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Bibliotheksdienst Heft 7, 96

Information Services - Beispiel für die Neuausrichtung firmeninterner Zentralfunktionen1)

Anne Petry-Eberle

Einleitung

Der Bereich Fachinformation gehört seit Beginn 1996 nicht mehr zur Daimler-Benz AG, der geschäftsführenden Holding des Konzerns, sondern zu seinem größten Unternehmensbereich, der Mercedes-Benz AG. Organisatorisch ist die Fachinformation Teil eines zentralen Dienstleistungscenter (vgl. Kmuche 1994, 40) im Vorstandsressort Personal.

"Agenda"

Abb. 1

Die Inhaltsübersicht zeigt, daß im ersten Teil die strukturellen Veränderungen in der Fachinformation der Mercedes-Benz AG als Startstruktur vorgestellt werden. Der zweite Abschnitt beschreibt die drei Einflußfaktoren für die derzeitige Ausrichtung wie die mittelfristige Planung. Im dritten Teil werden unsere Aktivitäten der Umsetzung, soweit geplant und / oder angelaufen, erläutert.

Organisatorische Struktur

Mit der Einbindung der Fachinformation in die Mercedes-Benz AG wurde der Bereich grundlegend neu strukturiert. Ausgangspunkt waren die beiden Abteilungen Fachbibliothek und Dokumentation. Abbildung 2 zeigt die damalige Struktur mit der deutlichen Trennung nach Bibliothek (Abbildung des Geschäftsganges in der Struktur) und Dokumentation. Die funktionale Gliederung bewirkte entsprechende Kundenbeziehungen; in der Darstellung kommt zum Ausdruck, daß bis 1995 die Fachinformation von den Kunden die Kenntnis ihrer internen Struktur erwartete und umgekehrt diese auf einen entsprechenden Service eingestellt sein sollten / eingestellt waren.

Leistungsspektrum - ehemalige organisatorische Gliederung

Abb. 2

Mit der organisatorischen Verschmelzung von Bibliothek und Dokumentation ging einher die Reduzierung der sogenannten Strukturstellen, Führungs- und Fachfunktionen, von 12 auf heute 6: aus 3 Leitungsstellen wurde 1, aus 9 Gruppen / Referaten wurden 4 Teams und eine Fachfunktion geschaffen. Die unterste Führungsebene der Teamleiter ist gekennzeichnet durch erweiterte Kompetenzen und mehr Führungs- und Fachverantwortung. Angemerkt sei, daß die Bezeichnung Fachinformation als zu eng betrachtet wird für unseren Bereich (vgl. Czermak 1994, 6ff; Herget/Reith 1995, 70; Turiaux/Eschrich 1995, 66); es ist beabsichtigt, der US-amerikanischen Tradition der Information Services als Gesamtheit der beiden Disziplinen Dokumentation und Bibliothek zu folgen (vgl. unten Benchmarking).

Der Vergleich der alten mit der neuen Struktur (Abbildung 3) zeigt den Unterschied: Die Verschmelzung der beiden ehemaligen Abteilungen Dokumentation und Fachbibliothek hat auch das Aufbrechen der traditionellen, klassischen Organisationsform ermöglicht. Die funktionale Gliederung ist durch die Ausrichtung an Prozessen abgelöst worden.

Fachinformation

Abb. 3

Die Neustrukturierung hatte das Ziel,

in den Vordergrund zu stellen und eine Basis zu bilden für Die neue organisatorische Gliederung ist nicht Ergebnis der geplanten Neuausrichtung, sondern ein erster notwendiger Zwischenschritt für ein umfassendes Reengineering, das erforderlich ist für die Stärkung des Bereiches im Kontext des Unternehmens, zu dem er gehört.

Einflußfaktoren

Grundsätzlich sind drei Felder zu beachten, deren Entwicklungen unmittelbar und vehement auf die Information Services einwirken:

Einflußfaktoren

Abb. 4

Entwicklung im Unternehmen

Sie ist dadurch gekennzeichnet, daß ein interner Dienstleister wie die Information Services nicht mehr via Richtlinien und als "von oben" autorisierte Instanz für die Wahrnehmung bestimmter Aufgaben definiert ist, bei dem alle Bereiche des Unternehmens die jeweiligen Dienstleistungen abnehmen müssen; die Vergabe von Aufträgen nach außen ist nicht mehr untersagt und wird nicht mehr unterbunden.

