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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 8, 98

Organisationsanalyse und Organisationsoptimierung in Spezialbibliotheken


Workshop, Leipzig, 17. - 19. Juni 1998

Beate Somorowsky

Die jüngsten strukturellen Entwicklungen im internationalen Bibliotheks- und Informationsvermittlungswesen sind geprägt durch Kosten-Leistungs-Vergleiche, Controlling, Rationalisierungs-, Umstrukturierungs- und Organisationsoptimierungsmaßnahmen. Dadurch gewinnt das Methodenwissen über Führung und Organisation in diesem Dienstleistungssektor zunehmend an Bedeutung, wollen sich die Bibliotheken von heute auch in der Zukunft als kompetente und wettbewerbsfähige Unternehmen behaupten.

Nachdem der von der AG der Parlaments- und Behördenbibliotheken sowie dem Beratungsdienst Wissenschaftliche Spezialbibliotheken des DBI vor einigen Monaten angesetzte Workshop "Organisationsanalyse und Organisationsoptimierung in Spezialbibliotheken" auf wenig Resonanz stieß - und deshalb auch nicht zustande kam - erfreute sich der für den 17. Juni 1998 festgelegte Wiederholungstermin einer außerordentlich regen Nachfrage. Hier wird die neu gewonnene Brisanz dieses Themenkomplexes deutlich.

So trafen sich vom 17. - 19. Juni in den Räumlichkeiten der Leipziger IHK-Bibliothek zwanzig Teilnehmer, überwiegend Führungskräfte und andere Verantwortungsträger aus Deutschlands unterschiedlichsten Spezialbibliotheken, zu einer von Ulf Pontow, dem REFA-Organisator und "Überlebensstrategen" der Spezialbibliotheken, moderierten Veranstaltung.

Den Ausgangspunkt der Erörterungen bildete die Bedeutung der Organisatonsentwicklung für Spezialbibliotheken als "eine Chance, Aufgaben (...) und mögliche Mängel bis hin zu Krisen mit einem Mindestmaß an Reibungsverlusten zu meistern" (s. Pontow, 1, S. 3).

Nebst ihrer primären Zielsetzung, nämlich der Erhöhung von Effektivität und Effizienz des Unternehmens Spezialbibliothek, sind bezüglich der Organisationsentwicklung Fragen der Trägerschaft, des Inhalts, der Beteiligten und der Diagnose zu klären. Desweiteren sind u. a. Belange der Planung und Ausführung sowie des Informations-Feedbacks und der Konfliktbearbeitung von Relevanz.

Entscheidend bei der Organisationsentwicklung ist ein günstig gewählter Ausgangspunkt für Veränderungen, d. h. auf welcher Einstiegsebene ist die Organisationsentwicklung im Betrieb sinnvoll? Hierbei wurde auf verschiedene Kriterien näher eingegangen.

Die nachfolgende Klärung der Fachtermini aus dem Bereich der Organisationslehre beantwortete in erster Linie solche Fragen:

Was ist:

Organisation?Komplexes soziales System, das sich in verschiedene Systembereiche zergliedern läßt
Sinn und Zweck der Organisation?Mängelbeseitigung; Lückenschließung; Maximierung von Logik, Ordnung und Planung im Arbeitssystem
Organisationspflege?Pflege der bestehenden Lage
Organisationsanalyse?Systematische und methodische Untersuchung des Arbeitssystems auf Unzulänglichkeiten
Organisationsoptimierung?Funktionelle und qualitative Verbesserung des Arbeitssystems
Aufbauorganisation?Gebildestrukturierung, aufgabenorientiert
Ablauforganisation?Prozeßstrukturierung, arbeitsablauforientiert
Arbeitssystem?Jede Organisation ist ein Arbeitssystem, jedes Arbeitssystem besteht aus sieben Teilen:
1. Auftrag,
2. Input,
3. Output,
4. Arbeitsablauf,
5. Personal,
6. Betriebsmittel,
7. Umfeld

Keine gute Organisation ohne eine gute Organisationsleitung!

