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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 1, 98

"Elektronische Zeitschriften"

Workshop in Göttingen

Helmut Rösner

Der von der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek für die Fachgesellschaften veranstaltete Workshop "Elektronische Zeitschriften" am 1. Dezember 1997, moderiert von Prof. Dr. Peter Diepold (HU Berlin), diente einerseits einem Informations- und Erfahrungsaustausch über die verschiedenen regionalen Lizenzierungsvorhaben für elektronische Zeitschriften und andererseits der Vorbereitung einer größeren Tagung zu diesem Thema im Februar 1998 in Berlin.

Referate

Eingangs steckte Prof. Dr. Elmar Mittler den Rahmen ab: Traditionelle Aufgabe der Verleger ist es, Zeitschriften in hochqualifizierten Druckausgaben herzustellen und sie weltweit zu verbreiten; Ziel der Bibliotheken ist es, die Zeitschriften möglichst vollständig zugänglich zu halten und bei Spezialliteratur mindestens über Sondersammelgebiete und Leihverkehr die Literaturversorgung aufrechtzuerhalten. Die Frage der Direktlieferung von Kopien an Benutzer ist zwischen Bibliotheken und Börsenverein umstritten - die gemeinsame SUBITO-Erklärung hat die unterschiedlichen Rechtsauffassungen festgestellt, aber trotzdem einen pragmatischen Weg zur praktischen Weiterarbeit aufgezeigt. Seit Jahren aber sehen sich die Bibliotheken nicht mehr in der Lage, die neuen Fachzeitschriften im vollen Umfang zu abonnieren. Daher richtet sich die Hoffnung auf den weltweiten Zugriff über Internet. Das Ziel der Bibliotheken ist die Integration der umfangreichen elektronischen Angebote in ihr Dienstleistungsspektrum; neben vielen freien elektronischen Zeitschriften gilt es, Verlagsangebote zu akzeptablen Kosten in die lokalen, regionalen und überregionalen Angebote einzubeziehen. Der hierzu bereits vereinzelt eingeschlagene Weg über Lizenzverträge birgt allerdings noch einigen Klärungsbedarf: Einzelverträge oder Bildung von Bibliothekskonsortien, Pauschallizenzen oder Einzelabrechnung, Bereitstellung der Materialien von Bibliotheks- oder Verlags-Servern, dauerhafte oder befristete Speicherung usw. neben den eigentlichen Details der Lizenzgestaltung (Preissteigerungsrate, Abbestellmöglichkeit, Nutzungsbedingungen).

Prof. Dr. Martin Groetschel (Konrad-Zuse-Zentrum Berlin) führte zunächst die "Streßfaktoren" in der wissenschaftlichen Kommunikation auf: Steigerung der Anzahl der Publikationen, Preissteigerungen, neue und immer komplexere Medien, Monopolisierungsbestrebungen bei Verlagen, gleichzeitig Informationsflut und -mangel. Die Bibliotheken sehen sich gezwungen, Abonnements zu kündigen, kooperativ zu sammeln, Bestände nachzuweisen statt vorzuhalten, Kauf-Allianzen für digitale Informationen zu bilden. Dennoch dreht sich die Kostenspirale weiter, die Monopolisierung wird gestärkt, die Gefahr einer Erosion der lokalen Bibliotheksarbeit entsteht. Dieses Problem tangiert auch die Fachgesellschaften, die daher an gemeinsamen Aktionen der Bibliotheken mitwirken wollen (eine gemeinsame Arbeitsgruppe E-Journals soll gebildet werden); sie fordern preiswerte Literaturversorgung auf hohem Qualitäts-Standard für die wissenschaftliche Kommunikation einschließlich Metadaten-Lieferung. In diesem Zusammenhang gewinnen weltweite elektronische Abrechnungssysteme besondere Bedeutung, wie sie etwa mit dem "Digital Object Identifier" (DOI)-System eingeleitet wurde. Dieses DOI, von der Association of American Publishers entwickelt und auf der letzten Frankfurter Buchmesse vorgestellt, soll sowohl einen Schutz für die Rechtsinhaber als auch gewissermaßen ein Echtheits-Zertifikat für die Nutzer digitaler Dokumente bieten, indem mit einer Code-Nummer der jeweilige digitale Inhalt eindeutig identifiziert und gleichzeitig die elektronische Abrechnung erleichtert wird.

Gert Staal (Elsevier-Verlag) stellte zwei Modelle zur Alternative "Remote or local solution" vor. Elsevier bietet 1.200 Zeitschriften mit ca. 1,8 Mio. Seiten sowie 6.500 Buchtitel elektronisch an. TULIP, ein gemeinsam mit amerikanischen Universitäten entwickeltes Projekt, ist dank flexibler Integration und hoher Übertragungsgeschwindigkeit im Intranet geeignet für lokale Netze; zudem bietet es bibliographische Header und Abstracts, Monitoring der Nutzung, effizientes Bestandsmanagement, unbeschränkten gleichzeitigen Zugriff, Statistik u. a. Zum persönlichen Gebrauch ist Kopieren/Downloading zulässig; die Lizenzbedingungen werden entsprechend der definierten Nutzergruppen und Nutzungsarten ausgehandelt. (Informationen unter: http://www.elsevier.nl/locate/tulip). "ScienceDirect" andererseits, ein im Aufbau befindlicher Online-Dienst, wird in einer Datenbank die Volltexte aller Elsevier-Zeitschriften integrieren (HTML und PDF), ergänzt um Index- und Abstract-Services. Zur Zeit sind mehr als 300 Titel aufgenommen. Dieser Dienst gilt als Modell für eine Remote-Lösung (zentrale Datenbank beim Verlag über Gateway an LAN, möglich ist aber auch eine Spiegelung bei der einzelnen Bibliothek sowie Mischformen).

