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Bibliotheksdienst Heft 11, 96

Von der Entschlackung zur schlanken Bibliothek

Axel Halle

Der Wettbewerbsdruck von Industrieunternehmen angesichts der Veränderungen auf dem Weltmarkt hat die Suche nach betriebswirtschaftlichen Strategien verstärkt, Wettbewerbsvorteile zu erringen. In diesem Zusammenhang sind im Bereich der Produktionsorganisation, des Controlling und der Managementtechniken eine ganze Reihe neuer Verfahren entwickelt worden. Die heftige Diskussion dieser neuen Konzepte wird seit einiger Zeit auch im Bibliothekswesen rezipiert, ursprünglich ausschließlich im anglo-amerikanischen (Brophy 1994, Developing 1992, Integrating 1993, Riggs 1992 und 1993, Shaughnessy 1993) und inzwischen auch im deutschsprachigen Raum (Happel 1994 und 1996).

Halten nun also betriebswirtschaftliche Denkansätze Einzug in das deutsche Bibliothekswesen, so ist zunächst zu fragen, was der bibliothekspolitische Hintergrund für diese Entwicklung ist. Besteht nicht seit jeher eine der wichtigsten Aufgaben des Bibliotheksmanagements darin, den sogn. Geschäftsgang zu analysieren und für einen schnellstmöglichen und reibungslosen Arbeitsprozeß zu sorgen?

Es besteht kein Zweifel darüber, daß immer im Einklang mit den technischen Möglichkeiten und dem Wissen Innovationen eingeführt worden sind, um die Bibliotheken in die Lage zu versetzen, ihre Aufgaben möglichst benutzerorientiert zu erfüllen. Im folgenden werde ich die Hauptaktionsfelder des Bibliotheksmanagements der vergangenen Jahre skizzieren und implizit die Frage erörtern, warum die erzielten Fortschritte nicht ausreichen werden, die aktuellen und künftigen Aufgaben und Herausforderungen zu bewältigen.

1. Traditionelle Aktionsfelder

Seit Mitte der sechziger Jahre vollzieht sich ein technologischer Veränderungsprozeß der bibliothekarischen Arbeit, der in den vergangenen Jahren deutlich an Dynamik gewonnen hat. Standen am Anfang noch die Offline-Katalogisierungsverbünde der sechziger und siebziger Jahre, finden sich in immer mehr Bibliotheken seit den neunziger Jahren integrierte Bibliothekssoftwarepakete im Einsatz. Entsprechend haben sich in sehr vielen Bibliotheken die Ablauf- und die Aufbauorganisation verändert. Sind wir damit aber den veränderten Anforderungen gewachsen? Was ist bisher erreicht worden?

1.1 Formalkatalogisierung

Nahezu alle wissenschaftlichen und viele öffentliche Bibliotheken sind Verbundpartner, nutzen entsprechend Fremddaten und sparen dadurch Arbeitszeit ein, daß Katalogisate übernommen werden können und nur noch Lokaldaten angehängt werden müssen. Vieler Orts sind inzwischen längst die alten Zettelkataloge abgebrochen und durch OPACs ersetzt worden. Die Katalogabteilungen sind durch den Wegfall der damit verbundenen Pflege der konventionellen Zettelkataloge erheblich entlastet worden, schließlich bedarf es nicht mehr der zeitraubenden Einlegearbeiten in die alphabetischen Zettelkataloge. Betrachten wir diese Entwicklung also unter Ceteris-paribus-Bedingungen, so müßten unsere Katalogabteilungen heute im Vergleich zu - sagen wir 1966 - rund 35 Prozent weniger Personal haben. Dem ist ganz offenbar nicht so. Warum konnte hier nicht verschlankt werden?

Langsam kommt eine internationale Diskussion über die Ursachen in Gang. Es liegt auf der Hand, und wir alle wissen was passiert ist: Bei der Präzisierung und Differenzierung des verbindlichen Regelwerkes für den alphabetischen Katalog (RAK-WB, RAK-NBM, RAK-Musik, RAK-Alte Drucke) haben aus bibliothekarisch sicherlich guten Gründen weitgehend die Katalogexperten entschieden. Ihre Aufgabe war es nicht, die personalintensiven Konsequenzen zu bedenken. Betriebswirtschaftlich gesprochen wurde somit eine elementare Kenntnis mißachtet, daß nämlich das Auseinanderfallen von Fach- und Ressourcenverantwortung zu suboptimaler bzw. zu Fehlallokation der Ressourcen führt. Überspitzt - und im Jargon der Soziologie - formuliert, hat das dazu geführt, daß ein Herrschaftswissen gefestigt worden ist, mit dem die Katalogabteilungen eventuelle Anforderungen nach schnellerer Buch- und Zeitschriftenbearbeitung und Umschichtung des Personalstands in andere bibliothekarische Aufgabenbereiche, insbesondere der Benutzung, mit dem Argument der durch die Katalogpflege bedingten Arbeitsbelastung abwehren konnten.

An dieser Stelle soll und kann nicht die ausführliche Kritik an den RAK stehen. Es geht nur darum, einige Schlaglichter auf eine bedenkliche Fehlentwicklung bzw. Entwicklungsverzögerung zu werfen.

Die RAK und mit ihr die MAB sind im Vergleich zur internationalen Regelwerks- und Austauschformatentwicklung Sonderwege, die die Übernahme von Fremddaten in den Rechenzentren der Verbünde und der Katalogisierer erschweren. Eine genaue Analyse der Ursachen, insbesondere der Unterschiede zwischen den Regelwerken und Formaten steht derzeit aus. Ein Projekt des GBV, der SUB und OCLC mit dem sprechenden Titel "Reuse" packt endlich dieses gravierende Problem an. Denn faktisch ist es derzeit selbst bei modernen Verbundsystemen mit einer Eindateienstruktur unmöglich, einen dublettenfreien, redundanzfreien Katalog zu erzeugen. Der Mehraufwand bei der Katalogisierung ist erheblich.

