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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 12, 98

Risikostreuung oder Mittelkonzentration? Marketing und Controlling in Wissenschaftlichen Bibliotheken


Kolloquium in Düsseldorf

Beate Tröger

Risikostreuung oder Mittelkonzentration: was ist der Weg des Heils für die wissenschaftlichen Bibliotheken in Zeiten knapper Mittel und wachsender Legitimationszwänge? Kann oder muß die Bibliothek durch eine Verbreiterung eigener Kapazitäten und Ressourcen Flexibilität beweisen, um an einzelnen Stellen auftretende politische und/oder finanzielle Einbrüche ausgleichen zu können - oder ist sie ganz im Gegenteil unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten gerade gezwungen, sich durch Stärkenkonzentration ein klares und scharfkantiges Profil zu geben, um sich von anderen Informationsanbietern eindeutig abzugrenzen und die eigenen Leistungsbereiche systematisch in den Blickpunkt der Nutzerschaft zu rücken?

Bibliotheken gehen bei der Beantwortung dieser Frage seit einiger Zeit unterschiedliche Wege, wie die Podiumsdiskussion am Ende eines thematisch umfassend angelegten Kolloquiums über Marketing und Controlling in Wissenschaftlichen Bibliotheken am 15. Oktober 1998 in der ULB Düsseldorf1) zeigte. Die UB Konstanz etwa, so deren Bibliotheksdirektor Dr. Klaus Franken, setzt dezidiert auf Bündelung der eigenen Kräfte; andere Bibliotheken versuchen sich eher über das gleichmäßige Verankern von Halteseilen in vielen Arbeits- und Profilierungsbereichen für stürmische Globalhaushalts-Zeiten zu wappnen. So strittig die Richtung auch ist, die man hier einschlägt: den sicheren, aber unter Umständen etwas ausgetretenen Mittelweg oder die profilierte und damit ins Auge springende, aber ggf. auch absturzgefährdete Gratwanderung - Einigkeit herrschte bei den zum Kolloquium geladenen Experten aus Bibliothek und Betriebswirtschaft in der Frage der unabdingbaren verifizierenden Unterfütterung solcher Richtungsentscheidungen. Sorgfältige Analysen sowohl der eigenen Stärken und Schwächen über ein scharfäugiges Controlling der lokalen Aktivitäten als vor allem auch der Bedürfnislagen der ins Auge gefaßten Zielgruppen bibliothekarischer Angebote bleiben unabhängig von jeder späteren Ausrichtung unhintergehbare Basis allen weiteren Handelns. Die gegenwärtige Bibliothekspolitik kranke daran, so wurde diagnostiziert, daß aus Nutzersicht notwendige Veränderungen von den Wissenschaftlichen Bibliotheken oft zu spät erkannt werden, man zudem zu wenig von Erfahrungen anderer Bibliotheken lerne, Begriffe wie Benchmarking etwa also nach wie vor nicht nur verbal, sondern vor allem auch inhaltlich ein Fremdwort blieben.

Öffentliche Bibliotheken haben hier aufgrund der frühzeitigen Haushaltsverschiebungen der Kommunen weniger Berührungsängste mit dem BWL-Vokabular und seiner Anwendung, wie die Ausführungen Dr. Norbert Kamps, des Direktors der Stadtbüchereien Düsseldorf, zeigte: die Verknappung der Ressourcen zwinge, so Dr. Kamp, die Öffentlichen Bibliotheken bereits seit ca. zehn Jahren zu einer expliziten Zielgruppenorientierung auf der Grundlage möglichst exakter Definitionen dieser Zielgruppen. Die strategische Positionierung einer Bibliothek in ihrem Umfeld werde immer wichtiger, eigene Legitimationen Nutzern wie Finanziers gegenüber seien von zunehmend existentieller Bedeutung. Nutzerorientierung lautet folglich der Schlüsselbegriff auf dem Weg zum bibliothekarischen Erfolg - hierin waren sich die anwesenden Experten des Kolloquiums sicher. Dabei könne man zunächst durchaus kleinschrittig vorgehen, wichtig sei jedoch die regelmäßige Überprüfung von Erwartungen und erreichter Zufriedenheit bei den bibliothekarischen Kunden: Nur so könnten die Fragen der Existenzberechtigung einer Wissenschaftlichen Bibliothek - was macht die Bibliothek unentbehrlich, was kann sie besser, schneller, kostengünstiger als andere Informationsanbieter? - positiv beantwortet werden. Um dieses Ziel zu erreichen, sei allerdings ein deutliches Umdenken notwendig: statt eines "Das geht nicht" dem Bibliotheksnutzer gegenüber müsse es in Zukunft unabdingbar heißen: "Lassen Sie uns gemeinsam überlegen, wie es gehen kann".