Entwicklung im Unternehmen

Abb. 5

Einheiten wie business unit, center, Sparte, Geschäftsbereich, Produktbereich etc. charakterisieren die Gliederung von Unternehmen - so auch bei Mercedes-Benz. Das bedeutet die Zerlegung in ergebnis-(erfolgs-)verantwortliche organisatorische Einheiten, die den Auftrag haben,

Auch von der Fachinformation als Teilcenter wird erwartet, diese Anforderungen zu erfüllen.

Hinzu kommt der unternehmensinterne Transformationsprozeß (Schüppel 1995), dessen Focus die Veränderung der Einstellung insbesondere der Führungskräfte ist, das heißt ein kultureller Wandel entlang vier definierter Dimensionen:

Technologische Entwicklungen / Marktentwicklung

Internet, WWW, Intranet, Multimedia, elektronische Informationen, digitale Speichermedien und Online-Dienste, Informationsverarbeitung und Kommunikationssysteme; sie alle beeinflussen Informationsdienstleistungen und machen die Veränderung des eigenen Dienstleistungsangebotes unausweichlich. Dessen stetige Optimierung ist besonders im betrieblichen Umfeld erforderlich. (Vgl. Herget/Reith 1995, 72; Dempsey 1995, 265)

Die eigene Leistungspalette klingt wie die vieler anderer Information Services immer noch sehr traditionell: Literaturbeschaffung, Abonnementverwaltung, Recherchen in externen Datenbanken, Informationsdienste etc. In krassem Gegensatz dazu stehen die Bezeichnungen, die neue Informationsdienstleistungen versprechen: news alert service, customized information service, real-time news monitor, electronic newspaper, topic monitor, personalized news service, intelligente SDI's - kurzum kundenindividuelle Dienste, die jederzeit inhaltlich nach Kundenabsprache veränderbar und auf Kundenwunsch periodisch entweder elektronisch in eine Mailbox, via Fax oder als Papierausgabe geliefert werden. Sie sollen Informationsvorsprung schaffen bei gleichzeitiger Reduzierung des information overload - Lösung: Filtered information services.

Allerdings bedeutet die Lösung nicht (nur) das Entwickeln eigener solcher Dienstleistungen, sondern die Marktbeobachtung und die Entscheidung über Fremdbezug; und Fremdleistungen gehen dabei weit über die inzwischen traditionelle Vorstellung des Erwerbs von Fremddaten für die Katalogisierung hinaus (vgl. Overbeck 1996; Schulz 1994, 22). Fremdbezug heißt, daß die Angebote von anderen Einrichtungen und Firmen in der Informationsbranche systematisch erfaßt und ausgewertet werden auf die Möglichkeit des Zukaufs von Dienstleistungen für interne Kunden.

Information overload wird durch information superhighway, Internet & Co etc. weiter wachsen; zum Beispiel haben Internet und WWW die Entdeckung des Endnutzers selbst für die Hosts provoziert: Datenbanken, die bei der System- und Oberflächengestaltung nie den Endnutzer, sondern immer den Informationsspezialisten als Anwender gesehen haben, versuchen online Kunden direkt zu erreichen (vgl. McCleary 1994, 34); dies steigert information overload. Navigationshilfen, Vorselektion und gefilterte Informationen werden als eigene Dienstleistungen der Information Services oder deren Vermittlung solcher Services in Unternehmen ein umso dringenderes Desiderat.

Information Services muß Dienstleistungen entwickeln, die nicht nur die konventionellen sind, die in der Beschaffung und Verbreitung von Informationen neue Technologien einsetzen, sondern neue Dienstleistungen, die auch inhaltlich und konzeptionell neuen Technologien Rechnung tragen. Hinzu kommt: wenn Informationen universell online zur Verfügung stehen, ergibt sich daraus zwangsläufig die Forderung nach real-time information delivery (Sylvia Piggott 1995, 2; vgl. Carrigan 1995, 179). Wenn wir erreichen, daß wir auf solche Forderungen nicht nur - mehr oder weniger zeitversetzt - reagieren, sondern sie als wichtige Dienstleistung antizipieren, haben wir eine gute strategische Planung (s.u.) geleistet. Gleichwohl ist zu beachten, daß die technologische Entwicklung auch Kundenerwartung und Kundenbedarf mitbestimmt (vgl. Lapp/Neubauer 1994, 264).

Kundenanforderungen

Ihre Veränderung ist für die Entwicklung der Information Services bei Mercedes-Benz von großer Bedeutung; wenn auch derzeit noch Gewohnheiten und die gute Erreichbarkeit der eigenen Leistungen einen Vorsprung der internen Zentralfunktion Information Services gegenüber externen Anbietern in der Informationsbranche sichern, so erforderlich ist mit Blick auf die Zukunft eine Kundenbindung, die durch kontinuierliche / stetige Verifizierung identifizierter / treffender Erfolgsfaktoren erreicht und gesichert sein muß. (Vgl. auch Boekhorst 1995, 123f; Graumann 1995, 8, 10; Herget/Hensler 1995; Holländer 1995, 79; Kinnell 1995, 265f; Schwuchow 1993, 6)

Technologien ...

