Publikationen Hierarchiestufe höher Vorherige Seite Nächste Seite

BIBLIOTHEKSDIENST Heft 10, 98

Zeitenwende

Digitalisierung historischer Buchbestände im Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt am Main

Ismene Deter

Einführung

Während die Bestände von Bibliotheken bisher lediglich über bibliographische Daten erschlossen werden, markiert die Bereitstellung der Texte selbst in elektronischer Form einen Sprung in eine neue Dimension der Erschließung, aus der die Forschung unmittelbar Nutzen ziehen wird. Neue Aufgaben stehen bevor, die das Gesicht der traditionellen Bibliothek entscheidend verändern werden. Am Ende des Jahrhunderts, in dem - wie es Robert Musil einmal nannte - das Katalogzimmer als "das Allerheiligste der Bibliothek" galt, schicken sich die Bibliotheken an, ihre Schätze auch über Netze zu öffnen: Zeitenwende im doppelten Sinn.

Tatsächlich eröffnen sich mit der elektronischen Erfassung von Texten und ihrer Bereitstellung durch das World Wide Web nicht nur neue Formen wissenschaftlicher Information und Kommunikation, sondern auch Möglichkeiten für einen direkten Zugang zu Bibliotheksbeständen, unabhängig von Ort, Zahl und Zeitpunkt des Zugriffs. Zahlreiche Bibliotheken werden mit ausgesuchten Quellenbeständen die Gelegenheit für einen verbesserten Zugang ergreifen. Doch sollte die Chance vor allem auch von solchen Bibliotheken genutzt werden, deren Bestände, zum Nachteil des Benutzers, zunehmend eingeschränkten Bedingungen des Zugangs unterliegen. Spezialbestände, bibliophile Werke, historische Quellen, die durch Schäden, insbesondere durch Papierzerfall, angegriffen, der Benutzung womöglich bereits entzogen und daher für die Forschung nahezu unzugänglich geworden sind: sie alle können langfristig von den erweiterten Nutzungsmöglichkeiten profitieren, die die Digitalisierung ermöglicht. Eine wirksamere Lösung für die Probleme bei der Bereitstellung kaum lokalisierbarer, schwer zugänglicher Bestände dürfte sich kaum finden lassen: Musealisierte Werke lösen sich aus ihrer Isolation und der Bindung an einen Ort und werden, digital erfaßt und vernetzt, für jedermann zu jeder Zeit greifbar.

Zugegeben, die Nutzungsmöglichkeiten elektronischer Texte sind verlockend und könnten dazu verleiten, auch weniger gefragte Titel einer Digitalisierung zuzuführen. Doch steht zumindest für historische Quellen kaum zu befürchten, daß Bildschirmlektüre die traditionellen Formen des Umgangs mit Büchern verdrängen wird. Abgesehen davon, daß nicht alles, was digitalisiert werden soll, auch wissenschaftlich von Nutzen ist, sind es vor allem Aufwand und Kosten bei der Aufbereitung, Erfassung, Pflege und späteren Migration der Daten auf andere elektronische Datenträger, die die Bibliotheken davon abhalten werden, eine Digitalisierung ihrer historischen Bestände in großem Stil durchzuführen. Die befürchteten Einbußen an sinnlicher Wahrnehmung, die mit der Lektüre am Bildschirm zwangsläufig einhergehen, werden sich im Bereich der Digitalen Forschungsbibliothek somit voraussichtlich in Grenzen halten.

1. Literaturquellen des 19. Jahrhunderts

Mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) startet die Bibliothek des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt/M. ein Projekt, das die Digitalisierung historischer Literaturbestände zum Ziel hat. Es fügt sich ein in das neue Förderprogramm der Deutschen Forschungsgemeinschaft "Retrospektive Digitalisierung von Bibliotheksbeständen", mit dem, analog zu Initiativen in anderen Ländern, durch den Aufbau einer virtuellen Bibliothek entscheidende Verbesserungen für die Literaturversorgung auch in Deutschland erreicht werden sollen - ein offenes Konzept, an dem sich wissenschaftliche Bibliotheken mit historischen Beständen und jeweils eigenen Schwerpunkten beteiligen werden. Mit Bibliotheksprojekten aus der Ägyptologie, Kartographie, Geschichte und Mathematik bis hin zu Jurisprudenz, Linguistik und Literaturwissenschaft zeichnet sich schon jetzt eine große Vielfalt der Fachrichtungen und eine hohe Forschungsrelevanz der Projekte ab.