Allerdings sollten wir nicht die Hoffnung haben, daß allein die Aufgabe der RAK zugunsten der AACR alle Probleme löst. Eine Übernahme des Regelwerkes würde erhebliche Probleme bei den Ansetzungen von Personen und Körperschaften, bei der Darstellung mehrbändiger Werke, etc. verursachen, Probleme, die nur durch Normdateien gelöst werden können. Zu befürchten ist, daß trotz bester Umsetzungsprogramme eine unüberschaubare Arbeitsbelastung durch die Katalogpflege moderner - aber dann teilweise veralteter - Titelsätze entsteht. Bei allen Regelwerksänderungen oder der nun begonnenen Diskussion über eine Annäherung von RAK und AACR muß so lange im Mittelpunkt der Diskussion die Konsistenz der Datenbestände stehen, wie bibliothekspolitisch und empirisch noch nicht festgestellt ist, inwieweit angesichts der OPACs Inkonsistenzen ohne Schaden für den Benutzer hingenommen werden können. Dies bedeutet aber, daß ein Umdenken stattfinden muß.

Das Regelwerk ist noch heute an der Vorstellung von Zettel- und Listenkatalogen orientiert. Der Ruf der Katalogexperten nach Definition von Problembereichen hat die Zahl der Regelwerksparagraphen und ihre inhaltliche Komplexität fast stetig gesteigert. Katalogisierer müssen daher bei der (Verbund-)Katalogisierung als Konsequenz dieser Entwicklung immer neue Regeln beachten und immer mehr Kategorien ausfüllen, um eine eineindeutige Titelaufnahme zu erstellen, die dann wiederum nicht selten von Kollegen in anderen Bibliotheken mit Hinweis auf das Regelwerk wieder in Frage gestellt wird. Unter dem Aspekt der anscheinend notwendigen verbundweit erforderlichen einheitlichen Regelwerksinterpretation sind m. W. bisher immer verbindliche Regelwerke auf Verbundebene entstanden nach denen die vorhandenen oder neu anzulegenden Titelaufnahmen vereinheitlicht werden. So ist auch zu erklären, warum mit nicht unbeträchtlichem Aufwand selbst die Aufnahmen der Deutschen Bibliothek teilweise verbundkonform verändert werden. Was ist damit aber gewonnen? Nach arbeitszeitintensiver Katalogisierung gewähren die OPACs dem Benutzer, für den wir alle unsere Arbeitskraft einsetzen, einen Blick auf eine wesentlich komplexitätsreduzierte Titelaufnahme im ISBD-Format. Dabei lassen wir uns von der Erkenntnis leiten, daß es dem Benutzer wohl letztlich nicht auf spitzfindige Unterscheidungen von Kategorien ankommt, sondern darauf, daß seine Recherche zum Erfolg führt. Dem Benutzer ist letztlich sehr häufig gar nicht klar, daß Bibliothekare sehr differenziert die Informationen erfassen. Im OPAC erhält der Benutzer beispielsweise die Recherchekategorie Titelstichwörter. Daß der Bibliothekar aber zuvor u. a. folgende Kategorien erst mehr oder weniger mühsam differenziert hat: Titel, Zusatz zum Sachtitel, Paralleltitel, etc. bleibt dem Benutzer aus guten Gründen verborgen: erstens interessiert ihn das gar nicht, und zweitens würde er es ohne Benutzerschulung ohnehin kaum verstehen.

Diese Aspekte zeigen bereits recht deutlich, daß Rationalisierungsreserven im Bereich der Formalkatalogisierung zwar theoretisch, derzeit nicht aber faktisch existieren.

1.2 Erwerbung

In der Organisation der Erwerbungsdienststellen hat sich in den vergangenen Jahren in sehr vielen Bibliotheken ein rascher Wandel vollzogen. Waren noch in den siebziger und achtziger Jahren bei der Monographienakzession diverse Bestellkataloge und in der Zeitschriftenakzession der Kardex zu pflegen, so sind heute häufig EDV-Systeme im Einsatz. Das Ausfertigen von konventionellen Bestelldatensätzen auf Durchschreibesätzen prägte lange das Bild. Heute werden zumeist elektronische Bestellkatalogisate angelegt und - sofern die Bibliotheken diese bereits im Einsatz haben - in integrierten Erwerbungssystemen bearbeitet.

Diese Innovationen haben weitreichende Konsequenzen für die Arbeitsorganisation. Zunächst ist unmittelbares Ergebnis, daß das mehrfache Anlegen von Datensätzen und das umständliche Arbeiten mit konventionellen Zettelkatalogen auch in den Zugangsdienststellen ein Ende gefunden hat. Hiermit sind unzweifelhaft Rationalisierungseffekte verbunden. Diese werden verstärkt, wenn angesichts elektronischer Kataloge auch die Fachreferenten auf das Führen von Referentenkarteien verzichten können und in die Arbeit der Vorakzession mit eingebunden werden.

