Friedrich Geißelmann
Wolfhart Unte führt seit einiger Zeit einen Kampf um die Ansetzung von Ortsnamen aus ehemaligen deutschen Siedlungsgebieten (die keineswegs nur jenseits von Oder und Neiße liegen) nach RSWK. Nachdem im Februar 1997 öffentlich um Stellungnahmen gebeten worden war, sandte er der Expertengruppe RSWK nicht nur seine Stellungnahme zu, sondern veranlaßte auch eine Reihe von Einrichtungen, zu denen er Beziehungen hat und die sich auf ihn bezogen, sich im gleichen Sinne zu äußern. Untes Stellungnahme wurde auf der Sitzung der Expertengruppe vorgetragen, die anderen Stellungnahmen trafen nicht rechtzeitig ein.
Die Frage wurde in vielen Verbünden diskutiert; das Verfahren war also öffentlich und demokratisch. Im Berlin-Brandenburger Verbund war Unte nach meiner Kenntnis der einzige Vertreter der bisherigen Regelung. Die Expertengruppe entschied mit sehr großer Mehrheit. Seit das Ergebnis im Juni publiziert wurde, versucht Unte, in dieser Frage auf die verschiedenste Weise Druck auszuüben.
Zunächst versuchte er, den Bundesminister des Inneren zu veranlassen, gegen diesen Beschluß zu intervenieren. Die Expertengruppe, die ein Gremium der öffentlichen Verwaltung sei, habe durch Mißachtung von Richtlinien der Regierung ihre Loyalitätspflicht verletzt.
Als nächster Schritt folgte ein Brief des Vorsitzenden der Landsmannschaft Schlesien an das Kultusministerium eines Bundeslandes mit der Bitte um Überprüfung und dem Hinweis, daß der Vorsitzende der zuständigen Expertengruppe Beamter des betreffenden Bundeslandes sei.
Beide Ministerien übten sich jedoch in weiser Zurückhaltung. Sicherlich einerseits, weil ihnen die Kompetenz zum Eingriff in eine föderal strukturierte Expertengruppe fehlt und das fachliche Verfahren ganz einwandfrei war, zum anderen aber auch, weil die Sachlage etwas differenzierter beurteilt wurde denn als "Vernichtung deutschen Kulturguts". Es wurde darauf hingewiesen, daß es keine amtliche Richtlinien zur Schreibung solcher Namen gebe.
Als nächstes publizierte Unte den oben abgedruckten Text unter der völlig irreführenden Überschrift: "Bibliothekare verbannen deutsche Ortsnamen aus ihren Katalogen" in "Deutscher Ostdienst. DOD. Informationsdienst des Bundes der Vertriebenen." Nr. 48 vom 29.11.1997. Sein Ziel war dabei offensichtlich, die Presse einzuschalten. Ein Journalist (Jörg Bernhard Bilke) sprach auch bei der Deutschen Bibliothek vor. Ergebnis war ein Interview mit Klaus-Dieter Lehmann in "Kulturpolitische Korrespondenz", einem Organ des Ostdeutschen Kulturrats, Nr. 1027/1028 vom 30.12.1997. In ihm wurde auch diese Frage behandelt; sie stand jedoch nicht im Mittelpunkt des Gesprächs.
Weiter gab es Briefe des Leiters der Westpreußenstiftung an den Ministerpräsidenten eines Bundeslandes und ein Kultusministerium mit der Aufforderung, dieses Land solle aus der Anwendung der RSWK insoweit aussteigen und bei der Vernichtung deutschen Kulturguts nicht mitmachen.
Soweit die bisher bekannte Vorgeschichte. Immer wieder wird in diesen Stellungnahmen behauptet, die Expertengruppe RSWK habe nach politischen Gründen entschieden. Soll man daraus schießen, daß die gegen den Beschluß der Expertengruppe gerichtete Kampagne ganz unpolitisch ist?
Nachdem die früheren Vorstöße keinen Erfolg hatten, setzt Unte jetzt wieder auf Argumentation in einem Fachorgan, was im Prinzip zu begrüßen ist.
Als früherer Vorsitzender der Expertengruppe RSWK (deren Kompetenzen mittlerweile bei der Konferenz für Regelwerksfragen liegen), stelle ich kurz die für die Entscheidung der Expertengruppe maßgeblichen Gründe zusammen:
Die von Unte aufgegriffene Frage ist schon seit dem ersten Entwurf der RSWK 1981 kontrovers diskutiert worden. Sie spielte z.B. auch eine wesentliche Rolle bei der Rezeption der RSWK in Österreich, wo man solche "deutschnationale Tendenzen" nur sehr ungern übernahm. Die SWD-Partner haben später, abweichend vom Regelwerk, zunehmend punktuelle Ausnahmen gemacht (z.B. Zagreb, Ljubljana). Insgesamt hat sich die Expertengruppe die Entscheidung keineswegs leicht gemacht.
Daß eine umstrittene Entscheidung, wie auch immer, manchen Kollegen nicht gefällt, liegt in der Natur der Sache. Die Reaktion darauf sollte jedoch im angemessenen Rahmen bleiben. Dies war bei dem von Wolfhart Unte gewählten Verfahren keineswegs der Fall. Auch die jetzt vorgebrachten Argumente sind nicht neu; Unte greift nur zu stärkeren Worten. Demgegenüber kommt es nicht in Frage, diese gut begründete Entscheidung umzustoßen und die bereits korrigierten Normdateien wieder zurück zu korrigieren. Das können die Bibliotheken sich wirklich nicht leisten.
Es ist immer wieder erstaunlich, mit welchem Eifer einzelne Fachreferenten Fragen der Ansetzung mancher Gruppen von Schlagwörtern verfolgen. Ich meine, dabei übersehen sie, daß es in der SWD nicht um die Festsetzung objektiver Wahrheiten geht, sondern um praktische Sacherschließung. Deren zukünftige Probleme liegen aber in ganz anderen Fragen als in einzelnen Ansetzungsproblemen. Viel wichtiger ist, daß wir uns um die weitreichenden Auswirkungen der Online-Kataloge auf die Sacherschließung kümmern, als um solche Randfragen, auch wenn sich darüber leichter diskutieren läßt.