Das Vorhaben der Bibliothek des Frankfurter Max-Planck-Instituts wird von der Gesellschaft für wissenschaftliche Datenverarbeitung in Göttingen (GWDG) begleitet, die als zentrale Informationseinrichtung der Max-Planck-Gesellschaft die Hostfunktion übernimmt und ihrerseits ein Projekt daran anknüpft. In einem späteren Schritt werden die digitalen Metadaten für den überregionalen Nachweis auch in einen Verbund eingespielt.

Nach Umfang und Ausstattung eine der wichtigsten Sammlungen zur mittelalterlichen und neueren Rechtsgeschichte Europas überhaupt, verspricht sich auch die Frankfurter Bibliothek von der Digitalisierung nicht nur eine intensivere Nutzung ihrer reichen Ressourcen weit über den lokalen Raum hinaus, sondern sie sieht darin überdies eine Möglichkeit, Defizite in der Versorgung mit Spezialliteratur auszugleichen. Hinzu kommt, daß die Bereitstellung elektronischer Texte mit hohem Quellenwert und ihre Nähe zum wissenschaftlichen Arbeitsprozeß die Kooperation mit anderen Forschungseinrichtungen erleichtern und weiteren gemeinschaftlichen Projekten Auftrieb geben wird. Jetzt, da die Möglichkeit auch eines virtuellen Zugriffs gegeben ist, werden sich die mit dem Frankfurter Institut kooperierenden rechtshistorischen Zentren in Mailand, Montpellier, Berkeley oder Madrid mit ihren z. T. schlecht ausgestatteten Bibliotheken die Gelegenheit nicht entgehen lassen, relevante Titel aus dem Netz zu nutzen und in ihre Forschungen einzubeziehen.

Die Bibliothek hat zunächst rund 4.000 Titel der Literatur zum Privat- und Zivilprozeßrecht in Deutschland, Österreich und der deutschsprachigen Schweiz aus dem 19. Jahrhundert mit einem Umfang von über einer Million Buchseiten für das Projekt ausgewählt - ein Bestand, der aufgrund bisheriger Forschungen des Instituts ungewöhnlich dicht repräsentiert ist. Von jeher zählte dieser Bereich zu den bevorzugten Zeiträumen der neueren Rechtsgeschichte. In den letzten Jahren hat sich die Forschung jedoch verstärkt der neuzeitlichen Rechtsentwicklung und Rechtskultur des 19. Jahrhunderts zugewandt - eine Blütezeit namentlich der deutschen Jurisprudenz und eine wichtige Phase auf dem langen Weg zur Kodifizierung des Bürgerlichen Rechts - so daß eine zunehmende Nachfrage nach den entsprechenden Quellen angenommen werden kann.

Verfahren

Jedes der ausgewählten Bücher wird zunächst von einem gewerblichen Unternehmen nach den bestehenden Anforderungen für historische Literatur verfilmt. Aus technischen Gründen ist es der optisch aufbereitete Film und nicht das Original, der die Basis für die anschließende Digitalisierung bildet. Bei konsequenter Einhaltung der Normen und Konventionen für Schutzverfilmung kann das Scangerät rationell eingesetzt, können zugleich optimale Ergebnisse kostengünstig erzielt werden. Von Richtlinien und Bestimmungen wird aber auch das Scannen bestimmt, da der Zwang zur Konsistenz der Daten eine Fülle hochdifferentierter Spezifikationen voraussetzt. Die Tatsache allerdings, daß die abschließende Definition einzelner Spezifikationen noch aussteht, führt zu Verunsicherungen, die den Arbeitsprozeß beeinträchtigen können.

