BIBLIOTHEKSDIENST Heft 11, 97
1000 Zeitschriften im Volltext elektronisch verfügbar
NRW-Bibliotheken und Elsevier: ein Konsortialvertrag
Elisabeth Niggemann, Werner Reinhardt
Die Universitätsbibliotheken Bielefeld, Düsseldorf, Duisburg, Essen, Hagen, Münster, Siegen und Wuppertal haben eine Vereinbarung mit einer der größten und wichtigsten Verlagsgruppen, Elsevier Science BV, zur Nutzung elektronischer Zeitschriften getroffen. In einem Projekt, das in dieser Art einmalig in Deutschland und darüber hinaus in Europa ist, werden mehr als 1000 Titel noch in 1997 ab dem Erscheinungsjahr 1995 online angeboten werden. Entsprechend dem Profil der Verlagsgruppe liegt der Schwerpunkt im Bereich der STM-Zeitschriften (Science, Technology, Medicine).
Die wesentlichen Punkte des Vertrages, der in langen Verhandlungen erarbeitet wurde, sind:
- Bisher waren in gedruckter Form in den Konsortialbibliotheken jeweils nur zwischen 110 und 280 Titel vorhanden, insgesamt ca. 600 unterschiedliche Titel in ca. 1.600 Abonnements. Jetzt kann auf über tausend Titel von allen Standorten aus zugegriffen werden.
- Die Bibliotheken mußten sich verpflichten, die Abnahme der Print-Abonnements für die Projektlaufzeit, d.h. bis zum Abonnementsjahr 1999 zu garantieren. Dieser Punkt gilt nicht für Münster, das einzige zweischichtige Bibliothekssystem im Konsortium. Hier wurde erreicht, daß die Bestandsgarantie im wesentlichen nur für Bestände der Universitäts- und Landesbibliothek Münster sowie Zeitschriften der Fächer gilt, für die im NRW-Zeitschriftenschwerpunktsystem ein Sammelauftrag besteht. Darüber hinaus sind Abbestellungen von Print-Abonnements - wenn auch nur in geringem Maße - während der Laufzeit des Vertrages für alle Konsortialbibliotheken möglich.
- Alle Angehörigen der beteiligten Hochschulen haben unbegrenzten Zugriff auf die Daten, von jedem Arbeitsplatz in der Hochschule, aber auch vom häuslichen Schreibtisch aus.
- Alle nicht der Hochschule angehörenden Benutzer der Bibliotheken ("Walk-in-Users") können in der Bibliothek ebenfalls auf die Daten zugreifen.
- Die Daten können nicht nur im Rahmen einer Lizenz genutzt werden, sie werden gekauft und verbleiben nach Ablauf der Vertragszeit im Eigentum des Konsortiums. Die Kosten hierfür sind nicht unerheblich, andererseits ist der Preisanstieg für gedruckte und elektronische Ausgaben zusammen während der Vertragslaufzeit festgeschrieben.
- Die Daten werden auf eigenen Servern des Konsortiums (im Hochschulbibliothekszentrum NRW, Köln, und der Universitätsbibliothek Bielefeld) gespeichert und vorgehalten. Kosten für die erforderliche Hard- und Software sind vom Konsortium zu tragen.
- Bis Ende 1998 werden mindestens 750 Titel im PDF-Format angeboten. Sollte der Verlag dieses Ziel nicht erreichen, sind Preisabschläge vereinbart.
- Die vom Verlag gelieferten Meta-Daten einschließlich der Abstracts können für lokal- und/oder konsortialspezifische Datenbanken bearbeitet werden.
- In einer ersten Projektphase können die Daten für die (elektronische) Fernleihe verwendet werden.
Was bewegt die Bibliotheken, in dieses Pilotprojekt, dem weitere mit anderen Verlagen folgen sollen, Arbeit, Geld und Zeit zu investieren? Die Hauptgründe sind:
- Es ist für die Benutzer wesentlich komfortabler, vom eigenen Arbeitsplatz aus direkt auf Texte zugreifen zu können, als sie aus der eigenen oder einer mehr oder weniger weit entfernten Bibliothek beschaffen zu lassen. Komfort bedeutet hier Erleichterung bei der wissenschaftlichen Arbeit und damit eine Verbesserung der Arbeitsqualität. Bibliotheken müssen auf diesem Gebiet ihr Angebot erweitern. Der Aufwand für Fernleihbestellungen, den Bibliotheken jetzt treiben müssen, vermindert sich entsprechend.
