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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 11, 97

Infrastruktur im Wandel Herausforderungen für die Hochschulen und ihre Informations- und Kommunikationseinrichtungen


Symposium in Göttingen

Eilhard Cordes

In der Universität Göttingen trafen sich am 15./16. September 1997 rund 250 Interessierte aus Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Behörden, um die verschiedenen Aspekte zu diskutieren, die die Veränderungen der Informationslandschaft in den Hochschulen zur Folge haben. Angeregt hatte das Symposium eine gemeinsame Arbeitsgruppe der "Zentren für Kommunikation und Informationsverarbeitung (ZKI)" und des Deutschen Bibliotheksverbandes (DBV), Sektion IV wissenschaftliche Universitätsbibliotheken, die seit einigen Jahren gemeinsame Probleme und Projekte diskutieren und jetzt durch die 1995 veröffentlichten Empfehlungen "Neue Informationsstrukturen für Forschung und Lehre" der Deutschen Forschungsgemeinschaft einen wesentlichen Beitrag zu dieser Diskussion sah. Auch die Hochschulrektorenkonferenz hatte im Sommer 1996 eine Empfehlung "Moderne Informations- und Kommunikationstechnologien ("Neue Medien") in der Hochschule" veröffentlicht, in der besonders der Multimedia-Einsatz in der Lehre propagiert wurde. Sie konnte daher leicht als Mitveranstalter gewonnen werden.

Schließlich boten die Förderprogramme von Bund und Ländern, wie das Hochschulsonderprogramm III oder das "GLOBAL INFO" genug Anlaß, die Fragen des Einsatzes von moderner IuK-Technologie zu erörtern, besonders unter dem Aspekt, in den Hochschulen zu neuen Kooperationen und zu einer Bündelung der Ressourcen zu kommen.

Zu Vorträgen eingeladen waren Vertreter der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), des Deutschen Forschungsnetzes (DFN), der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), der Ministerien, der Hochschulrechenzentren, der audiovisuellen und hochschuldidaktischen Zentren, der Pressestellen sowie der Hochschulbibliotheken.

Die Veranstaltung wurde - testhalber - über Internet auch in das Rechenzentrum der Universität Karlsruhe übertragen, wo sich ein interessierter Zuhörerkreis an den Diskussionen beteiligen konnte.

Die meisten Vortragstexte sind unter http://webdoc.gwdg.de/ebook/aw/infostru/inhalt.htm abzurufen, eine Veröffentlichung als Tagungsband ist vorgesehen. Daher seien im folgenden nur einige wesentliche Gesichtspunkte zusammengefaßt.

Zu Beginn stellte Prof. Dr. R. Künzel (Osnabrück) , als Vizepräsident der HRK, die Stellungnahme des HRK-Plenums vom 8./9. Juli 1996 sowie die Ergebnisse einer anschließenden Fachtagung zum Einsatz der neuen Medien vor. Als Ergebnis wurde festgestellt, daß die neuen IuK-Medien im Bildungssystem eine Reihe von Aufgaben besser lösen lassen. Sie gewährleisten die rasche Verfügbarkeit umfassender Wissensbestände, die Telekooperation zwischen Lehrenden und Studierenden, die Entwicklung computergestützter Selbstlernumgebungen und damit die Entwicklung effizienter Lehr-Lern-Formen. Die Akzeptanz für den Einsatz neuer Medien hat sich infolge der rasanten Entwicklung von Hard- und Software sowie wegen des datentechnischen Ausbaus der Hochschule entscheidend erhöht, so daß neue Medien in vielen Fächern eingesetzt werden.

Als Entwicklungsprobleme sprach der Redner insbesondere die komplizierten Regelungen des internationalen Urheberrechts, den hohen Ressourceneinsatz bei Herstellung und Pflege, die geringe Standardisierung und administrative Hindernisse in den Hochschulen an.

Mittelfristiger Handlungsbedarf liegt u. a. bei der Verbesserung der Transparenz des Angebots, der Verstärkung der Dienstleistungen in den zuständigen zentralen Einrichtungen (Rechenzentren, Medienzentren, Bibliotheken) und Abbau von Diskrepanzen zwischen Expertenkultur und alltäglicher Lehrerfahrung. Neue Lehr-Lern-Medien sollten sich zunächst auf Grundlagenwissen und Standortmethoden konzentrieren, zudem Kooperation, aber auch Konkurrenz ermöglichen und schließlich sogar eine Vermarktung nicht ausschließen. Derzeit müßten realistische Konzepte zum Einsatz von Medien - so schloß der Redner - jedoch technisch machbar, finanzierbar und politisch durchsetzbar sein.

