Publikationen Hierarchiestufe höher Vorherige Seite Nächste Seite

Bibliotheksdienst Heft 2, 1996

OPACs für Kinder oder David fordert Goliath

'Workshop Kinder-OPACs' des Fachbereichs Bibliothek und Information in Hamburg
Inga Czudnochowski-Pelz und Malte Siebenrok

Wie müssen Kataloge heute im Zeitalter moderner Informationstechnologie beschaffen sein, damit sie nicht nur von Eingeweihten sondern auch von Kindern gern und mit Erfolg genutzt werden? Um diese Frage kreiste der ganztägige Workshop Kinder-OPACs am 9. Oktober 1995, einer der Höhepunkte zum 50. Jubiläum bibliothekarischer Ausbildung in Hamburg. Die Gruppe der Vortragenden setzten Qualitätsstandards für benutzerorientierte OPACs fest, an denen sich bestehende und noch zu entwickelnde OPACs künftig werden messen müssen, wie David einst Goliath forderte - und gewann!

Der Workshop OPACs für Kinder

Eingeladen hatten Prof. Ursula Schulz und ihr Projekt-Team, das seit März 1995 an einem OPAC für Kinder arbeitet und hier nun erste Ergebnisse vortrug.1) Studierende stellten Ergebnisse selbständig vor, die Lehrenden - Prof. Ursula Schulz und Designer Manfred Krüger - hatten sich in bester hochschuldidaktischer Weise 'überflüssig' gemacht. Dieser OPAC-Prototyp wurde mit modernster Technologie, professionellem Design und unter Ausnutzung zentraler Dienste der ekz entwickelt. Er regt Kinder zum Suchen und Finden von Büchern an und animiert sogar zum Lesen. Unterstützt wurde dieses Seminar-Projekt von einer Expertengruppe des DBI unter Leitung von Ilona Glashoff, die ein "Pflichtenheft für Kinder-OPACs" erstellte und hier erstmals der beruflichen Öffentlichkeit vorstellte.

Schon das Ambiente - mit Luftballons geschmückte Stellwände, auf denen der Verlauf und Ergebnisse des Projektes präsentiert wurden und vor allem die riesige alte Truhe voller Bücher - ließ Ungewöhnliches erwarten, wie auch die lebhafte und herzliche Moderation von Prof. Ursula Schulz und Ilona Glashoff, die jeweils ihr Projekt- bzw. DBI-ExpertInnen-Team vorstellten und durch das Programm führten. Kinder waren beinahe 'anwesend', überall auf Plakaten und Broschüren zu sehen; von ihren Belangen war stets die Rede.

Erschienen waren ca. 130 Jubiläumsgäste, vorwiegend BibliothekarInnen aus ganz Deutschland, Studierende und Lehrende des Fachbereichs, einige Lehrende anderer Fachbereiche und VertreterInnen von sechs Bibliothekssoftware-Herstellern. Der Workshop verlief in drei Phasen, war anstrengend und auf Lernzuwachs ausgerichtet, viele Informationen mußten aufgenommen und verarbeitet werden: zuerst Theorie von den ExpertInnen des DBI, dann Anschauung bestehender Kinder-OPACs und dann noch einmal Theorie und Praxis vereint in der Vorstellung des Prototypen "Der Bücherschatz" 2) durch Bibliotheks- und Informatik-StudentInnen um Prof. Ursula Schulz und Designer Manfred Krüger.

Theorie zum Kinder OPAC

Mit abwechslungsreichen Kurzvorträgen vermittelten die DBI-ExpertInnen, was beim Erstellen von OPACs speziell für Kinder im ersten Lesealter zwischen acht und elf Jahren zu berücksichtigen sei. 3) Einen spannenden Überblick über den bisherigen Forschungsstand zum Thema gab Rita Schmitt, Betreuerin der DBI-Kommission für Kinder-, Jugend- und schulbezogene Bibliotheksarbeit. Sie berichtete ausschließlich von amerikanischen und kanadischen Forschungen zu Kinder-OPACs, da deutsche Untersuchungen bisher nicht erschienen sind. Es überraschte zu hören, daß Kinder den OPAC zwar benutzen, auch wenn sie nicht unbedingt wissen, was ein OPAC ist und wozu er da ist. Sie benötigen wie Erwachsene ein Vorwissen über Bibliotheken und wiederholte Erfahrungen mit Suchvorgängen. Einmal Gelerntes können sie im Alter zwischen acht und elf Jahren noch nicht auf neue Suchvorgänge übertragen. Kinder haben wie auch manche Erwachsene Schwierigkeiten, Titel oder Namen in einer alpabetischen Reihe zu finden; buchstabieren falsch und kommen zu Fehlergebnissen, ohne zu wissen warum. Erst ab zehn Jahren etwa können sie die für Suchvorgänge in Datenbanken benutzten Hierarchien erkennen. Sie bevorzugen im ersten Lesealter meistens ganz einfache und nur wenige (etwa 20) konkrete Suchbegriffe. Sie können mit langen Trefferlisten gar nichts anfangen. Sie suchen z.B. "alles über Vögel". Mit einer Angabe von Suchfeldern können sie nichts anfangen, auch Fehlermeldungen werden i.d.R. nicht verstanden. Vor allem aber bleibt ihnen die Bedeutung der Signatur als Standortangabe im Regal ein Rätsel, wenn ihnen dies nicht ausdrücklich erklärt wird.