Zwingendes Erfordernis dieser Entwicklung ist aber, daß bereits bei der Bestellung - sofern nicht auf hochwertige Fremdleistungen zurückgegriffen wird - ein Bestellkatalogisat angelegt werden kann, das ohne große Veränderungen durch nachfolgende Dienststellen genutzt werden kann. Im Ergebnis läuft diese Forderung darauf hinaus, daß die Mitarbeiter der Zugangsdienststellen in die Lage versetzt werden müssen, annähernd gleiche Kenntnisse der Katalogregeln zu beherrschen wie Titelaufnehmer. Hiermit ist ein erheblicher Schulungsaufwand verbunden. Die Arbeit in den Zugangsdienststellen wird angereichert. Stichworte wie job enrichment und job enlargement kennzeichnen diesen grundsätzlich positiv zu bewertenden Prozeß.

Allerdings stehen die Bibliotheken damit wieder vor dem oben geschilderten Problem, daß die effektive Nutzung von Verbunddatenbanken durch komplizierte Titelaufnahmeregeln zu erheblichen Teilen konterkariert wird.

Um Teile des Rationalisierungspotentials zu nutzen, haben Bibliotheken angesichts der technischen Möglichkeiten die Integration von Zugangs- und Katalogdienststellen betrieben. Eine wichtige Idee im Hintergrund war, daß mit der Anreicherung der Tätigkeit die Mitarbeiter jeweils die spezifischen Kenntnisse aus den vor- oder nachgelagerten Tätigkeitsbereichen der Akzession bzw. der Titelaufnahme sich in einem Prozeß des gegenseitigen Lernens aneignen würden. Diese Effekte sind dort zwar meist eingetreten, doch hat das eine längere Übergangsphase in Anspruch genommen. Empirisch müßte darüber hinaus noch ermittelt werden, ob die Bearbeitung des einzelnen Stückes unter dem Strich bei integrierter Bearbeitung schneller möglich ist als bei einer Addition der getrennten Bearbeitungen in der Zugangsdienststelle und der Titelaufnahme. Mit Blick auf "meine" Bibliothek scheint der entscheidende Effekt vielmehr in einer Beschleunigung durch Wegfall einer Liegestation zu bestehen.

1.3 Ausleihautomatisierung

Inzwischen ist in den meisten Bibliotheken die Ausleihe automatisiert. Damit sind die mühsamen Verbuchungs-, Mahn- und Vormerkvorgänge mit dem dreiteiligen Leihschein abgeschafft. Ein erheblicher manueller Bearbeitungsaufwand ist damit entfallen. Auch hier gibt es also durchaus Erfolge bei der Verschlankung der Organisation zu verzeichnen. Mir ist allerdings keine Bibliothek bekannt, die entsprechend dieser erheblich rationelleren Bearbeitung Personal in andere Aufgabenbereiche außerhalb der Ortsleihstellen oder des Magazins umsetzen konnte. Vielmehr scheint teilweise genau das Gegenteil der Fall zu sein. Ich möchte diesbezüglich die These aufstellen, daß die Bibliotheken die Opfer ihres eigenen Rationalisierungserfolges geworden sind.

Mit der Ausleihautomatisierung rücken früher getrennte Aufgabenbereiche zusammen oder verschmelzen teilweise. Um Bücher und Zeitschriften elektronisch auszuleihen, müssen diese zunächst für die Ausleihverbuchung vorbereitet werden. Minimale Anforderung ist, daß ein Buchdatensatz mit einem Verbuchungsetikett verknüpft ist. Sofern dies nicht beim laufenden Neuzugang erfolgt ist, muß diese Arbeit retrospektiv durchgeführt werden. Für eine Übergangszeit sind hierdurch erhebliche personelle Ressourcen gebunden. Insbesondere bei Bibliotheken mit erheblichen Altbeständen kann diese Übergangszeit trotz des Einsatzes von befristet beschäftigtem Personal zur Einbringung und Verknüpfung der Bestände mit Verbuchungsnummer mehrere Jahre dauern, da selbst nach Jahren noch Bücher und Zeitschriften aus dem Magazin auftauchen, die entweder falsch oder gar nicht etikettiert worden sind. Insbesondere bei den heute üblichen integrierten Bibliothekssystemen haben solche und ähnliche Probleme nicht selten zur Konsequenz, daß Titelaufnehmer auf Lokalsystemebene und Mitarbeiter der Ortsleihstelle auf Zentralkatalogsebene arbeiten müssen. Die erforderlichen Kenntnisse müssen von den Mitarbeitern selbstverständlich erst erworben werden.

Der entscheidende Faktor ist allerdings, daß die Transparenz der Bestände und die Benutzerfreundlichkeit der Bestell- und Vormerkfunktionen des OPACs zu rasanten Benutzungssteigerungen führen. Innerhalb kurzer Zeit sind die Rationalisierungseffekte durch gestiegene Benutzung aufgezehrt und Personal muß u. U. in diese Dienststelle umgesetzt werden.

2. Neue Herausforderungen

Wir müssen feststellen, daß die Bibliotheken vor ganz neuen Herausforderungen stehen. Mit folgenden Stichworten lassen sich die neuen Rahmenbedingungen unseres täglichen Handelns näher bezeichnen:

Diese Herausforderungen stellen alle früher gekannten restriktiven Politiken unserer Unterhaltsträger in den Schatten. Wenn nun meine oben skizzierte These zutrifft, daß die Bibliotheken seit jeher ihr Augenmerk vor allem auf den internen Geschäftsgang gelenkt haben und Rationalisierungsmöglichkeiten gesucht haben, diese aber durch spezifische konterkarierende Effekte nicht zur (vollen) Entfaltung gekommen sind, ist die Frage zu stellen, warum wir mit unseren gewohnten Ansätzen offenbar an Grenzen gestoßen sind. Bei der Beantwortung dieser Frage helfen uns soziologische Methoden weiter.