Arnoud de Kemp (Springer-Verlag) beschrieb zunächst den Markt der Fachzeitschriften: die 7.000 meistgenutzten Zeitschriftentitel kommen von relativ wenigen Verlagen, die Preise sind vielfach stark gesplittet (Mitglieder- bzw. Bibliothekspreise). Elektronische Fachzeitschriften werden zum überwiegenden Teil nicht von kommerziellen Verlagen, sondern von Fachgesellschaften oder Instituten herausgebracht. Die derzeitigen Suchmaschinen sind noch nicht effizient genug, deshalb wird DOI auch wichtig, um Originaldokumente zu finden und zu lokalisieren; ein Clearing-Center für die Copyright-Verwaltung muß aber noch geschaffen werden. Anschließend stellte de Kemp das neue Springer-Projekt LINK vor (http://link.springer.de/link/service/), einen multimediafähigen Informationsdienst im Internet, der 120 verschiedene Input- und Speicherformate mit Plug-Ins einheitlich verarbeitet. Vorgesehen sind 500 Zeitschriften, Bücher, Kataloge, Kongreßkalender, Bulletin Boards, Diskussionsforen, auch fachspezifisch differenziert. Volltext- und strukturierte Suche durch Indexierung ist möglich, die Inhaltsverzeichnisse und Abstracts werden in HTML wiedergegeben, die Volltexte auch in PDF, Postscript, TeX u.a. LINK befindet sich noch in der Experimentierphase, aber ab 1998 können persönliche oder institutionelle Lizenzen in verschiedenen Varianten erworben werden.

Anne Dixon (IOP Publishing, Bristol) stellte das Verlagskonzept ihres Verlages vor, das eher mit der Publikationspraxis von Fachgesellschaften vergleichbar ist. Seit 1996 bietet das Institute of Physics 33 Physik-Zeitschriften (wöchentlich bis vierteljährlich) und andere Publikationen mit rund 5 Mio. Web-Seiten elektronisch an, hauptsächlich im TeX-Format, aber auch als TIFF/EPS-Dateien. Das Archiv reicht bis Januar 1993 zurück, Abstracts sogar bis 1969. Auf Grund der Anbindung an die Datenbank INSPEC ist eine unmittelbare Rückkoppelung zu den Physik-Zeitschriften möglich; neben der Volltextanzeige können auch die Referenzen und späteren Zitierungen ermittelt werden. (Informationen unter: http:/www.iop.org).

Berichte aus den Verbünden

Prof. Dr. F. W. Froben (FU Berlin) berichtete als Sprecher des Konsortiums Berlin-Brandenburg, dem neben sechs Universitäts- und vier Fachhochschulbibliotheken auch Forschungseinrichtungen wie HMI, Max-Delbrück-Zentrum, Geoforschungszentrum Potsdam, Weierstraß-Institut, Max-Planck-Institute, Wissenschaftszentrum Adlershof angehören, über den Stand der Lizenzverhandlungen, die zu einem unterschriftsreifen Rahmenvertrag mit drei großen Verlagen geführt haben. Die Strategie dieses regionalen Konsortiums verfolgte die Eckpunkte: der Basispreis soll proportional zum derzeitigen Bestand festgelegt werden, der Preis für die E-Journals soll vom Preis für die Print-Version -x % vereinbart werden, allen Konsortialbibliotheken soll der Zugriff zu allen elektronischen Versionen sowie das Recht eingeräumt werden, ein zusätzliches Print-Abo zu einem deutlich reduzierten Preis zu erwerben; der Preisanstieg soll auf maximal 5 % pro Jahr begrenzt werden.

Nachdem der Bericht von Dr. Elisabeth Niggemann (ULB Düsseldorf) über den Vertrag zwischen einem Konsortium von acht Bibliotheken in Nordrhein-Westfalen und Elsevier bereits in Bibliotheksdienst 11/1997, S. 2147 ff. veröffentlicht war, konnte sie sich auf ergänzende Erläuterungen beschränken. Die Geschäftsführung des Konsortiums bei der Verbundzentrale wird auf der Grundlage von Statistikdaten für die E- und Print-Version auch das Preis-Leistungsverhältnis für elektronische Zeitschriften untersuchen und analysieren.

