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Bibliotheksdienst Heft 11, 96

Perspektiven der Ausbildung in den Informationsberufen

Vom Allroundgenie zum Informationsspezialisten? Der Trend in den deutschen Ausbildungsinstituten 1)
Claudia Chmielus

1 Einleitung

"Vom Allroundgenie zum Informationsspezialisten?" Mit diesem Titel will ich auf das Dilemma hinweisen, vor dem die Ausbildungsinstitute im Bereich Bibliothek, Information, Dokumentation, kurz BID, heute stehen. Sehen sie ihre Aufgabe darin, Fertigkeiten zu vermitteln, um den sofort und allseits einsatzfähigen Bibliothekar 2) auszubilden, wie ihn die Bibliotheken vielfach fordern? Oder geht es ihnen eher um exemplarisches Lernen und die Vermittlung von Fähigkeiten und Kompetenzen, also um Schlüsselqualifikationen?

In dem Wegweiser von Wilhelm Gaus "Berufe im Archiv-, Bibliotheks-, Informations- und Dokumentationswesen" sind 26 verschiedene Studiengänge für Informationsberufe aufgelistet - die für linguistische Informationswissenschaft nicht mitgerechnet. Die Vielfalt ist enorm und verwirrend. Die Berufsbezeichnungen von Absolventen der deutschen Ausbildungsinstitute lauten längst nicht mehr nur "Diplom-Bibliothekar", "Diplom-Archivar" und "Diplom-Dokumentar". Sie reichen vom "Mediendokumentar" über den "Diplom-lnformationswirt" mit Fachrichtung Medien- und Wirtschafts-Information bzw. Chemie-Information bis zum "Diplom-Museologen", zum "Diplom-Buchhandelswirt" und zum "Technischen Redakteur".

Ich will mich im folgenden auf Studiengänge beschränken, die zum Abschluß Diplom-Bibliothekarin, Diplom-Bibliothekar führen, die also vergleichbar sind mit dem österreichischen B-Abschluß. Ausgehend vom derzeitigen Stand der Ausbildung stelle ich verschiedene Reformmodelle vor, die zum einen Teil noch Planung, zum anderen Teil aber schon Wirklichkeit sind. Sowohl die Gemeinsamkeiten als auch die Unterschiede in den vorgestellten Konzepten führen mich zum Schluß zu den Zukunftsperspektiven in der deutschen Ausbildung.

2 Struktur der BID-Ausbildung

2.1 Die Ausbildungsinstitute

Derzeit gibt es in Deutschland zehn Ausbildungsinstitute, die Diplom-Bibliothekare ausbilden. Allein in Berlin ist die Ausbildung an einer Universität angesiedelt. Noch - , denn dort wird sie in absehbarer Zeit aus Kostengründen eingestellt. Bei allen anderen Ausbildungsinstituten handelt es sich um Fachhochschulen, deren Studiengänge wiederum in verwaltungsinterne und externe unterteilt werden können:

2.2 Externe und interne Ausbildung

Als extern werden freie Fachhochschulstudiengänge bezeichnet. Die internen Studiengänge hingegen bilden Beamtenanwärter aus, d.h. die Studierenden sind eigentlich keine Studenten. Das hat folgende Konsequenzen:

Von den bestehenden zehn Ausbildungsstätten bilden derzeit noch drei intern aus: Frankfurt, Köln und München. Die interne Ausbildung erhebt den Anspruch, bedarfsbezogen zu sein, - der Bedarf im Öffentlichen Dienst ist jedoch weitgehend erschöpft. Beamtenstellen sind rar geworden, Angestelltenstellen oft zeitlich befristet. Wie schon in früheren Jahren wird daher 1996 in München kein neuer Kurs einberufen. In anderen Bundesländern ist die Arbeitsmarktlage der bayerischen ganz ähnlich.

2.3 Ziele einer Reformierung

Daraus ergibt sich - auch für die extern ausbildenden Fachhochschulen - die Notwendigkeit einer Reformierung der Ausbildung mit folgenden Zielen:

2.3.1 Erweiterung des Arbeitsfeldes

Die Ausbildung muß sich an der Erweiterung von Arbeitsmarkt und Arbeitsfeld orientieren. Im Sinne der Verbesserung der Berufschancen der Absolventen darf nicht mehr nur der Öffentliche Dienst als potentieller Arbeitgeber in Betracht gezogen werden. Berücksichtigt werden müssen Bibliotheken, Informations- und Dokumentationseinrichtungen aller Art, unabhängig von ihrer Trägerschaft.

