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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 1, 97

Benutzerzufriedenheitsstudie 1996 der Universitäts- und Landesbibliothek Münster

oder "...hier scheint mir alles wunderbar und perfekt!"


Harald Buch

1. Einleitung

Benutzerbefragungen sind im deutschen Bibliothekswesen bereits seit den 70er Jahren im Rahmen der Benutzerforschung verstärkt durchgeführt worden. Das Instrument der Benutzerbefragung wurde besonders in den öffentlichen Bibliotheken angewandt und weiterentwickelt, in wissenschaftlichen Bibliotheken wurden vereinzelt Befragungen durchgeführt. In Münster fand die letzte Benutzerbefragung 1982 statt.

Dies erschien uns Grund genug, eine erneute Benutzerbefragung für 1996 zu planen, allerdings mit einer etwas anderen Zielrichtung als die bisher üblichen. In der anglo-amerikanischen Benutzerforschung hat sich in den letzten Jahren eine neue Richtung etabliert, die bewußt auf die Erfassung der subjektiven Zufriedenheit der Benutzer mit der Bibliothek (User satisfactory study) zielt.

Im Rahmen der allgemeinen Bemühungen der Bibliothek in Münster um Qualitätssicherung läßt sich diese Untersuchung als ein Baustein betrachten, der den Erfahrungshorizont des Benutzers, seine individuelle Sichtweise und seine Bedürfnisse in den Vordergrund der Befragung stellt. Die Bibliothek kann sich nur dann effektiv um die Bedürfnisse des Benutzers bemühen, wenn bekannt ist, welche Priorität der einzelne Benutzer den verschiedenen Dienstleistungen der Bibliothek zuordnet. Es ist zwecklos, eine 100prozentige Leistung in einem Bereich zu erbringen, den die Benutzer für sekundär halten, während für Bereiche, die die Benutzer für grundlegend erachten, keine Mittel bereitstehen. Wenn man die knapper werdenden Mittel sinnvoll und benutzernah einsetzen möchte, braucht man also Erkenntnisse darüber, was der Benutzer will und was er für seine wissenschaftliche Arbeit unbedingt benötigt. Dies sollte die Benutzerzufriedenheitsstudie für die ULB Münster leisten.

Eine große Hilfe bei der Erarbeitung des Fragebogens war die Arbeitshilfe des DBI von Ingeborg Stachnik, die die Methodik von Benutzerbefragungen, jedoch stärker im Hinblick auf öffentliche Bibliotheken, zusammengefaßt hat.

2. Methodik der Befragung

Wir entschieden uns für eine Befragung mittels eines standardisierten Fragebogens, da damit der Aufwand der Befragung gering gehalten werden konnte. Um die Nachteile des standardisierten Fragebogens (wonach nicht gefragt wird, darüber erhält man auch keine Antwort) gegenüber den narrativen Verfahren der Befragung (Interviews etc.) etwas zu kompensieren, hatten wir sowohl bei den Einzelfragen als auch am Schluß des Fragebogens Raum für freie Kommentierung gegeben.

Die Stichprobengröße für die Befragung wurde festgelegt. Während des Semesters wurden über die gesamte Woche verteilt von Montag bis Samstag pro Öffnungsstunde jeweils acht zufällig ausgewählte Benutzer gebeten, den Fragebogen auszufüllen. Bei insgesamt 69 Öffnungsstunden ergab sich damit eine Stichprobengröße von 552 Befragten. Diese zeitliche Schichtung wurde bewußt gewählt, und zwar aus folgenden Gründen:

  1. Die Befragung wurde in der Eingangshalle der Bibliothek durchgeführt. Hier standen für die Benutzer 2 Tische mit 4 Arbeitsplätzen zur Verfügung. Die Fragebogen sollten direkt ausgefüllt und nicht mitgenommen werden. So konnte der Rücklauf der Fragebögen sehr genau kontrolliert werden. Die zeitliche Schichtung machte es dem Befrager einfacher, pro Stunde 8 Personen an den Arbeitstischen zu plazieren. Bei einer rein zahlenmäßigen Auswahl (jeder 100. Besucher o. ä.) wäre es in den Morgenstunden zu leeren Tischen und in den Hauptbesuchszeiten zu Stauungen gekommen.
  2. Die Befragung sollte alle Benutzerschichten erreichen, also ganz bewußt auch die Benutzer, die außerhalb der Hauptbesuchszeiten die Bibliothek aufsuchen. Das breite und vollständige Spektrum der Benutzerschaft einzubeziehen erschien uns wichtiger als der möglicherweise eintretende geringe Verlust in der Repräsentativität der Untersuchung.
3. Entwurf des Fragebogens

Wir legten für den Fragebogen die Dienstleistungen nach Bereichen gegliedert fest, z. B. Bestand, Freihandmagazin, Kataloge, Ausleihe, EDV etc. Innerhalb dieser groben Bereiche wurden 1 - 6 Fragen gestellt. Nicht benutzte Bereiche konnten vom Befragten übersprungen werden. Die Skalierung erfolgte mittels Abstufung von sehr zufrieden = Note 1 bis sehr unzufrieden = Note 5. Die Befragten hatten bei einigen Fragen die Möglichkeit, zur Benotung von 4 oder 5 Kommentare anzufügen, um die schlechte Benotung zu erläutern.

