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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 3, 98

Bibliothekarische Erfahrungen mit dem Impact Factor


Ralf Brugbauer

I. Einführung

Medizinische und naturwissenschaftliche Bibliotheken werden zunehmend mit einer biblio- oder szientometrischen Berechnungsgröße konfrontiert, dem Impact Factor (IF). Hierfür gibt es zwei Gründe:

  1. Die Verteuerung wissenschaftlicher Periodika, insbesondere in den Naturwissenschaften (+8,8 %) und der Medizin (+8,9 %; vgl. Griebel 1997), steht den stagnierenden und schrumpfenden Erwerbungsetats in wissenschaftlichen Bibliotheken gegenüber (vgl. Griebel und Tscharntke 1996). Hinzu kommt eine Steigerung des Dollarkurses (+10-15% in 1997 im Vergleich zum Vorjahr), die sich bei "Import-Zeitschriften" deutlich bemerkbar macht. Immer mehr Zeitschriften müssen deswegen abbestellt werden. Spätestens in der Diskussion mit den Bibliotheksbeauftragten und/oder den engagierten Forschern darüber, welche Titel hierfür infrage kommen, wird neuerdings als ein Kriterium der Impact Factor ins Spiel gebracht.

  2. Durch die Novellierung des Hochschulrahmengesetzes (HRG) wird beabsichtigt, den Wettbewerb zwischen den Hochschulen zu fördern. Schon jetzt denken viele Fakultäten über eine leistungsabhängige Verteilung der Forschungsmittel nach. Bei der Suche nach hierfür geeigneten Kriterien werden neben der Höhe der eingeworbenen Drittmittel, der Absolventenzahl und der erfolgreichen Dissertationen auch die Publikationen eines Fachbereichs, eines Zentrums oder eines Instituts angeführt (vgl. hierzu Neumann 1997a und Neumann 1997b): dabei erfolgt ihre Bewertung heute vielfach durch den Impact Factor.
Nachfolgend soll die Berechnung des IF erläutert und die vielfach geäußerte Kritik am IF zusammengefaßt werden. Anschließend wird am Beispiel der Zentralen Medizinischen Bibliothek (ZMB) der Universität Marburg aufgezeigt, wie sich der IF konkret auf die Bibliotheksarbeit auswirken kann.

II. Die Berechnungen des Impact Factor

Der Impact Factor wird vom Institute for Scientific Information (ISI) schon seit Anfang der siebziger Jahre ermittelt und im Science Citation Index - Journal Citation Report veröffentlicht (Garfield 1972). Hierfür werden nach eigenen Angaben insgesamt ca. 6.000 Zeitschriften überwacht und 3.300 vorwiegend naturwissenschaftliche und medizinische Titel ausgewertet, darunter insgesamt ca. 430 deutsche (vgl. auch Krause 1994).

Der IF zeigt die durchschnittliche Frequenz an, mit der ein Artikel in einem bestimmten Zeitraum zitiert wurde. Werden beispielsweise in einer Zeitschrift innerhalb der letzten zwei Jahre 128 Arbeiten veröffentlicht und aus diesem Journal von anderen Zeitschriften(autoren) 202 Arbeiten zitiert, rechnet ISI:

202 : 128 = 1,578 IF (bzw. 1.578 in der amerikanischen Schreibweise).

Anders ausgedrückt bedeutet dies: Wenn über zwei Jahre hinweg alle Publikationen einer Zeitschrift im Durchschnitt zwanzigmal zitiert werden (in der gleichen oder in anderen Zeitschriften, die regelmäßig vom ISI ausgewertet werden), dann bekäme diese Zeitschrift einen IF von 20.