2.3.2 Neue Lehrinhalte

Um tatsächlich verbesserte Arbeitsmarktchancen gewährleisten zu können, müssen neben herkömmlichen Inhalten verstärkt neue Entwicklungen in die Ausbildung Eingang finden. Über die Rolle der Bibliotheken im Informationszeitalter wird derzeit heftig und kontrovers diskutiert. Die Ausbildungsinstitutionen sollten hier allen voran ihre "Nase im Wind" haben und mit ihren Absolventen Experten vorbereiten, die der Bibliothekspraxis später den Weg weisen können.

Kompetenz bei Bewertung, Auswahl und Einsatz von Bibliotheks- und Datenbanksystemen, sicheres Navigieren durch den immer dichter werdenden lnformationsdschungel, das gesamte Handling elektronischer Dokumente gepaart mit Kundenorientierung, geschulter Kommunikationskompetenz, Fähigkeit zum Teamworking und zum eigenverantwortlichen Management: Das sind neben den konventionellen Fähigkeiten nur einige Eigenschaften, die den Absolventen einen Platz in der Zukunft sichern sollten.

2.3.3 Neue Lehr- und Lernformen

Es liegt auf der Hand, daß mit Frontalunterricht, bei dem die Studierenden lediglich Konsumenten sind, diese Kompetenzen nicht erworben werden können. Also müssen auch neue Lehrmethoden zum Zuge kommen. Dafür bieten sich beispielsweise Seminare und Workshops an.

2.3.4 Mehrere Praktika

Statt eines Langzeitpraktikums an einer großen Bibliothek sollten in der Ausbildung mehrere Praktika an unterschiedlich strukturierten Einrichtungen vorgesehen sein. Der Student sollte die Chance haben, auf der Suche nach einem Praktikumsplatz selbst aktiv zu werden. Oft ergibt sich durch solch ein Praktikum das Thema für die Diplomarbeit, manchmal sogar ein Arbeitsplatz.

2.3.5 Projektarbeit

Besonderes Gewicht bei der Reformierung der Ausbildung kommt der praxis- und problemorientierten Projektarbeit zu. In einem Projekt arbeiten die Studierenden selbständig und legen den Verlauf eigenverantwortlich fest. Die Rolle der Dozenten geht eher in Richtung Moderationstätigkeit und Trouble Shooting. Sie ziehen sich zurück, lassen durchaus auch Mißerfolgserlebnisse zu und greifen erst im Notfall ein. Die Themen können fächerübergreifend sein und von Dozenten oder den Studierenden selbst vorgeschlagen werden. Konkrete Aufträge aus der Privatwirtschaft sollten dabei an Selbstverständlichkeit gewinnen.

Zwei Beispiele:

Die genannten Projekte sind als geglückt und didaktisch richtungsweisend zu bezeichnen. Die Studierenden bewiesen, daß sie mehr können als nur den Worten eines Dozenten lauschen. Derartig umfangreiche Projekte fordern und fördern das Engagement und die Motivation der Studenten weit über das normale Maß hinaus, sie sind daher in der internen Ausbildung schon aus Zeitgründen kaum möglich.

2.4 Resümee

Die interne Ausbildung wird von maßgeblichen Gremien in Deutschland als nicht mehr zeitgemäß beurteilt. Frankfurt und München haben derzeit dennoch keine Ambitionen, sie zugunsten eines externen Studiums aufzugeben. Immerhin wird an diesen beiden Fachhochschulen versucht, innerhalb des vorgegebenen, sehr engen Rahmens, die Ausbildung zu modernisieren, z.B. durch Reduzierung des Pflichtstundenanteils, Erhöhung der Stundenzahl für EDV-bezogene Übungen und Einführung kleinerer unbenoteter Projekte.

