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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 3, 98

Zur Ansetzung deutscher Ortsnamen nach RSWK § 202


Wolfhart Unte

Vor kurzem sind die Regeln für den Schlagwortkatalog (RSWK) von der Expertengruppe des Deutschen Bibliotheksinstituts (DBI) revidiert worden. Die Ergebnisse dieser Arbeit wurden im BIBLIOTHEKSDIENST nach und nach zur Stellungnahme durch die Anwender des Regelwerkes veröffentlicht und dann nach einer Verschweigefrist endgültig verabschiedet.

Als letzte solcher zur Diskussion gestellten "RSWK-Mitteilungen" erschien mit Nr. 10 im BIBLIOTHEKSDIENST Nr. 2, Februar 1997 unter anderem eine Änderung des § 202, der die Ansetzung von geographischen Namen des deutschen Ostens regelt. Der Paragraph soll danach jetzt lauten.

Trotz Widerspruchs von verschiedenen Seiten, wie von der Historischen Kommission für Schlesien, dem Westpreußischen Bildungswerk sowie vom Unterzeichner in einem "Minderheitenvotum" innerhalb der Stellungnahme der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin, wurde im Juniheft des BIBLIOTHEKSDIENST kommentarlos die Annahme der Regel mitgeteilt, ohne daß über die eingegangenen Einwände etwas gesagt wurde. Die Verfasser dieser Einsprüche haben auch nie eine Antwort erhalten.

Die neu gefaßte Regel ist völlig unannehmbar, weil damit alle nicht in den neuesten Ausgaben der Enzyklopädien von Brockhaus oder Meyer enthaltenen Ortsnamen und anderen Geographika (wie Berge, Flüsse, Seen und Landschaften) der Oder-Neiße-Gebiete und überhaupt des früher deutschen Sprachraumes - und das sind viele - in fremdsprachiger Form aufgeführt werden. Zu denken ist dabei vor allem auch an die zahlreichen Orte, deren frühere deutsche Bewohner jetzt, wo die Erlebnisgeneration noch da ist, ihre Heimatchroniken verfassen. Die Namen der oft sehr kleinen Orte stehen nun nach der neuen Fassung der Regel in fremdsprachiger Form in deutschen Katalogen und Datenbanken. Beispiele aus der Deutschen Nationalbibliographie, Reihe B:

B 41, Nr. 0653 Hübner, Hubert: Heimat Schlesien - Glätzisch Falkenberg und Eule / Hubert Hübner. Zentralstelle Grafschaft Glatz, Schlesien e. V. - Lüdenscheid: Zentralstelle Grafschaft Glatz, 1997 SW: Sokolec <Glatz>; Heimatkunde ~ Sowina ; Heimatkunde.

B43, Nr. 0473 Die alte Heimat Oberaltstadt im Riesengebirge: eine Chronik und ein Ortsbuch der Marktgemeinde Oberaltstadt ; ein Heimatbuch mit vielen Einzelbeiträgen ehemaliger Oberaltstädter / bearb., zsgest. und hrsg. von Oswald Hofmann. - [S.1.]: O. Hofmann [1997?] SW: Horejši Staré Mesto; Heimatkunde.

Dabei ergibt sich die Absurdität, daß teilweise fremdsprachige geographische Bezeichnungen verwendet werden bei der Beschlagwortung von Literatur zu Epochen, in denen diese Namen überhaupt noch nicht existierten. Für die Heimatvertriebenen ist eine solche Eliminierung der ihnen vertrauten deutschen Ortsnamen eine Brüskierung und unerträglich. Es ist der Versuch, deutsches Kulturgut - denn das sind die deutschen Ortsnamen und anderen Geographika - bewußt und gezielt zu vernichten, und widerspricht der von der Bundesregierung propagierten Politik, das deutsche Kulturerbe zu erhalten und zu pflegen. Die Expertengruppe, die ein Gremium der öffentlichen Verwaltung ist, stellt sich mit ihrer Entscheidung, die zudem sehr autoritär ohne Berücksichtigung von Einsprüchen erfolgte, gegen die Grundsätze der Bundespolitik.

In der begonnenen Diskussion um die Regel wird dabei von den bibliothekarischen Stellen eine politische Argumentation vermieden. Es werden stattdessen bibliothekarische Notwendigkeiten für die Entscheidung ins Feld geführt; sie seien hier kurz aufgelistet.

