4), von der Einführung elektronischer Signaturen sowie von der Ablösung nationaler Währungen durch den EURO, der Preisvergleiche erleichtern und Zahlungsvorgänge verbilligen wird.
Generell muß der Online-Shop gegenüber den herkömmlichen Angeboten einen Mehrwert bieten, der den Interessenten zum Kunden macht.
80% des weltweiten Umsatzes beim E-Commerce werden derzeit in den USA gemacht. Dort stiegen die Umsätze 1997 gegenüber 1996 für Finanzdienstleistungen, Unterhaltung, privat genutzte PC’s und Telefonservice um 12,5%, obwohl die gesamte Ausgabensteigerung im Durchschnitt nur 0,9% betrug.
Beherrschend neben den Freizeitangeboten und der Unterhaltung ist das Online-Banking, bei dem ganz erhebliche Wachstumsraten erwartet werden. So geht eine Prognose davon aus, daß die Investitionen für das Online-Banking in Europa von 380 Millionen $ im Jahre 1997 auf 750 Millionen $ im Jahr 2000 steigen werden (dafür sind allein 558 Millionen Dollar für das Bankinggeschäft im Internet vorgesehen).12

1998 waren in Deutschland die meistgekauften Produkte im Internet

25% der Internet-Nutzer haben in den vergangenen 12 Monaten mindestens ein Produkt online gekauft.13

 

2.1.6 Value-added-Services II

Über dieser Ebene haben sich inzwischen weitere value-added services angesiedelt, die die Angebote der beiden darunter liegenden Ebenen für weitergehende Dienstleistungen nutzen.
Dazu gehören Bibliotheken und andere Institutionen oder Personen, die für den individuellen Bedarf Informationspakete zusammenstellen oder für bestimmte Nutzergruppen ständige Informationsdienstleistungen zusammenstellen. Dazu gehören Linksammlungen, Clearinghouses, Dokumentlieferdienste und Metasuchmaschinen.
Anzeigenvermittler existieren weiter, aber mit einem völlig veränderten Geschäftsfeld. Ihre Aufgabe ist das Auffinden von häufig genutzten und themenverwandten Homepages, die sich besonders für die zu vermittelnden Anzeigen eignen. Werbeagenturen führen Partner für den Austausch von Werbebannern und Links zusammen. Dabei verdient nicht nur die Agentur, auch der sogenannte Associate, über dessen Internetseite auf das Angebot eines mit ihm verbundenen Anbieters zugegriffen wird, erhält eine Provision von bis zu 15% des Umsatzes.
Die Werbung für bestimmte Produkte kann im Internet fast ohne Streuverluste eingesetzt werden, denn die Zielgruppen lassen sich bis in die kleinste Verästelung leicht ausmachen. Die Erfolgskontrolle ist zu 100% möglich, weil die Zugriffe auf die einzelnen Werbemittel und Links gezählt werden können.
Auch die Verbraucher erhalten Unterstützung. Sogenannte Softwareagenten führen zu den gewünschten Produkten und führen selbständig Preisvergleiche durch.
Auch hier gilt wie in allen anderen Branchen: der Wachstumstrend ist bei der Entwicklung und dem Angebot von besonders pfiffigen, innovativen Dienstleistungen besonders stark ausgeprägt. Das gibt auch Ländern die Chance am Wachstum zu partizipieren, die keine Marktführer bei Hard- und Softwareprodukten sind.

7) Gericht: Microsoft darf Windows mit Browser verkaufen. (http://www.2.nordwest.net/7668.html)
8) Angst vor der Anarchie : Internet (III): Politik im Cyberspace ; Visionäre, Verbrecher und Zen-soren kämpfen um Macht. - In: Der Spiegel (1996) 13, S.132-142
9) Felsenberg, Alexander u. Gregor Fuchs: Der Multimedia-Reality-check : Multimedia - nach der Euphorie "down to business". (http://www.dmmv.de/multi/artikel.htm)
10) The Economic and Social Impacts of Electronic Commerce : Preliminary Findings and Re-search Agenda. (http://www.ooecd.org/subject/e_commerce/summary.htm)
11) s. Fußnote 10
12) Richter, Hermann u. Rolf Reher u. Herbert Reichelt: Pressekonzentration und neue Medien : der Einfluss neuer Wettbewerbsimpulse auf die Konzentration bei Tageszeitungen. - Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht, 1988. - XVII, 278 S. - (Wirtschaftspolitische Studien auf dem Insti-tut für Europäische Wirtschaftspolitik der Universität Hamburg ; 74) - Zugl.: Hamburg, Univ., Diss, 1998. - ISBN 3-525-12276-4
13) Deutsche kaufen am liebsten Bücher im Internet : GfK Online-Monitor ; mehr als zwölf Mil-lionen haben Zugang zum Internet. (http://www.boersenblatt.net/boersenblatt/detail.php3?id=315)

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