Publikationen Hierarchiestufe höher Vorherige Seite Nächste Seite

Bibliotheksdienst Heft 5, 1996

DBV-OSI-II: Projektbericht Realisierungsphase

Offene Kommunikation der Fachinformations- und Bibliothekssysteme

Bernd Luchner

Einleitung

Das DBV-OSI II-Projekt, gefördert von DFG und BMBF, wurde unter Federführung Der Deutschen Bibliothek im Juli 1993 gestartet, um Bibliotheksverbundsysteme und Fachinformationszentren in Deutschland zu einem übergreifenden Verbund zu vernetzen. Das Projektziel hieß, die offene Kommunikation zwischen den Systemen der beteiligten Projektpartner herzustellen, um die Datenbestände gegenseitig direkt nutzen zu können und damit die Literaturversorgung zu verbessern. Wo steht das Projekt heute?

Überblick

Diese Projektziele sind heute technisch realisiert. Es ist den Nutzern der Fachinformationssysteme möglich, direkt auf die Datenbestände der ZDB, der Verbundzentren sowie Der Deutschen Bibliothek zuzugreifen, ohne ihre Anwendung zu verlassen und unter Ausnutzung bereits formulierter Suchfragen. Damit erhalten sie die Standortnachweise zu ihrer Fachliteratur. Umgekehrt können die Nutzer der Verbundzentren, also alle Nutzer der angeschlossenen Bibliotheken, sowie die Nutzer Der Deutschen Bibliothek auf die Datenbestände der anderen Verbundzentren direkt zugreifen oder zunächst eine Literaturrecherche in einer Fachdatenbank durchführen, um anschließend den Standort der gesuchten Literatur zu ermitteln. Dies geschieht ebenfalls, ohne daß die gewohnte bibliothekarische oder Endnutzeranwendung verlassen werden muß. Die Datenbanken der Projektpartner erscheinen vielmehr als weitere Datenbanken oder Bestände des eigenen Systems.

Z39.50 (1995)

Diese sogenannte transparente Vernetzung unterschiedlicher Datenbanksysteme wurde mittels des für diese Zwecke entwickelten Standards Z39.50 (1995) realisiert, d. h. alle beteiligten Partnersysteme wurden mit einer entsprechenden Schnittstelle ausgerüstet. Es ist ihnen damit von nun an möglich, mit allen derart ausgestatteten Systemen direkt zu kommunizieren, da Z39.50 die "gemeinsame Sprache" darstellt.

Der Z39.50-Standard stellt heute, aus dem OSI-Konzept stammend, das ausgereifteste Protokoll dar, um Suchanfragen standardisiert, also universell verständlich, an verschiedenste andere Datenbanksysteme online zu versenden und in der gewohnten Weise beantwortet zu bekommen. Es findet daher mehr und mehr Anwendung, auch gerade für den Ausbau der Recherchemöglichkeiten des Internet.

Derzeitiger Stand des Projektes

Seit 18. März befindet sich das Projekt im Probebetrieb (bis 31.8.1996). In dieser abschließenden Stufe wird die Vernetzung praktisch erprobt und sich technisch weiter stabilisieren. Um die Anwendbarkeit aus Nutzersicht zu testen und zu demonstrieren, werden alle Anwenderprofile in den Test einbezogen. Der Z39.50-Standard ermöglicht nicht nur die transparente Recherche in (anderen) Datenbanksystemen, das Protokoll unterstützt auch das sog. Retrieval, d. h. ausgewählte Datensätze können online in das eigene System transferiert und dort weiterverarbeitet werden. Daher wird im Probebetrieb neben der Fachrecherche mit anschließendem Zugriff auf die Bibliotheksinformation sowie der Recherche der Informationsvermittlungsstellen auch die Recherche mit anschließendem "download" der gefundenen Daten zum Zwecke der Formalkatalogisierung erprobt und ausgewertet.

"Transparente Recherche" in verschiedenen Datenbanksystemen bedeutet, daß dem Nutzer die Verschiedenheiten der Systeme verborgen, d. h. nicht zugemutet werden. Der Nutzer bedient nur ein System - entweder sein Haussystem oder eine selbständige Client-Anwendung. Dieser Komfort hat seinen Preis. Es ist niemals vollständig möglich, mit einer Benutzeranwendung die Spezifika verschiedener Datenbanksysteme zu nutzen. "Transparente Recherche" bedeutet daher, gemessen am Funktionsumfang, den die spezifischen Datenbankanwendungen bieten, stets einen gewissen Funktionalitätsverlust. Es ist jedoch möglich, die Nutzbarkeit bestimmter anderer Datenbanksysteme zu erhöhen, indem die Benutzeranwendung in gewissem Umfang erweitert und angepaßt wird. Der Probebetrieb soll daher auch helfen, die Funktionsdefizite aus Nutzersicht aufzudecken und einzugrenzen, um den Anpassungsaufwand in Grenzen zu halten.

Das vergangene Projektjahr stand im Zeichen der technischen Realisierung und verschiedener Teststufen. Die Verzögerungen gegenüber der Zeitplanung am Ende der Spezifikationsphase (31.3.1994) summierten sich auf ca. 3 Monate oder 11 %.