Prof. Dr. D. Maas (Kaiserslautern) begrüßte für den DFN-Verein die Zusammenarbeit von allen an IuK-Aktivitäten beteiligten Einrichtungen, in denen die Aufgabenfelder zusammenwachsen und für die die Hochschulen geeignete organisatorische Rahmenbedingungen schaffen müssen.

Die technischen Voraussetzungen, insbesondere der Ausbau von lokalen Netzen und nationalen Backbones, haben sich in den letzten Jahren entscheidend gewandelt, wobei die Wissenschaft führend an der Entwicklung beteiligt war. Jetzt ist jedoch die Akzeptanz in den Hochschulen zu verbessern. Dazu muß vor Ort eine technische Unterstützung sichergestellt werden und zwar durch eine permanent verfügbare IuK-Infrastruktur. Auch komplexere Anwendungsszenarien sollten eingesetzt werden, die weitere Wissenschaftsbereiche, besonders in den Geisteswissenschaften, in die IuK-Nutzung einbinden. Der DFN-Verein will dazu Projekte auf nationaler und europäischer Ebene anregen. Schließlich müssen die organisatorisch-rechtlichen Anforderungen geklärt und erfüllt werden, wie Schutz der Daten, Urheberrechtsfragen und Verantwortung für die gespeicherten Informationen. Mit einem deutlichen Appell an die Hochschulleitungen, sich der Regelung dieser Probleme nachdrücklich anzunehmen, schloß der Redner seine Ausführungen.

Dr. J. Bunzel (DFG Bonn) faßte Intention und derzeitigen Stand der Umsetzung der bekannten DFG-Empfehlungen "Neue Informations-Infrastrukturen für Forschung und Lehre" zusammen. Sie rufen zur Bildung eines Verbundkonzepts zum Aufbau neuer Strukturen auf, wobei Einzelaktivitäten produktiv verbindend zusammenzuführen sind. Maßnahmen müßten sein die Ausweitung fachlicher Aktivitäten, die Sicherung der erforderlichen Investitionen, die Koordinierung von Förderprogrammen und die Umsetzung der Projektergebnisse in der Hochschulpraxis. Dabei sollten sich die Aktivitäten - anders als in den USA und GB - auf die vorhandenen Selbstorganisationsstrukturen stützen.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat in den letzten Jahren Leitprojekte insbesondere beim BMBF angeregt und begleitend die Einbeziehung der wissenschaftlichen Bibliotheken und die Verbindung zur Grundlagenforschung gefördert.

Der neu eingerichtete Förderbereich "Verteilte Digitale Forschungsbibliothek" hat Einzelprogramme zur retrospektiven Digitalisierung, zur Verwaltung von elektronischen Publikationen und zur Modernisierung in wissenschaftlichen Bibliotheken aufgelegt. Inzwischen hat eine größere Anzahl entsprechender Projekte begonnen, die teilweise eng mit anderen Fördermaßnahmen (z. B. DBV/OSI oder der Bund-Länder-Initiative SUBITO) verzahnt sind. Von großem Interesse für die Hochschulen wird das Projekt "Dissertationen online" der IuK-Kooperative der Fachgesellschaften sein.

Das Förderprogramm "Verteilte Verarbeitung und Vermittlung digitaler Dokumente" ist bereits mit verschiedenen Referaten der DFG verzahnt. Diesen Kooperationen wird in der nächsten Zeit erhöhte Aufmerksamkeit gewidmet, sie sollten Beispiele für andere Institutionen bei der Projektplanung bieten.

Zum Abschluß wies der Redner auf die Notwendigkeit einer besseren Vermittlung der laufenden Aktivitäten hin. Die DFG trägt ein kleines WWW-Informationssystem "Digitale Bibliotheken" mit, das auf Dauer allerdings nicht von den Fördereinrichtungen, sondern von der Fach-Community selbst unterhalten und ausgefüllt werden muß.

Über den Stand des neuen Förderprogramms "GLOBAL INFO" der Bundesregierung informierte Dr. J. M. Czermak (BMBF Bonn). Gesamtziel des Vorhabens ist die Mitgestaltung eines grundsätzlichen Strukturwandels in der wissenschaftlichen und technischen Informationsstruktur. Es soll ein Beitrag zur Umsetzung des Programms der Bundesregierung "Information als Rohstoff für Innovation" geleistet werden.

Die Schwerpunkte betreffen verschiedene Aspekte u. a. aus den Bereichen multimediales Lernen, Strukturierung und Konvertierung von wissenschaftlichen Informationssystemen, formale Beschreibung und Nutzung von Daten sowie auch Wirtschaftlichkeitsmodelle.