Ein solcher Ansatz konsequenter Nutzerorientierung im Sinne professionellen Marketings, unterfüttert durch ein ebenso professionelles Controlling der eigenen Einrichtung, muß dabei aber natürlich bezahlbar sein und bezahlt werden - und so formulierte Prof. Dr. Bernd Günter, Betriebswirt und Dekan der Wirtschaftswissenschaften der Universität Düsseldorf, in seinem Einleitungsreferat zum Thema "Marketing im Non-Profit-Bereich" konsequent die Frage "Können wir uns mehr Nutzerorientierung leisten?" Günters Antwort auf diese Frage ist eindeutig: Kundenorientierung steht nicht als eine Möglichkeit zur Disposition, sondern ist als klare a-priori-Zielvorgabe zu begreifen - nur so sind die Gegenleistungen der Nutzer zugunsten der Bibliothek zu erwarten, die sich etwa in Gestalt einer Unterstützung bibliothekarischer Argumente in der Hochschulverwaltung als unverzichtbar erweisen. Die Bibliothek mit ihren Mitarbeitern muß lernen, zu einer Denkweise vom Nutzer her zu gelangen: man müsse, so Prof. Günter, die Sichtperspektive von Innen nach Außen um 180° drehen in eine Sicht von Außen nach Innen - man müsse quasi im Kopf des Nutzers spazierengehen. Nur dann sei zu erreichen, daß Bibliotheksziele eingelöst werden könnten und sich gleichzeitig Nutzer und Mitarbeiter ganzheitlich wohl fühlten und entsprechend für die Bibliothek und ihre Ziele engagierten. Marketing heißt Beziehungen aufbauen, dies müßten die Bibliotheken für sich entdecken. Das Finanzierungsargument solchen Marketings sei hierbei ein durchaus vernachlässigbares - es gebe, betonte der Betriebswirt, genügend schlanke Instrumente, die man kostengünstig einsetzen könne: vom Jour fixe zur Nutzerorientierung über Nutzeranalysen mit Bordmitteln wie Nutzerforen oder Nutzerkonferenzen bis hin zu Kontaktpunktanalysen ("Wo entsteht welcher Kontakt mit Nutzern?") und Fehler-Möglichkeiten-Einfluß-Analysen, den allen Wirtschaftsstudenten wohlbekannten FMEAs, die von der Frage ausgehen: "Was könnte passieren, wenn...?" Zudem seien Faktoren wie persönlicher Kontakt mit namentlicher Vorstellung, Erreichbarkeit etwa durch angepaßte Öffnungszeiten oder die Suche nach Kunden-Feedback keineswegs trivial. Vor allem aber hieße schlankes Instrumentarium einer funktionierenden Nutzerorientierung Empowerment: mehr Spielraum für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Hilfsmittel jedes strukturierten Marketings kann und sollte ein klassisches Werkzeug der Sozialforschung sein: die Nutzerbefragung. Dies wurde in mehreren Vorträgen des Kolloquiums immer wieder nachdrücklich betont. Uneinigkeit unter den Experten auf dem Podium und im Auditorium allerdings herrschte vor, ging es um die Frage des Erhebungsumfanges: ist eine relativ aufwands- und kostengeringe und damit auch relativ schnell wiederholbare Stichprobe zu einzelnen Bereichen der bibliothekarischen Strukturen zu bevorzugen oder statt solchen Stückwerkes die gründliche Gesamterhebung zur Bibliothek in toto - und ist diese dann noch ökonomisch vertretbar? Der Beitrag von Diplom-Kauffrau Uta Müller über "Sinn und Unsinn von Befragungen" bezog hier klar Position: Befragungen, die als allgemeine Rundumschläge angelegt seien, machten, so die Referentin, für Bibliotheken wenig Sinn, da der Aufwand den Nutzen eindeutig übersteige. Wesentlich effektiver seien statt solchen Hanges zur Vollständigkeit kurze Spezialbefragungen zu genau eingegrenzten Themen. Der einzusetzende Zeitaufwand, das notwendige Personal, die Technik, das Material und der Kommunikationsaufwand ebenso wie das einzubringende Know-How und der organisatorische Aufwand bildeten Faktoren, die aus betriebswirtschaftlicher Sicht in Relation zu stellen seien zum erwarteten Gewinn: Informationszuwachs für und Informationsabgabe über die Bibliothek, bibliothekarische Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit und nicht zuletzt Motivation und Identifikation der Nutzer mit der Bibliothek. Diese Berechnungsgrößen sprächen eindeutig für eine Spezialbefragung: deren Umfang sei gering, der Aufwand begrenzt und der Nutzen zugleich hoch - nicht zuletzt, weil die aus sozialforscherischer Sicht bei jeder Befragung entstehenden methodischen Probleme zumindest zum Teil nivelliert werden könnten. So sei es etwa möglich, durch verschiedene Fragen zu identischen Themen Werte einzelner Antworten zu relativieren und entsprechend die Antworten damit ein Stück weit zu verifizieren. Befragende Rundumschläge verschlössen sich dagegen quasi a priori solcher Möglichkeit aufgrund ihres Umfanges - der durch sie entstehende Erkenntnisgewinn bliebe zwangsläufig an der Oberfläche und ihr Nutzen sei deshalb begrenzt. Allenfalls die Repräsentativbefragung könne hier einen Sonderstatus einnehmen, ist ihr Ziel doch eher die bibliothekarische Informationsabgabe und Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit über die Aufmerksamkeitswirkung repräsentativer Zahlen.

