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Bibliotheksdienst Heft 3, 1996

Bestandsevaluierung bei Zeitschriften
Hannsjörg Kowark

In den wissenschaftlichen Bibliotheken werden nicht selten ca. 50 % des Erwerbungsetats durch Zeitschriften gebunden. Durch zum Teil enorme Preissteigerungen, neue Verpflichtungen im Bereich der CD-ROM-Datenbanken und Online-Diensten sowie einem stetigen Rückgang der Geschenk- und Tauschzeitschriften ist der Fixkostenanteil weiter angestiegen, so daß der Spielraum für den Monographienkauf immer enger wird. Angesichts der sich vor allem in den letzten Jahren verschärfenden Etatlage haben die meisten Bibliotheken umfangreiche Abbestellaktionen durchführen müssen. Oft konnten neue Zeitschriftentitel nur noch gegen Abbestellung bereits vorhandener Titel erworben werden. In diesem Zusammenhang war immer wieder die Frage nach der Evaluierung von Zeitschriftenbeständen zu stellen. In der Universitätsbibliothek Freiburg ist deshalb in den letzten Jahren verstärkt nach Methoden gesucht worden, um beim Zeitschriftenneuerwerb sowie bei den vorhandenen Zeitschriftenbeständen Evaluierungen, wenn auch mit einzuschränkenden Ergebnissen, vornehmen zu können.

Zeitschriftenneuerwerb

Aufgrund der unsicheren Haushaltslage konnte in den vergangenen Jahren nur noch ein "kostenneutraler Zeitschriftenneuerwerb" betrieben werden, da mit Sondermitteln allein vor allem im Zeitschriftenbereich ein sinnvoller Bestandsaufbau kaum möglich ist. Bei jedem neuen Zeitschriftentitel, der seitens der Fachreferenten zum Kauf vorgeschlagen wurde, war gleichzeitig ein Titel in ähnlicher Preisklasse zur Abbestellung vorzuschlagen. Voraussetzung hierfür ist, daß der Fachreferent einen Überblick über die laufenden Kaufzeitschriften besitzt. Dies wird durch entsprechende, nach Fächern gegliederte ZDB-Ausdrucke unseres Zeitschriftenbestandes unterstützt.

Grundsätzlich gilt, daß neue Zeitschriften nur nach Vorlage eines Probeheftes, welches vom Fachreferenten und zwei Kollegen zu prüfen ist, zum Kauf vorgeschlagen werden können. Bei neu erscheinenden Zeitschriftentiteln wird nur in wirklich überzeugenden Fällen das Abonnement bereits aufgrund des ersten vorliegenden Heftes begonnen. Meist wird versucht, den ersten Jahrgang abzuwarten, um auch sicher zu sein, daß die Zeitschrift die meist gute Qualität des ersten Heftes halten kann.

Bei Zeitschriftentiteln, die erst mit einem späteren Jahrgang abonniert werden, kann die Kaufentscheidung durch die Auswertung der passiven Fernleihe zusätzlich beeinflußt werden.1) Bei einigen Titeln schlägt sich der lokale Bedarf sehr schnell in entsprechenden Fernleihbestellungen nieder.

Die Absprache neuer Zeitschriftentitel mit den betroffenen Instituten und Seminaren ist selbstverständlich, da es Doppelungen innerhalb des Bibliothekssystems zugunsten eines breiteren Angebotes zu vermeiden gilt. Bei der Auswahl neuer Zeitschriftentitel wird versucht, so weit wie vertretbar, bedarfsorientiert vorzugehen. Dies führt dazu, daß Zeitschriftentitel mit nachgewiesenem Benutzungsbedarf innerhalb des universitären Bibliothekssystems (Fernleihauswertung) meist vorrangig behandelt werden.

Evaluierung des Zeitschriftenbestandes durch Ausleihanalysen

In Zeiten wachsender Etatrestriktionen sehen sich die Universitätsbibliotheken zunehmend mit dem Problem konfrontiert, den durch Zeitschriften festgelegten Fixkostenanteil reduzieren zu müssen. In den vergangenen Jahren haben fast alle wissenschaftlichen Bibliotheken umfangreiche Abbestellaktionen durchgeführt. Will man keine prozentuale Kürzung pro Fach oder primär die sehr teuren Zeitschriften abbestellen, muß Bedarf und Nutzungsfrequenz der vorhandenen Kaufzeitschriften überprüft werden.

Mit Hilfe eines automatisierten Ausleihsystems kann die Ausleihfrequenz des vorhandenen Zeitschriftenbestandes ermittelt werden. Dadurch sind konkrete Aussagen zum Bedarf einzelner Zeitschriftentitel möglich.

