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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 11, 97

Zur Diskussion gestellt:


Thesen zum Thema Informationsinfrastruktur im Wandel

Die gemeinsame Arbeitsgruppe der "Zentren für Kommunikation und Informationsverarbeitung (ZKI)" und des Deutschen Bibliotheksverbandes (DBV), Sektion IV wissenschaftliche Universitätsbibliotheken hat, ausgehend von den DFG-Empfehlungen "Neue Informations-Infrastrukturen für Forschung und Lehre" wesentliche Aspekte, die die Hochschulen und ihre Informations- und Kommunikationseinrichtungen betreffen, zu Thesen zusammengestellt und möchte diese als Richtlinien für künftige Planungen verstanden wissen. Sie stellt diese der Fachöffentlichkeit zur Diskussion.

AG Bibliotheken und RechenzentrenBerlin, 10. Juni 1997


Informationsinfrastruktur im Wandel - Herausforderungen für die Hochschulen und ihre Informations- und Kommunikationseinrichtungen

Vorbemerkung
Angenommen, ein modernen Techniken aufgeschlossener Wissenschaftler möchte den Appell der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) zur Integration neuer Medien in die Hochschullehre umsetzen. Er will eine multimediale Lehr- und Lerneinheit in seinem Fachgebiet erstellen und dazu eigene und gedruckte Texte, Grafiken aus Büchern, Tonbanddokumente und Videomaterial sowie bibliographische Hinweise didaktisch aufbereiten und interaktiv hypermedial verknüpft im World Wide Web seinen und Studierenden anderer Hochschulen zum Selbststudium anbieten.

Er wendet sich hoffnungsvoll an das Rechenzentrum, die Bibliothek und die Einrichtung für audiovisuelle Medien mit der Bitte um technische Unterstützung. Er würde von Pontius zu Pilatus verwiesen werden und vielleicht ein knappes Dutzend hilfsbereiter Mitarbeiter verschiedener Einrichtungen kennenlernen. Bestenfalls erhielte er noch Hinweise auf nationale und europäische Förderprogramme, über die er für sein Institut Mittel einwerben könnte. Eine seine Bedürfnisse abdeckende Dienstleistung würde ihm aber vermutlich an keiner deutschen Hochschule angeboten werden.

Das Beispiel zeigt, daß an den Hochschulen neue Informationsinfrastrukturen und neue Dienstleistungen geschaffen werden müssen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat dazu Empfehlungen verabschiedet, deren Umsetzung nicht erst mit dem Einwerben von Projektmitteln begonnen werden sollte, sondern im Rahmen der lokalen Möglichkeiten umgehend von den Hochschulen und ihren Informationsinfrastruktureinrichtungen in Angriff genommen werden muß. Eine gemeinsame Arbeitsgruppe der Zentren für Kommunikation und Informationsverarbeitung (ZKI) und der Hochschulbibliotheken im Deutschen Bibliotheksverband (DBV) hat dazu Thesen und praktische Vorschläge erarbeitet:

1. Die Leistungen der Hochschulen stehen zunehmend - nicht nur in der Forschung, sondern auch in der Lehre - in einem nationalen und internationalen Wettbewerb. Der Erfolg der Hochschulen wird in hohem Maße davon abhängen, inwieweit es ihnen gelingt, die neuen technischen Möglichkeiten für die wissenschaftliche Information und Kommunikation zu nutzen.

Künftig wird die Hochschule erfolgreich sein, in der z.B.

2. Die Gestaltung der neuen Informationsinfrastrukturen ist ein permanenter Prozeß. Dafür sind kontinuierlich Investitionen in die Rechner- und Kommunikationstechnik, vor allem aber neue Formen der Organisation und Kooperation zwischen den zentralen Infrastruktureinrichtungen und den Fachbereichen erforderlich.

Heute arbeiten die Infrastruktureinrichtungen Bibliothek, Rechenzentrum, Medienzentrum und die Fachbereiche weitgehend nebeneinander. Eine den modernen Ansprüchen der Wissenschaftler und Studenten genügenden Ausnutzung von Datennetzen, der darauf aufbauenden Netzdienste und der vielfältigen elektronischen Informationsquellen ist nur effizient möglich, wenn die Leistungen der Hochschulbibliothek mit den Aufgaben einer aus dem Hochschulrechenzentrum entstehenden Zentraleinrichtung für Informationsverarbeitung und Kommunikation verknüpft werden.