Frau Müller stellte diese Thesen auf am Beispiel von Untersuchungen, die durchgeführt wurden im Rahmen des das gesamte Kolloquium motivierenden Projektes COMBI: Controlling und Marketing in Wissenschaftlichen Bibliotheken - ein jetzt abgeschlossenes Projekt der Universitätsbibliotheken Düsseldorf und Magdeburg, das das Ziel hatte, praxiswirksame Marketing- und Controllingstrategien für Hochschulbibliotheken zu entwickeln. Auf die hierbei angewendeten konkreten Untersuchungsverfahren bezogen sich auch verschiedene andere Redebeiträge des Kolloquiums. Diplom-Kauffrau Kerstin Münster etwa berichtete aus Magdeburger Sicht über Aufwands- und Nutzenabschätzungen von Quotierungen im Rahmen der stattgefundenen Befragung. Prof. Dr. Horst Degen, Statistiker und Ökonometrieexperte der Universität Düsseldorf, analysierte darüber hinaus die in den beiden Projektbibliotheken eingesetzten Fragebögen und gab anwendungsnahe Tips zur Gestaltung eines solchen Bogens: insgesamt knapp und klar gegliedert müsse er sein, ausgestattet mit kurzen und möglichst offenen Fragen, neutral und bei Mehrfachauswahl-Fragen gleichwertig formuliert und sprachlich angepaßt an die Klientel, der der Bogen vorgelegt werden soll. Bei einer Antwort-Mehrfachauswahl sei darauf zu achten, daß tatsächlich alle Antwortalternativen ausgeschöpft seien, zudem sei die Reihenfolge dieser Alternativen äußerst kritisch zu reflektieren. Insgesamt müsse jedoch unabhängig von der konkreten Gestaltung eines Fragebogens immer mit Verweigerungsverhalten der Befragten gerechnet werden: bei schriftlichen Befragungen mit einer einmaligen Antwort-Mahnung, wie im Falle der vorliegenden Projektuntersuchungen angewendet, sei ein erzielter Rücklauf von 40% ein gutes Ergebnis.