III. Kritik am Impact Factor

Gegenüber der Methode zur Ermittlung des IF, aber auch hinsichtlich seiner Auswirkung auf das gesamte Publikationswesen werden von vielen Wissenschaftlern erhebliche Vorbehalte geäußert. Die Kritik läßt sich in folgende fünf Kategorien einteilen:

  1. Kritik am Zeitraum der ausgewerteten Daten

  2. Kritik am Umfang der auszuwertenden und ausgewerteten Daten

  3. Kritik an der Qualität der ausgewerteten Daten

  4. Mißverständnisse bei der Interpretation des IF einer Zeitschrift

  5. Der Einfluß des IF auf die Verlage und die Publikationsformen Eugene Garfield gründete 1958 in Philadelphia das ISI als ein privates Institut. Er verlegt die Current Contents und den Science Citation Index und "beherrscht mit nahezu absolutistischer Macht die wissenschaftliche Szene. Editors und Verleger von Journals, die zitiert werden wollen, geben sich in Philadelphia die Klinke in die Hand" (Lindner, 1997), da der IF inzwischen einen große wirtschaftliche Bedeutung gewonnen hat. Dadurch sind für die Verlage Bedingungen entstanden, die die Publikationsformen nachhaltig beeinflussen:
IV. Die Auswirkungen des IF auf die Bibliotheksarbeit

Zu berichten, daß die Zentrale Medizinische Bibliothek (ZMB), eine Teilbibliothek der Universitätsbibliothek (UB) Marburg, aufgrund ihres knappen Erwerbungsetats Jahr um Jahr genötigt ist, Zeitschriften zu abzubestellen, wäre an dieser Stelle wenig originell, handelt es sich dabei schon längst um eine traurige deutsche Bibliothekswirklichkeit. Und auch daß von den Mitgliedern des ZMB-Kommission, einer Art von Aufsichtsrat für die Bibliothek, bei der Auswahl der abzubestellenden Zeitschriften zunächst die Nicht-Relevanz einer Zeitschrift für die eigene Forschung überprüft und anschließend nach einem fachübergreifenden Bewertungsinstrument wie eben dem IF gesucht wird, überrascht in diesem Zusammenhang vermutlich wenig.

Eine Bibliothek in die Evaluierung der Forschungsleistungen einer Fakulät oder eines Instituts einzubeziehen, dürfte allerdings noch nicht als selbstverständliche Serviceleistung bezeichnet werden. Aufgrund der engen Einbindung der ZMB in den Fachbereich Humanmedizin erhielt sie den Auftrag, die Zeitschriftentitel, in denen die Marburger Mediziner seit 1995 publizierten, mit den vom ISI für diese Zeitschriften berechneten IF zu verknüpfen. Als Datengrundlage hierfür dient ihr die "Marburger Bibliographie" (1974 ff.; seit 1984 elektronisch erfaßt), die von der UB zusammengestellt und herausgegeben wird. Darin sind alle wissenschaftlichen Beiträge enthalten, die an der Philipps-Universität Marburg entstanden und an die UB gemeldet wurden. Sie erscheint jährlich und steht seit Januar 1998 auch im WWW über http://archiv.ub.uni-marburg.de/mbiblio/mbmain.html für Recherchen zur Verfügung. Aus dieser Datenbank werden die Publikationen von den Mitarbeitern des Fachbereichs Humanmedizin selektiert (etwa 2.000 pro Jahr), für den "Lehr- und Forschungsbericht des Fachbereichs Humanmedizin, Band II: Jahresbibliographie" zusammengestellt und anschließend veröffentlicht. Im Anhang werden die ermittelten IF den verschiedenen Zeitschriftentiteln zugeordnet.

V. Fazit

Der Wunsch nach einem möglichst objektiven, reproduzierbaren Bewertungsmaßstab für wissenschaftliche Zeitschriften besteht mehr denn je. Zweifellos verdient eine wissenschaftliche Arbeit, die oft gelesen und zitiert wird, hohes Ansehen. Daß eine Zeitschrift, die viele bedeutende Artikel publizierte, ebenfalls Anerkennung findet, ist nur folgerichtig. Sie wird durch einen hohen IF ausgedrückt. Der Umkehrschluß aber - Veröffentlichungen in Zeitschriften mit niedrigem IF seien von minderer Qualität - ist genauso falsch, wie die Annahme, daß jeder Artikel in einer Zeitschrift mit hohem IF gut wäre. Darüberhinaus sind Zweifel an der Methode der Datenauswertung berechtigt. Weder der Erhebungszeitraum noch die Auswahl der ausgewerteten Titel hält der Kritik stand. Hier bietet Stegmann (1997) eine interessante Anregung, wonach das Prinzip, die Gesamtzahl der Zitierungen mit der Gesamtzahl der Publikationen einer Zeitschrift ins Verhältnis zu setzen, auf weitere Zeitschriften, die nicht im Journal Citation Report aufgeführt werden, zu übertragen ist.