Diese zwar irgendwie geahnten Fehlermöglichkeiten bei der Nutzung von OPACs durch Kinder werden derzeit im bibliothekarischen Berufsstand verdrängt und ausgeblendet, wie Prof. Bernhard Hütter von der Hochschule für Bibliotheks- und Informationswesen in Stuttgart berichten konnte. Er stellte Umfrageergebnisse aus 220 angeschriebenen Öffentlichen Bibliotheken vor, die laut Angabe im "Jahrbuch Öffentliche Bibliotheken" 1994/95 einen OPAC besaßen. Der Rücklauf auf diese Umfrage betrug 80,4 %; es konnten 135 Fragebogen ausgewertet werden. Einen OPAC speziell für Kinder gab es in keiner Bibliothek.

Pflichtenheft für Kinder-OPACs

Aus den Ergebnissen dieser Umfrage und aufgrund der Forschungsergebnisse zu Kinder-OPACs entwickelte die DBI-Expertengruppe das schon eingangs erwähnte "Pflichtenheft für Kinder-OPACs". Mit diesem Pflichtenheft werden drei Ziele verfolgt, die Ilona Glashoff noch einmal zusammenfassend vortrug. Die DBI-Expertengruppe will: 1. die Berufsöffentlichkeit sensibilisieren, daß Kinder eigene OPACs brauchen, 2. den KollegInnen Arbeitsgrundlagen für Ausschreibungen an die Hand geben und 3. Software-Firmen dazu anregen, sich mit diesem Pflichtenheft zu beschäftigen und eine neue, zielgruppenorientierte und grafisch ansprechendere Generation von OPACs zu entwickeln.

Michael Köhn, Student am Fachbereich Bibliothek und Information in Hamburg, trug abwechselnd mit Prof. Bernhard Hütter die Anforderungen für kindgerechte OPACs vor. Anschaulich mit Folien unterstützt prasselten notwendige Fakten bezüglich Hardware- und Software-Ergonomie auf die gebannten ZuhörerInnen nieder. Spätestens beim Vorstellen des Datenerhaltungskonzeptes und ihren Forderungen zur Qualität der Daten, wußten alle ZuhörerInnen, daß die bisherigen OPACs mega-out und schnellstens durch neue zu ersetzen sind. Diese dürfen nicht wie sonst üblich Kataloge nur für Eingeweihte sein, sondern müssen auf Kinder ausgerichtet sein. Die bei ihnen vorhandene Technik-Faszination sollte genutzt werden, und OPACs sollten generell "Lust auf Bibliothek machen". Kinder-OPACs sind mit farbigen grafischen Oberflächen und kindgerechten Sucheinstiegen zu gestalten. Sie sollten außerdem eingescannte Buchcover, Annotationen in Kindersprache und Leseproben erhalten. Hier bekamen die ZuhörerInnen einen Vorgeschmack auf den am Nachmittag präsentierten Prototyp "Der Bücherschatz".

Daß solche OPACs derzeit nur mit neuer und teurer Hard- und Software zu haben sind, wurde in der anschließenden Diskussion nicht thematisiert, was angesichts der aktuellen Finanzknappheit in Bibliotheken erstaunte. Die ZuhörerInnen schienen den Ergebnissen der Arbeitsgruppe weitgehend zuzustimmen. Sie waren angeregt, weiterzudenken und machten Vorschläge, wie Kinder durch Hinweise auf ähnliche Titel zu trösten seien, wenn ein gewünschtes Buch nicht ausleihbar wäre. Umstritten blieb nur, ob ein konsequent nach dem Pflichtenheft gestalteter Kinder-OPAC zugleich ein Instrument der Leseförderung sei. Für erfolgreicher wurde stattdessen die übliche Art von Leseförderung gehalten, die mit den bewährten Handreichungen des DBI4) von lebendigen BibliothekarInnen ausgeführt wird.

Üben mit vier Demo-Versionen von Kinder-OPACs

Wie anregend Kinder-OPACs sein können, wurde allen TeilnehmerInnen im zweiten Teil des Workshops deutlich, als mit Demo-Versionen von positiven Kinder-OPACs geübt werden konnte: dem Kid's Catalog der Firma Dynix, dem Bookhouse von A.M. Pejtersen, BibKatalog von DANTEK und nicht zuletzt mit dem von Frau Schulz und ihrem Team entwickelten Prototyp "Der Bücherschatz".