Nutzerforschung auf der Grundlage einer in diesem Sinne gestalteten Befragung ist unbezweifelbar ein eminent wichtiger Aspekt sinnvoller Marketingstrategie - sie ist jedoch nur die eine Seite der Marketing-Medaille: Öffentlichkeitsarbeit im weitesten Sinne muß sie effizient ergänzen. Universitätsbibliotheken benötigen, so lautete entsprechend die These von Dr. Ute Olliges-Wieczorek, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit an der ULB Düsseldorf, eine aktive Öffentlichkeitsarbeit und konkrete Werbekonzepte - besonders für die Einführung neuer Dienstleistungen. Ohne gezielte lokale Werbung und eine aktive Öffentlichkeitsarbeit würden neue Dienstleistungen kaum wahrgenommen - zur Entwicklung neuer Produkte gehöre zwangsläufig auch für Hochschulbibliotheken ein konkretes Konzept offensiver Vermarktung. Am Beispiel elektronischer Dokumentlieferdienste erläuterte Dr. Olliges-Wieczorek die Entwicklung einer entsprechenden kommunikationspolitischen Strategie, die zunächst neben der Bestimmung der anzusprechenden Zielgruppen die eigenen Primär- und Sekundärziele festlegen muß (im Rahmen des COMBI-Projektes waren das die Steigerung des Bekanntheitsgrades von JASON, SUBITO und DBI-LINK als Primär- und die Verbesserung des Images der Bibliothek als kompetenter Ansprechpartner in der Informationsvermittlung als Sekundärziel). Auf der Grundlage der Ergebnisse, die die sich anschließende Nutzerbefragung ermittelt hat, muß dann eine differenzierte Strategien- und Maßnahmenplanung einsetzen, in der Möglichkeiten und notwendiger Aufwand einzelner Maßnahmen zu ermitteln und in Relation zum erhofften Resultat zu stellen sind. Im Falle der Dokumentlieferdienste konkretisierte sich dies im COMBI-Projekt zunächst als direkte Werbemaßnahmen auf dem Campus - etwa eine umfangreiche Plakat-Aktion, 10.000 auch in Studentenwohnheimen, Cafeterien und Tiefgaragen verteilte Handzettel, 50.000 bei der Ausleihe in die Bücher eingelegte Lesezeichen, eine E-Mail-Aktion an alle ca. 15.000 Hochschulangehörigen, die eine Mail-Kennung über das Hochschulrechenzentrum besitzen, Hinweise auf dem Übersichtsbildschirm des bibliothekarischen CD-ROM-Angebotes, Hinweise in Veranstaltungen der Bibliothek und schließlich ein Informationsstand im Foyer der Bibliothek im Rahmen einer Aktionswoche. Diese direkten Werbemaßnahmen unterstützend setzte zugleich eine gezielte Öffentlichkeitsarbeit ein in Form von entsprechenden Berichten in der Universitätszeitung und dem Universitätsradio, den Zeitschriften für Studierende, in Fachjournalen und der Lokalpresse. Das Informationsangebot der Bibliothek wurde insgesamt erweitert durch die Präsentation dieser Pressemitteilungen auf der Homepage im Internet, durch eine Mailing-Liste der Bibliothek und durch Informationsveranstaltungen für spezielle Zielgruppen. Schulungen für die eigenen Mitarbeiter der Bibliothek rundeten das Maßnahmenpaket ab. Sich anschließende Wirksamkeitskontrollen gaben ein Feedback über den Erfolg dieses aufwendigen Werbepaketes: so zeigte sich etwa, daß die Bekanntheit von JASON bei den Studierenden im Beobachtungszeitraum um fast das Doppelte angestiegen war. Ein auch projektüberschreitend interessantes Untersuchungsergebnis brachte die Spezifikation der eingesetzten Werbeträger im Blick auf ihre jeweilige Werbewirksamkeit: die Informationswege der Studierenden beispielsweise liefen an erster Stelle über die Mundpropaganda durch Freunde, an zweiter Stelle über das Internet, an dritter Stelle über die Hinweise auf dem CD-Manager und an vierter Stelle über die Beratung durch Bibliotheksmitarbeiterinnen und -mitarbeiter. Erst anschließend tauchen Plakate und Handzettel im Ranking auf, gefolgt von dem Info-Stand, der E-Mail-Aktion, den Hinweisen durch Professoren, Einführungsveranstaltungen und weit an den letzten Platz abgeschlagen die Berichte in den Zeitungen. Diese Ergebnisse zeigen, daß zahlreiche effektive Werbemaßnahmen der Bibliotheken auch ohne den Einsatz größerer finanzieller Etats etwa für kostenintensive Plakatierungen und Prospekterstellungen möglich sind - Etats, die im Zeitalter knapper Kassen ja in vielen Einrichtungen nicht zur Verfügung stehen. Aber auch die Zusammenarbeit mit finanzkräftigeren Werbepartnern ist an dieser Stelle beispielsweise eben für die Druckfinanzierung von Handzetteln und Lesezeichen auszuloten: vermittelt durch eine Werbeagentur oder - noch kostengünstiger und bei COMBI durchaus erfolgreich - selbst akquiriert. Und so lautete entsprechend die These von Dr. Olliges-Wieczorek, jede Universitätsbibliothek benötige ein (mit dem Hochschulrektorat und der Hochschulverwaltung abgesprochenes) konkretes Fundraising-Konzept über mögliche Spenden, über ein mögliches Sponsoring und eben auch über mögliche Werbeaktionen. Das größte Einnahmepotential verortete die Referentin dabei im Kontext der Werbung - die Bibliothek müsse sich allerdings dezidiert mit der Frage der Preisfindung für einzelne Aktionen auseinandersetzen. In der Praxis interessierten nicht die absoluten Preise, sondern das Verhältnis von Kosten zu Medialeistung: wieviele Personen werden insgesamt bzw. innerhalb einer Bevölkerungsgruppe durch einen Werbeträger erreicht, wie häufig werden die Zielgruppen angesprochen und wie attraktiv sind diese Zielgruppen für ein Unternehmen?

