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Bibliotheksdienst Heft 1, 1996

Controlling - Kritische Erfolgsfaktoren -Technologiecontrolling

Ulrich Hofmann

Controlling ist eines der derzeitigen "In-Themen" der wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion. Dabei kommen sich Theorie und Praxis nur sehr langsam näher. Die privatwirtschaftlichen Erfahrungen und Vorbilder basieren bei näherer Betrachtung auf einer Managementunterstützung, die auf das Rechnungswesen aufsetzt. Gleichwohl wird angesichts der Haushaltsprobleme des öffentlichen Sektors auch hier die Einführung eines Controlling intensiv diskutiert und quasi als "Zauberformel" zur Lösung aller diesbezüglichen Effektivitäts- und Effizienzprobleme gehandelt.

Von der Theorie werden folgende Grundfunktionen eines Controlling als Führungs- und Entscheidungs unterstützungshandlung zur Adaptions-, Koordinations-, Reaktionsfähigkeitdefiniert (Weber, 1995):

Der Rohstoff dazu sind Informationen, die dafür bedarfsorientiert eruiert, erzeugt, gefiltert und aufbereitet werden müssen. Die wissenschaftliche Vision ist, daß Betriebe über ein eigenes Management-Informationssystem verfügen sollen.

Für Bibliotheken stellt sich die Frage, welche Instrumente und Möglichkeitenzur Umsetzung eines derartigen Konzeptes zur Verfügung stehen.

Operative Entscheidungsunterstützungshandlungen basieren wegen des kurzfristigen Zeithorizontes naturgemäß auf quantifizierten Daten.

Unter methodischen Gesichtspunkten differenziert man Wirtschaftlichkeitsprobleme häufig in Out- und Inputfelder.

Operationalisierung des Outputs:

Der privatwirtschaftiche Sektor läßt die Nutzenbewertungen von Gütern, Dienstleistungen durch den Nachfrager durchführen (willingness to pay) und verfügt somit über das unübertreffliche Meßinstrument "Währungseinheit".

Für Bibliotheken stellt der ISO-Standard ISO/CD 11620 (Information and documentation - Library performance indicators) einen Meilenstein zur Operationalisierung des Outputs dar. Alle bibliothekarischen Führungshandlungen und Entscheidungen sollten hier ihren Ausgangspunkt haben.

Bedenkt man die Quantifizierung dieses Standards, so muß man deutlich sehen, daß - abgesehen von einfachen und damit wenig aussagefähigen Kennzahlen (wie z. B. der Anteil der Bibliotheksnutzer am vorgegebenen Einzugsbereich) - die performance indicators nur mit z. T. sehr komplizierten statistischen Methoden zu operationalisieren sind.

Die offene Frage ist: haben die Mitarbeiter der Bibliotheken vor Ort die Personalressourcen und das Know-How der empirischen Sozialforschung bzw. der analytischen Statistik, um diese Informationen gewinnen zu können? Zentrale Erhebungen haben naturgemäß keinen Nutzen für das (Qualitäts)Management der Einzelbetriebe.

Operationalisierung des Inputs:

Ressourcenverzehr wird im privatwirtschaftlichen Sektor durch Kostenrechnungssysteme erfaßt. Dabei setzt man heute zur Entscheidungsunterstützung Plan-Kostensysteme ein. Der häufig beobachteten Schwachstelle einer unrealistischen innerbetrieblichen Leistungsverrechnung wird z. Z. durch Forcierung des "Profit Center"-Konzeptes begegnet.

In Bibliotheken gibt es z. Z. noch kein Kostenrechnungssystem. Ressourcenverbrauch wird im Umfang der Titeldefinitionen des Gruppierungsregisters der Haushaltsordnungen erfaßt.

Die offene Frage ist auch hier: haben Bibliotheken die Personalressourcen und das Know-How, derartige Kostenrechnungssysteme zu betreuen, zu pflegen und auszuwerten?

Die isolierte Erfassung von Out- und Input hat allerdings nur einen begrenzten Informationswert. Die eigentliche Entscheidungsunterstützung durch solche Daten erfolgt erst aus der Verknüpfung von Out- und Inputdaten - also durch Kalkulationsrechnungen.

Die gestellten offenen Fragen lassen sich hinsichtlich des notwendigen Personaleinsatzes vorsichtig konkretisieren: Die Dokumentationsabteilung des Schweizer Bankvereins hat mit Hilfe einer Softwarefirma ein DV-gestütztes Controllingsystem aufgebaut. Zur Bedienung und Auswertung werden 15 % des Personalbestandes eingesetzt (Zehnder, 1995). Man muß sich das vor Augen führen: eine Bibliothek mit 100 Mitarbeitern müßte also 15 Mitarbeiter für ein derartiges allumfassendes Controllingsystem einsetzen. Da Bibliotheken nicht den Schweizer Bankverein als Träger haben, müßten sie dieses Personal aus ihren laufenden Routineaufgaben freisetzen.