Die Organisationsmerkmale einer erfolgreichen Führungspersönlichkeit wurden aus dem Blickwinkel diverser, den Geschäftsablauf in Spezialbibliotheken beeinflussenden Interessenkonflikte nachhaltig aufgezeigt. Kompetent in ihren drei Kernqualifikationen (der sozialen, der fachlichen und der methodischen) behauptet sie sich mit diplomatischem Geschick in den Spannungsfeldern zwischen Trägern, Mitarbeitern, Kunden aber auch "Besserwissern".

Auf Grund ihres fundierten Organisations- und Führungswissens ist sie die Verantwortungsträgerin für ihren Organisationsbereich und der Motor der diesbezüglichen Pflege, Entwicklung und Optimierung. Mit kompatiblem, zukunftsorientiertem Handeln und zweckdienlichen Visionen lenkt sie ihr Unternehmen fernab gefährlicher Klippen mit der richtigen Strategie zielsicher zum Erfolg.

Auf diesem einführenden Theoriesegment baute die erste Gruppenarbeit auf, wobei aus der Teilnehmerschaft drei Teams mit folgenden Arbeitsthemen gebildet wurden:

Team 1:Untersuchung von Auftrag, Zweck und Ziel einer Spezialbibliothek
Team 2:Eine idealtypische Darstellung des Inputs einer Spezialbibliothek
Team 3:Eine idealtypische Darstellung des Outputs einer Spezialbibliothek

Nach der Präsentation der Arbeitsergebnisse stand die Vorstellung der Instrumente und die Vorgehensweise der Organisationsanalyse im Mittelpunkt des Seminars.

Eine Organisationsanalyse muß eine ausreichende Menge an organisatorisch relevanter Informationen im Hinblick auf den Ist-Zustand eines Arbeitssystems erbringen mit der Diagnose von etwaigen Problemstellungen als zentralem Element.

Bei der Methodik der Organisationsüberprüfung können fünf Verfahrensstufen unterschieden werden:
1) Feststellung des Ist-Zustandes
2) Ermittlung des Soll-Zustandes
3) Vergleich der beiden Zustände
4) Bewertung eruierter Abweichungen
5) Berichterstattung über die Organisationsanalyse

zu 1)Hierbei wird das betreffende Arbeitssystem einer Ist-Analyse auf seine sieben Teile untersucht. Einige der zu untersuchenden Aspekte sind z. B. Mangel, Umfang, Ursache, Auswirkung. Die Ist-Analyse erfolgt durch eine aufgabenund tätigkeitsbezogene Ist-Aufnahme unter Hinzunahme von adäquaten Erhebungstechniken. Diese lassen sich in zwei Gruppen aufteilen:
a) Subjektivdaten-Erhebungstechniken (z. B. Interview)
b) Objektivdaten-Erhebungstechniken (z. B. Sichtung von zugrundeliegenden Dokumenten)

Die Ist-Aufnahme beschäftigt sich mit der Hauptfrage: Welche Aufgaben werden in welcher Zeit und welchen Mengen von wievielen Personen in der zur Disposition stehenden Zeiteinheit bewältigt?

Nach deren Aufbereitung werden die Ergebnisse der Ist-Zustands-Aufnahme entweder verbal oder graphisch (hilfs bestimmter Darstellungstechniken) transparent gemacht.

Im Endeffekt soll die Ist-Aufnahme ein übersichtliches Bild der Haupt-, Nebenund Zusatztätigkeiten des untersuchten Arbeitssystems ergeben und auf diese Weise Optimierungspotentiale aufdecken.

zu 2)Hierbei wird das betreffende Arbeitssystem mittels einer Soll-Analyse auf seine sieben Teile untersucht. Voraussetzung für die Soll-Analyse ist die Kenntnis der Aufbauund der Ablauforganisation des zu überprüfenden Unternehmens.
zu 3)Feststellung der Differenz zwischen dem idealen Zustand (Soll) und dem de facto Zustand (Ist). Existierende Abweichungen können so als Mängel, Lücken und Schwachstellen identifiziert werden.

Additiv zum zuvor behandelten Theoriesegment hatte sich die zweite Teamarbeit zur Aufgabe gemacht, die Arbeitsabläufe einer Spezialbibliothek wie Leitung, Erwerbung, Formalerschließung, Sacherschließung und Informationsvermittlung zu erfassen und durch einen Ablaufplan zu verdeutlichen.

