Publikationen Hierarchiestufe höher Vorherige Seite Nächste Seite

BIBLIOTHEKSDIENST Heft 4, 97

Berufliche Situation der Fachhochschul-Absolventinnen in den bibliothekarischen Studiengängen 1)

Ergebnisse einer Befragung des Abschlußjahrgangs 1995

Michael Müller, Christiane Ridder

1. Einleitung

Drei Jahre nach der letzten Absolventinnenbefragung der bibliothekarischen und dokumentarischen Ausbildungseinrichtungen des Jahres 1992 2) hat der Verein zur Förderung bibliothekarischer Berufsperspektiven eine neue Befragung durchgeführt.

Ziel der Befragung war die Untersuchung der aktuellen beruflichen Situation von Berufsanfängerinnen im BID-Bereich, sowie der Vergleich zu der vorangegangenen Untersuchung. Im Interesse standen die Frage nach der Situation der Berufsanfängerinnen und ob ein alternativer Arbeitsmarkt für die Absolventinnen von Bedeutung war.

2. Verfahren

Die Befragung wurde anhand des gleichen Fragebogens wie bei der letzten Untersuchung durchgeführt. Alle Ausbildungsstätten, die die Bereitschaft zur Mitarbeit erklärt hatten, erhielten Ende 1995/Anfang 1996 den Fragebogen mit der Bitte um Weiterleitung an die Absolventinnen des Jahrgangs 1995. Stichtag der Befragung war der 1. März 1996. Die ausgefüllten Fragebogen wurden von den Teilnehmerinnen an die Ausbildungsstätten zurückgeschickt und von dort an den Verein weitergeleitet.

3. Datenbasis

Trotz der sehr guten Kooperationsbereitschaft und Unterstützung der Ausbildungsinstitute war es auch diesmal nicht möglich, ein vollständiges Bild der beruflichen Situation zu gewinnen. Aus nicht zu klärender Ursache sind aus Stuttgart keine Fragebögen eingegangen, und an der Fachhochschule Potsdam gab es 1995 keinen Abschlußjahrgang. Die Beteiligung im einzelnen:

AusbildungsinstitutAbsolventinnen 1995eingegangene AntwortenBeteiligung in %
Berlin562748 %
Bonn312787,1 %
Frankfurt/M.382155,3 %
Hamburg752938,7 %
Hannover584577,6 %
Köln1255140,8 %
Leipzig342264,7 %
München3239,4 %
Zusammen:44922550,1 %

Die Befragung geht auf 225 ausgewertete Fragebögen zurück. Die Beteiligung ist mit 50,1 % ungefähr gleich hoch wie bei der Befragung von 1992.

Aus den Fragebögen ergibt sich eine Verteilung der Absolventinnen auf die Sparten:

Bei der Auswertung auf der Basis von %-Werten kann es zu irreführenden Ergebnissen bzw. Aussagen kommen. Beispielsweise sind prozentual ungefähr gleich viele WB-Absolventinnen und Dokumentarinnen im BID-Bereich beschäftigt, was sich im Vergleich absoluter Zahlen/Prozentzahlen folgendermaßen liest:

4. Ergebnisse

4.1 Anteil der im BID-Bereich Beschäftigten

Im BID-Bereich haben 110 (48,9 %) der Befragten eine Beschäftigung. 115 (51,1 %) sind arbeitslos oder fachfremd beschäftigt. Im BID-Bereich haben eine Stelle gefunden:

Die Tendenz zur Beschäftigung im BID-Bereich nimmt im Vergleich zu den letzten beiden Befragungen ab. 1995 hatten 61 % der ÖB-Absolventinnen keine Beschäftigung im BID-Bereich (1992: 29 %), WB-Absolventinnen 46 % (1992: 21 %) und bei den Dokumentarinnen 43 % (1992: 29 %).