Diese Gedanken wurden von einem Vertreter der Unternehmerseite aufgegriffen: Ulrich Welke, Abteilungsleiter für Marketing in der Düsseldorfer Zentrale der Deutschen Telekom, berichtete über das Sponsoring für Bibliotheken aus der Sicht eines Unternehmens: "Wie werden", so lautete seine zentrale Frage, "Bibliotheken attraktive Partner?" Auch Nicole Vierschilling, Mitarbeiterin des COMBI-Projektes in Düsseldorf, weitete den Blick über den bibliothekarisch-hochschulspezifischen Tellerrand hin aus: Dienstleistungen für externe Kunden, so ihre These, bringen der Bibliothek ideell ein verbessertes Image und konkret-materiell neben einer besseren Auslastung vorhandener Ressourcen neue Einnahmequellen - die wiederum eine Aufrechterhaltung des Ressourcen-Pegels etwa bei den je Bibliothek vorhandenen Zeitschriften unterstützen. Basis dabei muß allerdings ein differenziertes und klar definiertes Dienstleistungsangebot sein, das zudem über technische Lösungen den ansonsten zum Teil zu hohen Recherche- und Beratungsaufwand für die Bibliothek in einem sich noch amortisierenden Rahmen hält. Auch an dieser Stelle sind zugleich finanzielle Unterstützungen, ist Sponsoring von außen denkbar - etwa durch die Wirtschaftsverbände, deren Mitglieder die bibliothekarischen Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Die Anforderungen, die in einem solchen Unterstützungs-Fall von Seiten der Wirtschaft gestellt werden, zeigte Dr. Dieter Klages, SUB Bremen, aus der Sicht eines weiteren Projektes auf: BREWIS, ein Angebot der Bremer Staats- und Universitätsbibliothek, arbeitet mit den Zielen einer Intensivierung der Kooperation zwischen Wissenschaft und Wirtschaft und einer hieraus resultierenden Unterstützung der Innovationsprozesse der regionalen Wirtschaft. Von Bedeutung für die potentiellen Bibliothekskunden aus Handel und Industrie ist dabei neben einem modularen und transparenten Aufbau der Preisgestaltung des bibliothekarischen Serviceangebotes die leichte Bedienbarkeit des Informationssystems, der gewährleistete Online-Zugriff, eine schnelle und transparente Recherchemöglichkeit, ein zeitgenauer Zustellservice und last not least ein praktikables Abrechnungssystem.