Für die Zwecke des Frankfurter Projektes genügt es, die Texte mit einer Auflösung von 400 dpi bitonal zu scannen, wobei die einzelnen Seiten als Abbilder (Images) im komprimierten TIFF-Format auf CD-ROM gespeichert werden. Da die Images als solche dem Benutzer keinen gezielten Zugriff erlauben, werden die Inhaltsverzeichnisse der Bücher für eine erweiterte Recherche herangezogen, SGML-basiert im Volltext erfaßt und mit den jeweiligen Seiten verknüpft. Der Leser kann sich in einer ihm vertrauten Form anhand eines Systems von Verknüpfungen durch den Text hindurcharbeiten oder gezielt auf einzelne Seiten, Paragraphen, Abschnitte oder Kapitel zugreifen, ohne Seite für Seite am Bildschirm blättern zu müssen. Diese Form der Erschließung dient vorzugsweise dem ersten kursorischen Überblick, dem Nachschlagen und der treffsicheren Information. Für das vertiefte Studium zusammenhängender Textmassen empfiehlt sich dagegen eher der Ausdruck.

Die Erfassung der Inhaltsverzeichnisse muß im Frankfurter Projekt manuell durchgeführt werden, da die Erkennung altertümlicher Schriftarten wie der im 19. Jahrhundert vorherrschenden Type der Fraktur mittels OCR-Verfahren trotz bemerkenswerter Ergebnisse bisher nicht einsatzfähig ist. Durch Anklicken der Seitenzahl im Inhaltsverzeichnis stehen die gewünschten Seiten unmittelbar visuell zur Verfügung, sie können in allen Richtungen und Bildgrößen geblättert, ausgedruckt und ausgewertet, aus dem Netz heruntergeladen, in den Arbeitsvorgang integriert und weiterverarbeitet werden, ohne das Buch anfordern und in die Hand nehmen zu müssen.

Im Gegensatz zur heute geläufigen Form des Buches hat das 19. Jahrhundert Buchtypen hervorgebracht, die - der systematischen Denkweise der Juristen verhaftet - häufig mit wesentlich ausführlicheren, ausgedehnten und dabei hierarchisch oft tief gegliederten Inhaltsverzeichnissen versehen sind. Die eingesetzte, modular aufgebaute Software erlaubt die Erfassung aller Ebenen, auch wenn sie fünf, sechs und mehr Gliederungsstufen übersteigen. Im allgemeinen sind es gerade die höheren Ebenen, die den eigentlichen Informationswert bergen. Andererseits ist die Zahl solcher Werke erstaunlich hoch, in denen auf jegliche Angaben zum Inhalt verzichtet wird. Hier sind, wenn sich die Schrift dafür eignet und ihr Umfang dies erforderlich macht, nachträgliche Informations- und Erschließungshilfen unentbehrlich. Handelt es sich dabei etwa um Lehrbücher, die sich an die Systematik von vielfach im Rechtsunterricht verwendeten Pandektenlehrbüchern anlehnen, so kann ersatzweise deren Gliederungsprinzip übernommen und dem vorliegenden Werk als Leitlinie und Zugriffsinstrument zugrundegelegt werden. Hierher gehören auch ohne Inhaltsverzeichnis ausgestattete Repertorien zu angesehenen Handbüchern, deren Kenntnis beim Leser vorausgesetzt wird, oder Kommentarwerke zu den grundlegenden Gesetzbüchern des Römischen Rechts, des Corpus iuris canonici oder partikularen Rechts: bei der Erstellung der fehlenden Übersicht empfiehlt es sich, das Legalschema des jeweiligen Gesetzbuches für die Erschließung auch des vorliegenden Kommentars zu übernehmen und anzupassen. Ähnlich gelagert sind die Probleme bei Werken, deren Inhalt sich nur durch Kapitelüberschriften erschließt: Diese werden als Richtschnur für den Zugriff übernommen, angepaßt, markiert und manuell erfaßt. Grundsätzlich läßt sich beim Formengut juristischer Literatur des 19. Jahrhunderts eine Fülle der unterschiedlichsten Spielarten bei der Gestaltung der Inhaltsangaben ebenso wie in der Organisation, Gliederung und Form des Textes beobachten.