Folglich sollte bei der Zeitschriftenabbestellung die Höhe des IF nicht das entscheidende Kriterium sein. In der Zentralen Medizinischen Bibliothek werden zunächst andere Methoden angewendet, um "abbestellbare" Zeitschriften herauszufinden. Durch die Überprüfung von Benutzungsanzeichen an Heften und Bänden, durch eine (regelmäßige) Evaluierung der Zeitschriftenwünsche seitens der Bibliotheksbesucher und durch eine Statistik über die Anfragen aus dem Orts- und Fernleihverkehr lassen sich zuverlässigere Hinweise für die Bedeutung eines Titels im Zeitschriftenbestand ermitteln. Der IF wird lediglich in Zweifelsfällen hinzugezogen.

In Bezug auf die Evaluierung der Forschungsleistungen wissenschaftlicher Einrichtungen ist der IF nach Berücksichtigung obengenannter Kritikpunkte nur mit Vorbehalten zu verwenden. Im "Lehr- und Forschungsbericht des Fachbereichs Humanmedizin" wird deshalb in einer Anmerkung zum IF ausdrücklich auf diesen Umstand hingewiesen.

In einem Beschluß des Präsidiums der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie wird festgestellt, daß "die Gesellschaft den IF zur Beurteilung der wissenschaftlichen Leistungen nicht für geeignet hält" (Dt. Ges. Unfallchirurgie 1997). Zu empfehlen, ihn nach Möglichkeit überhaupt nicht zu verwenden, wäre allerdings viel leichter, gäbe es zum Impact Factor (in Europa) eine Alternative.

Literatur:

Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie, Präsidium: Zur Verwendung des Impact-Factors als Maß wissenschaftlicher Leistungen. Unfallchirurgie (1997) 23: 221

Garfield, E.: Citation analysis as a tool in journal evaluation. Science (1972) 178: 471

Griebel, R.: Swets-Zeitschriftenpreisindex 1997. BIBLIOTHEKSDIENST (1997) 31: 828-837

Griebel, R. u. U. Tscharntke: Etatsituation der wiss. Bibliotheken in den alten und neuen Bundesländern 1996. ZfBB (1996) 6: 525-577

Herfarth, C.: Editorial. Der Chirurg (1996) 67: 297-299

Krause, J.: Methodische Untersuchung zur Ermittlung von Schlüsselzeitschriften. Bibliotheksdienst (1994) 28: 346-351

Lehrl, S.: Die Forschungsqualität deutscher Mediziner : Normen und Bewertungen / von Siegfried Lehrl und Elmar Gräßel. - 1. Aufl.. - Nürnberg : Media Point Verl.-Ges., 1993

Lindner, U.: Editorial. Der Anaesthesist (1997) 46: 1-2

Marburger Bibliographie (1974 ff.): Katalog der an der Philipps-Universität entstandenen wissenschaftlichen Publikationen / Philipps-Universität Marburg; zsgest. u. hrsg. von der UB Marburg.: Marburg, L. 1975

Neumann, R.: Erst gesundschrumpfen, dann vollstopfen. Laborjournal (1997 a) 7: 10-11

Neumann, R.: Wenig Edles: Deutschlands Virologen im Publikationsvergleich 1995/ 1996. Laborjournal (1997 b) 9: 8-9

Opthof, T: Sense and nonsense about the impact factor. Cardiovascular Research (1997) 33:1-7

Seglen, P.O.: Why the impact factor of journals should not be used for evaluating research. BMJ (1997) 314 :498-502

Stegmann, J.: How to evaluate journal impact factors. Nature (1997) 390: 550

Universität Marburg / Fachbereich Humanmedizin: Lehr- und Forschungsbericht, Bd. II, Bibliographie d. Fachbereichs Humanmedizin (1994 ff.), zsgest. von Heino Krüger, Marburg 1995.


Stand: 10.03.98
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