3 Einzelne Reformmodelle

3.1 Stuttgart

Stuttgart hat den externen Weg eingeschlagen.Zum WS 1995/96 hat die Hochschule für Bibliotheks- und Informationswesen die lange geplante und ersehnte Studienreform realisieren können, mit der das Ende der internen Ausbildung einherging. Seither werden in einem zweisemestrigen Grundstudium wissenschaftliche und öffentliche Bibliothekare zusammen mit Dokumentaren ausgebildet, die nun Informationsmanager heißen. Im Hauptstudium trennen sich die verschiedenen Sparten wieder, doch auch dann werden studiengangsübergreifende Lehrveranstaltungen angeboten. Wahlpflichtfächer in Form von Seminaren dienen der Vertiefung und fungieren als Steuerinstrument, um persönlichen Spezialisierungswünschen Rechnung zu tragen. Der Wahlanteil macht ungefähr 40% des Lehrangebotes aus. Trotz der Hinzunahme neuer Lehrinhalte gelang es, das Studium auf nur sieben Semester zu begrenzen. Die europaweite Anerkennung des Diploms, für die sechs theoretische Semester die Voraussetzung sind, ist trotzdem gewährleistet.

Stuttgart hat sich also auf den Weg gemacht. Somit verbleibt auf der "internen Seite" Köln.

3.2 Köln

Köln strebt eine umfassende Studienreform an, für die allerdings erst noch die Voraussetzung geschaffen werden muß: der Wegfall der internen Beamtenausbildung. Zur Zeit werden in Köln Dokumentare und Bibliothekare beider Richtungen in völlig getrennten Studiengängen am Fachbereich Bibliotheks- und Informationswesen unterrichtet.

Zukünftig sollen die Dokumentare am neugegründeten Institut für Informationsmanagement im Studiengang Informationswirtschaft studieren. Der geplante Studiengang Bibliothekswesen wird acht Semester umfassen und nicht mehr in ÖB und WB getrennt sein. Nach einem gemeinsamen dreisemestrigen Grundstudium wird im Hauptstudium einer von fünf geplanten Schwerpunktbereichen gewählt, der fast die Hälfte des Studienvolumens im Hauptstudium ausmacht.

Selbstlernphasen, Seminare und Projekte erhalten in der neuen Ausbildungsform eine besondere Bedeutung. Zusätzlich zum gewählten Schwerpunkt wird die Möglichkeit bestehen, sich im Rahmen eines Wahlpflichtangebotes auf diverse bibliothekarische Arbeitsfelder zu spezialisieren, z.B. auf One-Person Libraries, Spezialbibliotheken oder Kinder- und Jugendbibliotheken. Außerdem sollen die Angebote der beiden Studiengänge Bibliothekswesen und Informationswirtschaft aufeinander abgestimmt werden und gegenseitig anrechnungsfähig sein.

3.3 Hamburg

Hamburg schlägt mit seinen Reformbestrebungen einen ähnlichen Weg wie Köln ein. Als Vorreiter der integrierten Ausbildung bildet Hamburg bereits seit 1973 nach dem sogenannten Y-Modell WB- und ÖB-Studenten gemeinsam aus.Neu ist seit dem WS 1993/94 der Studiengang Mediendokumentation.

Die derzeit in Planung befindliche Studienreform soll die Bewerbungschancen der Absolventen durch die Vermittlung allgemeingültiger breiter Basisqualifikationen in Verbindung mit sogenannten Modulen verbessern. Damit soll nicht zuletzt die Angleichung an internationale Standards vollzogen werden.

Nach fünf Semestern Grundlagenstudium sind ab dem 6. Semester vier Schwerpunktbereiche zur Vertiefung und zur Vermittlung von Schlüsselqualifikationen vorgesehen:

Der Informationsvermittler und der Erschließungsspezialist aus Köln werden in Hamburg zu einem Bereich - Informationsarbeit - zusammengefaßt. Es gibt also für ähnliche Sachverhalte ganz unterschiedliche Begriffe. Es gibt aber auch ähnliche Begriffe für unterschiedliche Sachverhalte: Der Medienbibliothekar aus Köln wird sich z.B. mit dem Medienmarkt, mit Publikationsverfahren und Mediendokumentation beschäftigen. Der Schwerpunkt Kultur- und Medienarbeit in Hamburg soll eher in Richtung Öffentlichkeitsarbeit und zielgruppenorientierte Medienvermittlung gehen.