1993 ist in der UB Freiburg die Nutzungsfrequenz sämtlicher Kaufzeitschriften mit Hilfe des Ausleihsystems OLAF ausgewertet worden. Über ein kleines EDV-Programm wurde eine Signaturenliste derjenigen Zeitschriften erstellt, die seit 1983 keine Entleihungen aufweisen. Da in dieser Liste auch alle Geschenk- und Tauschzeitschriften sowie die Lesesaalzeitschriften enthalten waren, mußte die Signaturenliste mit dem Zeitschriftenkardex abgeglichen werden, was insgesamt ca. 60 Arbeitsstunden in Anspruch genommen hat. Als Ergebnis dieser vielleicht etwas umständlichen Auswertung erhielten die Fachreferenten für ihre Fächer Übersichten der seit 1983 nicht ausgeliehenen Kaufzeitschriften. Alle diese nicht benutzten Zeitschriften wurden von den Fachreferenten auf eine mögliche Abbestellung hin überprüft. Besonders schwierig gestaltete sich die Entscheidung bei Zeitschriften, die mit den älteren Jahrgängen im Tiefmagazin und mit den neuesten im Lesesaal stehen. In diesen Fällen mußten zusätzliche Evaluierungen vorgenommen werden.

Von den insgesamt ca. 4.000 Kaufzeitschriften in der UB Freiburg wiesen 1993 nur etwa 100 Zeitschriftentitel keine Entleihungen auf. Wir waren seinerzeit selbst überrascht von diesem an sich guten Ergebnis. Hier scheint sich doch der in mancher Augen eher restriktive Zeitschriftenneuerwerb mit seiner bedarfsorientierten Zielsetzung auszuwirken. Dies bedeutet aber auch, daß für größere Abbestellaktionen kaum Titel gefunden werden konnten, ohne die nachgewiesene lokale Nutzung nicht entscheidend gefährden zu müssen.

Da eine systematische Evaluierung des laufenden Zeitschriftenbestandes nach dem beschriebenen Verfahren zu aufwendig ist und nur in größeren Zeitabständen durchgeführt werden kann, wurde nach weiteren Evaluierungsmöglichkeiten gesucht.

Auf jeden Fall sollte ein künftiges Zeitschriftenerwerbungssystem mit dem Ausleihsystem so verknüpft sein, daß die Nutzung der Kaufzeitschriften, soweit es sich um ausleihbare Bestände handelt, jederzeit abfragbar ist.

Geschenk- und Tauschzeitschriften

Im Zusammenhang mit den Empfehlungen des Wissenschaftsrates zum Magazinbedarf an wissenschaftlichen Bibliotheken sind zwischen 1988 und 1990 sämtliche Geschenk- und Tauschzeitschriften den Fachreferenten mit dem jeweils neuesten Heft/Band, Ausleihprofilen und Bestandsnachweisen für Bibliothekssystem und Region vorgelegt worden. Zielsetzung dieser Prüfung war, den Bedarf und die Nutzung zu ermitteln, um bei den hochspeziellen, nicht oder weniger gefragten Zeitschriftentiteln den Bezug eventuell einstellen zu können. Im Unterschied zu den Kaufzeitschriften standen hier Stellplatzgewinn und Einsparung von Bearbeitungszeit eindeutig im Vordergrund. Nach Abschluß der Aktion konnten immerhin 257 Zeitschriften von insgesamt 2.541 Geschenk- und Tauschzeitschriften abgeschlossen werden. Wenn der damit verbundene Stellplatzgewinn in der UB Freiburg seinerzeit vielleicht nur ca. 8 Meter pro Jahr betrug, sollten Geschenk- und Tauschzeitschriften gleichwohl in gewissen Zeitabständen durchgeforstet werden, um keinen unnötigen Ballast anzusammeln. Abgesehen davon ist zu berücksichtigen, daß jetzt 257 Abonnements weniger in der Zeitschriftenakzession und Geschenk- und Tauschstelle zu verwalten sind.

Preissteigerungen

Gelegenheit, Kaufzeitschriften zu evaluieren, bieten immer auch gravierende Preissteigerungen. Seit Jahren werden in Freiburg Zeitschriften, die Preissteigerungen von 25 und mehr Prozent aufweisen, von der Zeitschriftenakzession den Fachreferenten und dem Erwerbungsleiter vorgelegt. Die Preissteigerungen bei einzelnen Zeitschriftentiteln werden zum Anlaß genommen, Qualität, Bedarf und Nutzung einzelner Zeitschriften erneut zu prüfen. Sollten sich die Kriterien, die zur Kaufentscheidung geführt haben, verändert haben oder aber die Zeitschrift über einen längeren Zeitraum keine Benutzung aufweisen, ist der Weiterbezug in Frage zu stellen und zu diskutieren.