Somit ist der Anteil der im BID-Bereich Beschäftigten seit der vorletzten Befragung kontinuierlich gesunken (1989: 74 % ; 1992: 68 % ; 1995: 48 %).

4.2 Zeitpunkt der Arbeitsaufnahme der im BID-Bereich Beschäftigten

Insgesamt fanden 69 % der Absolventinnen eine Anstellung innerhalb der ersten drei Monate nach Abschluß des Studiums. Hier im Vergleich die Werte der letzten beiden Befragungen (1989: 67 % ; 1992: 85 %).

Positiv läßt sich vermerken, daß zwei Drittel relativ kurzfristig eine Anstellung fanden. Allerdings (wie es auch in einigen beantworteten Fragebögen kommentiert wird) sinken die Chancen auf eine Stelle mit zunehmender Dauer der Arbeitssuche.

4.3 Befristete Arbeitsverträge der im BID-Bereich Beschäftigten

Waren 1992 noch 43 % der Stellen zeitlich unbefristet, reduziert sich diese Zahl 1995 auf 34 % (-9 %). Betrachtet man die Befristung nach Abschluß ergibt sich folgendes Bild:

Der Unterschied zwischen WB, ÖB und Dok ist nicht signifikant.

4.4 Beschäftigungsbereiche

Aufschlußreich ist eine Betrachtung nach den Tätigkeitsbereichen.

  1. Im Bereich ÖB und WB haben 62 % der Beschäftigten Arbeit gefunden.
  2. Von den Angestelltenstellen in WB waren 67 % befristet.
  3. Von den Angestelltenstellen in ÖB waren 53 % befristet.
Der hohe Anteil befristet beschäftigter WB-Absolventinnen wird vom Einstellungsverhalten der WB bestimmt. Von den ÖB-Absolventinnen an einer WB sind 70 % befristet eingestellt.

Die in der letzten Untersuchung festgestellte Tendenz zu längerfristigen Zeitverträgen hat sich wieder umgekehrt. Der Anteil von Verträgen mit einer Laufzeit über 24 Monate ist von 31 % auf 20 % gesunken. 1992 wurde vermutet, daß der (damalige) Anstieg von 22 % (1989) auf 31 % mit der Verlängerung des Erziehungsurlaubs auf bis zu drei Jahre zusammenhing. Die derzeitige Tendenz könnte mit der gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation in Deutschland und ihren Auswirkungen auf das Verhalten der Beschäftigten zusammenhängen. Wer eine Stelle hat, versucht nach Möglichkeit im Berufsleben zu bleiben. Der "Eintritt" in die Familienphase kann, neben der aktuellen Einkommenseinbuße, die Streichung einer Stelle zur Folge haben.

4.5 Teilzeitbeschäftigungen

Von den im BID-Bereich Beschäftigten haben 15 % eine Teilzeitstelle (+3 % gegenüber 1992). Davon waren nur 9 % mit einem Umfang von über 20 Wochenstunden und 81 % mit einem Zeitumfang von weniger als 20 Stunden angestellt. Der Anteil der weiblichen Beschäftigten, die Teilzeit arbeiten liegt bei 81 %.

Die Frage nach erwünschter Teilzeitarbeit zeigt dagegen deutlich, daß die Mehrzahl Vollbeschäftigung präferiert (78 %) und nur 22 % eine Teilzeitstelle wünschen. Betrachtet man die Antworten der Frauen, die Teilzeit arbeiten, ergibt sich, daß von diesen nur 36 % eine solche Stelle positiv bewertet, d. h. die Mehrzahl hat eine Teilzeitstelle nur aus Mangel an einer Vollzeitstelle angenommen.

4.6 Bezahlung und Beschäftigungsverhältnis

62 % der im BID-Bereich Beschäftigten werden nach der Einstiegsgruppierung Vb bezahlt. Ein erstaunlich hoher Anteil wird sogar nach IVb oder höher bezahlt, wobei hier die Absolventinnen hervorstechen, die außerhalb des öffentlichen Dienstes Beschäftigung gefunden haben.