- Nicht nur bezüglich der Preisgestaltung für elektronische Angebote befinden sich die Verleger momentan in einer Experimentierphase. Auch Datenformate, Zugriffsmöglichkeiten und Erschließungsformen werden entwickelt und können beeinflußt werden. Einflußnahme aber ist am ehesten durch konstruktive Kritik als Nutzer und Vertragspartner möglich.
- Über die Zukunft der gedruckten Zeitschriften sind derzeit keine genauen Aussagen möglich. Das parallele Angebot in einer Projektumgebung läßt aber Analysen und damit Aussagen über Vorlieben und Abneigungen der Benutzer zu. Die Ergebnisse von Untersuchungen über Akzeptanz und Zufriedenheit können vielleicht in einigen Jahren den Übergang auf eine rein elektronische Veröffentlichungsform erleichtern.
- Ein Übergang auf elektronische Zeitschriften ist aus Bibliothekssicht vor allem dann interessant, wenn angesichts der Etatsituation einerseits und der Preisentwicklung für wissenschaftliche Zeitschriften andererseits ein alternatives Finanzierungsmodell entwickelt werden könnte: weg von jährlichen (Abonnements-)Verpflichtungen hin zu Zugriffskontingenten zumindest für selten genutzte Literatur. Wesentlich ist hier, die Kosten einer lokalen Datenhaltung mit den Kosten bei externem Zugriff vergleichen zu können; auch dies läßt sich im Rahmen des Projektes untersuchen.
- Die Bibliotheken wissen zu wenig über die Nutzung ihrer in frei zugänglichen Regalen aufgestellten Zeitschriften. Nutzungshäufigkeiten elektronischer Zeitschriften können leichter erfaßt werden, dies gibt den Konsortialbibliotheken die Möglichkeit, ihren eigenen Bestandsaufbau einer Überprüfung zu unterziehen. Werden in der Projektzeit auch Nutzungsuntersuchungen der Printversion durchgeführt, sind Vergleiche und Preis-Leistungsanalysen möglich.
- Auch Fernleihe und Dokumentlieferungen sind nicht kostenlos. Das Projekt ermöglicht ein Abwägen der Kosten für die verschiedenen Zugriffsarten auf Literatur und Information.
- In Zeiten von Globalhaushalten und leistungsbezogener Mittelverteilung der Hochschulen ist es für die Bibliotheken überlebenswichtig geworden, ihren Nutzern die Dienste anzubieten, die sie brauchen, in Anspruch nehmen und für sich persönlich als nützlich einstufen. Das Projekt dient der Profilbildung der Bibliotheken in ihren Hochschulen und damit der Profilbildung der Hochschulen selbst.
- Elektronische Dienstleistungen wie OPAC, Ausleihe, Erwerbung, bibliographische CD-ROM-Datenbanken, Internet-Angebote, Volltexte für Seminare und Vorlesungen, elektronische Zeitschriften oder Wörterbücher, Multimedia-Anwendungen und Dokumentliefersysteme sollten den Benutzern miteinander verknüpft unter einer einheitlichen Oberfläche angeboten werden. Aufgrund der historischen Entwicklung ist dies bisher nur teilweise und selten der Fall. Benutzer müssen immer noch ein System verlassen, das nächste aufsuchen und dort dieselbe oder eine weiterführende Frage stellen. Dasselbe gilt für die Verknüpfung zwischen lokalen Systemen und den externen Datenbanken der Hosts. Damit alle Bestände der Bibliotheken, unabhängig von der Art des Mediums, in einem Gesamtkatalog nachgewiesen werden, über Netze abgefragt und je nach Art der Information bestellt oder direkt abgerufen werden können, beabsichtigen die Konsortialbibliotheken und das HBZ die in der Universitätsbibliothek Bielefeld bereits weit vorangebrachten Lösungen gemeinsam fortzuentwickeln.
Ohne die Unterstützung und die Bereitstellung von Fördermitteln durch das Ministerium für Wissenschaft und Forschung des Landes NRW wäre das Gesamtprojekt nicht möglich gewesen.
Stand: 12.11.97