Abb. 6

In diesem Spannungsfeld steht der Bereich Information Services bei Mercedes-Benz vor einer großen Herausforderung an seine eigene Entwicklung, an die Gestaltung seiner Zukunft. Es scheint gelegentlich, als gebe es keine Stabilität mehr der Rahmenbedingungen, unter denen der Bereich arbeitet; "den steten Wandel gestalten" wird nicht nur als Freiraum erlebt, sondern als Forderung nach fast uneingeschränkter Flexibilität und ständiger Veränderungsbereitschaft (vgl. Sylvia Piggott 1995, 1f; Herget/Reith 1995, 73f). Aus dem Bewußtsein darum resultiert die Überzeugung, daß Reengineering Information Services in umfassendem und radikalem Sinne angegangen und realisiert werden muß - auch, um Erfahrungen mit Veränderungsprozessen und ihrer Gestaltung zu gewinnen, um kontinuierliche Organisationsentwicklung als integrierendes Konzept des geplanten organisatorischen Wandels zu etablieren (Ulrich/Fluri 1995, 209).

Information Services als Bereich im zentralen Dienstleistungscenter von Mercedes-Benz wird in Fragen der Organisationsentwicklung, der strategischen und der operativen Planung hervorragend unterstützt und ist gut eingebunden in betriebliche Kommunikationsstrukturen zur Orientierung und als Voraussetzung für wirkungsvolles Handeln im Unternehmen.

Umsetzung von Maßnahmen zur Veränderung

Abb. 7

Umsetzung von Maßnahmen zur Veränderung

Die Neuausrichtung der Mercedes-Benz Information Services sowie das Vorgehen im Reengineering Prozeß bleibt darzustellen (siehe Abb. 7):

Eingebunden in das zentrale Dienstleistungscenter ist der Bereich Information Services an der Szenario- und Strategieentwicklung dieses Centers beteiligt. Zu erarbeiten bleibt für den Bereich die eigene branchenspezifische Ausprägung der Vision und Strategie (vgl. Mayhew 1995). Ergebnis wird die Definition strategischer Ziele sein.

Gleichzeitig wird eine aktuelle Version der Leistungsarten / Kosten - Matrix erstellt (Kostentransparenz). Diese wird unter anderem als Entscheidungsgrundlage für die Ausrichtung des Portfolios an der Strategie benötigt.

Zur Zeit wird mit Unterstützung eines externen Unternehmens eine Kundenzufriedenheitsmessung durchgeführt, deren Basis 100 persönlich geführte Interviews mit Kunden sind. Die Ergebnisse der Befragung werden ein Fremdbild des Bereiches liefern.

In Teamklausuren wurden nach einem bestimmten Verfahren die Audits erarbeitet, die das Eigenbild spiegeln und Maßnahmen definieren lassen, die in den vier Dimensionen des oben umrissenen unternehmensweiten Transformationsprozesses wirksam werden.

Die Bereinigung des Portfolios gemäß der strategischen Ausrichtung unter Berücksichtigung Kundennutzen und Effektivität des Ressourceneinsatzes muß begleitet sein von der Identifizierung der Kernprozesse. Diese sind zu analysieren und neu zu gestalten, schließlich zu implementieren.

Das Dienstleistungsspektrum wird durchneue Services ergänzt werden. Diese werden sicher nicht klassische Informationsdienstleistungen sein, sondern auf neuen Technologien basieren. Monitoring technologischer Entwicklungen und nachfolgender Veränderungen des externen Marktes ist Voraussetzung für stetige Entwicklung.

Auch Benchmarking gehört zu den Verfahren, die die Entwicklung der Information Services positiv beeinflussen können (vgl. Mühlstein/Schumann 1995; Herget/Reith 1995, 76). Es ist ein Benchmarking mit dem Bereich Library and Information Services des US-Technologie-Konzerns UTC (United Technologies Corporation) durchgeführt worden. Ergebnisse dieses Benchmarking - basierend auf einem umfangreichen bilateralen staff exchange program - werden gemeinsam mit UTC bei der FID Conference in Graz im Oktober 1996 vorgestellt werden.

