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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 7, 97

Internet- und Fernleihbenutzung

Auszug aus einer Benutzerbefragung an der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen

Andrea Friedrichsmeier, Axel Halle, Jörn Sauer

1. Einleitung

Zunehmend erkennen wissenschaftliche und Öffentliche Bibliotheken, daß die empirische Sozialforschung nützliche Methoden bietet, um Zufriedenheit, Wünsche, Probleme, Nutzungsgewohnheiten u. ä. der Benutzerinnen und Benutzer zu ermitteln. Nach der großen Welle der Benutzerforschung in den siebziger Jahren stehen die Umfragen der jüngeren Zeit wohl zumeist im Kontext der verstärkten Nutzerorientierung, teilweise sind Ansätze des Qualitätsmanagements erkennbar. Ziel ist dabei vorwiegend, die Untersuchungsergebnisse als Grundlage für verstärkte Kundenorientierung zu nutzen. In diesem Kontext stehen auch zwei Umfragen, die Studierende im Studiengang Bibliothekswesen am Fachbereich Informations- und Kommunikationswesen (IK) der Fachhochschule Hannover im Dezember 1995 und März 1997 im Neubau der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (SUB) durchgeführt haben1).

In der ersten Untersuchung werden folgende Themenkomplexe behandelt:

Bei der Nachfolgeuntersuchung wurden diese Themenkomplexe größtenteils übernommen und teilweise modifiziert. Wegen des aktuell sehr großen Interesses am Internet und der Änderungen im Bereich der Fernleihe wurde der Fragebogen um Fragen zu diesen Themen erweitert.

Die Auswertung der jeweils 600 Fragebögen bringt eine Fülle interessanter Details zu Tage. Neben vielen lokalen Besonderheiten zeigt die Untersuchung einige Ergebnisse, die von überregionalem Interesse sein dürften. Wir wollen uns diesbezüglich im folgenden den beiden Aspekten Nutzung des Internets und der Fernleihe widmen.

2. Internet

Die SUB Göttingen hat im Mai 1995 als eine der ersten großen wissenschaftlichen Universitätsbibliotheken der Bundesrepublik mehrere öffentlich zugängliche Internet-Arbeitsplätze eingerichtet. Damals fand diese neue Dienstleistung regional und im Rahmen des Göttinger Bibliothekartages große Aufmerksamkeit. Der Nutzerzuspruch ist seither ungebremst. Nur mit Voranmeldung und Begrenzung der Verweildauer an den Internet-PCs auf eine Stunde kann die Bibliothek bis heute das rege Interesse steuern. Allerdings gab es in der Anfangszeit dadurch überregional negative Schlagzeilen, weil der Dienst gezielt durch falsche E-Mails, die von den Internet-PCs verschickt wurden, von interessierter Seite außerhalb der Universität sabotiert wurde. Daher wurde rasch die E-Mail-Funktion unterbunden. Abgesehen von dieser Einschränkung steht die volle Funktionalität zur Verfügung. Voraussetzungen sind lediglich ein gültiger Nutzerausweis sowie die Anerkennung spezieller Nutzungsbestimmungen.

2.1 Nutzung

Mehr als die Hälfte der Befragten (56,2 %) hat schon einmal das Internet genutzt. Von den Studierenden der Fachbereiche Wirtschafts- und Sozialwissenschaften haben etwas mehr als zwei Drittel schon einmal das Internet genutzt. Besonders intensiv nutzen dieses Studierende der Volks- und Betriebswirtschaftslehre.


Abb. 1: Möglichkeit der Internet-Benutzung 2)

Ungefähr ein Drittel der Befragten benutzt das Internet in der Bibliothek. Es folgt mit jeweils ungefähr einem Viertel die Internet-Benutzung von zu Hause aus bzw. über die CIP-Pools.

Die Studierenden der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften benutzen das Internet häufiger von zu Hause und auch häufiger über die CIP-Pools als Studierende der historisch-philologischen Fachbereiche.

Die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler benutzten das Internet überdurchschnittlich häufig in der Bibliothek, die Naturwissenschaftler dagegen nutzen diese Möglichkeit sehr viel seltener.

Die Internet-Benutzerschaft in der SUB setzt sich zu 89,4 % aus Studierenden und zu 10,6 % aus anderen Nutzern zusammen. Dieses entspricht etwa der Auswertung der demographischen Fragen des Fragebogens (86,3 % Studenten).