Ausgeschrieben sind zunächst Vorprojekte, die Autoren, Verlage, Bibliotheken und Fachinformationseinrichtungen zu gemeinsamen Grundlagen führen sollen. Es liegen inzwischen dafür ca. achtzig Anträge vor, über die in Kürze entschieden wird. Das Förderkonzept insgesamt soll sechs Jahre lang dauern.

Im Rahmen des Themas "Hochschulen als Produzenten und Anbieter von Informationen" stellten Dr. A. Klugkist (UB Groningen) und F. Swiacny (Universität Mannheim) ihre Verfahrensweisen für elektronische Publikationen vor. Gespeichert werden Texte der Universität mit geregeltem Urheberrecht, wie Dissertationen, Tagungsberichte und Preprints. Festgelegt werden muß das Datenformat, das heute meist HTML ist, wobei Bibliotheken bzw. der Verlag MATEO nur begrenzt Hilfen und Konvertierungsleistungen anbieten können. Der Zugang zu den elektronischen Publikationen wird über den OPAC angeboten. Trotz aller Zurückhaltung bei den Hochschulangehörigen zeichnet sich eine wachsende Benutzung ab.

Die Nutzung von WWW-Informationen in der Pressearbeit einer Hochschule wertete S. Morgow (Humboldt-Universität zu Berlin) als erfolgversprechend und letztlich für die Journalisten als ideal. Daher muß auf die Verläßlichkeit und Aktualität der Nachrichten besonderer Wert gelegt werden. Bei der Vielzahl von Fachbereichen und Einrichtungen in einer großen Universität macht dies erhebliche Koordinations-, aber auch Motivationsaktivitäten notwendig, die jedoch letztlich den Aufwand lohnen.

Als Abschluß stellte Prof. Dr. P. Scherber (Gesellschaft für wissenschaftliche Datenverarbeitung Göttingen) die Probleme dar, die sich aus der Speicherung und Benutzbarkeit von Daten, Fakten und Software ableiten. Auch hier ist ein erheblicher Koordinationsbedarf festzustellen, damit die allgemeine Nutzung dieser Informationen an allen Stellen einer Hochschule möglich ist. Besondere Aufmerksamkeit ist der Sicherung solcher Daten und der Festlegung der Verantwortlichkeiten zu schenken.

Über den Einsatz von "Multimedia in der Hochschule" zeichneten zunächst G. Schlagerter (Fernuniversität Hagen) und R. Keil-Slawik (Universität Paderborn) die Konzepte einer virtuellen Universität auf. Im Fernstudium sind die Beteiligten an allen möglichen Informationen interessiert, wie Lehrprogramme, Literaturangebot, News, Forschungsergebnisse und administrative Hinweise. Diese sind möglichst unter einheitlichen Oberflächen zusammenzufassen. Lernförderliche Infrastrukturen müssen zunächst entwickelt werden, was nicht ohne erheblichen Zeit- und Mittelaufwand geschehen kann. Ziel ist es, einen elektronischen Seminarraum zu schaffen, in dem alle Lehraktivitäten durchgeführt werden können.

Über die technischen Probleme, aber auch psychologischen Schwierigkeiten der Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei einem virtuellen Musikseminar berichtete Prof. Dr. B. Enders (Universität Osnabrück). Der Redner wies darauf hin, daß erst durch verbesserte Kommunikationstechniken (einschl. Audio- und Videokonferenzen) die entschiedenen Vorteile, bes. bei gemeinsam zu bearbeitenden Dokumenten, eintreten würden.

Neue digitale Möglichkeiten eines Lehrprogramms in der Physik führte schließlich Dr. H. Schecker (Universität Bremen) vor. Die Demonstration von physikalischen Vorgängen oder die Veränderungen von Kurven durch Modifikationen der Ausgangsdaten lassen sich durch entsprechend erstellte Programme anschaulich darstellen.

Der zweite Tag des Symposiums erläuterte zunächst die bestehenden Kooperationen im Bibliothekswesen. D. Law (King's College London) wies auf die einheitlich geplante Verfahrensweise im Umgang mit elektronischen Publikationen in Großbritannien hin. R. Diedrichs (Bibliotheksrechenzentrum Niedersachsen, Göttingen), stellte den gemeinsamen Verbund der Bibliotheken in sieben Bundesländern (GBV) als Muster für verteilte Datenbereitstellung und -nutzung sowie das im PICA-Verbund laufende WEBDOC-Projekt vor.