Thomas Dierig (Bibliotheks-Service-Zentrum, Konstanz) berichtete aus dem noch in Planung befindlichen Baden-Württembergischen Konsortium. Auf Grund eines Auftrags der Landesrektorenkonferenz untersuchte eine Arbeitsgruppe die Frage, ob eine regionale Lösung ausreicht. Sie ermittelte zunächst ein Mengengerüst (Anzahl der Abos und deren Verteilung auf verschiedene Bibliothekstypen mit unterschiedlichen Kostenstellen) und führte Vorverhandlungen mit drei Verlagen und einer Agentur, die jedoch noch nicht zu einem Abschluß gelangt sind. Koordiniert durch das BSZ soll ein Landeskonsortium gebildet werden, als Test ist ein virtuelles Informationsnetz (Verbund-OPAC - Frontdoor(Metadaten)-Ebene - externe Objekt-Server) vorgesehen.

Hans J. Becker (SUB Göttingen) referierte über den Stand der Vertragsverhandlungen zwischen dem GBV-Konsortium und dem Verlag Elsevier. Das vorliegende Angebot wird wegen einzelner Klauseln (Preissteigerung, Abbestellungen) vorerst eher ablehnend beurteilt.

Round Table

Die Referenten und Berichterstatter versammelten sich abschließend zu einer Round-Table-Diskussion, eingeleitet von Dr. Alex Klugkist (UB Groningen), über die "Licensing Principles" für das zu bildende niederländisch-deutsche Konsortium. (Englische Version unter der URL: http://cwis.kub.nl/(dbi/cwis/licprinc.htm; deutsche Version unter http://www.sub.uni-goettingen.de/z_aktkon.htm). Diese Principles, ursprünglich eine WebDoc-Initiative, sollen sowohl eine gemeinsame Position der Bibliotheken gegenüber den Verlagen darstellen als auch Verhandlungsdisziplin innerhalb der Bibliotheken bewirken; sie wollen Gemeinsamkeit zwischen Wissenschaft und Bibliotheken herstellen und auf Grund ihrer Marktmacht der Preispolitik der Verlage kritisch entgegentreten. Die Bibliotheken wollen grundsätzlich keine Bedingungen akzeptieren, die die Nutzung der E-Zeitschriften behindern; Klauseln, die ein Abbestellverbot enthalten, gelten als nicht akzeptabel.

Die Verleger verteidigten ihre Preispolitik, die nicht nur von Herstellungskosten, sondern auch von Nebenkosten wie Mehrwertsteuer oder schwankende Wechselkurse beeinflußt wird, und beschrieben die Gefahr eines "Medienbruchs": Wenn nur noch elektronische Medien existierten, dann könnten zwar die Verlegerpreise bis 35 % sinken, aber dann wären die Bibliotheken in der Substanz ihrer Informationsarbeit getroffen. Auch die Gefahr der Monopolisierung durch Verlagsfusionen wie jüngst Elsevier - Kluwer wurde bestritten, wenngleich von Bibliotheksseite bekräftigt.

Als problematisch wurde die Ungleichgewichtigkeit der Verhandlungspartner beurteilt: Drei nennenswerte Verleger stehen einer Vielzahl von Konsortien gegenüber, die Chancen der Kleinverlage schwinden, die Konsortien stimmen sich zu wenig ab. Die Bibliotheken bevorzugen eine Lizenzierung des gesamten Abo-Angebots eines Verlages, die Wissenschaftler hingegen eine Auswahl für ihre Disziplin. Möglicherweise könnten sinnvolle Einsparungen erzielt werden, wenn sich eine zentrale Konsortial- und Abrechnungsstelle schaffen ließe.

Zur Infrastruktur für die wissenschaftliche Kommunikation gehören sowohl die Verlage (Distribution) als auch die Bibliotheken (Informationsvermittlung und Archivierung), diese Aufgabenteilung kann aber durch Kostenexplosion plötzlich in Frage gestellt werden; Langzeitarchivierung wird es möglicherweise nur noch in digitalisierter Form geben, kann aber kaum von den Verlagen selbst betrieben werden. Zusätzlich wird von der Wissenschaft "informationeller Mehrwert" gefordert, der nur elektronisch zu realisieren ist: weltweiter Zugang, Metadaten, Direktkontakt mit Autor, Zitat-Ermittlung usw. Internet-Dokumente sind jedoch flüchtig und nicht sicher als "echt" zu erkennen, daher kann DOI auch für Bibliotheken eine besondere Bedeutung für Erschließung, Archivierung und Inventarisierung gewinnen.

Die facettenreiche und durchaus kontroverse Diskussion wurde in einem abschließenden Statement von E. Mittler aus Bibliothekssicht zusammengefaßt: Es muß sichergestellt werden, daß die elektronischen Materialien in den Bibliotheken - und das heißt auch: durch ihre Benutzer - voll genutzt werden können; alle Links müssen frei lesbar bleiben, so daß die zu bezahlende Lizenzsumme kalkulierbar bleibt.

Nach Abschluß des Round-Tables wurde im kleineren Kreis die Programmgestaltung für die weiterführende Tagung am 16./17. Februar 1998 in Berlin diskutiert. (Programmankündigung in diesem Heft.)


Stand: 19.01.98
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