Abb. 2: Vergleich zwischen den studentischen Internet-Benutzern in der SUB und allen ordentlichen Studenten der Georg-August-Universität Göttingen3)

Abbildung 2 verdeutlicht, daß die Verteilung der studentischen Internet-Benutzer nicht die Verteilung aller Studierenden widerspiegelt. Die demographische Struktur der Internet-Benutzer bis zum fünften Semester entspricht der der Georg-August-Universität Göttingen. Nimmt man die Studierenden des sechsten bis einschließlich des zwölften Semesters, die das Internet in der Bibliothek benutzen (53,2 %), und vergleicht dieses mit den eingeschriebenen Studenten desselben Zeitraums (35,4 %), so wird deutlich, daß die Internet-Benutzer im Hauptstudium und während ihrer Abschlußarbeiten verstärkt auf das Internet zugreifen. Ältere Semester (21,1 %) sind gegenüber den eingeschriebenen Studenten (36,8 %) deutlich unterrepräsentiert.

Die Nutzungsintensität wird durch die folgende Graphik veranschaulicht:


Abb. 3: Häufigkeit der Internet-Benutzung in der Bibliothek4)

Das Nutzungsangebot des Internets durch wissenschaftliche und Öffentliche Bibliotheken geht von der festen Überzeugung der Bibliothekarinnen und Bibliothekare aus, daß mit dem Internet eine wichtige neue Informationsressource entstanden ist. Während in der öffentlichen Berichterstattung immer wieder der Aspekt des mehr oder weniger beliebigen Surfens in den Mittelpunkt gerückt wird, bieten Bibliotheken diese Dienstleistung als Ergänzung zu den bekannten Informationsquellen an. Die empirische Frage ist also, ob Benutzerinnen und Benutzer eher zielgerichtet oder im Sinne eines Browsing die neue Technik des Internets nutzen. Die Göttinger Antworten einer Benutzerschaft, die zu 86,3 % aus Studierenden besteht und im Durchschnitt etwa Mitte zwanzig ist, zeigen folgendes Bild:


Abb. 4: Zweck der Internet-Benutzung in der Bibliothek 4)

Etwas weniger als ein Drittel der Befragten recherchiert in Literaturdatenbanken. Gemeinsam mit den Fachdatenbanken (14 %) ergibt das einen Prozentsatz von 43,2 %. Demgegenüber tritt das Surfen mit 23,8 % deutlich in den Hintergrund. Besonders interessant ist darüber hinaus, daß 13,8 % antworten, sie würden elektronische Zeitschriften im Internet nutzen. Fernleihbestellungen geben 7,6 % als Zweck der Internet-Nutzung an, Kopieren von Software für den eigenen Bedarf lediglich 6,6 %. Die Ergebnisse belegen eindeutig, daß mehr als drei Viertel der Benutzerinnen und Benutzer im engeren Sinne bibliotheksspezifische Nutzungsabsichten verfolgen und das Internet mit sehr klar umrissenem Ziel benutzen.

Dies wird auch hinsichtlich des Zugriffs auf die Homepage deutlich.

2.2 Zugriff auf die Homepage der SUB5)

Etwas mehr als die Hälfte der Befragten (57,2 %) hat schon einmal auf die Homepage zugegriffen. Da diejenigen, die das Internet in der Bibliothek benutzen, ihre Recherchen sowieso über die Homepage der SUB beginnen, ist es verständlich, daß eine so große Anzahl von Befragten die Homepage kennt.


Abb. 5: Zugriff auf die Homepage-Angebote der SUB

Die meisten der Befragten haben von allen Angeboten schon einmal den Online-Katalog (OPAC) und die Neuerwerbungslisten der SUB genutzt. An zweiter Stelle kommt die Nutzung von Katalogen anderer Bibliotheken.

Die Benutzerinnen und Benutzer sind also zu mehr als zwei Dritteln an der Suche nach Literatur entweder in der SUB oder in anderen Bibliotheken interessiert.

Dokumentlieferdienste spielten zum Zeitpunkt der Befragung mit 3 % eine untergeordnete Rolle. Dieser geringe Prozentsatz ist dadurch zu erklären, daß die Online-Fernleihe des Gemeinsamen Bibliotheksverbundes (GBV) sowohl über das Internet als auch über die Benutzerarbeitsplätze in der Bibliothek angeboten wird. Es ist daher verständlich, daß die Befragten eher über die angebotenen Benutzerarbeitsplätze die Online-Fernleihe nutzen als über das Internet.