Auch die Know-How-Frage muß sehr zurückhaltend betrachtet werden, da schon die Hochschulen durch die von den Studenten beobachtete Praxis in den Bibliotheken gehandicapt sind, Konzepte der analytischen Statistik und der Kostenrechnung in der Lehre umzusetzen. Hier würde sich auf alle Fälle im Rahmen der Personalentwicklung ein großer zu finanzierender Fortbildungsbedarf stellen.

Vor dem Hintergrund dieses quantitativen und qualitativen Ist-Zustandes des Personals in Bibliotheken ist nach der Effizienz, d. h. der Nutzen-Aufwand-Relation eines allumfassendenControlling zu fragen. Der wirtschaftliche Wert einer Information bestimmt sich aus ihrem Nutzen für betriebswirtschaftliche Entscheidungsprozesse und aus den Kosten der Informationsbeschaffung.Angesichts der knappen personellen Ressourcen ist somit nach den kritischen Erfolgsfaktoren der Bibliotheken zu fragen, d. h. ökonomisch rational ist es, je nach Ausmaß der zur Verfügung stehenden Personalressourcen sich zuerst auf die Felder zu konzentrieren, bei denen der höchste Erfolgsbeitrag, die höchste Produktivität des Managements zu erwarten ist. Es gibt meines Erachtens keinen Zweifel, daß das kritische Erfolgsfeld für Bibliotheken mit intelligenten technologiebasierten Informationsdienstleistungen abzustecken ist. Die Schubkraft der lnnovationspotentiale der neuen Technologien ist seit der PC-Revolution ungebrochen und wird sich vor dem Hintergrund der derzeitigen globalen Netzimplementationen sogar noch massiv verstärken. Zeitlich variante Netzknoten (Verknüpfungen) auf der Basis heterogener verteilter Informationsquellen werden die Regel sein (virtuelle Strukturen). Dabei wirkt der trendbruchartige technologische Wandel z. Z. wie entfesselt: kein Standardisierungsgremium, kein staatliches Organ, kein multinationaler Konzern hat die Entwicklung unter Kontrolle. US-Bibliotheken haben schon vor Jahren den nutzerorientierten Technologieeinsatz als kritischen Erfolgsfaktor und dazu das mangelnde Know-How der Mitarbeiter als Barriere des lnvestitionsfortschrittes ausgemacht (Hofmann, 1995). In der Mitte der 90er Jahre stellt sich also die Frage, ob die Leitungsressourcen der deutschen Bibliotheken vor dem Hintergrund des derzeitigen Haushalts-, Personalrechts und der konstitutiv damit verbundenen Organisationsstrukturen sich darauf konzentrieren sollten, die oben ausgeführten instrumentellen Defizite auf der Input- und auf der Outputseite zu beheben oder ihre ohnehin äußerst begrenzten Leitungsressourcen für Umsetzungs-, Integrationsstrategien zur Ausschöpfung der Potentiale der neuen Informationstechnologien insbesondere der Kompressions-, Scan-, Hypertexttechniken, Client-Server-Architektur, schnellen Datennetzeeinzusetzen.

Viele Gründe sprechen dafür, daß ein (strategisches) Controlling-Informationssystem der Potentiale der neuen Informationstechnologien einen überlegeneren Beitrag zu einer optimalen Allokation der Ressourcen in Bibliotheken liefern könnte als bibliotheksweite, operative Wirtschaftlichkeitsinstrumente über klassische konventionelle bibliothekarische Dienstleistungen.

Nur mit Hilfe eines Technologie-Controllings kann die technologische Entwicklung (Bibliotheken sind ohnehin nur "Follower') analysiert, systematisiert, adaptiert, koordiniert, ihre Risiken identifiziert, bewertet und minimiert werden. Dabei wirkt ein Ausschöpfen der Potentiale der neuen Technologien unmittelbar auf die Beseitigung der Defizitebibliothekarischer Dienstleistungen (Damkowski 1995) wie z. B.

Negativ gewendet: Unterbleibt ein Technologie-Controlling, so erhöht sich das Risiko gravierender Fehlentscheidungen bei hoher Irreversibilität und langer Bindungsdauer im investiven Bereich und im Technologieeinsatz.