Leider hat sich der Trend der 90er Befragung gehalten, wonach sogar 13 % unter Vc bezahlt werden. Am schlechtesten stehen sich die ÖB-Absolventinnen, die zu 23 % unter Vb bezahlt werden, während WB- und Dok-Absolventinnen nur zu 9 % betroffen sind. Die beste Bezahlung erhalten Dokumentarinnen, die zu 46 % (= 10 Absolventinnen) über IVb entlohnt werden.

Der überwiegende Teil der Absolventinnen steht im Angestelltenverhältnis. Auffallend ist, daß die Zahl der Beamten von 10% auf 7% gesunken ist. Von 49 (verbeamteten) WB-Absolventinnen sind nur 8 als Beamte eingestellt worden.

4.7 Beschäftigungsbereiche

Bei der Frage, in welchen Institutionen des BID-Bereichs die Absolventinnen Beschäftigung gefunden haben, lassen sich die Ergebnisse der vergangenen Befragungen bestätigen. Im wissenschaftlichen Bibliothekswesen sind 46,4 % (einschließlich Archive und Dokumentationsstellen sogar 51%) und im öffentlichen Bibliothekswesen 15,5 % beschäftigt. Die Tendenz zu den wissenschaftlichen Einrichtungen gilt wieder in besonderem Maße für die Beschäftigten ÖB-Absolventinnen. Von diesen arbeiten 53 % im ÖB- und immerhin 47 % im WB-Bereich. Für die WB-Absolventinnen läßt sich feststellen, daß nur 2 % im ÖB-Bereich arbeiten. Die Aussage der letzten Befragung gilt uneingeschränkt: "In der Studienrichtung Öffentliches Bibliothekswesen werden die meisten Bibliothekarinnen ausgebildet - in den wissenschaftlichen Einrichtungen werden dagegen die meisten benötigt. Bedingt durch diese Diskrepanz zeigen die ÖB-Absolventinnen eine sehr große Flexibilität, was ihre Beschäftigung im BID-Bereich angeht"3).

Für die Frage nach einem alternativen Arbeitsmarkt, d. h. eine Beschäftigung außerhalb des öffentlichen Dienstes läßt sich annehmen, daß bis zu 30 % diesem Bereich zugeordnet werden können, was gegenüber der letzten Befragung immerhin eine Steigerung von 16 % bedeutet. Das heißt, daß hier schon ein alternativer Arbeitsmarkt besteht, wobei hier nicht geklärt werden kann, ob bei der Industrie oder sonstigen privaten Trägern ein Mehrbedarf an Informationsspezialisten besteht oder ob die Absolventinnen zunehmend flexibler in früher weniger beachtete Bereiche gehen.

4.8 Nicht im BID-Bereich Beschäftigte

51 % (114 Personen) der Befragten haben keine Beschäftigung im BID-Bereich gefunden. Aufgegliedert nach Abschluß und Status ergibt sich folgendes Bild:

4.8.1 Beschäftigte außerhalb des BID-Bereichs

Auch an dieser Stelle ist die Frage nach einem alternativen Arbeitsmarkt interessant. Beschäftigungen außerhalb des klassischen Berufsfelds können eine sinnvolle Arbeitsmarkterweiterung sein. Interessant ist, daß entgegen früheren Befragungen kaum jemand (nur 4 Absolventinnen) im berufsnahen Buchhandel bzw. Verlagswesen arbeitet. Das entspricht gerade einmal 1,8 % aller Befragten bzw. 3,5 % der nicht im BID-Bereich Beschäftigten. Die Angaben zu den berufsfremden Beschäftigungen belegen (z. B. Verkäufer), daß es sich überwiegend um unterwertige Beschäftigungen handelt, die möglicherweise einen Zeitraum überbrücken helfen, bis eine angemessene Stelle gefunden wird.

