55
54
Das Buch, dessen Herstellung Lisa Handke seit Tagen in Atem
hält, ist ein Schmuckstück, bei dessen Anblick Bibliophilen gro-
ße Augen bekommen dürften: Ein Einband in Leder, mit ech-
ten Bünden und handumgestochenem Kapital, der Schnitt mit
Graphitpulver gefärbt. Auch das Buntpapier für den Überzug
hat sie selbst gefertigt. Schweißtreibende Fleißarbeit, eine Tüf-
telei. „Es braucht viel, bis ein Buch wirklich perfekt ist“, weiß
Handke, „und man kann auch viel falsch machen. Schnabelt
der Einband, stimmt das Aufschlagverhalten? Am Ende soll’s ja
nicht nur gut aussehen, es muss auch optimal benutzbar sein.“
Die junge Frau, die bereits wie ein gestandener Prof über ihre
Arbeit spricht, ist Auszubildende im Arbeitsgebiet Buchbinde-
rei/Restaurierung der Deutschen Nationalbibliothek in Leip-
zig. Künstlerisch-kreativ beschäftigte sich die 21-Jährige schon
während ihrer Schulzeit im nahen Eilenburg. Die Liebe zum
haptischen Umgang mit Papier, Einbänden und Bezugsstofen
entfammte während mehrerer Ferienjobs in der Restaurierungs-
werkstatt des Sächsischen Staatsarchivs. Bald kristallisierte sich
ein fester Berufswunsch heraus: Buchrestauratorin. Die Zulas-
sung zum Hochschulstudium setzt ein einjähriges Vorprakti-
kum in einer Restaurierungswerksatt oder eine Buchbinderaus-
bildung voraus. Handke wählte den zweiten Weg – und sieht
jetzt nach fast drei Jahren mit einer Mischung aus Vorfreude
und Lampenfeber ihrer Gesellenprüfung entgegen. Die erste
Etappe auf dem Weg zum Traumjob: genommen. An die ers-
ten Stunden in der weitläufgen Werkstatt im Untergeschoß der
Bibliothek kann sich Handke noch gut erinnern. Damals lös-
ten die beiden neu eingestellten Azubis Metallklammern aus
alten Zeitschriften-Jahrgängen, die für die Bindung vorbereitet
wurden. „Keine große Sache, aber wichtig – und ideal zum
Reinschnuppern.“ Inzwischen kennt sie die Abläufe in ihrem
Arbeitsbereich aus dem Efef: Tausende Bände aus den Maga-
zinen der Bibliothek oder den Beständen des Deutschen Buch-
und Schriftmuseums gehen pro Jahr durch die Werkstatt. Ein
Lazarett der Bücher: Papierrisse müssen geschlossen, Einbände,
an denen der Zahn der Zeit genagt hat, repariert werden. Auch
der Bedarf an handgefertigten Verpackungen für besondere Ob-
jekte oder Bücher, denen mit restauratorischen Mitteln nicht
beizukommen ist, wächst beständig: Mappen, Schachteln, lei-
nenbezogene Kassetten, funktionell und doch so schön, dass sie
auch das Herz eines Manufactum-Kunden erwärmen könnten.
In der Bibliothek, die allein in Leipzig pro Jahr acht Ausbil-
dungsplätze anbietet – insgesamt sind hier 18 angehende Fa-
changestellte für Medien- und Informationsdienste und sechs
zukünftige Buchbinderinnen beschäftigt – nimmt man sich
Zeit für den Nachwuchs. Ein Umstand, den nicht nur künftige
Arbeitgeber zu schätzen wissen. Auch Handke ist von der Qua-
lität der Ausbildung angetan: „Wir lernen die exotischsten Pa-
piersorten oder historische Einbandtechniken kennen, arbeiten
auch mit Leder oder Pergament – Materialien, die im Alltags-
geschäft eher nicht zum Einsatz kommen.“ Neben der Werk-
stattpraxis hat Handke auch für ihre Theorieblöcke an der Be-
rufsschule zu büfeln: technische Mathematik, Werkstof- und
Wirtschaftskunde, das volle Programm. Gerade die Mischung
aus technischem Verständnis und handwerklicher Arbeit, aus
„Köpfchen, Geduld und Fingerspitzengefühl“ begeistert Hand-
ke. Sie ist sich sicher, die richtige Wahl getrofen zu haben.
Geht alles gut – und daran zweifelt keiner, der ihr bei der Arbeit
zusieht –, beginnt sie ab Herbst ihr Studium der Buch- und Pa-
pierrestaurierung in Hildesheim. Wird ihr Weg sie in fünf Jah-
ren wieder nach Leipzig führen? „Das wäre toll“, meint Handke.
Und fügt, während sie sich den abgelösten Deckblättern eines
Zeitschriftenbandes widmet, hinzu: „Wenn man den Job gern
macht, macht man ihn überall gern.“
IM LAZARETT
DER BÜCHER
Gesichter der Nationalbibliothek, Leipzig: Lisa Handke ist angehende
Buchbinderin und will nach absolvierter Lehre Restauratorin werden.
Hierbei proftiert sie von der engagierten Nachwuchsförderung der
Einrichtung und der hohen Qualität der Ausbildung.
PORTRÄT: NILS KAHLEFENDT FOTO: STEPHAN JOCKEL