In der Soziologie gibt es den systemtheoretischen Begriff des selbstreferentiellen Systems. Vereinfachend und auf die Bibliotheken bezogen bedeutet dies, daß bei der Selbstorganisation der Maßstab primär die eigenen organisatorischen Erfordernisse sind. Die Maßstäbe werden dabei von den Organisationsmitgliedern selbst gesetzt. "Selbstreferentielle Entwicklung verhilft einer Arbeitsorganisation zu einer zunehmend in sich selbst abgestimmten und differenzierten Struktur" (Baitsch 1993, S. 111). Wenn nun diese zweckdienlichen Stukturen, d. h. der bibliothekarische Geschäftsgang, an den innerhalb der Organisation entwickelten Maßstäben orientiert wird, können die Primäraufgaben - nämlich die Interaktionen mit der Umwelt - zugunsten der Sekundäraufgaben zurücktreten oder sogar mit ihnen in Widerspruch geraten.

Zwei Beispiele können das verdeutlichen:

  1. Wenn das Ziel darin besteht, "gute" Titelaufnahmen zu erstellen, so wird dies selbstverständlich an den Katalogregeln gemessen. Die Katalogregeln selbst definieren - ganz richtig - wie jeder Einzelfall zu behandeln ist. Diese nicht zu hinterfragende Maxime - und hier kontrollieren sich die Titelaufnehmer auf Verbundebene gegenseitig - kann aber eine Verletzung der Primäraufgabe zur Folge haben. Die Primäraufgabe ist, dem Benutzer in möglichst kurzer Zeit möglichst leicht zugänglich den Bibliotheksbestand zu erschließen. Wird also bei der Regelerstellung und Bearbeitung nicht berücksichtigt, welche Probleme der Benutzer mit der Erschließung hat, können unnötig komplizierte Regelungen entstehen, die die Benutzung erschweren bzw. die (völlig) überflüssig sind, weil fast kein Benutzer die durch die Regelung hervorgebrachte zusätzliche Information sucht. Dies belegt die OPAC- und Benutzerforschung. Anzumerken ist, daß dies keine neuen Entwicklungen sind, wie ein Blick auf die Preußischen Instruktionen mit ihren Regelungen der Chrestomatie oder der sogen. "Preußischen Umstandsverweisung" illustriert.

  2. Wenn Bibliotheken sich eher an Quantität als an Qualität orientieren, kann das zur Folge haben, daß - trotz guter Empfehlungen (Wissenschaftsrat 1986) Werke eingearbeitet werden, die zwar als Geschenk gerne eingearbeitet, aber wegen ihrer Qualität nicht gekauft worden wären. Ein deutliches Indiz für diese weit verbreitete Orientierung ist auch, daß bei einer Umfrage unter deutschen Bibliotheken letztlich von 28 befragten Bibliotheken 25 "keine schriftlich fixierten Kaufprofile für die einzelnen Fächer" (Griebel 1994, S. 75) kennen und zwei solche erst planen bzw. anstreben. Nicht erforderliches Material verstopft dann z. T. die Geschäftsgänge, und Benutzer finden erst verspätet oder gar nicht das sie eigentlich interessierende Material.
Diese Beispiele können eine Entwicklung illustrieren, die besonders fatal ist. Nicht Effektivität und Effizienz, sondern Regelkonformität und Quantität werden zum internen Maßstab und zur Argumentationsbasis für Forderungen nach mehr Stellen und mehr Geld.

Nach überkommenem Muster führt dies wiederum zu entsprechenden Haushaltsanträgen, die wie folgt argumentieren: "Wir - die Bibliothek X - haben die Rationalisierungsreserven ausgeschöpft. Die Anforderungen an die Bibliothek sind quantitativ gestiegen, also ist der Einsatz von mehr Personal und Geld erforderlich. Angesichts der allgemeinen Belastungen aller Dienstellen sind auch die Möglichkeiten erschöpft, Personal hausintern zu verschieben."

Diese Argumentationslinie war mehr oder weniger bis vor einigen Jahren erfolgreich.

Die Bibliotheken bleiben trotz ihrer grundsätzlichen Abhängigkeit von ihren Unterhaltsträgern autonome Systeme, in deren inneres Gefüge trotz Stellenplänen und Haushaltsplänen die Unterhaltsträger nicht direkt eingegriffen haben. Dies mit gutem Grund, so lange sie überzeugt waren, daß effizient und effektiv gearbeitet wird und die Unterhaltsträger wenigstens teilweise die wohl begründeten Forderungen der Bibliotheken erfüllen konnten. Meiner Überzeugung nach ziehen Unterhaltsträger dies immer mehr in Zweifel. Viele öffentliche Bibliotheken haben dies in besonders gravierender Weise in den zurückliegenden Jahren erleben müssen. Nicht selten ist das über das Tilburger Modell von der KGSt (Kommunale Gemeinschaftsstelle) in die bundesdeutsche Diskussion eingeführte "Neue Steuerungsmodell" ( vgl. KGSt 1991, 1992, 1993, 1994) mit den Kernelementen Budgetierung, dezentrale Ressourcenverantwortung, Kontraktmanagement, Qualitätsmanagement zum Ansatzpunkt für massive Eingriffe in die Autonomie der Bibliotheken genommen worden. Dabei bleibt zwar die Bibliotheksleitung nach wie vor relativ autonom, wird aber über geänderte Rahmenbedingungen gezwungen, überkommene Stukturen und hergebrachtes Denken intern sehr rasch zu ändern (Verwaltungsreform 1995).

Diese Entwicklung sehe ich auch auf die wissenschaftlichen Bibliotheken zukommen.