4.8.2 Ohne Erwerbstätigkeit

Bezogen auf alle eingegangenen Fragebögen, bezeichnen sich 21 % der Absolventen als arbeitslos (bzw. 41 % der nicht im BID-Bereich Beschäftigten). Die Frage, ob Frauen oder Männer besonders betroffen waren, kann nicht eindeutig spezifiziert werden. Unterschiede nach Studienabschluß lassen sich erkennen, wobei auch hier die absoluten Zahlen nicht unterschlagen werden sollen, es geben 18 (= 35 %) der ÖB-Absolventinnen, 19 (= 41 %) der WB-Absolventinnen und 10 (= 59 %) der Dokumentarinnen an, arbeitslos zu sein.

Insgesamt 40 gaben an, eine weitere Ausbildung zu absolvieren, davon wollten 42,5 % weiterstudieren (mehrheitlich ohne festgelegtes Ziel) und 20 % wollen eine andere Ausbildung machen. Auch hier läßt sich vermuten, daß ein großer Teil der Befragten hierin eine Überbrückungsmöglichkeit sieht, da 82 % aller nicht im BID-Bereich Beschäftigten angeben, auch weiterhin an einer BID-Planstelle interessiert zu sein.

5. Fazit

Die Chancen auf eine Beschäftigung im erlernten Beruf sind 1995, verglichen mit den früheren Befragungen, wiederum etwas gesunken. Nur noch die Hälfte der Absolventinnen arbeitet im BID-Bereich und diese haben zu 66 % nur eine befristete Stelle. Die angespannte finanzielle Lage im öffentlichen Sektor läßt befürchten, daß mittelfristig keine zusätzlichen Stellen eingerichtet werden. Stellenabbau und auslaufende befristete Arbeitsverhältnisse heizen den eher eng umrissenen Arbeitsmarkt zusätzlich an. Auch der Bereich der ABM-Stellen bietet nach den Mittelstreichungen und -kürzungen der vergangenen Jahre kaum noch Möglichkeiten eines Berufseinstiegs. Die Beobachtung der 92er-Befragung bezüglich der ÖB-Absolventinnen bleibt auch 1995 gültig: Insgesamt sind nur noch 15,5 % im ÖB-Bereich beschäftigt. Nur 53 % der im BID-Bereich Beschäftigten arbeiten in Öffentlichen Bibliotheken.

Der Trend zu einem offenen Arbeitsmarkt setzt sich für alle BID-Absolventinnen fort. Die Ausbildungsrichtung hat zunehmend geringere Bedeutung. Die Frage einer spezialisierten Ausbildung für einzelne Sparten des Bibliothekswesens ist angesichts des Arbeitsmarktes von nachlassender Bedeutung. Ein gemeinsames BID-Studium mit entsprechender Schwerpunktwahl könnte auf diese Entwicklung reagieren. Die klassische Bibliothekarin oder Dokumentarin wird immer seltener nachgefragt, während die "Informations- und Kulturmanagerin" eine Antwort auf die gewandelten Ansprüche von Wirtschaft und Verwaltung zu sein scheint. Diese Nachfrage ist eine Aufforderung an die Ausbildungsinstitute, die Studieninhalte stärker als bisher auf die sich wandelnden Anforderungen im BID-Bereich auszurichten.

1) In der folgenden Auswertung wird, da die BID-Studiengänge weit überwiegend von Frauen absolviert werden, die weibliche Form als Standard benutzt. Sofern es nicht besonders gekennzeichnet ist, sind damit Männer und Frauen gleichermaßen gemeint.

2) Belling, Michael ; Bister, Friederike ; Klinkner, Sabine ; Noever, Michael: Berufliche Situation der Fachhochschul-Absolventinnen in den bibliothekarischen Studiengängen. in: BIBLIOTHEKSDIENST28 (1994), H. 5, S. 623 - 636

3) ebenda, S. 629


Seitenanfang