Während in Köln noch unsicher ist, ob der gewählte Schwerpunkt im Diplomzeugnis festgehalten wird, steht das in Hamburg bereits fest. Übrigens wird auch eine Verknüpfung mit dem separaten Studiengang Mediendokumentation angestrebt, vor allem bei Projekten.

Mit der Reform soll auch eine Namensänderung des bisherigen "Fachbereichs Bibliothek und Information" einhergehen, um vom erwiesenermaßen schlechten Image des Bibliothekars wegzukommen.

Apropos Image: Hamburg führt regelmäßig unter Studienanfängern eine Umfrage bezüglich ihrer Studienmotivation durch. 1995 haben sich von 56 befragten Studierenden 32 zu ihrem Studienwunsch geäußert. Davon wollten 14 eigentlich etwas anderes studieren, das sind 44 %. Von den 18 Studierenden, die mit der bibliothekarischen Ausbildung ihr Wunschstudium ergriffen haben, gaben 12 als Grund an, daß sie sich für Bücher interessieren und gerne lesen. Da scheint noch sehr viel Aufklärungsarbeit = Öffentlichkeitsarbeit in Sachen Berufsbild vonnöten zu sein. Zwar war 1927 im "Handbuch der Berufe" als Anforderung an den bibliothekarischen Beruf "Lesetrieb" und "Liebe zum Buch" zu lesen, aber schon damals wurde eingeschränkt: "doch verbunden mit Selbstbeherrschung in dem Streben, sich über Gebühr an das Lesen der Bücher zu verlieren". Wer weiß, vielleicht sind ja gerade die, die eigentlich etwas anderes studieren wollten, angenehm überrascht, wenn sie feststellen, daß es im Studium nicht nur um Bücher geht.Es wurde mir nämlich auch von Studierenden berichtet, die das Studium abbrachen, weil sie sich alles ganz anders vorgestellt hatten.Sie wollten doch Bibliothekar werden, um garantiert nichts mit PCs zu tun zu haben.Und dann diese Enttäuschung!

3.4 Hannover

Nun zu Hannover. Die Integration bibliothekarischer Sparten in einem gemeinsamen Grundstudium stellt hier keine Aufgabe dar, weil Hannover seit jeher nur für das wissenschaftliche Bibliothekswesen ausbildet. Bereits 1994 wurde der "Fachbereich Bibliothekswesen, Information und Dokumentation" in "lnformations- und Kommunikationswesen" umbenannt.Neue Studiengänge wie "Technische Redaktion" machten die Umbenennung erforderlich.

Doch nicht nur der Name ist vergleichsweise fortschrittlich. Während andere Fachhochschulen noch planen, hat Hannover bereits mit dem WS 1995/96 einen dreijährigen Probelauf in Sachen Studienschwerpunkten gestartet. Neben bibliothekarischem Grundwissen sollen die Studierenden vertiefende Spezialkenntnisse erwerben.Die Idee ist folgende:

Eine stärkere grundständige Spezialisierung würde dem Trend zur Integration widersprechen und die Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt unnötig einschränken.Durch eine zusätzliche Spezialisierung und den Erwerb einer Zusatzqualifikation werden die Arbeitsmarktchancen in diesem speziellen Bereich aber besser, ohne daß sie im gesamten BID-Bereich schlechter werden. Der Student hat die Wahl, ob er mittels Wahlpflichtfächern, Praktikum, Projekt und Diplomarbeit eine bunte Mischung aus dem Studienangebot wählt oder ob er sich bewußt in eine Richtung entwickeln will. Für alle Aktivitäten erhält er Punkte. Mit 100 Punkten in einer Fachrichtung hat er die Zusatzqualifikation erreicht. Er erhält neben dem Diplomzeugnis ein Zertifikat, das ihm seine besonderen Kenntnisse bescheinigt.

Im Angebot sind derzeit folgende sechs Studienschwerpunkte:

Die Schwerpunktsetzung wurde hier nach anderen Kriterien vorgenommen und bezieht sich auch auf spezielle Medientypen. Interessant erscheint mir der letzte Studienschwerpunkt. Sehr oft werden Stimmen laut, daß bei all den neuen Inhalten wie Management und Informationstechnologie das Buch an sich zu kurz kommt. In Hannover ist es möglich, sich auf das Alte Buch in einem Umfang zu konzentrieren, der über das übliche Maß - selbst in der internen Ausbildung - hinausgeht.