Das Bielefelder Beispiel, erläutert von Dr. K. F. Summan, zeigte fast mustergültig die Zusammenfassung aller bibliotheksrelevanten Angebote an Informationen auf.

Die Reaktion der Fachgesellschaften, insbesondere der Deutschen Mathematiker-Vereinigung, auf das wachsende wissenschaftliche Informationsangebot, aber auch auf die ständigen Preiserhöhungen von gedruckter Literatur, verdeutlichte Prof. Dr. M. Grötschel (Konrad-Zuse-Zentrum für Informations-technik, Berlin). Die Wissenschaftler haben vor, das Veröffentlichungswesen vermehrt selbst in die Hand zu nehmen, und deshalb eine Reihe Projekte begonnen, um elektronische Publikationen und ihre Erschließung auf eine neue Basis zu stellen. Die Zusammenarbeit mit Bibliotheken, aber auch mit Verlagen wird angestrebt und bereits praktiziert.

Beim Themenbereich "Kooperationsmodelle zur Realisierung neuer Informationsinfrastrukturen" hat sich insbesondere das sog. "Freiburger Modell", das Dr. H.G. Schirdewahn (HRZ Freiburg) erläuterte, als effektiv und wegweisend erwiesen. Alle Aktivitäten der Universität auf dem Gebiet der Informationsbereitstellung sind in das "Info-Base"-Konzept integriert. Dabei ist das Rechenzentrum im wesentlichen für Konzeption, Realisierung und Betrieb des Netzes, für die Updates der CD-ROM-Datenbanken sowie für den Zugang zu externen Anbietern zuständig. Die UB stimmt den Bedarf (und die Finanzierung) der Datenbanken ab, führt die Lizenzverhandlungen und sorgt für Schulung und Unterstützung der Datenbankbenutzer. Der Zugang zum Informationsangebot ist im Universitätsnetz kostenlos, wobei die - auch verwaltungssparende - zentrale Finanzierung noch sichergestellt ist. Ressource- und Personaleinsatz werden als außerordentlich effektiv eingeschätzt, so daß der Landesrechnungshof sogar eine landesweite Erweiterung empfohlen hat.

M. Büren (UB Dortmund) berichtete von Vorhaben in der Universität Dortmund, die seit dem selbstentwickelten System DOBIS immer von einer Kooperation zwischen Bibliothek und Rechenzentrum getragen seien. Die Leistungen des Hochschulbibliothekszentrum Köln im bibliothekarischen Bereich ließen sich jedoch in den letzten Jahren vermehrt nutzen, so daß die Integration vor Ort erschwert wurde. Die Planungen richten sich jetzt verstärkt auf die Regelung der elektronischen Informationsdienste.

In der Universität Oldenburg hat sich das Integrationsbemühen, wie H.-J. Wätjen (BIS Oldenburg) ausführte, mehr auf AV-Medien und Publizieren gerichtet. Für beide Bereiche bietet die Bibliothek selbst, mit eigenem Personal und umfangreicher Ausstattung, Hilfe und Dienste für alle Universitätsangehörigen an. Die Arbeiten mit konventionellen Methoden sollen auch auf elektronische Publikationen erweitert werden.

Vor der Abschlußdiskussion stellte Dr. K. Anderbrügge (Kanzler der Universität Münster) ein umfängliches Planungskonzept zur Organisation des IuK-Bereichs seiner Universität vor. Die verschiedenen Aufgabenbereiche werden jeweils bestimmten Einrichtungen zugewiesen, die Koordinierungskompetenz liegt beim Rektorat.

Podium und Plenum diskutierten anschließend verschiedene Teilaspekte, wie Kompetenz der einzelnen Einrichtungen, auch gegenüber regionalen Verbünden, wie die Qualifikation und Weiterbildung des Personals oder wie die Überführung von Projekten in eine dauerhafte Leistung der Universitätseinrichtungen, besonders in finanzieller Hinsicht.

Abschließend wurde noch einmal auf die zehn Thesen zur "Informationsinfrastruktur im Wandel" hingewiesen, für die um Stellungnahmen und weitere Anregungen gebeten wurde (s. u.).

Mit einem Dank an die Veranstalter, Herrn Prof. Mittler mit seinen Mitarbeitern, und das gastgebende Institut für die Bereitstellung der landschaftlich reizvoll gelegenen Räumlichkeiten schloß das thematisch interessante Symposium.

Die Durchführung des umfangreichen Programms wurde dankenswerterweise durch eine finanzielle Förderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft ermöglicht.


Stand: 12.11.97
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