Zur Durchführung des Projekts hat die Bibliothek einen Arbeitsablauf entwickelt, der der Vielfalt und Komplexität der Vorgänge möglichst Rechnung trägt. Wie schon bei der Konzeption des Vorhabens, so wird die Bibliothek auch bei seiner Durchführung, bei der Einrichtung von Arbeitsprozeduren, der Sicherung der Qualität, der Kooperation und Koordination mit den Dienstleistern, nicht zuletzt beim Aufbau eines eigenen fachlichen Know-how von einem Consulter beraten und unterstützt. Der Hauptanteil der Arbeit in der Bibliothek entfällt dabei auf die Analyse, das Strukturieren und Kennzeichnen der Inhaltsverzeichnisse für die manuelle Erfassung. Nach der Sichtung und Auswahl der Bände, der Überprüfung auf Vollständigkeit, Erhaltungszustand und Blattgröße der Bände, des Druckspiegels und der Schriftgröße, dem Abgleich mit den zugehörigen Datensätzen, der Bearbeitung mehrbändiger Werke, der Prüfung urheberrechtlicher Fragen und einer Reihe weiterer Schritte übernimmt eine gründlich geschulte Bibliothekarin, technisch und organisatorisch von zwei weiteren Mitarbeiterinnen der Bibliothek unterstützt, das Strukturieren, Kennzeichnen und ggf. Ergänzen der zu diesem Zweck kopierten Inhaltsverzeichnisse. Fehlen diese, so muß entweder ein eigenes erstellt oder das ggf. anderen Quellen entnommene Verzeichnis dem vorliegenden Werk individuell angepaßt und strukturiert werden. Nur so bleibt der Text unter Kontrolle, kann dem Wissenschaftler die Benutzung erleichtert, können die Images brauchbar gemacht werden.

Mit dem Scannen selbst und der manuellen Erfassung der Inhaltsverzeichnisse wurde im Frankfurter Projekt ein Spezialunternehmen beauftragt, weil größere Erfahrungen bisher nur im gewerblichen Bereich vorliegen und nur durch qualifiziertes Personal die hohen technischen Anforderungen garantiert werden können. Nach Vorliegen der CDs mit den digitalisierten Buchseiten werden in der Bibliothek anhand einer speziellen Software die Daten auf Wiedergabequalität und Vollständigkeit der Images, der korrekten Abfolge der Paginierungen, der Verknüpfungen sowie der Vollständigkeit und Qualität der erfaßten Inhaltsverzeichnisse und anderer Parameter am Bildschirm überprüft und die Ergebnisse dokumentiert.

Bislang ist an der Qualität der Images ist durchweg wenig auszusetzen, doch lassen sich bei einer massenhaften Digitalisierung historischer Literatur, bei der aus Kostengründen eine manuelle Nachbearbeitung unterbleiben muß, gewisse Beeinträchtigungen im äußeren Erscheinungsbild nicht gänzlich vermeiden. So kann sich etwa ein schwächerer Kontrast des Digitalisats durch Vergilbung des Originals oder Bräunung des Satzspiegels ergeben, eine unbefriedigende Qualität die Folge chemischer Prozesse in der Druckerschwärze sein, gelegentliche Schatten oder Ränder das Ergebnis der buchschonenden Verfilmung des gefährdeten Originals u.a.m. In begrenztem Umfang lassen sich jedoch bei Qualitätseinbußen automatisch Verbesserungen durch die Bearbeitungssoftware (Entfernen von Flecken, Kontrasterhöhung etc.) erreichen, die in mancher Hinsicht die Lesbarkeit des Originals sogar übertreffen.

Bestandserhaltung

Die Tatsache, daß im Frankfurter Projekt nicht direkt vom Original, sondern auf der Grundlage eines Films gescannt wird, hat seinen Grund nicht zuletzt darin, daß sich Teile der für die Digitalisierung bestimmten Bestände aus dem 19. Jahrhundert durch Säureschäden bereits in einem kritischen Erhaltungszustand befinden. Das legt es nahe, die Digitalisierung, der die Langzeitperspektive noch fehlt, mit einer Verfilmung zu verknüpfen und einen Film als dauerhaftes Speichermedium anzufertigen. Das Projekt erfüllt damit eine Doppelfunktion: Während durch die Verfilmung grundlegendes Quellenmaterial langfristig gesichert wird, ermöglicht die Digitalisierung den ungehinderten Zugang, die Verfügbarkeit und Erschließung der Texte, wobei gleichzeitig die empfindlichen Originale geschont werden. Damit werden die in den zurückliegenden Jahren durchgeführten umfassenden Maßnahmen zur Sanierung des schützenswerten Altbestandes der Bibliothek um eine neue Variante ergänzt, die, da sie mit einer Verbesserung des Zugangs einhergeht, der Forschung besonders entgegenkommt.