Die Gewichtung der theoretischen Ausführungen am zweiten Seminartag lag bei der Vorstellung des Instrumentariums und der Vorgehensweise der Organisationsoptimierung. Nebst der Minimierung von Unzulänglichkeiten im System ist ihr oberstes Gebot der altbekannte Grundsatz der Betriebswirtschaftslehre: maximale Gewinnerzielung bei minimalem Einsatz.

Betont wurde zudem die Notwendigkeit der Erstellung eines Organisations-Handbuches, welches die sieben Teile des Arbeitssystems Spezialbibliothek detailliert beschreibt. Ein solches Handbuch könnte als Hilfestellung für ein erfolgs- und zielorientiert arbeitendes Dienstleistungsunternehmen dienen sowie bei Bedarf seine Organisationsstruktur nach innen, und vor allen Dingen nach außen transparent machen.

Es soll das Nachschlagewerk für und über das Unternehmen sowie ein wesentliches Führungs- und Organisationsinstrument werden. Man braucht es als Lagebeschreibung und als "(...) Grundlage zum "Überleben" - für die Vorbereitung von Wirtschaftlichkeitsnachweisen und Personalbedarfsbegründungen" (s. Pontow 2, S. 50).

Nach der Aufarbeitung des theoretischen Teils folgte die dritte Gruppenarbeit: Die Durchführung der Organisationsanalyse in ausgesuchten Arbeitsbereichen der gastgebenden Bibliothek und die Erarbeitung von Vorschlägen zu deren Organisationsoptimierung. Hierbei wurde eines der Teams mit einer zusätzlichen Aufgabe betraut, und zwar der Durchführung einer Nutzerbefragung in der IHK-Bibliothek.

Nach dieser Gruppenarbeit, die sich zum Teil bis in die Abendstunden erstreckte, traf man sich zum geselligen Beisammensein. Neben Erfahrungs- und Gedankenaustausch, Mitreden und Mithören genoß man die Leipziger Küche.

Am letzten Fortbildungstag präsentierten die Teams ihre Arbeitsresultate zur Erörterung in einer abschließenden Diskussionsrunde. Hierbei wurde noch einmal deutlich, wie unentbehrlich ein fundiertes Hintergrundwissen über Führung und Organisation für die Qualitätssicherung in Spezialbibliotheken geworden ist. Gleichzeitig machte sich die Teilnehmerschaft bewußt, das ein solch quantitativ und qualitativ anspruchsvolles Know-How nur innerhalb eines längerfristigen, dynamischen Prozesses und Austausches konsolidiert werden kann. Dies bekräftigte auch eine schriftliche Umfrage des DBI zu diesem Workshop: Aufgrund der Wichtigkeit und Komplexität des Stoffes wären aufbauende und vertiefende Nachfolgeveranstaltungen notwendig und wünschenswert.

Die Befragung ergab ein einhellig positives Fazit. Als besonders vorteilhaft wurde das Teamwork-Prinzip bewertet, welches die Theorie verständlich und praxisnah machte.

"(...) Ausrichtung am Markt verlangt mehr als eine gekonnte, Selbstdarstellung; sie muß überzeugend von Leitung und Mitarbeitern nach außen und innen vermittelt werden. Partizipative, identitätsübergreifende auf der Grundlage der Regeln der Organisationslehre entwickelte und ständig neu optimierte Prozesse können zu einem zeitgemäßen Selbstverständnis führen" (s. Pontow 1, S. 10).

Zum Schlußwort ein großes Dankeschön an Maria Göckeritz und Evelin Morgenstern als Veranstalterinnen, Ute Doffing als Leiterin der gastgebenden Bibliothek und allen ihren Mitarbeiterinnen für die gelungene Organisation, Ulf Pontow für seine kompetente Leitung des Seminars, und allen Lehrgangsteilnehmern für die engagierte und kreative Mitwirkung. Nicht zuletzt gilt der IHK-Leitung ein Dankeswort für die freundliche Bereitstellung von Räumlichkeiten und Bewirtung.

Literaturhinweise:

Pontow 1: Pontow, Ulf: Manuskript zum Workshop. - 14 S.

Pontow 2: Pontow, Ulf / Sickmann, Anselm: Organisationsoptimierung: Überlebensstrategie für Parlaments- und Behördenbibliotheken. - 67 S.


Stand: 05.08.98
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