Die zentralen Einrichtungen für audiovisuelle Medien, die zunehmend Audio- und Videodaten digital produzieren und verarbeiten, sind beim Aufbau neuer Informationsinfrastrukturen für Forschung und Lehre einzubeziehen.

Gemischt besetzte Arbeitsgruppen der Dienstleistungseinrichtungen sollten gemeinsam mit Arbeitskreisen der Fachbereiche (z.B. elektronische Fachinformation, elektronisches Publizieren an der Hochschule, Einsatz von Multimedia) Anforderungen und Dienstleistungskonzepte entwerfen.

3. Die bei der Gestaltung der Informationsinfrastruktur auftretenden Probleme werden vor allem neue Anforderungen an das Personal von Bibliotheken, Rechenzentren, Medienzentren und der Fachbereiche stellen.

Die Kompetenzen und Qualifikationen der Mitarbeiter müssen zusammengeführt werden, um neue Dienstleistungskonzepte zu realisieren. Außerdem müssen die Infrastruktureinrichtungen ihr Personal laufend weiterqualifizieren und für die notwendigen Veränderungen motivieren.

Die für die Umsetzung nötige Qualifikation muß auch bei Lehrenden und Studierenden entwickelt werden. In den Fachbereichen sollten dazu Informationsbeauftragte benannt werden, die als Dialogpartner und beim Transfer von Information und Know-how zu ihren Kollegen und Studierenden fungieren. Rechenzentrum, Bibliothek und Medienzentrum sollen ein gemeinsames am Bedarf der Fachbereiche orientiertes Kursangebot entwickeln und so laufend die Fortbildung zur Nutzung neuer Medien und Techniken sicherstellen.

4. Innerhalb der Hochschulen ist ein die Fachbereiche integrierendes Informationsmanagement aufzubauen. Hochschulleitungen, Fachbereiche und zentrale Einrichtungen sollten einen Hochschulentwicklungsplan "Information und Kommunikation" erarbeiten.

Der Hochschulentwicklungsplan "Information und Kommunikation" muß die Ziele, die Umsetzungsschritte und angemessene Kontrollmöglichkeiten enthalten. Er sollte insbesondere berücksichtigen:

Zur Umsetzung dieser Aufgaben bedarf es der Koordinierung, beginnend bei der Hochschulleitung bis zu den Fachbereichen und Instituten. In diesem Zusammenhang sind insbesondere Struktur- und Organisationsanforderungen zu diskutieren und ein Investitions- und Kostenmanagement zu entwickeln.

5. Der Aufbau der elektronischen Dienstleistungen muß von Bibliotheken, Rechen- und Medienzentren gemeinsam getragen werden.

Im Rahmen des Dienstleistungsspektrums sind gemeinsam betriebene Benutzerberatungs- und Kompetenzzentren aufzubauen, die dem fortschreitenden Entwicklungsstand der Computertechnik und der zunehmenden Dezentralisierung ihrer Nutzung gerecht werden. Beratung ist zwingend verbunden mit eigenem ausgeprägten Know-how und mit Referenzinstallationen auf den unterschiedlichsten Gebieten. Mit der Erarbeitung von Empfehlungen, der Zusammenfassung von Erfahrungen, der Verbreitung von neuesten aufbereiteten Erkenntnissen für die Nutzer sind Aufgabenlinien entstanden, die in der Vergangenheit für die genannten Dienstleistungseinrichtungen einer Hochschule nicht unbedingt typisch waren. Besonders große Bedeutung kommt dabei - auch wegen des raschen Entwicklungstempos der neuen Möglichkeiten - einer umfassenden und transparenten Öffentlichkeitsarbeit zu.

Insbesondere erforderlich sind:

6. Ein leistungsfähiges Kommunikationsnetz zur Übermittlung von Daten, Grafiken, Bewegtbildern und Sprache ist erforderlich.

Es ist die Voraussetzung dafür, daß die Hochgeschwindigkeitskommunikation, ausgehend direkt von den Arbeitsplätzen der Wissenschaftler und Studenten, innerhalb der Institute und zentralen Einrichtungen, zwischen den Instituten einer Hochschule, den Hochschulen eines Landes und zu weltweiten Partnern aus der Wissenschaft und Wirtschaft gesichert ist.