Für alle genannten Dienstleistungen wurde erfragt, welche Bedeutung die Benutzer ihr zumessen, und zwar auf einer Skala von 1 = gar nicht wichtig bis 10 = sehr wichtig.

Der Fragebogen wurde mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Auskunft abgestimmt.

4. Pretest

In einem Pretest wurden am 12. Dezember 1995 dreißig Benutzer befragt. Auf Grund von Mißverständnissen mit den bibliothekarischen Termini - vor allem Abkürzungen - wurde der Fragebogen modifiziert.

Die endgültige Version des Fragebogens umfaßte insgesamt 52 Fragen in 19 verschiedenen Dienstleistungsbereichen.

5. Durchführung der Befragung

Die Befragung wurde vom 8. - 13. Januar 1996 in der oben erwähnten Weise durchgeführt. 4 Fachkräfte und 2 studentische Hilfskräfte standen während dieser Woche zur Verfügung. Damit konnte die gesamte Öffnungszeit von 8 - 21 Uhr über die Woche und am Sonnabend im Schichtdienst abgedeckt werden. Die Möglichkeit, den Fragebogen direkt vor Ort ausfüllen zu können, brachte einen sehr guten Rücklauf. Nur wenige Befragte verweigerten zumeist aus Zeitgründen die Beantwortung. Die Anzahl von 8 Befragten pro Stunde erwies sich als praktikabel, jedoch dauerte das Ausfüllen des Fragebogens erheblich länger, als wir geschätzt hatten. Bei der Ausgabe teilten wir den Benutzern mit, das Ausfüllen würde ca. 10 - 15 Minuten dauern, tatsächlich dauerte die Beantwortung der Fragen jedoch in der Regel über 20 Minuten. Unser Fragebogen ist damit sehr lang, die Abbrecherquote war trotzdem gering. Bei einer Neukonzeption des Fragebogens würden wir versuchen, die Menge der Fragen etwas zu reduzieren, um den Aufwand für den Benutzer in Grenzen zu halten. Der Befragungsort im Eingangsbereich der ULB erwies sich als sehr geeignet, da hier alle Benutzer passieren mußten. Doppelbefragungen wurden durch eine vorgeschickte Frage des Interviewers verhindert. Nach einer Woche hatten wir ca. 600 ausgefüllte Fragebogen gesammelt. Sie wurden einer ersten groben Sichtung auf Vollständigkeit unterzogen. Dabei stellte sich heraus, daß 22 Fragebögen auf Grund von fehlenden Antworten nicht für die Auswertung taugten und herausgenommen werden mußten. 578 Fragebögen wurden in die Auswertung aufgenommen.

6. Auswertung der Ergebnisse

Die Fragebögen wurden mit Hilfe des Programms Microsoft Excel Version 5.0 ausgewertet. Besondere Schwierigkeiten machte die Auswertung der Kommentare. Jeder Kommentar mußte klassifiziert und kodiert werden, viele Kommentare enthielten sehr unterschiedliche Aspekte, die allesamt Berücksichtigung finden mußten. Die reine Dateneingabe und Kommentarkodierung zog sich deshalb bis in den Mai 1996 hin. Die Auswertung der 578 Fragebögen und der 52 Fragen benötigte schätzungsweise 130 - 140 Stunden, die Auswertung und Kodierung der Kommentare noch einmal ca. 50 Stunden. Das Programm Excel erlaubte durch die genaue Art der Auswertung auch die Korrelierung von Ergebnissen, so z. B. die Frage, welche Fachbereiche mit welchen Dienstleistungen besonders zufrieden oder unzufrieden sind.

7. Ergebnisse der Befragung

Einige interessante Ergebnisse, die vielleicht auch von breiterem Interesse sind, sollen hier kurz vorgestellt werden.

Ein sehr wichtiger Bereich war die Frage nach den Öffnungszeiten. 38 % der Benutzer waren mit den Öffnungszeiten von 8 - 21 Uhr zufrieden, 62 % jedoch wünschten sich zusätzliche Öffnungszeiten. Typischer Kommentar eines Benutzers: "Längere Öffnungszeiten! Unbedingt!"

Die am häufigsten gewünschte zusätzliche Öffnungszeit war mit 27,8 % der Samstagnachmittag von 13 - 18 Uhr.

Graphik 1

Die ULB Münster reagierte auf diesen Benutzerwunsch prompt und erweiterte mit dem Beginn des Wintersemesters 1996/97 die Öffnungszeiten am Samstag von 13 - 17 Uhr. Auch dem breiten Wunsch nach Öffnung des Handschriftenlesesaals in den Mittagsstunden konnte entsprochen werden.

