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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 5, 97

Die Magistra / der Magister für Informationsberufe in Österreich


Claudia Chmielus

Die Uhr tickt... ! In den nächsten Wochen (Stand: Ende März 1997) wird der österreichische Fachhochschulrat über die Realisierung des geplanten "Studiengangs für lnformationsberufe" entscheiden. Befürwortet er ihn, - und die Hoffnung scheint berechtigt - soll an der Fachhochschule Eisenstadt der Studienbetrieb bereits zum WS 1997/98 aufgenommen werden.

Um den beantragten Studiengang erstmals der Berufsöffentlichkeit vorzustellen, lud am 24.1.97 die Vereinigung Österreichischer Bibliothekarinnen und Bibliothekare nach Wien ein - das "Oratorium" der Österreichischen Nationalbibliothek bot einen würdigen Rahmen. Vortragende aus dem Entwicklungsteam des Studiengangs erläuterten Hintergründe, präsentierten den Studienplan und die damit verknüpften Vorstellungen. Eine Round-Table-Diskussion mit Vertreterlnnen der Berufsverbände und des Bibliotheks-, Dokumentations-, Informations- und Archivwesens bildete den Abschluß der Veranstaltung.

Vorgeschichte

Anfang der 90er Jahre begann die Entwicklung eines Studiengangs, der alle lnformationsberufe unter dem Dach einer Fachhochschule zusammenführen sollte. Mit dem Fachhochschulgesetz von 1993 hatte die österreichische Bundesregierung die nötige Voraussetzung für die Realisierung geschaffen. Ziel war es, eine praxis- und berufsbildorientierte Alternative zum Universitätsstudium mit dualer Durchlässigkeit zu etablieren - also Durchlässigkeit nach "unten" (auch Berufspraktikerlnnen ohne Abitur, beispielsweise aus dem mittleren Bibliotheksdienst oder aus dem Buchhandel, können Zugang zum Fachhochschulstudium erhalten) und nach "oben" (Gewährleistung des Promotionsrechts).

Gleichzeitig strebte man im Hinblick auf den Beitritt zur EU die Harmonisierung des österreichischen Bildungssystems mit dem europäischen an. Ganz bewußt wählte man die möglichen Standorte der Fachhochschulen so, daß bereits durch Universitätsstandorte entstandene regionale Disparitäten ausgeglichen würden. Das Burgenland, zudem Förderungsgebiet der EU, bot sich daher in zweifacher Hinsicht als Standort an.

Anders als in Deutschland ist in Österreich der Träger einer Fachhochschule ein Verein. Der "Verein zur Errichtung, Führung und Erhaltung von Fachhochschul-Studiengängen im Burgenland" führt bereits zwei Studiengänge. Anfang des Jahres 1997 hat er nun zwei weitere beim obengenannten Fachhochschulrat beantragt, einer davon betrifft Bibliothekare (ÖB und WB), Dokumentare und Archivare gleichermaßen: der "Studiengang lnformationsberufe", der im Falle der Genehmigung 60 Studierende pro Jahr aufnehmen soll - das ist die Hälfte der Zahl, die vom Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft mittels Bedarfs- und Akzeptanzanalyse errechnet wurde.

Berufsbild und Berufsfeld

Mit der Entwicklung des Studiengangs und des Berufsbildes beauftragte der Verein Berufspraktikerlnnen aus den Bereichen Bibliothek, Archiv, Dokumentation und Wirtschaftsinformatik. Im Entwicklungsteam bzw. im Expertenbeirat war es ihre Aufgabe, Gemeinsamkeiten und Unterschiede der verschiedenen lnformationsberufe herauszuarbeiten, aber auch Unterschiede, die auf Grund ihrer Wichtigkeit dennoch verbindlich im gemeinsamen Grundstudium angeboten werden sollten. In einer Zeit wachsender Stellenknappheit ist es eine Hauptaufgabe der Ausbildungsinstitute, ihr Studienangebot auf eine Erweiterung von Berufsbild und Arbeitsfeld hin zu orientieren. Dem Berufsbild bzw. -feld sollen daher künftig folgende Bereiche zu Grunde liegen:

Aufbau und Struktur des Studiums

Das Studium gliedert sich in Grund- und Hauptstudium von jeweils 4 Semestern Dauer. Im Verlauf des gemeinsamen integrierten Grundstudiums absolvieren die Studierenden ein Praktikum von vier Wochen. Am Ende des 4. Semesters wählen sie für das 5. und 6. Semester eine Vertiefung aus den Bereichen lnformations- und Dokumentationswesen, öffentliches bzw. wissenschaftliches Bibliothekswesen oder Archivwesen. Im 6. Semester kommt ein gewähltes Nebenfach hinzu. Auf den Vertiefungsfächern aufbauend findet im 7. Semester das Praktikum statt, im 8. Semester folgen Diplomarbeit und Diplomprüfung.