3. Methodische Konzepte der Verschlankung

Vor allem angloamerikanische, niederländische und skandinavische Bibliotheken stehen bereits seit Jahren vor enormen Spar- und Rechtfertigungszwängen. Vor diesem Hintergrund wurden neue wirtschaftswissenschaftliche Konzepte sehr ernsthaft diskutiert und in sehr vielen Fällen in der Praxis erprobt (vgl. Quality Management Issues 1995). In Deutschland stehen wir erst am Anfang einer Diskussion, praktische Erfahrungen wurden bisher nur sehr begrenzt gesammelt.

Unter dem Stichwort der Verschlankung bzw. der schlanken Bibliothek möchte ich die dahinterstehenden analytischen Konzepte darstellen und auf ihre Praxisrelevanz prüfen.

Nahezu alle im folgenden skizzierten Ansätze hängen methodisch miteinander zusammen und lassen sich zumeist kaum isoliert voneinander betrachten. Neben den oben genannten Schlagworten ziehen die Begriffe TQM (Total Quality Management), Lean Production und Lean Management, Re-Engineering, Controlling, Managementinformationssysteme und Performance Measurement in unseren moderen bibliothekarischen Sprachgebrauch ein.

3.1 Controlling

Eines der ältesten hier erwähnten Konzepte ist das Controlling. In der betriebswirtschaftlichen Literatur und Praxis ist das Controlling heute längst ein fester Bestandteil geworden, wenn auch keine unumstrittene Definition dessen vorliegt, was Controlling ist. Hopfenbeck (1993 S. 796 ff) weist auf vier verschiedene Ausprägungen des Controllingbegriffs hin, wonach Controlling als Hilfsmittel bei der Zielorientierung, der Entscheidungsvorbereitung, der Informations- oder der Führungsfunktion aufgefaßt wird. Daneben kann demnach strategisches Controlling, das der Zielfindung dient, von operativem Controlling, das der Zielerreichung dient (vgl. Hopfenbeck 1993 S. 798-799), unterschieden werden.

Mit anderen Worten: operatives Controlling fragt nach der Effektivität ("Tun wir das Richtige?"), strategisches Controlling nach der Effizienz ("Tun wir die Dinge richtig?") (vgl. Jülkenbeck 1994, S. 12).

Damit kommen implizit Methoden und Instrumente ins Spiel, die erläutert werden müssen; ohne die Controlling nicht verstanden und nicht praktiziert werden kann.

Die Fragen der Effektivität und Effizienz können nur beantwortet werden, wenn Informationen vorliegen und präzisiert ist, was Nah- und Fernziele der Organisation sind. "Controlling und Informationssysteme sind sehr eng miteinander verwoben. ... Informationssysteme (sind) unabdingbar, um dem Controlling Informationen als Entscheidungsgrundlage zu liefern" (Informationssysteme 1994, S. V). Die überkommenen Daten, die im Rahmen der jährlichen DBS-Umfrage erhoben werden, reichen hierzu ganz offenbar nicht aus. Vielmehr ist ein mehr oder weniger ausgefeiltes Managementinformationssystem erforderlich, mit dem es gelingt, regelmäßig oder bei Bedarf wichtige und systematisch erhobene Daten auszuwerten.

Für solche Informationen einige ganz elementare Beispiele:

  1. Ohne die individuelle Arbeitsleistung messen zu wollen, ist die kontinuierliche Information über Bearbeitungsrückstände und ihre Ursachen erforderlich.

  2. Die Zahl der Ausleihen ist ebenso wichtig wie die Zahl und Entwicklung der nicht erfüllten Bestellungen. Welche Ursachen gibt es?

  3. Die Entleihungen beispielsweise der Lehrbuchsammlung und ihre Entwicklung muß nach Fachgebieten und auf Titelebene ermittelt werden, so daß eine präzise Erwerbungspolitik und Bestandspflege betrieben werden kann.

  4. Die Dauer des Geschäftsgangs muß laufend analysiert und Flaschenhalseffekte müssen erkannt werden.
Die Fragen lassen sich nahezu beliebig ergänzen.

Wenn durch systematische Analyse ermittelt worden ist, welche Informationen als Entscheidungsgrundlage benötigt werden, ist deren Erhebung erforderlich. Für einen Teil der erforderlichen Daten liegen Indikationen vor (Poll 1996). Allerdings ist zu berücksichtigen, daß solche Daten unter Umständen nicht einfach zu ermitteln sind. Sie reichen von der einfachen Zahl der Öffnungsstunden pro Woche bis hin zu umfangreichen empirischen Untersuchungen über Benutzerzufriedenheit oder Verfügbarkeit der Literatur. Solche Zahlen fallen also nicht nebenbei an und nicht selten erweisen sie sich erst durch eine Wiederholung der Untersuchung nach Ablauf einer Zeitperiode von z.B. einem Jahr als besonders interessant. Beispielsweise mag es eine interessante Frage sein, ob die Benutzer zufrieden sind oder wie sie mit der Katalogsituation zurechtkommen. Darauf kann dann unmittelbar reagiert werden. Ob die Maßnahmen aber auch das gewünschte Ergebnis produziert haben bedarf wiederum einer Nacherhebung.