Wenn der Reengineering-Prozeß vorangekommen ist, wird die derzeitige organisatorische Struktur überprüft und vielleicht modifiziert werden müssen, um sie prozeß-, kunden- und innovationsorientiert zu halten. Auch dies wird nicht das Ende als Ergebnis jetzt notwendiger Veränderungen sein, sondern Ausgangssituation für die weitere Entwicklung - vielleicht mehr evolutionär als die derzeitige, für den Bereich radikale Veränderung mit ihrer ungeheuren Dynamik bei allen Einflußfaktoren.

Schlußbemerkung

Wenngleich auch für den Bereich Information Services bei Mercedes Benz heute die Quantifizierung von Sachmitteln und Personalkapazität, die für neue Aufgaben eingesetzt werden, nicht absehbar ist, so sind wir sicher, daß der nun beschrittene Weg kontinuierlicher, systematisch angelegter und strategisch gesteuerter Veränderungen erfolgreich sein wird.

Literatur

Boekhorst, PeterLeistungsmessung in wissenschaftlichen Bibliotheken: neue Initiativen.
In: Nachrichten für Dokumentation 46 (1995) 2, 121-126
Carrigan D.P.From just-in-case to just-in-time: limits to the alternative library model.
In: Journal of Scholarly Publication 26 (1995) 3, 172-182
Czermak, J.M. Qualität als Herausforderung für die Fachinformation.
In: Nachrichten für Dokumentation 45 (1994) 1, 3-10
Dempsey, L. Beyond the Internet: developing library services.
In: Law Librarian 26 (1995) 1, 263-266
Graumann, SabineVom Cost-Center zum Profit-Center. Die Bedeutung des Nutzennachweises innerbetrieblicher Informationsvermittlungsstellen.
In: Cogito 11 (1995) 4, 4-10
Herget, Josef /
Hensler, Siegfried
Online Datenbanken in Wirtschaft und Wissenschaft: aktuelle Nachfragestrukturen und Nutzungstendenzen.
In: Wirtschaftsinformatik 37 (1995) 2, 129-138
Herget, Josef /
Reith, Harald
Controlling von Information Services. Ein einführender Überblick.
In: Nachrichten für Dokumentation 46 (1995) 2, 69-78
Holländer, StephanDenken in Prozessen statt in kurzfristigen Budgetzielen.
In: Nachrichten für Dokumentation 46 (1995) 2, 79-82
Kinnell, MargaretQuality management and library and information services: competitive advantage for the information revolution.
In: IFLA Journal 21 (1995) 4, 265-273
Kmuche, WolfgangDie Zukunft betrieblicher IuD-Stellen: Strukturen betrieblicher Informationsbeschaffung heute und in Zukunft.
In: Nachrichten für Dokumentation 45 (1994) 1, 39-43
Lapp, Erdmuthe / Neubauer, Wolfram
Qualitätsmanagement als Aufgabe von Bibliotheken.
In: Nachrichten für Dokumentation 45 (1994) 5, 263-278
Mayhew, Jean G. The information specialist as Leader.
East Hartford 1995 (United Technologies Research Center)
McCleary, H. Filtered information services: a revolutionary new product or a new marketing strategy?
In: Online - The Magazine of Online Information Systems. 18 (1994) 4, 33-42
Mühlstein, Sven /
Schumann, Andreas
Benchmarking als neue Form des Betriebsvergleichs.
Chemnitz 1995 (Schriftenreihe Angewandte Betriebswirtschaft, Band 03)
Overbeck, GabrieleSparen externe Dienstleistungen Geld.
In: Dialog mit Bibliotheken 8 (1996) 2, 11-20
Schüppel, Jürgen Das "MB-Erfolgsprogramm" bei der Mercedes-Benz AG. Fallstudie. St.Gallen 1995 (Diskussionsbeiträge Nr. 16, Institut für Betriebswirtschaft an der Hochschule St. Gallen)
Schulz, HeddaOutsourcing - auch bei den Informationszentren der Industrie?
In: Cogito 10 (1994) 6, 21-22
Schwuchow, WernerQualitätsmanagement für Informatiosdienste.
In: Cogito 9 (1993) 1, 2-7
Sylvia Piggott at the Bank of Montreal: reengineering information services for the 2nd era of the information age.
In: InfoManage 2 (1995) 3, 1-3
Turiaux, Joseph /
Eschrich, Jürgen
Fachinformations-Management in einer Großsparkasse.
In: Sparkasse 111 (1995) 2, 66-69
Ulrich, P. / Fluri E. Management. Eine konzentrierte Einführung. 7. verb. Aufl., Bern 1995

1)Texterfassung des Vortrages beim 86. Deutschen Bibliothekartag, Erlangen, 29. Mai 1996


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