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Bibliotheksdienst Heft 10, 96

Mikrofilme im Leihverkehr

Hans Bohrmann

Bibliotheken sind, wie es Wiegand pointiert ausgeführt hat, im Kern "Bücherlager". Wissenschaftliche Bibliotheken und dabei verschärft die Pflichtexemplarbibliotheken haben damit zwei miteinander nicht immer parallel laufende Aufgabenstellungen: die möglichst umgehende Bereitstellung der gewünschten Literatur für den Benutzer und die dauernde Sicherstellung des Bestandes.

Beide Aufgaben legen, zumal bei Zeitungen, den Einsatz des Mikrofilmes nahe. Großformatige Zeitungen in Holzschliffpapier lassen sich nicht dauerhaft erhalten und ihre Benutzung ist auch bei gutem Erhaltungszustand nicht uneingeschränkt möglich, vor allem weil der gebundene Zeitungsband (von Zeitungspaketen gar nicht zu reden) durch Format und Gewicht schon im Lesesaal am Ort schwierig zu behandeln ist, eine Ausleihe sich fast immer verbietet und eine Fernleihe schon gar nicht in Frage kommt.

Als die Mikroverfilmung von Zeitungen Ende der 50er Jahre in der Bundesrepublik begann, neigten zu Anfang nicht wenige Bibliotheken dazu, ihre Mikrofilme nur für die örtlichen Lesesäle, nicht aber für die Fernleihe zur Verfügung zu stellen. Mikrofilme, deren Herstellung teuer war und deren Erwerb anfangs vorwiegend zu den recht hohen Preisen des internationalen Marktes aus dem anglo-amerikanischen Raum getätigt werden mußten, sollten nicht durch den Versand zusätzlich gefährdet werden.

Hinzu kam, daß in jenen Jahren nur der Kamerafilm (Silberfilm) oder der von ihm gezogene negative oder positive Duplikatmikrofilm (Silber) bekannt waren. Er hat zwar den Vorteil erheblicher Dauerhaftigkeit, aber technisch bedingt ist er in der Benutzung im Lesegerät und/oder Reader-Printer besonderen Gefährdungen ausgesetzt. Der Silberfilm und die von ihm abgeleiteten Silberduplikate bestehen aus einer praktisch nicht zerreißbaren und nicht brennbaren Kunststoffschicht als Träger, auf der - ähnlich wie bei jedem Urlaubsfoto - die durch die fotografische Aufnahme belichtete, dann entwickelte und fixierte Silberschicht aufliegt. Die Schichtseite des Mikrofilms ist ungeschützt, sie kann bereits durch feuchte Finger oder Fingernägel beschädigt werden. In jedem Lesegerät, insbesondere beim Vor- und Rückspulen, sind ebenfalls Beschädigungen möglich. Die parallel zum Bildrand verlaufenden "Schleifspuren" kennen viele Mikrofilmbenutzer. Eine Beschädigung der Silberschicht bedeutet immer Informationsverlust, der, wenn es sich um einen Kamerafilm handelt, grundsätzlich nur durch Neuaufnahme ausgeglichen werden kann.

Deshalb lag es nahe, für den Benutzungsfilm (Arbeitsfilm) ein Material zu suchen, das die Nachteile des Silberfilms in der Benutzung ausglich. Das ist in den 60er Jahren durch die Entwicklung des Diazofilmes gelungen.

Der Diazofilm ist ein dreischichtiger Vollkunststoffilm, dessen mittlere Schicht vor der Belichtung lichtempfindlich ist. In einem Diazo-Dupliziergerät wird der Kamerafilm (ggf. auch ein Direktduplikat-Silberfilm oder sogar ein qualitativ hochwertiges Diazoduplikat) an einem unbelichteten Diazofilm vorbeigeführt, so daß eine Kopie gleicher Polarität (negativ, schwarze Schrift auf hellem Grund) entsteht.

Am Anfang der Verwendung von Diazo-Material wurde befürchtet, daß der Film ausbleichen könnte, insbesondere, wenn er ultravioletten Strahlen (Tageslicht, Lesegeräte) ausgesetzt würde. Die grundsätzliche Möglichkeit des Ausbleichens ist gegeben, aber wie die inzwischen 30jährige Erfahrung lehrt, in der Praxis nicht relevant. Wenn Diazo-Mikrofilme in den üblichen Faltkartons aufbewahrt werden, und nur für die Benutzung im Lesegerät dem Tageslicht bzw. dem Licht der Auswertgeräte ausgesetzt werden, tritt kein Verbleichen ein. Das gilt auch für längere Benutzungen.

Deshalb hat sich der Diazofilm als Benutzungsfilm in der Bundesrepublik durchgesetzt. Hinzu kommt, daß er auch um ein Fünftel billiger angeboten werden kann.