Ermittelte Leistungszahlen helfen häufig bei der eigentlichen Aufgabe dieses Instruments, nämlich der Leistungsbeurteilung der Bibliothek nicht weiter, weil schlicht der Maßstab fehlt. Ist es erfolgreich, wenn ein Werk durchschnittlich zwei Wochen nach Eintreffen in der Bibliothek am Standort ist oder sind es vielleicht fünf Wochen? Wie "gut" die bibliothekarische Leistung letztlich wirklich ist, kann in solchen Fällen nur durch einen Vergleich mit anderen Bibliotheken ermittelt werden. Selbstverständlich müßten bei einem solchen Vergleich gleiche Methoden verwendet werden. Zur Interpretation müßte dann mit in Erwägung gezogen werden, ob nicht "Äpfel" mit "Birnen" verglichen werden. So muß also selbstverständlich mit ins Kalkül gezogen werden, ob beispielsweise bei der Geschwindigkeit der Buchbearbeitung überwiegend Fremddaten genutzt werden können oder nicht.

Deutlich wird schon hier, daß die Ermittlung von Zahlen im Rahmen eines Managementinformationssystems und mit Methoden des Performance Measurements zum Zweck des Controlling zunächst eine Querschnitts- oder Stabsfunktion ist und letztlich ein Führungsinstrument. "Durch laufenden Vergleich von Ergebnissen und Zielen ermöglicht es einen effizienten Einsatz der Ressourcen und eine schnelle Anpassung an Veränderungen" (Jülkenbeck 1994, S. 10).

Dies wiederum setzt voraus, daß die Ziele bekannt sind. Diese Aussage klingt auf den ersten Blick trivial. Für Wirtschaftsunternehmen mit Kostenstrukturen, Gewinnerwartungen und Wettbewerbern sind diese Ziele und deren Verfehlen mehr oder weniger eindeutig in Geld zu bewerten. Wird mehr Geld ausgegeben als eingenommen verschwindet über kurz oder lang das Unternehmen vom Markt, wenn es nicht seine Kosten senken oder höhere Preise am Markt durchsetzen kann.

Solche Regulative fehlen meist in öffentlichen Verwaltungen. Im Rahmen des "Neuen Steuerungsmodells" kommt hier die Budgetierung zum Tragen. Grundlage hierfür ist die Kostenrechnung. Im Bereich der öffentlichen Bibliotheken gibt es hierzu bereits eine große Zahl von Beispielen, aus dem Bereich der wissenschaftlichen Bibliotheken ist mir lediglich das Beispiel ULB Münster bekannt, wo eine Kostenrechnung exemplarisch und projektbezogen für die bibliothekarische Arbeit errechnet worden ist, ohne daß die Bibliothek budgetiert wird.

Bei der Kostenrechnung (vgl. Haberstock 1987, Kilger 1988, Götzinger 1985) in der öffentlichen Verwaltung müssen zunächst alle Kostenaspekte, die für die Dienstleistungserstellung eine Rolle spielen, ermittelt werden. Dabei fragt die Kostenartenrechnung danach, welche Kosten anfallen, z.B. für Personal, EDV, Bestandsaufbau, Energie etc. Die Kostenstellenrechnung fragt, wo diese Kosten anfallen, z.B. in der Tauschstelle, der Kaufakzession, der Lehrbuchsammlung etc. Die Prozeßkostenrechnung fragt, welche Arbeitsprozesse haben die Kosten verursacht, z.B. wie ist der Arbeitsablauf in der Tauschstelle organisiert und welche Tätigkeiten, Arbeitsmaterialien etc. fallen kostenmäßig auf. Abschließend ist die Kostenträgerrechnung zu erwähnen, wo danach gefragt wird, wofür die Kosten entstanden sind. Die Kostenträgerrechnung kann erst aufgestellt werden, wenn die Kostenarten erfaßt und auf die Kostenstellen verteilt sind. "Kostenträger sind die betrieblichen Leistungen, die die verursachten Kosten "tragen" müssen" (Haberstock 1987, S. 162), wobei methodisch das Kostenverursacherprinzip angewendet und die Kosten nach Zeit oder Stück berechnet werden können.

Ich will im folgenden nicht die Methoden der Kostenrechnung darstellen. Mir geht es vielmehr um die Perspektiven unter denen sie im Rahmen moderner Managementmethoden dringend geboten sind. Hierzu stellt Gornas (1992, S. 230) fest: "Der wichtigste Anwendungsbereich der Grundrechnung liegt jedoch bei der Planung ablauforganisatorischer Maßnahmen. Dabei geht es in erster Linie um die kostenoptimale Strukturierung verwaltungsbetrieblicher Produktionsprozesse, und zwar unter der Voraussetzung, daß ein bestimmtes Qualitätsniveau bei den Verwaltungsleistungen nicht unterschritten werden darf."

Bei der Kostenrechnung im öffentlichen Dienstleistungsbetrieb Bibliothek sind in der Praxis selbstverständlich eine ganze Reihe von Problemen zu überwinden auf die an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden kann. So sind uns beispielsweise wegen der Kameralistik und der Bewirtschschaftung von bibliotheksbezogenen Titeln in anderen Universitätsdienststellen (Gebäude- und Liegenschaftsverwaltung, Betriebstechnik u.a.) unter Umständen nicht einmal bestimmte Ausgaben (z.B. für Energie, Wartung technischer Anlagen etc.) bekannt.

Kostenrechnung als Selbstzweck macht keinen Sinn. Wie soll wirtschaftliches Denken in die Bibliothek Einzug halten, wenn die Direktion zwar die Kosten kennen sollte, das notwendige Kostenbewußtsein bei den Mitarbeitern aber fehlt, weil kein Einfluß auf die Kostenelemente genommen werden kann oder eine Einflußnahme weder für die Dienststelle noch für den Einzelnen positive Effekte verursacht.

An diesem Argumentationspunkt ist der reine Controllingansatz längst überwunden. Nun kommen Aspekte des Organisationsgefüges, der Mitarbeiterführung, der Kundenorientierung ins Spiel.