Daraus resultieren mögliche Folgewirkungen, Folgekosten:

Verkürzt: Der kritische Erfolgsfaktor liegt nicht in einer globalen Kostenminimierung und/oder Leistungssteigerung konventioneller bibliothekarischer Dienstleistungen, sondern in der effektiven Ausnutzung der Potentiale der neuen Informationstechnologien. Niemand wird diesen kritischen Erfolgsfaktor bestreiten. Nicht nur die vernachlässigte Frühaufklärung des INTERNET, sondern auch die sich abzeichnende mangelnde Ausschöpfung seiner Potentiale (Payer, 1995) zeigt die Relevanz eines Technologiecontrollings. Daraus folgt primär ein Unterlassen des Aufbaus allgemeiner, systematischer Kostenrechnungssysteme, die ohnehin wegen ihres Ex-post-Charakters konstitutiv zu einer strategischen Lenkungslücke vor allem bei den schnellebigen Ausprägungen technologiebasierter bibliothekarischer Dienstleistungen führen. Im strategischen Kontext sind durch die oben dargestellten Technologiepotentiale initiierte partielle Kostenrechnungskalküle anzustellen. So werden Prozeßkostenrechnungen (Activity Based Costing) im Zuge von Technologieprojekten mit strategischen Außenwirkungen wie z. B. SUBITO wertvolle Steuerungsinformationen liefern. Zielkostenrechnungen (Target Costing) werden ebenso wichtig sein, wenn die sich abzeichnende Notwendigkeit, Entgelte für Informationsdienstleistungen zu erheben, um die Grundversorgung zu sichern, eintritt. Technologiecontrolling im bibliothekarischen Kontext beschäftigt sich mit der prozeßbegleitenden Bereitstellung relevanter Daten (des lnformationsflusses) für die ganzheitliche Planung, Kontrolle und Steuerung der Wirtschaftlichkeit und Effektivität aller technologiebasierten Informationsverarbeitungsprozesse zur Erstellung bibliothekarischer Dienstleistungen auf den verschiedenen betrieblichen Ebenen. Dabei wird eine Reduktion der Komplexität in und zwischen (Ablauf)prozessen zu einem immer wichtiger werdenden Faktor innerhalb der Wertschöpfungskette.

Daraus folgt eine Konzentration auf

Da sich Instrumente und Zielkonkretisierungen nach Zeithorizonten unterscheiden, differenziert man in operatives und strategisches Controlling.

Aufgabe eines strategischen Technologie-Controllingist die zukunftsorientierte Planung und Steuerung des Einsatzes der Informations- und Kommunikationssysteme sowie die Erschließung von Erfolgspotentialen (Integration von Technologien in die Bibliotheksstrategien). Dazu gehört die

Die lnstrumentarien dazu kommen aus der strategischen Planung wie z. B. Portfolio-Controlling, strategische Kosten-Nutzen-Analyse, Stärken-Schwächen-Analysen, Prognose-Szenario-Kalkül, Soll-Ist-Vergleiche etc.

Aufgabe des operativen Controllingist die Kontrolle und Steuerung der Wirtschaftlichkeit entsprechend dem Lebenszyklus von Informations- und Kommunikationssystemen.

Daraus resultiert die Erstellung

Dazu gehört die Bewältigung externer komplexer Entscheidungsprobleme und einer schwierigen Durchsetzung bei den Mitarbeitern. Ein Technologiecontrolling bietet eine Plattform zur Abgrenzung strategischer Projekte, kann helfen bei der Umsetzung strategischer Entscheidungen in organisatorische Regeln und bei der Konfliktlösung zwischen lnnovations- und Routinehandlungen. Wesentlich ist in der derzeitigen technologischen Take-off-Phase, daß das deutsche Bibliothekswesen sich nicht auf Kosteneffizienz und Leistungseffektivität konventioneller bibliothekarischer Dienstleistungen konzentriert, sondern den gegenwärtigen Strudel eines lnnovationsenthusiasmus (Nolan, 1989) umschifft:

Fazit: Controlling in Bibliotheken sollte sich lediglich auf technologieinduzierte partielle Kostenrechnungen stützen. Kritische Erfolgsfaktoren sind strategische lnformationssystem-Portfolios, ein Projektmanagement für lnformationssysteme, ein Produktmanagement und ein Management der Infrastruktur der Informationstechnologien (Technologie-Controlling).

Literatur

Damkowski, Wulf, 1995: Public Management.

Hofmann, Ulrich, 1993: Bibliotheken und Buchhandel im Verbund. Kosten und Nutzen integrierter lnformationsverarbeitung. - in: Cogito S. 22f.

Hofmann, Ulrich, 1995: Developing a strategic planning framework for information technologies. - In: Library Management (16) S. 4ff.

Nolan, Richard L., 1989: The innovator's handbook, S.16ff.

Payer, Margarete, 1995: Die virtuelle Bibliothek: Erschließung der Ressourcen. - In: Bibliotheksdienst (29) S. 1278ff.

Weber, Jürgen, 1995: Einführung in das Controlling.

Zehnder, Roland, 1995: Das Leistungsrapportierungssystem eines Informationszentrums. - In: Herget, Josef (Hg.): lnformationscontrolling und mündliche Auskunft.


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