Einen wichtigen Bestandteil des Studiums bilden Anwendungsprojekte, die - und das ist neu - von den Studierenden während des Studiums einem Gremium aus Berufspraktikern präsentiert werden sollen. Der Effekt ist ein zweifacher: Die Studierenden lernen nicht nur, die theoretisch erworbenen Kommunikations-, Präsentations- und Moderationstechniken anzuwenden, auch das Fachpublikum profitiert durch die Präsentation aktuellster Ergebnisse genau umrissener Themen aus dem lnformationsbereich.

Inhalte des Studiums

Hier wird unterschieden nach Grundlagenfächern und Schwerpunktfächern.

Zum Kanon der für alle verbindlichen Grundlagenfächer gehören:

Interessant ist das Fach "International English" innerhalb des Fremdsprachenkomplexes: Betriebswirtschaftliche Inhalte sollen in der Unterrichtssprache Englisch vermittelt werden. Im Bereich Betriebswirtschaftslehre werden außerdem Synergieeffekte mit dem bereits bestehenden Studiengang "Internationale Wirtschaftsbeziehungen" angestrebt.

Aufbauend auf den genannten Grundlagenfächern werden im 5. und 6. Semester zusätzlich Schwerpunktfächer aus den folgenden Bereichen gewählt:

Akzeptanz der geplanten Ausbildung

Die Erwartungen der wissenschaftlichen Bibliotheken an künftige Absolventlnnen dürften zweifelsohne durch den Studiengang erfüllt werden. Bislang stellen sie Maturantlnnen (Abiturientlnnen) ein, die erst anschließend - auf Kosten der Bibliothek - eine Ausbildung erhalten. Die Bibliotheksdirektorlnnen werden zukünftig von den umfassend ausgebildeten und sofort einsatzfähigen Absolventlnnen der Fachhochschule profitieren können.

Hauptdiskussionspunkt ist die Wertigkeit des Studiums: A (entspricht unserem höheren Dienst) oder B (entspricht unserem gehobenen Dienst)? Aller Voraussicht nach wird es jedoch trotz höherer Qualifizierung bei einer Eingruppierung nach B bleiben.

Auch bei den Vertreterlnnen der Öffentlichen Bibliotheken ist die Akzeptanz des Studiengangs hoch. Es gibt zwar eine gesamtösterreichische Ausbildung für das öffentliche Bibliothekswesen, sie ist jedoch nicht gesetzlich geregelt. Man erhofft sich durch die Integration aller Informationsberufe einen beachtlichen Innovationsschub, der Auswirkungen auf das Image des Berufes hat. Der zentralen Aufgabe der Leseförderung wird im 5. und 6. Semester durch das entsprechende Vertiefungsfach Rechnung getragen.

Die Dokumentare bieten ihrem Nachwuchs im nicht-öffentlichen Bereich seit ein paar Jahren berufsbegleitende, sechsmonatige Ausbildungskurse an. Die Ausbildung im staatlichen Bereich erfolgt bislang im Rahmen der WB-Ausbildung. Die Dokumentarlnnen waren auf Grund dieser uneinheitlichen Strukturen eine treibende Kraft für den neuen Studiengang, der vielfältige Berufsfelder abdecken soll: Wirtschaftsdokumentation, technische, medizinische und Mediendokumentation, Information Management und Information Management Design, Computer Strategy Management, Berufe im Multimediabereich und im Sektor der Förderung des Wissenstransfers. All diese Bereiche sollen aktiv für das Berufsfeld erobert werden. Die Fachhochschule soll nach ihren Vorstellungen aber nicht nur ausbilden, sondern auch ein Ort der Weiterbildung und der wissenschaftlichen Forschung werden.

Allein die Archivare klinken sich z. T. aus. Vom Österreichischen Institut für Geschichtsforschung wird derzeit ein dreijähriges postgraduales Studium für Historikerlnnen angeboten, das beibehalten werden soll. Der Vertiefungsschwerpunkt Archivwesen im 5. und 6. Semester wird dennoch begrüßt, die entsprechenden Lehrveranstaltungen werden aber nur bei ausreichender Interessentenzahl stattfinden.

Insgesamt scheint der Spagat zwischen den z. T. sehr unterschiedlichen Interessen und Bedürfnissen der beteiligten Sparten - und späteren Arbeitgeber - also gelungen und der Entwurf eines modernen integrierten Studiums, das durch ambitionierte Konzepte und Inhalte besticht, geglückt. Bleibt also nur noch, die Entscheidung des Fachhochschulrates abzuwarten ...

Adresse:
Fachhochschul-Studiengänge Burgenland
Schloß Esterházy
A-7000 Eisenstadt
Tel. +49 (26 82) 6 26 00 ; Fax +49 (26 82) 6 26 07 ; fhs-ei@bnet.ac.at


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