Zugriff

Nach einer langen Vorbereitungsphase wurde mit der Digitalisierung der ersten Bücher im Dezember 1997 begonnen, doch konnte der Routinebetrieb erst etwa ein halbes Jahr später aufgenommen werden, da die vorgesehene Standardsoftware für die Bearbeitung der Images der Struktur des vorliegenden Materials erst angepaßt werden mußte. Die lange Anlaufphase war aber auch erforderlich, um sich mit den einzelnen Spezifikationen für die Datenstruktur vertraut zu machen.

Wie bereits erwähnt, werden bei dem auf vier Jahre angelegten Projekt die Daten auf dem auf einer ORACLE-Datenbank basierenden Informationsserver der GWDG gespeichert. Der Zugriff auf die Dokumente erfolgt via Internet zunächst über die Staats- und Universitätsbibliothek in Göttingen als einem der künftigen Kompetenzzentren für digitale Bibliotheksbestände in Deutschland (GDZ).

Die einzelnen bereits digital vorliegenden Titel werden in der Homepage des Instituts bekanntgegeben. Ob noch im laufenden Jahr 1998 die ersten Titel des Projekts mit ihrem vollen Inhalt über Internet zugriffsfähig sein werden, hängt auch vom Fortschritt der Entwicklungen in Göttingen ab. Auch in der Datenbank der Bibliothek, die voraussichtlich bis zum Jahresende für den Internet-Zugriff geöffnet wird, werden die jeweiligen Titelaufnahmen Hinweise auf die digitale Form enthalten.

2. Juristische Dissertationen und Gelegenheitsschriften des 16.-18. Jahrhunderts

Um neuartige Erschließungsmethoden geht es auch bei dem zweiten, von der Max-Planck-Gesellschaft geförderten, mittelfristigen Projekt der Bibliothek, das in einem kurzen Überblick hier vorgestellt werden soll. Dabei wird die Digitalisierung nicht zur Volltexterfassung, sondern lediglich zur Verbesserung des bibliographischen Nachweises eingesetzt, indem herkömmliche Titelaufnahmen über Identifikatoren mit den Abbildern der Titelseiten verknüpft werden. Damit sollen zusätzliche Informationen der Titelseiten gewonnen werden, die in traditionellen Titelaufnahmen in aller Regel unberücksichtigt bleiben.

Es handelt sich um mehrere außerordentlich reichhaltige Sammlungen von Dissertationen und Disputationen, Einladungsschriften, Abhandlungen und Gelegenheitsschriften vorwiegend aus dem 17. und 18. Jahrhundert in einer Größenordnung von annähernd 60.000 Schriften - eingeschlossen zahlreiche Dubletten auf Grund der unterschiedlichen Provenienz der Sammlungen. Obwohl im wesentlichen juristisches Material, enthält der Bestand - wenn auch in geringerem Umfang - auch philosophische und theologische Dissertationen und Traktate. Alle diese Schriften sind im wesentlichen aus dem Unterrichtsbetrieb hervorgegangen und überwiegend in Latein abgefaßt. Im 17. und 18. Jahrhundert haben zahlreiche Gerichte, Bibliotheken, Fakultäten und andere Institutionen, aber auch Privatleute, gedruckte Disputationen gesammelt und nach unterschiedlichen Gesichtspunkten zusammengestellt, um sich über den neuesten Wissensstand zu informieren. Dies trifft auch auf Reichsfreiherr Christian von Nettelbladt, Professor der Rechte in Greifswald und Beisitzer am Reichskammergericht zu Wetzlar, dessen beträchtliche, nach Herkunft geordnete Dissertationensammlung von etwa 12.000 Schriften möglicherweise vollständig vorhanden ist. Sie umfaßt nahezu sämtliche Universitäten des Alten Reiches, wobei die des nördlichen, protestantischen Deutschland, darunter traditionsreiche und für die Rechtsgeschichte wichtige Orte wie Halle, Wittenberg, Leipzig, Helmstedt und Jena, dominieren. Die Schriften der einzelnen, meist thematisch gegliederten Sammlungen und Konvolute sind in dickleibigen Pergament- oder Pappbänden der Zeit jeweils bis zu 40 bis 50 Titeln zusammengefaßt und häufig mit Inhaltsverzeichnissen von alter Hand versehen.