3. Fernleihe

Im April 1996 wurden in Niedersachsen Fernleihbestellungen gebührenpflichtig. Seither ist für jede Fernleihbestellung eine Gebühr von 2,- DM plus Benachrichtigungsentgelt zu zahlen. Die Fernleihgebühr hat sowohl auf der Ebene des niedersächsischen überregionalen Leihverkehrs als auch der nehmenden Fernleihe der SUB Göttingen zu erheblich rückläufigen Zahlen geführt. Lagen beispielsweise die Monatszahlen des niedersächsischen überregionalen Leihverkehrs von Januar bis April 1996 im Durchschnitt bei ca. 11.000 Bestellungen, so lag der Durchschnitt der Folgemonate bis zum Jahresende bei ca. 4.750 Bestellungen. In der Jahresstatistik der nehmenden Fernleihe der SUB Göttingen drückt sich dies wie folgt aus:

19951996
Passive Fernleihen71.55544.944
Positive Erledigungen53.90640.803
Anteil der positiven Erledigungen75,3 %90,8 %

Tab. 1: Auszug aus der Fernleihstatistik der SUB Göttingen

3.1 Nutzung

Gut die Hälfte der Befragten hat bereits einmal eine Fernleihbestellung aufgegeben. Davon haben sich etwa zwei Drittel der Personen beraten lassen.


Abb. 6: Aufgabe einer Fernleihbestellung

Die Auswertung der Fächerstruktur ergibt, daß der Anteil der "Buchwissenschaften" (Fachbereich Historisch-Philologische Wissenschaften) mit 67,6 % eindeutig der höchste ist, unter ihnen überwiegt deutlich das Fach Geschichte. In den naturwissenschaftlichen sowie den wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Fachbereichen kann keine wesentliche Abweichung von der erwarteten prozentualen Verteilung festgestellt werden. Die Juristen geben mit 20,2 % die wenigsten Fernleihbestellungen auf.

Die Auswertung hinsichtlich Fernleihbestellung und Semesterzahl ergibt, daß von den Studierenden in den ersten fünf Semestern 17,5 % bereits eine Fernleihbestellung aufgegeben haben, bei den Studierenden ab dem zwölften Semester liegt der Anteil bei 76,6 %. Daraus ergibt sich, daß die Nutzung der Fernleihe mit steigender Semesterzahl zunimmt.

3.2 Aufgabe von Bestellungen nach Einführung der Gebühren


Abb. 7: Aufgabe von Fernleihbestellungen nach Einführung der Gebühren 6)

Seit Einführung der Gebühren für Fernleihen im April 1996 hat mehr als ein Drittel der Befragten die Anzahl der Bestellungen reduziert, während aber über die Hälfte der Befragten angibt, etwa gleich viele Bestellungen wie zuvor aufgegeben zu haben.

Der zu erwartende Einbruch bei der Zahl der Fernleihbestellungen nach Einführung der Gebühren wird in der Befragung teilweise bestätigt.

Interessant ist aber, daß die Zurückhaltung hinsichtlich der Aufgabe von Fernleihbestellungen wohl schwerpunktmäßig darauf hinausläuft, daß bibliographisch zweifelhafte und schwer zu realisierende Fernleihbestellungen im Zweifel nicht aufgegeben werden. Die Zahl der positiv erledigten Fernleihbestellungen ist nämlich sprunghaft gestiegen, wie die Zahl der aufgegebenen Fernleihbestellungen stark rückläufig ist.

3.3 Bekanntheit und Nutzung

Seit Oktober 1996 ist es für die Benutzerinnen und Benutzer der SUB möglich, Online-Fernleihbestellungen für den Bestand des Gemeinsamen Bibliotheksverbundes (GBV) aufzugeben. Über entsprechend gekennzeichnete PCs in der Bibliothek oder über das Internet können die Benutzerinnen und Benutzer selbständig Recherchen im Online-Fernleihsystem und im Online Contents vornehmen und die gewünschte Literatur bestellen. Die Gebühr von 2,- DM pro Bestellung wird dabei von den individuellen Fernleihkonten abgebucht.


Abb. 8: Bekanntheit und Nutzung von Fernleihbestellungen 6)

Von den Möglichkeiten der Fernleihbestellungen ist die konventionelle Bestellung über den Roten Leihschein offenbar von der Bekanntheit und von der Nutzung her weiter verbreitet als die Online-Bestellungen und die kostenpflichtigen Schnellieferdienste.