Es wird vorgetragen, daß durch die Führung der heutigen Kataloge als Datenbanken die Suche unter dem deutschen Namen, der als Verweisungsform vorliegt, auch möglich ist. Dem ist entgegenzuhalten, daß eine Gleichrangigkeit der Namen dadurch nicht besteht; denn die Ansetzungsform unter der fremdsprachigen Bezeichnung bleibt dadurch, daß sie für die Anzeige in Schlagwortketten gewählt wird, dominierend. Das zeigt die gedruckte Ausgabe der Deutschen Nationalbibliographie, wo aus diesem Grunde bei den ausgedruckten Beschlagwortungen nur die fremdsprachige Namensform erscheint. Da die gedruckte Ausgabe noch immer die größte Verbreitung hat, ist das besonders mißlich. Es ist auch nicht so, daß die RSWK nur für Kataloge, die als Datenbanken organisiert sind, als Regelwerk zugrundegelegt werden, ebenso benutzen viele kleine, konventionell arbeitende Bibliotheken, gerade im Bereich des öffentlichen Bibliothekswesens, die RSWK und werden noch lange konventionell mit ihnen arbeiten. Außerdem ist darauf hinzuweisen, daß durch diese Änderung der Namensansetzung in den neuen Katalogen ein Bruch zu den Ansetzungen in den konventionellen Schlagwortkatalogen vieler Bibliotheken entsteht, was die Recherchen der Benutzer auch nicht gerade erleichtert.

Daß es im Interesse des internationalen Datentausches notwendig ist, die offizielle amtliche Bezeichnung zu wählen, ist ein sehr weit hergeholtes Argument, das höchstens bis zu einem gewissen Grade für die Formalkatalogisierung gilt, nicht für die Sachkatalogisierung. Die RSWK selbst und die auf ihnen basierende Schlagwortnormdatei verfahren denn auch bei anderen Namensansetzungen entsprechend frei; beispielsweise steht Mailand unter Mailand, nicht unter Milano, auch Breslau wird - gemäß der Ansetzung im neuen Brockhaus - sein deutscher Name als Ansetzungsform zugestanden. Ebenso wird bei den Regeln für die Namensansetzung von Körperschaften die Kompatibilität im internationalen Rahmen nicht überall berücksichtigt (beispielsweise wird in deutscher, nicht in polnischer Namensform angesetzt: Krakau / Jagellonische Universität). Warum aber muß bei den Orten des deutschen Ostens, die nicht im neuen Brockhaus oder Meyer enthalten sind, anders verfahren werden? Für einen etwaigen internationalen Datentausch dürfte es auch bei einer Ansetzung der Ortsnamen unter der deutschen Bezeichnung für die EDV nicht schwer sein, aus den selbstverständlich in Verweisungsform vorliegenden fremdsprachigen Namen die für einen Tausch gewünschten Daten zu gewinnen.

Das Prinzip, nach RSWK und in der auf ihnen basierenden Schlagwortnormdatei in der Regel die im Deutschen gebräuchlichen Ansetzungen zugrundezulegen, ergibt sich aus den Benutzerbedürfnissen. Die RSWK sind eben in erster Linie für Benutzer der verschiedenen Bibliothekstypen im deutschsprachigen Raum geschaffen worden und werden dort angewandt. Mit den fremdsprachigen Ansetzungen können diese Benutzer meistens einfach nichts anfangen. Im übrigen: Auch in anderen Ländern wird so verfahren, daß Geographika bei der sachlichen Erschließung in der Landessprache angesetzt werden (Beispiele bieten die jeweiligen Nationalbibliographien). In Polen, Tschechien, aber auch in Frankreich oder Italien käme, so glaube ich, niemand auf die Idee, Geographika anders als so wiederzugeben.

Schließlich ist noch auf das Argument der Ansetzung nach gängigen Nachschlagewerken einzugehen. Es ist unbestritten, daß eine Normierung notwendig ist und daß Meyer und Brockhaus in ihren neuesten Ausgaben grundlegende Hilfsmittel generell für die Beschlagwortung sind; die in ihnen verzeichneten Namen von Orten des deutschen Ostens, die dort in deutscher Form stehen, sind auch meistens unproblematisch. Anders ist es mit den dort nicht enthaltenen Namen; hier sollte die deutsche Ansetzung nach zuverlässigen regionalen Nachschlagewerken wie beispielsweise dem "Ortsnamenverzeichnis der Ortschaften jenseits von Oder und Neiße" oder den verschiedenen Bänden der "Historischen Stätten Deutschlands" (Kröner) erfolgen, auch wenn die Expertengruppe das offenbar anders sieht, weil diese Nachschlagewerke "auf die Vergangenheit bezogen" sind. Aber schließlich handelt es sich ja auch zum großen Teil um historische Literatur, die zu bearbeiten ist.

Von bibliothekarischer Seite besteht meines Erachtens kein Grund, die bisherige Regelung über die Ansetzung von Ortsnamen zu ändern. Es stellt sich die Frage, ob diese Änderung nicht doch aus politischen Motiven vorgenommen worden ist. Meine Forderung ist daher, daß der § 202 der RSWK in der neu gefaßten Form in den deutschen Bibliotheken nicht angewandt, sondern weiter nach der alten Regel verfahren wird.

Ich hoffe sehr, daß in dieser unerfreulichen Angelegenheit das letzte Wort noch nicht gesprochen ist und die Einsicht um sich greift, daß die Änderung der Regel eine Entscheidung war, die zu revidieren ist.


Stand: 10.03.98
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