Als nächste Reformschritte plant Hannover die Verlängerung des Grundstudiums auf drei Semester und einen gemeinsamen Studiengang für Bibliothekare und Dokumentare mit unterschiedlicher Schwerpunktbildung.

3.5 Potsdam

Zuletzt möchte ich das "Potsdamer Modell" erwähnen. Die Fachhochschule wurde erst 1991 gegründet. Einmalig in Deutschland werden dort seit dem WS 1992/93 Bibliothekare und Dokumentare zusammen mit Archivaren ausgebildet. Als ganz einfach hat sich dieser Integrationsversuch jedoch nicht erwiesen, da die Gemeinsamkeiten mit Archivaren wohl doch nicht so groß sind, wie ursprünglich angenommen.

Nach einem weitgehend gemeinsamen Grundstudium wird der schon vorab gewählte Studiengang im Hauptstudium fortgeführt und durch ein Nebenfach - einer der beiden anderen Studiengänge - ergänzt.Besonderer Wert wird auf die fachbereichsübergreifende Zusammenarbeit innerhalb der gesamten Fachhochschule gelegt. Sie soll vor allem, mit dem Studiengang Kommunikationsdesign und dem Modellstudiengang Kulturarbeit weiter intensiviert werden.

4 Zusammenfassung

4.1 Gemeinsamkeiten

Was haben nun all diese Modelle gemeinsam? Ausgehend vom Bemühen, das Arbeitsfeld zu erweitern, ist ein integriertes Grundstudium für Bibliothekare, Dokumentare und Archivare der unbestrittene Standard. Daran anschließend werden zwar im Hauptstudium verschiedene Wege gewählt.Dennoch ist man sich darin einig, daß Wahl- und damit Spezialisierungsangebote im Vergleich zu früher wesentlich erweitert werden müssen und daß neue Lehr- bzw. Lernformen Eingang in die Ausbildung finden sollten. Der Gruppen- und Projektarbeit wird im Sinne der Vermittlung von Schlüsselqualifikationen besondere Bedeutung beigemessen. Zum neuen Standard gehören außerdem mehrere, unterschiedlich lange Praktika.

4.2 Konsequenzen aus den Unterschieden

4.2.1 Kooperation

Trotz oder gerade wegen der unterschiedlichen Studienkonzeptionen sollte die Kooperation unter den Fachhochschulen wachsen. Ein regelmäßiger persönlicher Erfahrungsaustausch zwischen Dozenten derselben Lehrgebiete, wie er in der Vergangenheit schon stattgefunden hat, ist dafür ungemein förderlich.

Daneben ergeben sich durch die moderne technische Infrastruktur neue Kommunikationsmöglichkeiten und Kooperationsformen. Informationstechnologien sollten nicht nur im Unterricht vermittelt, sondern auch tatsächlich von den Dozenten für eigene Zwecke genutzt werden. Das reicht vom regelmäßigen Austausch per E-Mail bis zur Einrichtung eines gemeinsamen Servers, auf dem einzelne Unterrichtsmaterialien, Arbeitspapiere, Studienkonzepte, Diplomarbeiten oder Protokolle aufliegen könnten.

Ein anderer wünschenswerter Punkt der Kooperation ist die gegenseitige Anerkennung von Studienleistungen, um Studenten während des Studiums die Chance zu geben, den Studienort zu wechseln. Die "Konferenz der bibliothekarischen Ausbildungsstätten" beschäftigt sich derzeit mit diesem Thema. Es wird nicht ganz einfach sein, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, da es unterschiedliche Konzepte dafür gibt, wann was im Studium vermittelt werden soll. Das Grundstudium dauert an der einen Fachhochschule zwei Semester, an der anderen fünf. Die Praktika finden in verschiedener Anzahl und Länge zu ganz unterschiedlichen Zeitpunkten statt.Dennoch ist die Erarbeitung von Richtlinien für die Anerkennung ein Schritt in die richtige Richtung.

4.2.2 Profilbildung

Unter den genannten Prämissen können die bestehenden Unterschiede zu einer Profilbildung der einzelnen Fachhochschulen beitragen.Wünschenswert wäre es, daß der Hochschulort von den Studierenden, nicht wie üblich, nach dem Wohnort, sondern nach dem speziellen Angebot der Fachhochschule ausgewählt wird.Dafür ist es notwendig, daß dieses Profil nach außen bekannt wird, daß die Fachhochschulen mit ihren Besonderheiten werben und gezielt Öffentlichkeitsarbeit betreiben.