Dafür, daß die Einführung der Online-Bestellungen bei der Befragung erst fünf Monate zurückliegt, sind diese doch schon recht bekannt.

Von allen Befragten, die die Möglichkeit der Online-Bestellung kennen, geben zwei Drittel (66,4 %) an, mehr online zu bestellen als mit dem Roten Leihschein. Dieser Trend wird sicherlich anhalten, und die neuen Möglichkeiten werden weiter an Popularität gewinnen.

3.4 Schnellerer Zugriff

Die Frage, ob sie eine höhere Gebühr für beschleunigte Fernleihbestellungen zahlen würden, bejahen fast zwei Drittel (62,8 %) der Befragten.

Die Befragten hatten die Möglichkeit vorzuschlagen, wieviel sie für Fernleihbestellungen innerhalb der vorgegebenen Lieferzeiten bezahlen würden:

PreisLieferzeit von
48 Stunden1 Woche2 Wochen
DMabs.abs.abs.
1,--79
2,-51338
3,-84251
4,-184019
5,-839341
6,-1191
7,-97-
8,-185-
10,-63174
12,-3--
15,-811
20,-31-
30,-2--
gesamt231235164
Mittelwert7,44,83,5

Tab. 2: Gebührenvorschläge für bestimmte Lieferzeiten

Die Vorschläge der Befragten für eine Lieferzeit von bis zu 48 Stunden reichen von 2,- DM bis zu 30,- DM. Im Durchschnitt würden sie eine Gebühr von 7,40 DM bezahlen.

Die Spannweite des Betrages, den die Befragten für eine Lieferzeit von bis zu einer Woche zahlen würden, liegt zwischen 1,- DM und 20,- DM, durchschnittlich würden sie 4,80 DM bezahlen.

Für eine Lieferzeit von bis zu zwei Wochen werden Vorschläge zwischen 1,- DM und 15,- DM gemacht, der Durchschnitt liegt hier bei 3,50 DM.

Im Rahmen der Online-Bestellung in der Verbundregion wird aber häufig auch schon eine Lieferzeit von sieben bis 14 Tagen erreicht.

Etwa 80 % der Befragten würden für einen schnelleren Zugriff auf die benötigte Literatur, die in der SUB nicht vorhanden ist, eine andere Bibliothek aufsuchen. Bestimmte Distanzen wurden hier nicht berücksichtigt, die Wege sollten als 'zumutbar' gelten.

Die Ergebnisse zeigen, daß die schnelle Verfügbarkeit von Literatur offenbar für die Benutzerinnen und Benutzer der SUB einen sehr hohen Stellenwert hat.

1) Untersuchung 1:
Schmidt-Vogt, Katharina: Benutzerbefragung als Instrument der Qualitätskontrolle für wissenschaftliche Bibliotheken : eine empirische Erhebung der Benutzungssituation in der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen ; Untersuchung 1 ; Diplomarbeit im Studiengang Bibliothekswesen an der Fachhochschule Hannover / vorgelegt von Katharina Schmidt-Vogt und Kerstin Schröder. - Hannover, 1997
Untersuchung 2:
Friedrichsmeier, Andrea: Benutzerbefragung als Instrument der Qualitätskontrolle für wissenschaftliche Bibliotheken : eine empirische Erhebung der Benutzungssituation in der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen ; Untersuchung 2 ; Diplomarbeit im Studiengang Bibliothekswesen an der Fachhochschule Hannover / vorgelegt von Andrea Friedrichsmeier und Jörn Sauer. - Hannover, 1997
Kurzzusammenfassung:
Benutzerbefragung als Instrument der Qualitätskontrolle für wissenschaftliche Bibliotheken : empirische Erhebungen der Benutzungssituation in der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen ; Kurzzusammenfassung für den 'eiligen Leser' der Diplomarbeiten im Studiengang Bibliothekswesen an der Fachhochschule Hannover / von Andrea Friedrichsmeier ... - Hannover, 1997

2) Diese Frage sollten nur diejenigen beantworten, die schon einmal das Internet genutzt haben.

3) Studentenstatistik der Universität Göttingen : Wintersemester 1996/97 ; Stand 01.02.1997 / erstellt von der Stabsstelle DV der Zentralverwaltung der Georg-August-Universität Göttingen

4) Diese Frage sollten nur diejenigen beantworten, die das Internet in der Bibliothek benutzen.

5) URL: http://www.GWDG.DE/~sub/start.htm

6) Diese Frage sollten nur diejenigen beantworten, die bereits Fernleihbestellungen aufgegeben haben.


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