Solche Transparenz in Finanzfragen ist natürlich auch für die bibliothekarische Anbieterseite von zentraler Bedeutung. Zielsetzungsgerechte Entscheidungen bedürfen auch hier fundierter Datenaufbereitung und -analyse - das häufig gehörte Vorurteil, im sogenannten Non-Profit-Bereich könne man die (in der Industrie bewährten) Instrumente eines effektiven Controllings nicht nutzbringend einsetzen, ist ad acta zu legen. Statt dessen gelte es, so betonte entsprechend Prof. Dr. Wolfgang Berens, Lehrstuhlinhaber für Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Controlling an der Universität Düsseldorf, die Controlling-Philosophie eines unterstützenden und wegweisenden Beifahrers auch im Bibliothekswesen zu adaptieren. Das weit verbreitete AGABU-Prinzip - "Alles ganz anders bei uns" - müsse Elementen wie einem effektiv genutzten Benchmarking, einem Business Reengineering oder einer Gemeinkostenwertanalyse weichen.

Ähnlich appellative Thesen vertrat auch Diplom-Kaufmann Martin Karlowitsch. Prozeßkostenrechnung, so sein Ansatz, habe große Planungsrelevanz für Wissenschaftliche Bibliotheken: mit diesem betriebswirtschaftlichen Verfahren stehe den Bibliotheken ein praktisch erprobtes, sehr gutes Instrument zur exakten Ermittlung der Kosten für direkte und für indirekte Leistungen zur Verfügung. Allerdings sei eine klare Zielorientierung geboten über den tatsächlichen Bedarf solcher kostenbezogener Fundierung bestimmter Entscheidungen: Einführung und Umsetzung der Rechnungsart seien sehr aufwendig. Zudem sei die Prozeßkostenrechnung stets in ein umfassendes Kostenmanagement-Programm einzubetten, denn natürlich sei durch ein alleiniges Berechnen der Kosten noch nicht deren Management gewährleistet. Elementar für ein solches Gesamtkonzept, so Karlowitsch, ist ein Beachten dreier gleichgewichtiger Anknüpfungspunkte innerhalb der Bibliothek: erstens das Kennen, die offene bibliotheksinterne Informationspolitik und -kultur, zweitens das Können, d. h. eine potentialorientierte Personalentwicklung, und drittens schließlich das Wollen, die Atmosphäre der Veränderung, die Unterstützungsbereitschaft gegenüber neuen Ideen bei den eigenen Mitarbeitern. Kernfrage aus seiner Sicht, betonte der Referent, sei die Überlegung, wie hoch die Flexibilität der Mitarbeiter ist, deren bisherige Leistungen ausgelagert oder umstrukturiert werden sollen. Erst wenn diese Frage befriedigend beantwortet werden kann, könne man sich mit den Grundelementen eines Kostenmanagements auseinandersetzen, also den durch Kostenmanagementprozesse freigesetzten Kapazitäten - diese lägen in einem durch hohe Personalkosten geprägten Bereich wie einer Bibliothek eben in der Regel bei den Human Ressources, den Mitarbeitern. Erst an die Klärung der Innovationsbereitschaft und -fähigkeit anschließend also könne man in einem zweiten Schritt Überlegungen anstellen hinsichtlich einer deutlichen Umstrukturierung, eines Make-Or-Buy bzw. eines Outsourcings.