3.2 Moderne Managementkonzepte

Bei genauer Analyse der modernen Managementkonzepte Lean Management, (Total) Quality Management und Reengineering stellen sich viele Gemeinsamkeiten zwischen ihnen heraus. Allen drei Ansätzen ist gemeinsam, daß sie

als Ursache für mangelnde Wettbewerbsfähigkeit von Industrie- und Dienstleistungsunternehmen ansehen. Am radikalsten ist das sehr amerikanisch geprägte Konzept des Reengineering.

3.2.1 Reengineering

Der Reengineeringsansatz lehnt inkrementalen Wandel strikt als völlig ungeeignete Strategie ab und fordert vielmehr den radikalen Bruch von unternehmenskulturellen und organisatorischen Traditionen. Die kritische Analyse von Nippa (1994) macht aber deutlich, daß Skepsis bezüglich der Erfolgsaussichten und Methodenkritik bezüglich der Konzeption dieses Ansatzes angebracht ist. So ist auch typisch, daß das Reengineering zwar weltweit bei Unternehmensberatern für viel Geld bestens verkauft wird, letztlich aber nur wenige jahrelang erfolgreiche Beispiele dokumentiert sind. Von Interesse ist für unser

Thema ein Kerngedanke des Begründers des Reengineering: Hammer (1990 und 1994) vertritt nämlich die These, daß der effiziente Einsatz der Datenverarbeitung meist deswegen scheitert, weil ineffiziente Organisationsstrukturen und -prozesse lediglich "elektrifiziert" worden seien.

Im Bibliothekswesen ist - vermutlich wegen der Radikalität des Ansatzes - kein Beispiel von Reengineering in öffentlichen und wissenschaftlichen Bibliotheken bekannt geworden. Lediglich in Firmenbibliotheken liegt die Vermutung nahe, daß das Outsourcing bibliothekarischer und informatorischer Dienstleistungen nicht selten Folge eines Reengineering des Unternehmens gewesen ist.

Vor allem im angloamerikanischen Raum sind viel eher theoretische Beiträge und Praxisberichte zur schlanken Bibliothek (Lean Library) und des Total Quality Management dokumentiert.

3.2.2 Lean Management

Lean Production definiert Gablers Wirtschaftslexikon (13. Auflage) wie folgt: "Neuer Produktionsansatz, nach dem insbesondere durch die Grundprinzipien Dezentralisierung und Simultanisierung - verbunden mit kooperativen Verhaltensweisen - die Ziele Kundenorientierung und Kostensenkung realisiert werden (sollen)...Im Mittelpunkt (der Dezentralisierung, A.H.) stehen teamorientierte Arbeitsorganisation mit intensiven Kommunikationsbeziehungen zwischen breit qualifizierten Mitarbeitern sowie mit weitreichender Dezentralisation ...Die unternehmensinterne Simultanisierung von Prozessen äußert sich v. a. in der Aufgabe der tayloristischen Funktionsspezialisierung einzelner Leistungsbereiche."

Den "Werkzeugkasten" des Lean Managements im Bürobereich faßt Nippa (1994, S. 79) wie folgt zusammen:

Steuerungsebene:

und auf der Objektebene:
3.2.3 Total Quality Management

Wird Lean Management so verstanden, dann bestehen nur geringe Unterschiede zum Total Quality Management: "Auf der Mitwirkung aller ihrer Mitglieder beruhende Führungsmethode einer Organisation, die Qualität in den Mittelpunkt stellt und durch Zufriedenstellung der Kunden auf langfristigen Geschäftserfolg sowie auf Nutzen für die Mitglieder der Organisation und für die Gesellschaft zielt" (DIN/ISO 8402 1992, S. 25)

Total Quality Management kann wie folgt charakterisiert werden:

(Line 1994, S. 220)

Gemeinsame Merkmale von Lean Management und Total Quality Management sind:

  1. Konzepte werden top down eingeführt.

  2. Sie werden im gesamten Betrieb als Leitbild und Konzept eingeführt, so daß sie vom Management bis zur untersten Hierarchieebene getragen werden.

  3. Ressourcen- und Entscheidungsverantwortung werden autonomisiert.

  4. Teambildung motiviert die Mitarbeiter und stärkt die Eigenverantwortung, mit ihr die Motivation und

  5. die Kundenorientierung durch zeitnahe und qualitativ hochwertige Produktion.

  6. Qualitätsverbesserung ist wie beim KAIZEN ein kontinuierlicher Prozeß, der in die Produkterstellung und die Organisation des Produktionsprozesses eingebaut wird.

  7. Aufbau- und Ablauforganisation werden umstrukturiert und verändern die gesamte Unternehmensstruktur.
Damit ist folgender Mitarbeitertyp gefragt:
Lean Management und Total Quality Management können und dürfen keine kurzfristigen Strategien sein. Nicht "Fensterreden" sind gefragt sondern Umgestaltung. Die Motivationsfähigkeit für Effektivität, Effizienz und Kundennähe ist nur dann möglich, wenn:
4. Ist die schlanke Bibliothek möglich?

Wenn zutrifft, daß das Bibliothekswesen vor ganz neuen Herausforderungen steht, ist die Frage zu beantworten, ob die neuen Herausforderungen auch bewältigt werden können.

Das Adjektiv "schlank" in diesem Zusammenhang impliziert sofort den Gedanken, daß Fettpolster zurückgebildet und der Organismus zu sportlicher Leistungsfähigkeit trainiert werden muß. Jedem ist aber aus seinem täglichen Lebenszusammenhang klar, daß nicht in jedem Lebensalter und mit unterschiedlicher physischer und psychischer Disposition Höchstleistungen erzielt werden können.