Am 27.11.1995 fand eine Beiratssitzung mit den Gutachtern der Projektträger DFG und BMBF in Der Deutschen Bibliothek statt, auf der die Anwendbarkeit von DBV-OSI in exemplarischen Beispielen demonstriert werden konnte. Auf Grund der Projektfortschritte empfahlen die Gutachter die Fortführung des Projektes, allerdings mit der Betonung, komfortablere, graphische Benutzeroberflächen zu Verfügung zu stellen.

Phase 2

Parallel zur beschriebenen Projektphase der Vernetzung zu Recherche- und Retrievalzwecken wurden Anfang 1995 die Planungen für eine zweite Projektphase "Dokumentlieferung" aufgenommen. Die Rechercheergebnisse der ersten Projektphase sollen nunmehr zur qualifizierten Dokumentbestellung genutzt werden. Ein elektronisches Bestellempfangs- und Dokumentliefersystem muß ausgewählt und angepaßt werden. Die Bund-Länder-Initiative SUBITO stellt mit zeitlichen und funktionalen Anforderungen an die systemübergreifende elektronische Dokumentlieferung einen Rahmen für die technische Ausgestaltung des geplanten Bestell- und Liefersystems in DBV-OSI dar. Die entsprechenden Experten- und Arbeitsgruppen arbeiten daher eng zusammen.

Die DBV-OSI-Pilotbibliotheken, in denen das geplante System zunächst zum Einsatz kommen soll, wurden von den beteiligten Verbundsystemen ausgewählt. Je Verbund wurden drei Bibliotheken bestimmt. Diese sind:

Bayerischer Bibliotheksverbund (BVB):
Bayerische Staatsbibliothek München
UB Augsburg
UB Regensburg

Südwestverbund (SWB):
UB Karlsruhe
UB Konstanz
Sächsische Landesbibliothek Dresden

Gemeinsamer Bibliotheksverbund Norddeutschland/ Niedersachsen/ Sachsen-Anhalt/ Thüringen (GBV):
TIB Hannover
SUB Göttingen
UB Halle

Bereits am 4. Mai 1995 wurde in Der Deutschen Bibliothek mit diesen Bibliotheken eine Informationsveranstaltung zur Phase "Dokumentlieferung" abgehalten, um den Stand der Konzeption zu diskutieren.

Die Projektphase "Dokumentlieferung" wird in mehreren Stufen realisiert. Zunächst die Online-Bestellung von nicht-rückgabepflichtigen Dokumenten, d. h. Kopien von Zeitschriftenaufsätzen. Dazu wird die Z39.50-Schnittstelle der DBV-OSI-Partner um den zusätzlichen Z39.50-Bestelldienst "ItemOrder" erweitert.

Die Bibliotheken des GBV erhalten die Dokumentbestellungen über die Verbundzentrale, die auch den Verteilungsalgorithmus steuert. Die Lieferung von elektronischen Kopien erfolgt mit ARIEL-Stationen im Rahmen der RAPDOC-Entwicklung. Ggf. müssen die ARIEL-Lieferformen erweitert werden, um das Angebot dem der SUBITO/DBV-OSI-Liefersysteme anzugleichen.

Für die Ausstattung der übrigen Pilot-Lieferbibliotheken wird auf vorhandene Bestellempfangs- und Liefersysteme wie TIBQUICK (TIB Hannover) oder CopyStreet (TU Delft) zurückgegriffen werden.

Das System, das den Anforderungen von SUBITO und DBV-OSI genügen soll, muß die eingehenden Bestellungen weitgehend automatisch abarbeiten, (eine) leistungsfähige Scannerkomponente(n) besitzen und die elektronische Lieferung der Dokumentkopien unterstützen.

Es soll darüber hinaus modular aufgebaut und skalierbar sein und auf unterschiedliches Bestell- und Liefervolumen zugeschnitten werden können.

Weitere Planungen

Der Zugang zu den DBV-OSI-Systemen erfordert technisch eine Z39.50-fähige Anwendung. Mit Hilfe sog. WWW-Z39.50-Gateways, die z. T. bereits verfügbar sind bzw. in Kürze entwickelt werden, wird sich der Kreis potentieller Nutzer des übergreifenden DBV-OSI-Verbundes noch einmal erheblich erweitern lassen. Diese Gateways sind dann mit beliebigen WWW-Browsern erreichbar. Sie stellen eine einfache Suchmaske zur Verfügung und setzen den vom Benutzer eingegebenen Inhalt in Z39.50 um. Somit kann die Anfrage an ein oder mehrere Z39.50-fähige Datenbanksysteme versendet werden. Die Rechercheergebnisse werden zurückübersetzt und für den WWW-Browser aufbereitet.

Für die weiteren Projektstufen von DBV-OSI steht ab 1997 der Ausbau der Dokumentlieferung auf dem Programm: die Automatisierung der Fernleihe für die rückgabepflichtigen Objekte. Daneben wächst die Bedeutung und die Anzahl von Volltextangeboten. Es wird möglich und notwendig sein, künftig mit Z39.50-Anwendungen auch die standardisierte Recherche in Volltextdatenbanken sowie die elektronische Lieferung von Volltextelementen zu unterstützen.

Auf dem diesjährigen Bibliothekartag in Erlangen sowie auf der Frankfurter Buchmesse sind praktische Demonstrationen von DBV-OSI vorgesehen.


Seitenanfang