Wie ein solcher zweiter Entscheidungsschritt dabei konkret aussehen kann, verdeutlichten Dr. Wolfgang Jäger, UB Magdeburg, aus der Sicht einer "Zeitschriftennutzungsanalyse als Hilfe beim Bestandsaufbau" und der Düsseldorfer Diplom-Kaufmann Roman Makoski mit Überlegungen zu "Access versus Ownership", dargestellt am Beispiel medizinischer Zeitschriftenliteratur. Mit Hilfe verschiedener Meßmethoden - von der Selbsterfassung durch die Zeitschriftennutzer via Strichliste und Abreißzettel über das Zukleben von Zeitschriften und der Beobachtung der Nutzer am Regal bis hin zum Auswerten von Literaturverzeichnissen in Dissertationen - können Nutzungsfrequenzen ermittelt und Rentabilitäten eines ersatzweisen Fremdbezuges über Dokumentlieferdienste abgeleitet werden. Aus diesen Ergebnissen lassen sich Einsparpotentiale herausfiltern und Gelder ggf. kundenorientiert sinnvoller verwenden - etwa, indem selten frequentierte Fachzeitschriften storniert und für die Nutzer kostenfrei über Dokumentlieferdienste bereitgestellt werden, so daß die Bibliothek vakante Finanzmittel in nutzungsintensive Zeitschriften und deren lokalen Erhalt investieren kann. Dabei sind allerdings nicht nur monetäre Faktoren zu beachten: auch die Sekundärziele einer Bibliothek - etwa ihr Image in der Hochschule, bestimmt unter anderem über ihren Zeitschriftenbestand - ist in Prozeßkostenrechnungen einzubeziehen.

Die konkreten Ergebnisse dieser und der anderen während des Kolloquiums vorgestellten sehr interessanten Untersuchungen des COMBI-Projektes sind als Band "Controlling und Marketing in wissenschaftlichen Bibliotheken, Band 1" (dbi-materialien 177) veröffentlicht bzw. mit Band 2 und 3 zur Veröffentlichung vorgesehen.2) Diese Publikation ist ebenso zu begrüßen wie das Kolloquium, ist doch die Ausgangsfrage bei dessen abschließender Podiumsdiskussion, ob denn die Ergebnisse des Projektes auch auf andere Bibliotheken übertragbar seien, aus Sicht der Podiumsvertreter wie der übrigen Kolloquiumsteilnehmer eindeutig zu bejahen.

Es mache keinen Sinn, betonten entsprechend die Diskutanten einhellig, wenn Bibliothekare das Rad immer wieder neu erfinden wollten. Wichtig sei, ein neues Bewußtsein für die Notwendigkeit eigentlich klassischer bibliothekarischer Aufgaben zu entwickeln: Aufgaben dezidierter Nutzerorientierung, klarer Positionierung in der akademischen und nicht-akademischen Öffentlichkeit und wachsender Sensibilisierung für die hieraus resultierenden innerbibliothekarischen Strukturveränderungen etwa bei der Gestaltung von Arbeitszusammenhängen. Dies sei aus den Ergebnissen des COMBI-Projektes eindeutig abzulesen. Perspektivenwechsel stelle sich hier als zentrale Anforderung an Bibliotheken heraus: Selbstzweckfunktionen, die nur der Erfüllung bibliothekarischer Standards dienten, könne sich, so Albert Bilo, einer der Projektinitiatoren, keine Bibliothek mehr erlauben. Um als Dienstleistungsbetrieb attraktiv zu bleiben, müsse man das Aufgabenspektrum der Bibliotheken neu gestalten: andere Anbieter am Medienmarkt dürften den Bibliotheken nicht den Rang ablaufen. Daß in diesem Prozeß auch nicht-rationale Entscheidungsgrößen von Relevanz sind - nicht zuletzt im Rahmen politischer Entscheidungen - ist eine Binsenweisheit, die auch bei Marketing- und Controllingfragen nicht zu vernachlässigen ist. Desto dringender, so das abschließende Statement der Veranstaltung, ist die bibliotheksinterne Flexibilisierung der Tätigkeiten, die Einbindung möglichst aller Mitarbeiter in die Veränderungsabläufe und die Entwicklung von Verantwortungsbewußtsein und Solidarität.

1) Marketing und Controlling in Wissenschaftlichen Bibliotheken. Kolloquium am 15. Oktober 1998 in der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf.

2) Controlling und Marketing in wissenschaftlichen Bibliotheken: (COMBI): Entwicklung einer praxiswirksamen Marketingstrategie für Hochschulbibliotheken am Beispiel der Universitätsbibliotheken Düsseldorf und Magdeburg / Deutsches Bibliotheksinstitut. Hrsg. von Elisabeth Niggemann. Bd. 1. Zwischenergebnisse und Arbeitsmaterialien. (Dbi-Materialien ; 177) 1998. 340 S. (3-87068-977-3)


Stand: 09.12.98
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