In der Frage nach der Wichtigkeit der verschiedenen Dienstleistungen, also der Nutzungspräferenz, stehen die Öffnungszeiten an erster Stelle, noch vor der Ausleihe und den Katalogen. Die zentrale Lage der Bibliothek macht sie für die Studierenden zu einem sehr geschätzten Arbeitsort.

Die allgemeine Benutzerzufriedenheit mit der ULB Münster kann sich durchaus sehen lassen. Weit über die Hälfte der Befragten (58,9 %) beurteilten ihre Zufriedenheit mit der Note 1 = sehr zufrieden oder der Note 2 = zufrieden.

Graphik 2

Die Zufriedenheit der Benutzer mit dem Bestand, aus bibliothekarischer Sicht sicherlich eine der wichtigsten Fragen, wird mit einem Mittelwert von 2,61 schlechter als die Bibliothek insgesamt bewertet, schneidet aber insgesamt gut ab. 50 % bewerten den Bestand mit der Note 1 oder 2 (sehr gut bis gut), lediglich eine kleine Minderheit von 2,8 % vergibt die Note 5. Wie ein Benutzer sehr richtig in einem Kommentar feststellte, "wahrscheinlich kann eine Bibliothek nie alles besitzen."

Graphik 3

Die besten Ergebnisse bei der Befragung erzielten die Hilfsbereitschaft der Mitarbeiter, die Freihandmagazine, die Ausleihfristen und das automatisierte Bücherbestellsystem.

Sehr gefreut haben wir uns über die Bewertung der Hilfsbereitschaft und fachlichen Kompetenz der Mitarbeiter: Insgesamt ein hervorragender Mittelwert von 2,06; im Vergleich der befragten Benutzungsbereiche lassen sich noch einige Schwankungen ausmachen, der Lesesaal und die Auskunft haben in der Benutzerzufriedenheit die Nase vorn. Dieses Ergebnis ist sehr erfreulich, da die Ressource Personal für die Benutzer sicher einer der wichtigsten Faktoren für die Beurteilung einer Bibliothek ist. Das Erscheinungsbild einer Bibliothek wird in erster Linie von den handelnden Personen bestimmt und das gute Abschneiden des Personals in der Bewertung ist deshalb nicht zu unterschätzen. Ein netter Kommentar eines Benutzers sei hier zitiert: "Ansonsten möge die Routine der Freundlichkeit keinen Abbruch tun...".

Graphik 4

Ein sehr ungewöhnliches Ergebnis zeigte der Vergleich der Zahlen auf die jeweiligen Fragen "Haben Sie diese Dienstleistung... in Anspruch genommen?"

Graphik 5

Die Informationsvermittlungsstelle und JASON (Nordrhein-Westfälisches Schnellbestellsystem für Zeitschriften) wurden von 93 % bzw. 88 % der Benutzer als völlig unbekannt bezeichnet. Das Fachreferat kennen fast 84 % der Benutzer nicht, und auch das Internet, vom Augenschein her das Lieblingsspielzeug aller Benutzer an den Netz-PCs, kennen 76 % der Benutzer nicht. Für diese Bereiche wird nun verstärkt Öffentlichkeitsarbeit betrieben.

Die mit Abstand schlechtesten Bewertungen erhielten die sanitären Anlagen und der Erfrischungsraum der ULB Münster.

Auch die Anzahl der Schließfächer und der PC-Arbeitsplätze wurde als nicht ausreichend bezeichnet. Hier handelte die Bibliothek schnell und stockte die Anzahl der Schließfächer und der PC-Arbeitsplätze sofort auf. Eine Toilettenanlage wurde renoviert, andere bauliche Maßnahmen lassen sich jedoch nicht so schnell realisieren.

Die meisten freien Kommentare bezogen sich auf den von vielen Benutzern sehnlichst erwarteten OPAC, der Anfang 1997 zur Verfügung stehen wird. Es warteten jedoch auch hier immerhin 8,9 % mit ausdrücklichem Lob für die ULB Münster auf. Ein sehr netter Kommentar eines Benutzers sei hier stellvertretend für alle anderen zitiert: "Meine Meinung ist darüber nicht so wichtig ! In meinem Land (Italien) existieren überhaupt keine Dienste und hier scheint mir alles wunderbar und perfekt."

8. Veröffentlichung der Ergebnisse

Die Ergebnisse der Befragung wurden in einer Ausstellung zusammengefaßt, die vom 28. Juni - 19. Juli 1996 im Lesesaal der Universitäts- und Landesbibliothek präsentiert wurde. Ziel der Ausstellung war es, einerseits eine Rückmeldung über die Befragung an die befragten Studenten zu geben, andererseits auch zu zeigen, daß die Bibliothek in verschiedenen Punkten auf die Kritik der Benutzer reagiert hat.

Gezeigt wurden 26 farbige Graphiken mit den interessantesten Antworten und den Kommentaren der Bibliothek (Was konnten/können wir tun?). Zitate aus den Benutzerkommentaren wurden zur Auflockerung der Texte verwendet.

Über eine Pressekonferenz wurden die Ergebnisse der Benutzerbefragung auch der breiten Öffentlichkeit vorgestellt.


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