Daß im Ausland, vor allem in den Vereinigten Staaten, der Silberfilm (noch dazu als Positivfilm) eingesetzt wird, hat keine technischen, sondern hauptsächlich Copyright-Gründe. Im Unterschied zu dem deutschen Urheberrecht, das das Ziehen von Kopien in Bibliotheken für eigene private Nutzungszwecke grundsätzlich erlaubt, ist im angelsächsischen Bereich ohne Kollision mit dem Copyright im wesentlichen nur die Lektüre am Bildschirm zulässig. Der positive Silberfilm laßt zwar auf geeigneten umschaltbaren Reader-Printern auch eine Kopie zu, aber sie ist technisch schlecht, schwer lesbar und eignet sich überhaupt nicht als Vorlage für Illustrationen bspw. in Veröffentlichungen.

Bibliotheken werden ihrer doppelten Grundfunktion als Bücherlager bei Zeitungen deshalb optimal gerecht, wenn sie Zeitungen auf Mikrofilmen anbieten, wobei die Kamerafilme (Silberfilme) gut geschützt in den Magazinen verbleiben und Diazo-Benutzungsfilme (Arbeitsfilme) für den Leser angeboten werden. Ein Versand von Diazofilmen in der Fernleihe ist, wie die mehr als 30jährige Erfahrung des Instituts für Zeitungsforschung (Dortmund) zeigt, unproblematisch. Das Institut versendet jährlich rund 1.000 Filmrollen im Leihverkehr an andere Einrichtungen. Verluste sind dabei praktisch nicht zu beklagen. Sollten Verluste eintreten, kann für relativ wenig Geld ein erneutes Benutzungsduplikat vom Kamerafilm gezogen werden.

Für die Ausleihe hat sich folgendes Verfahren entwickelt: Im Leihverkehr wird jeweils eine begrenzte Zahl von Filmrollen pro Benutzer versandt. Es hat sich herausgestellt, daß bei der Durchsicht ganzer Jahrgänge relativ viel Zeit gebraucht wird. Das heißt, bei Versand zu großer Partien bleiben jeweils aktuell zu viele Rollen unbenutzt, die bei Benutzern im Institut oder bei anderen Fernleihbestellungen besser aufgehoben sind. Zum Versand werden die Mikrorollfilme aus dem Faltkarton entnommen. Dieser verbleibt am Standort im Magazin. Jede Rolle wird in eine Metalldose oder einen stabilen Kunststoffcontainer umgelegt, damit sie beim Versand nicht beschädigt werden kann. Da die Filme mit Kartonbanderolen verschlossen sind, auf denen die Signatur, der Titel und der Zeitraum vermerkt sind (die Rolle selbst ist mit dem Besitzvermerk "Institut für Zeitungsforschung, Dortmund" versehen), kann sich der Benutzer leicht orientieren. Wichtig ist es, daß die Banderolen nach der Benutzung wieder mit dem je betreffenden Film verbunden werden, um Verwechslungen zu vermeiden. Das ist leider nicht durchgängig gegeben. Vermutlich, weil die Benutzer, möglicherweise auch die Lesesaalaufsichten in den ausleihenden Bibliotheken über die Wichtigkeit dieser Banderole nicht hinreichend informiert sind.

Ein Problem stellen auch die relativ hohen Transportkosten dar, die bei einer Einrichtung, wie sie das Institut für Zeitungsforschung darstellt, nicht durch Fernleihbestellungen bei anderen Bibliotheken ausgeglichen werden.

Der Versand von Kamerafilmen (Silberfilmen) im Leihverkehr verbietet sich aus den oben dargestellten Gründen (Beschädigung im Lesegerät). Das bedeutet in der Praxis, grundsätzlich die Herstellung von Diazobenutzungsfilmen bei selbsthergestellten Filmen mit zu veranlassen, bei etwa angekauften Silberfilmen die Möglichkeit der Herstellung von Benutzungskopien eigens zu prüfen. Immer dann, wenn es aus urheberrechtlichen Gründen möglich ist, sollten Diazoduplikate gezogen werden, um das Original soweit als möglich zu schonen. Die dafür notwendigen Finanzmittel sind nicht so groß, daß sie von einer wissenschaftlichen Bibliothek nicht aufgebracht werden könnten. Servicefirmen, die eine solche Herstellung schnell, zuverlässig und kostengünstig anbieten, gibt es überall in der Bundesrepublik. Sollten bspw. bei Mikrofichesammlungen, die nur auf Silberfilm angeboten werden, gleichzeitig Duplizierungen aus urheberrechtlichen Gründen ausgeschlossen sein, muß die Benutzungsabteilung entscheiden, wie zu verfahren ist. Die Benutzung des Originales ist insbesondere bei farbigen Verfilmungen kaum zu vermeiden. Außerdem kann davon ausgegangen werden, daß in diesen Fällen bei Verlust oder Beschädigung zumindest grundsätzlich eine Nachbeschaffungsmöglichkeit beim Hersteller besteht.


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