Bibliotheken sind zumeist sehr alte und traditionsreiche Organisationen mit entsprechenden organisationskulturellen Traditionen. Traditionen erfüllen die Bibliothekare zumeist mit Respekt und Stolz. Traditionen bescheren u. U. eine hohe Wertschätzung aber provozieren zumeist zugleich organisationsintern den Wunsch, die Tradition fortsetzen zu wollen. Überkommene Strukturen mit organisatorischen Regelungen bleiben dabei häufig sakrosankt, weil sie sich angeblich bewährt haben, weil es immer schon so war oder weil sich keiner eine Alternative vorstellen kann. Neben diesen eher psychologischen Barrieren spielen mit Sicherheit die traditionellen Organisationsformen und Managementstile eine entscheidende Rolle für den momentanen Anpassungsbedarf der bundesdeutschen Bibliotheken.

Völlig unerwähnt blieb bisher die restriktive Rolle des öffentlichen Dienstrechts und des Personalvertretungsrechts, die den anstehenden Wandel hemmen. Selbstverständlich kann es niemals darum gehen, zum Prinzip des Hire-and-fire zu kommen. Soziale Errungenschaften müssen erhalten bleiben. Allerdings muß mehr Flexibilität bezüglich Umsetzungen, Kündigungen etc. möglich werden.

Auch der Bundesangestelltentarif (BAT) stellt sich zunehmend flexibilitätshemmend dar. Hier sorgt immer wieder die angemessene tarifliche Eingruppierung für Konfliktstoff in der täglichen Praxis des Personalmanagements. Viele gute Konzepte wie die Autonomisierung und Integration von Arbeitsprozessen stoßen an tarifrechtliche Grenzen. Selbstverständlich muß der Grundsatz "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" auch in Zukunft gelten. Nur hat das leider allzu oft zur Konsequenz, daß das Personal nicht nach Fähigkeit, sondern nach zur Verfügung stehender Planstelle und nach Ausgangsqualifikation eingesetzt wird.

Die Tätigkeitsbeschreibungen objektivieren allzu oft Arbeitsvorgänge, die so in der täglichen Routine nicht präzise nach den festgelegten Prozentaufteilungen ausgeführt werden können. Die sehr hilfreiche Arbeit von Sauppe/Vollers (Arbeitsvorgänge 1991) beruht auf Geschäftsgängen und der Arbeitsorganisation, wie sie Mitte der siebziger Jahre üblich waren, zumeist ohne EDV. Dennoch wird sie als einzige solide Basis täglich für Eingruppierungsfragen als Richtschnur herangezogen.

Diese und andere restriktive Rahmenbedingungen behindern die Flexibilität der Bibliotheken. Dennoch ist Verschlankung möglich. Wie bei einer Schlankheitskur bei einem an sich gesunden Patienten muß zunächst bei ihm selbst die Überzeugung gereift sein, daß Verschlankung zur Erhaltung und Verbesserung der Leistungskraft notwendig ist. Meiner Meinung nach muß der Wandel wie beim Patienten im Kopf anfangen. Das Problembewußtsein zu schaffen ist der erste Schritt, Maßnahmen zur Verschlankung sind der zweite Schritt.

Wichtig ist, daß klare Leitbilder und Ziele diskutiert werden. Die Diskussion muß Problembewußtsein schaffen, und zwar bei möglichst allen Organisationsmitgliedern, die sich selbst mit ihren Interessen und Ideen ernstgenommen fühlen müssen. Daraus wachsen Motivation und Bereitschaft, etwas zu verändern, neue Wege zu beschreiben. In diesem Kontext haben sich Qualitätszirkel, die ihre Diskussionsergebnisse intern an Schwarzen Brettern zur allgemeinen Information und Diskussion plakatieren und größere Dienstbesprechungen mit allen potientiell Betroffenen, sehr bewährt. Qualitätszirkel können ad hoc gebildet oder permanent bis zur Lösung der Aufgaben existieren. Wichtig ist, daß zwar eine starke Unterstützung durch die Führung des Hauses offenbar ist, daß aber die Kreativität im Vordergrund und Unabhängigkeit von hierarchischen Positionen der Gruppenmitglieder und möglichst Freiheit von Dienststellenegoismen gewahrt bleiben. Auf dieser Basis werden Vorschläge erarbeitet, die umgesetzt werden können. Ein evolutionärer Wandel nimmt so seinen Anfang. Auf diese Weise werden Arbeitsabläufe neu durchdacht und umstrukturiert, Eigenverantwortung durch Autonomisierung und Integration von Arbeitsprozessen verstärkt.

Von zunehmender Bedeutung in diesem Veränderungsprozeß und der Entwicklung zur schlanken Bibliothek sind die oben genannten Verfahren des Controlling unter Einbeziehung der Kostenrechnung und des Performance Measurements sowie Methoden des Lean Managements und des Qualitätsmanagements, deren Ansätze - wie gezeigt wurde - eng miteinander verwandt sind. Aus der eigenen Praxis kann berichtet werden, daß bereits unsystematisch angewandte Ansätze eines Quality Managements und Performance Measurements gute Ergebnisse zeitigen und Veränderungsprozesse dadurch eingeleitet werden, die letztlich weiter ausgreifen als ursprünglich angedacht. In der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen ist der Wandlungsprozeß, den die integrierte Bibliothekssoftware PICA technich ermöglicht, in vollem Gang, und trotz gewisser Reibungsverluste sind deutliche Verschlankungs- und Beschleunigungseffekte empirisch nachweisbar.

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