Um hierfür die notwendige Entscheidungsgrundlage zu besitzen, werden dem Fachreferenten von der Zeitschriftenakzession neben der Höhe der Preissteigerung Angaben über Ausleihfrequenz, Mehrfachnachweis im lokalen Bibliothekssystem sowie in der Leihverkehrsregion als zusätzliche Informationen vorgelegt.

Auf diese Weise werden Fachreferent und Erwerbungsleiter regelmäßig über Zeitschriften mit hohen Preissteigerungen informiert. Gleichzeitig werden jedoch diese Titel in Abstimmung mit den betroffenen Instituten und Seminaren neu evaluiert. Die Erfahrung hat gezeigt, daß aufgrund einer veränderten Bedarfslage immer wieder Zeitschriftentitel abbestellt werden konnten.

Zeitschriftenablage

Von den ca. 6.000 Zeitschriften in der UB Freiburg werden ca. 850 in der Zeitschriftenablage bis zur Bindereife aufbewahrt. Die einzelnen Hefte werden auf Anfrage über einen Ausgabeschalter an die Benutzer ausgegeben. Um unabhängig von der Magazinausleihe die Benutzung der neuesten Hefte zu hinterfragen, wird seit Januar 1994 die Ausgabe jedes Zeitschriftenheftes in einer konventionell geführten Statistik erfaßt. Die Ergebnisse waren überraschend. Die meisten Zeitschriftentitel wiesen mit dem laufenden Jahrgang sowie dem Jahrgang davor kaum Entleihungen auf. Erst wenn man die Ausleihfrequenz der weiter zurückliegenden Jahrgänge mit Hilfe des Ausleihsystems überprüft, ist eine zum Teil sehr hohe Benutzung der Zeitschriftentitel zu beobachten. Dies läßt den vorsichtigen Schluß zu, daß Zeitschriften, die nicht zum häufig benutzten Grundlagenbestand der einzelnen Fächer gehören, in Abhängigkeit ihrer relativ spät erfolgenden Rezeption ausgeliehen werden. Dies bedeutet, daß die Ausleihstatistik der Zeitschriftenablage für sich alleine gesehen keinen verläßlichen Aussagewert besitzt, sondern stets in Verbindung mit der Benutzung der gebundenen Jahrgänge gesehen werden muß. Die Auswertung der Entleihungen aus der Zeitschriftenablage wird noch bis Ende 1996 fortgeführt, um nach einer dreijährigen Laufzeit eine abschließende Wertung dieses Verfahrens vornehmen zu können. Der statistische Erhebungsaufwand ist als gering einzustufen.

Lesesaalzeitschriften

Die Grundlagenzeitschriften der einzelnen Fächer, denen eine hohe Nutzungsfrequenz unterstellt wird, stehen mit den letzten 20 Jahrgängen im Lesesaal der Universitätsbibliothek. Bei diesen ca. 1.800 Zeitschriften ist es schwierig, Evaluierungen vorzunehmen, will man sich nicht auf den eigenen subjektiven Eindruck, Meinungen einzelner Benutzer oder die mehr oder weniger vorhandenen Gebrauchsspuren an den einzelnen Jahrgangsbänden oder Einzelheften verlassen. Falls die Zeitschrift bereits eine Laufzeit von über 20 Jahren aufweist, könnte der Magazinbestand mittels Ausleihprofil überprüft werden. Das Ergebnis kann allenfalls als Anhaltspunkt dienen, dürfte also kaum für eine Entscheidung über Abbestellung oder Weiterbezug ausreichen. Eine systematische Evaluierung wie bei den Magazinzeitschriften ist hier nicht möglich. Wir beschränken uns deshalb darauf, die im Rahmen von Preissteigerungen gemeldeten Titel erneut zu evaluieren. Dabei werden Mehrfachnachweis im Bibliothekssystem, Bedarf der betroffenen Institute sowie die Ausleihfrequenz des bisherigen Magazinbestandes, sofern vorhanden, in Betracht gezogen. Sollte diese Prüfung zu keiner eindeutigen Entscheidung führen, haben wir wiederholt den laufenden Jahrgang mit Hinweis auf die Zeitschriftenablage aus dem Lesesaal entfernt, um die Benutzung der einzelnen Hefte bei der Ausgabe erfassen zu können. Falls bei einer Lesesaalzeitschrift während eines Zeitraumes von zwölf Monaten kein einziges Heft am Ausgabeschalter verlangt worden ist, muß Aufstellungsort und Weiterbezug der Zeitschrift erneut überprüft werden.

Obwohl dieses Verfahren nur punktuell angewandt werden kann, bietet es doch im Einzelfall wertvolle Entscheidungshilfen.

Insgesamt betrachtet haben die in der UB Freiburg erprobten Evaluierungsverfahren zumindest dazu geführt:

1) Kowark, H.: Methoden der Bestandsevaluierung: Auswertung der passiven Fernleihe. In: Bibliotheksdienst 29. Jg. (1995), S. 1955-1959.


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