Moderne computergestützte Dienste, so z.B. grafik- und multimediaorientierte Informations- und Kommunikationsdienste, erfordern ein dynamisches Wachstum des Volumens und der Geschwindigkeit des Datenverkehrs zwischen den genannten Bereichen. Die technische Infrastruktur der passiven Verkabelung und der aktiven Kommunikationsgeräte muß dementsprechend ausgelegt sein. Die Verantwortung für deren Planung, Betrieb und Wartung liegt bei den Zentren für Informationsverarbeitung und Kommunikation, den heutigen Rechenzentren.

7. Ein vielschichtiges Dienstespektrum ist anzubieten.

Es läßt sich in drei Niveaustufen gliedern:

8. In zunehmendem Maße müssen Publikationen und andere Informationen in elektronischer Form bereitgestellt werden.

Dabei kann es sich um Texte, Bilder, Multimediaprodukte, Datenbanken mit Sekundärinformationen oder Fakten, Software u.a. handeln. Sie können aus der eigenen Hochschule stammen; sie werden teilweise von Verlagen als CD-ROM oder online zur Verfügung gestellt, können aber auch direkt von den Autoren im Internet angeboten werden. Für diese Informationen gilt es,

9. Eine besondere Bedeutung kommt an der Hochschule der Entwicklung eines Informations- und Publikationskonzeptes für elektronische Medien zu.

Wissenschaftler nutzen bereits die Möglichkeit zur elektronischen Publikation im Netz. So entstandene Dokumente lagern zumeist dezentral auf den Servern der Fachbereiche, sie sind in der Regel nicht mit Metadaten erschlossen, nicht in allgemein zugänglichen Katalogen nachgewiesen, ihre mittel- und langfristige Verfügbarkeit kann nicht garantiert werden.

In enger Kooperation sollten Bibliotheken und Rechenzentren für diese wissenschaftlichen Texte, aber auch für die Erstellung z.B. von Dissertationen, ein Beratungsangebot machen und für den Nachweis in Suchmaschinen und Katalogen erschließen sowie dauerhaft im Netz auf speziellen Dokumentenservern archivieren und bereitstellen.

10. Eine zunehmend flächendeckende und in ihrer Leistungsfähigkeit stark ansteigende Vernetzung ermöglicht und erfordert auch eine verstärkte regionale und uuml;berregionale Zusammenarbeit der Infrastruktureinrichtungen.

Durch Absprachen und Arbeitsteilung zwischen den Hochschulen und ihren Infrastruktureinrichtungen kann das Dienstleistungsangebot weiter verbessert und im Sinne virtueller Bibliotheken, Rechenzentren und Medienzentren schwerpunktmäßig aufgeteilt werden. Die lokale Infrastruktureinrichtung übernimmt damit auch zunehmend Vermittlungsfunktionen für verteilt angebotene Dienstleistungen.

Über die Zusammenarbeit der Informationsinfrastruktureinrichtungen hinaus ist die gemeinsame Entwicklung z.B. von Standards, neuen Publikationsformen auch mit der Industrie, Verlagen, Computerherstellern usw. erforderlich. Hierfür wird ein loser Zusammenschluß in Form einer "Initiative für digitale Information" ähnlich der amerikanischen "Coalition for networked information" auch in Deutschland angestrebt.

Besondere Aufmerksamkeit sollte der Anregung im letzten Satz geschenkt werden, einen Zusammenschluß zu einer "Initiative für digitale Information" zu gründen. Es wären Mittel und Wege zu finden, einen kleinen hauptamtlich besetzten und hochqualifizierten Stab zu besetzen, der beobachtet und koordiniert, Lücken analysiert und Projekte zur Weiterentwicklung anstößt.

Diskussionsbeiträge erbeten an
Dr. Eilhard Cordes, UB Osnabrück, Postfach 4469, 49034 Osnabrück
Tel.: (05 41) 9 69 - 43 20, Fax: (05 41) 9 69 - 44 82.

E-Mail: Cordes@ub.uni-osnabrueck.de


Stand: 04.09.97
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