Die ersten Forschungen begannen in den achtziger Jahren im Rahmen eines rechts- und sozialhistorischen Institutsprojekts, bei dem eine zeitlich begrenzte Auswahl von über 6.000 Dissertationen ausgewertet und bearbeitet wurde. Dem folgte die formale Erfassung von rund 25.000 juristischen Dissertationen des 17. und 18. Jahrhunderts, die das Institut als Leihgabe der StuB Frankfurt/M. seit einigen Jahren verwahrt (Sammlung Lehnemann). Die Ergebnisse dieser beiden Projekte wurden inzwischen auf einer CD-ROM publiziert. Eine systematische Erschließung der Sammlungen als Ganzes - seit langem ein Desiderat der Forschung - steht dagegen noch aus. Sie wäre ein großer Gewinn für Fragestellungen der unterschiedlichsten historisch ausgerichteten Fachrichtungen, nicht nur der Rechtsgeschichte. Dissertationen und Disputationen, Einladungsschriften, Reden und andere Gelegenheitsschriften aus dem Alten Reich stellen eine einzigartige, bislang nur in Ansätzen verzeichnete und erforschte Quelle auch für die Wissenschafts- und Universitätsgeschichte, für Sozialgeschichte, für Prosopographie und Genealogie, für Literaturgeschichte, Buchforschung und Typographie dar.

Aus Gründen der Kostenersparnis kommt für die Bibliothek eine Digitalisierung des vollen Inhalts der einzelnen Schriften nicht in Betracht. Auch die Digitalisierung zusätzlicher "Schlüsselseiten" und Abbildungen wie im Projekt des "VD 17" praktiziert, ist nicht Ziel der Bibliothek. Beabsichtigt ist vielmehr, wie bereits erwähnt, zunächst die vollständige bibliographische Erfassung des Materials in knappen, herkömmlichen Titelaufnahmen, wobei auch die Beiträger und Widmungsempfänger (nicht normiert) aufgenommen werden. Um aber Informationen aus dem Titelblatt an die Hand zu bekommen, die man in aller Regel nicht durch eine klassische Titelaufnahme erfährt, sollen in einem zweiten Schritt zusätzlich die Titelseiten digitalisiert und mit den zugehörigen Titelaufnahmen verknüpft werden. Allerdings werden daneben auch Blätter mit Widmungsempfängern gescannt, um die Namen vielfach noch unbekannter Persönlichkeiten zu gewinnen, die sich auf diesen Blättern finden. Der Forscher, der sich mit den Angaben der Titelaufnahme von Autor, Beiträger, Widmungsempfänger, Sachtitel, Erscheinungsort, Drucker, Verleger, Erscheinungsjahr, ggf. Promotionsdatum, Seitenumfang oder Format allein nicht begnügen will, kann künftig direkt von seinem Arbeitsplatz aus weitere Informationen dem Image entnehmen, ohne auf das Original angewiesen zu sein. Derartige Informationen können sich auf den Drucker, auf die Herkunft des Autors, seine Vita, seinen Bildungsgang und seine Stellung, auf Titel und Position des Doktorvaters ebenso beziehen wie auf Aussagen über die Mobilität der Studentenschaft oder den Einzugsbereich einer Universität.

Nach umfangreichen Vorbereitungen, die der Beratung des Konzepts dienten, der Klärung und Definition inhaltlicher und technischer Parameter, der Struktur der Datenbank, der Entwicklung von Erfassungs- und Importprogrammen, organisatorischen Überlegungen u. a.m. begann im Januar 1998 die eigentliche Erfassung der Schriften anhand von Autopsie. Der zügige Fortschritt der Arbeiten, in die Grunddaten identischer Titel aus institutseigenen wie auch externen Datenbanken wie dem Berliner VK einfließen, läßt erwarten, daß mit Ablauf des ersten Projektjahres die Daten von etwa 10.000 Schriften über das Internet zugriffsfähig sein werden. Mit der Digitalisierung der Titel- und Widmungsblätter soll dagegen erst nach Klärung der technischen und organisatorischen Details gegen Ende des Jahres begonnen werden.

Über den neuesten Stand der beiden Projekte informiert die Homepage des Instituts: <http://www.mpier.uni-frankfurt.de>


Stand: 07.10.98
Seitenanfang