Der Bücherschatz- ein Kinder-OPAC 5)

Dieser wurde dann nachmittags ausführlich von Bibliotheks- und Informatik-StudentInnen vorgestellt. Michael Köhn erläuterte den Prototyp aus Ergebnissen einer Befragung und gezielter Beobachtung von Kindern in sechs Bücherhallen. Bente Hansen stellte dar, wie sie und ihr Team zu einer alternativen, kindgerechten Inhaltserschließung kamen und Holger Wendt demonstrierte unterhaltsam die Entstehung der grafischen Oberfläche. Er zeigte, wie die von Designer Manfred Krüger stammenden Schwarz-Weiß-Zeichnungen mittels CorelDraw bunt und die Hauptfiguren Krähe, Möwe und Pirat lebendig wurden. Die Informatik-Studentinnen Ute Külper und Gabriele Will schließlich gaben Einblick in den Entstehungsprozeß, das Projektmanagement und die verschiedenen Nutzungsmöglichkeiten des Prototyps.

Das Startbild zeigt eine Schatzinsel im blauen Ozean. Man erkennt zwei Kinder, die am Rand des Bildes stehen und auf die Insel hinausschauen. In einer Ecke der Bildfläche hat sich ein Pirat versteckt, der den Kindern gebannt zuschaut .

Der Sucheinstieg ist durch Klicken an jeder beliebigen Stelle des Startbildes möglich. Es tauchen dann drei "Icons" auf, hinter denen sich verschiedene Themenbereiche verbergen. Parallel werden Schrifttafeln in das Bild eingeblendet, die die "Icons" erläutern: "Bei der Krake ist es spannend und lustig", - "Die Möwe kennt das Leben" und "Der Pirat weiß viel".

Klickt man z.B. den Piraten an, taucht ein neues Bild auf: die Kinder sind mit Hilfe des Piraten auf einem Holzfloß fast bis zur Schatzinsel gelangt. Auf der Oberfläche dieses Bildes klappen zehn sogenannte "Themenkarten" auf, sobald jemand mit dem Cursor die Bildfläche abfährt. Die Themen sind u.a. "Andere Länder und Leute" - "Tiere" - "Filme und Musik". Klickt man z.B. auf "Tiere", erscheinen zehn neue Karten mit Untergruppen. Geht man in eine dieser Gruppen, gelangt man ans Ende der Recherche, und es erscheint ein vergilbtes Stück Pergamentpapier mit zehn Schätzen (Datenanzeige). Auf grafisch ansprechende Weise wird dann der eigentliche Schatz präsentiert: die Buchdaten. Beim Klicken mit dem Cursor tauchen nacheinander eine kurze an Kinder gerichtete Annotation auf, das Cover des Buches und eine Leseprobe. Zusätzlich erscheinen noch ermunternde Hinweise wie "total spannend", "total interessant" o.ä.

Einige testende Bibliothekarinnen suchten nach dem Schlagwort "Schnecke". Aber diese Art des Einstieges ist in diesem Kinder-OPAC für das erste Lesealter nicht möglich. Die EntwicklerInnen sind vielmehr davon ausgegangen, daß ein Kind dieses Alters zunächst keine präzisen Suchabsichten hat, sondern erst im Laufe der Recherche merkt, was es eigentlich will. Die Graphiken des Kinderbuchillustrators Manfred Krüger unterstützen das Kind in seiner Spontaneität. "Der Bücherschatz" ist insofern also wirklich ein "Schatz", von dem man im voraus nicht genau sagen kann, was er enthalten wird.

Daß hier ein ungeheurer "Schatz" verborgen ist, der bisherige OPACs längst übertroffen hat, und eine große Herausforderung für Software-Entwickler darstellt, war den TeilnehmerInnen des Workshops klar geworden. Sacherschließung ist hier nicht Selbstzweck, sondern in den Dienst der BenutzerInnen gestellt. Zu hoffen ist, daß bald eine Software-Firma gemeinsam mit der ekz diesen "Schatz" hebt und den Prototypen weiterentwickelt.

1) vgl. hierzu den ausführlichen Bericht von Ursula Schulz: Das Projekt 'Kinder-OPAC am Fachbereich Bibliothek und Information der FH Hamburg. In: Biblionota: 50 Jahre bibliothekarische Ausbildung in Hamburg - 25 Jahre Fachbereich Bibliothek und Information. Hrsg. vom Fachbereich Bibliothek und Information der Fachhochschule Hamburg. Münster, New York 1995. S. 203-224.

2) vgl. hierzu auch die von der Projektgruppe herausgegebene und von Manfred Krüger und Holger Wendt gestaltetet Broschüre "Der Bücherschatz". Ein Kinder-OPAC. Suchen und Finden in der Bibliothek. Zu beziehen bei Einsenden eines adressierten DIN A 4-Umschlages über Prof. Ursula Schulz, Fachbereich Bibliothek und Information, Grindelhof 30, 20146 Hamburg.

3) Die Vorträge werden als 'Pflichtenheft für Kinder OPACS' demnächst beim DBI, Berlin veröffentlicht.

4) "Mehr mit Medien machen": aktive Literatur- und Medienvermittlung in Kinder und Jugendbibliotheken/Deutsches Bibliotheksinstitut. Hrsg. von der DBI-Expertengruppe . Red. Rita Schmitt. Bd 1-3. Berlin 1993-1995.

5) Demo-Disketten sind bei Frau Prof. Schulz zu bestellen. Adresse s. Anm. 2. Bitte drei leere 3,5"-Disketten und addressierten Umschlag beifügen.


Seitenanfang