4.3 Interdisziplinarität und Ressourcennutzung

Die meisten bibliothekarischen Ausbildungsinstitute sind Bestandteil einer größeren Einheit, nämlich Fachbereich einer Fachhochschule. Der Verlust der Selbständigkeit der früher z.T. eigenständigen Einrichtungen mag zwar in vielen Punkten schmerzlich gewesen sein, er bietet jedoch auch die Chance zur Interdisziplinarität und zur Nutzung fachbereichsübergreifender Ressourcen. In Zusammenarbeit mit anderen Fachbereichen kann die bibliothekarische Ausbildung auf einen wirklich breiten Sockel gestellt werden. Es bieten sich dafür Fachbereiche an wie Kommunikation und Kommunikationsdesign, Design, Druck, Informatik, Betriebswirtschaft, Öffentlichkeitsarbeit oder Kulturmanagement. Auch eine Kooperation mit anderen Hochschulen am Ort, z.B. im Rahmen gemeinsamer Projekte, mag bereichernd sein. Bibliothekare können von anderen Berufsgruppen einiges lernen, wie sie ihre Arbeits- und Dienstleistungen besser darstellen und vermarkten können. Sie sollten sich nicht scheuen, auf deren Wissen zurückzugreifen!

4.4 Möglichkeiten der Weiterqualifizierung

Eine Perspektive fehlt in Deutschland leider fast völlig: die Möglichkeit, sich weiterzuqualifizieren, um entsprechend besser dotierte Arbeitsplätze anstreben zu können.

Sehr gute Absolventen, d.h. mit einem Examensnotendurchschnitt von maximal 1,5, können sich am Institut für Buchwesen der Universität Mainz um ein Promotionsstudium bemühen, doch dieser Weg ist für die eher praktisch veranlagten Kolleginnen und Kollegen, die sich erst im Berufsalltag bewährt haben, versperrt. Mittlerweile bietet sich auch an der Humboldt-Universität zu Berlin die Chance zur Promotion.

Daneben besteht derzeit in Berlin die Möglichkeit, durch ein viersemestriges Fernstudium ein Zertifikat für den wissenschaftlichen Bibliothekar zu erwerben. Der Vorteil liegt darin, daß dies berufsbegleitend geschehen kann, doch leider ist mit diesem Zertifikat keine Zugangsberechtigung für den höheren Bibliotheksdienst verknüpft.

Die Auswahl an weiteren Aufbaustudiengängen ist mehr als dürftig. Um Vorbilder im Ausland nachahmen zu können, - in Dänemark gibt es beispielsweise interessante Weiterqualifizierungsmöglichkeiten - müßten in Deutschland entsprechende hochschulrechtliche Rahmenbedingungen auf Länderebene geschaffen werden. Darüber hinaus würde die Anerkennung des Fachhochschulabschlusses als Hochschulabschluß durch den öffentlichen Dienst bestehende Hindernisse ausräumen und die Berufschancen der Diplom-Bibliothekare verbessern.

4.5 Schluß

Hinter dem Titel meines Vortrags "Vom Allroundgenie zum Informationsspezialisten" steht ein Fragezeichen. Mein Ziel war es darzulegen, daß der Weg in Deutschland nicht weg vom einen und hin zum anderen geht, sondern daß die moderne Ausbildung das Spagat versucht, Allroundfähigkeiten zu vermitteln, ohne auf Spezialisierungsangebote zu verzichten. Da sich die Ausbildung ständig im Fluß befindet - und befinden sollte - , sind meine Ausführungen als eine Momentaufnahme des Ist-Zustandes und der derzeitigen Planungen zu verstehen.

1) Vortrag, gehalten im Rahmen des 24. Österreichischen Bibliothekartages 1996 in Innsbruck, Themenkreis 6: Perspektiven der Ausbildung in den Informationsberufen. Die Autorin war bis 1.8.96 Vorsitzende der Kommission Ausbildung und Beruf des VdDB.

2) Ich bitte um Nachsicht, wenn ich im folgenden der Lesbarkeit wegen i.d.R. die männliche Form verwende.


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