9   Prognosen zur Entwicklung der Beschäftigung auf
     dem gesamten Online-Markt – Die Optimisten

Die bislang vorliegenden Marktanalysen aus den letzten Jahren geben überwiegend positive Einschätzungen über die Beschäftigungsentwicklung der nächsten 5-10 Jahre ab, sind aber dennoch in ihren absoluten Werten auf höchst unterschiedliche Größenordnungen gekommen. Generell kann festgestellt werden, daß umso günstigere Schätzungen abgegeben werden, je enger die gutachtende Stelle mit dem Online-Markt verbunden ist: Firmen, die selbst als Anbieter auftreten verbreiten ebenso wie Ministerien und EU-Kommissionen, die umfangreiche Förderprogramme auflegen wollen, die optimistischsten Prognosen. Ihnen folgen Unternehmensberater, die in ihrem Auftrag tätig werden und Wissenschaftler, die sich Fördermittel versprechen. Unabhängige Unternehmensberater und Wissenschaftler dagegen teilen den Zweckoptimismus nicht und begrenzen ihre Prognosen nicht allein auf den Online-Markt, sondern versuchen die Auswirkungen von Multimedia und Internet für die Gesamtwirtschaft einzuschätzen.

So kommt ein umfassender Bericht der EU-Kommission zu der Aussage, daß der Markt für Informations- und Kommunikationstechniken der am stärksten wachsende innerhalb der Gemeinschaft sei. Schon heute würden 500.000 Arbeitsplätze wegen mangelnder Qualifikation der Erwerbstätigen nicht besetzt werden können. Bis zum Jahre 2005 könnten 300.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Als Wachstumsbranchen werden eingeschätzt:

Die EU-Kommission verweist darauf, daß für Produkte und Dienste der Informationsgesellschaft (IG-Produkte) 1997 bereits mehr Geld ausgegeben wurde als für den Kauf von Kraftfahrzeugen, Stahl und Flugzeugen.

Besonders starke Wachstumsimpulse werden aus den Bereichen Mobilfunk und Internet erwartet. So geht man davon aus, daß allein 150.000 Arbeitsplätze entstehen würden, wenn europaweit die Mobilfunkdichte von Finnland erreicht werden würde. Bei den Internetnutzern wird eine Steigerung von 30 Millionen in 1997 auf 125 Millionen in 2001 erwartet. Die Umsätze im Electronic Commerce werden nach dieser Studie von 20 Milliarden DM in 1997 auf 1000 Milliarden DM in 2005 steigen, wobei die Einführung des EURO einen wichtigen positiven Einflußfaktor darstellt. Allerdings wird dieses erhebliche Wachstum nur eintreten, wenn sowohl von der EU-Kommission als auch von den Mitgliedsstaaten ein günstiges wirtschaftliches und politisches Umfeld geschaffen wird. Schwerpunkte bei den empfohlenen Maßnahmen sind:

  1. Entwicklung einer Unternehmenskultur, die offen für Innovationen und Veränderungen ist. Risikokapital, potentielle Unternehmer und Bildungseinrichtungen müssen zusammengebracht werden.
  2. Einsatz fortschrittlicher Technologien zu niedrigen Kosten
  3. Öffentlicher Dienst muß als treibende Kraft und als Pilotanwender Entwicklungen anstoßen und Risiken mindern.
  4. Umstrukturierung der Unternehmen unter konsequenten Einsatz der IuK-Techniken. "In der globalen, vernetzten Volkswirtschaft verschwinden die Hindernisse der Faktoren Zeit, Entfernung und Ort zunehmend." Darauf haben sich die Unternehmen einzustellen.
  5. Verbesserung der Qualifikation der Erwerbstätigen: "Technische Kenntnisse werden bald genauso wichtig sein wie die Fähigkeit zu lesen."

Die Prognosen der EU-Kommission lassen sich im einzelnen nicht nachvollziehen, da Begründungen häufig fehlen bzw. Gutachten zitiert werden, die nicht allgemein zugänglich sind. Auffällig ist, daß zwar von einem Nettozuwachs bei den Arbeitsplätzen gesprochen wird, Angaben zu den negativen Effekten beim Einsatz der IuK-Technik jedoch nicht vorhanden sind.

Kernpunkte dieses EU-Berichts sind nach positiver Beratung im EU-Rat in das fünfte Rahmenprogramm zur Förderung der Informations- und Kommunikationstechniken aufgenommen worden.

Sieht die EU-Kommission noch einen Zuwachs von 300.000 Arbeitsplätzen im Bereich der Gemeinschaft, geht die Bundesregierung nach einer erst kürzlich veröffentlichen Erklärung von 370.000 Arbeitsplätzen aus, die allein in Deutschland bis zum Jahre 2002 im IT-Bereich zusätzlich geschaffen werden könnten, "wenn jetzt die Weichen richtig gestellt werden." (Bundesregierung will Internet für alle. In: WebWelt online vom 23.9.99; http://www.welt.de/daten/1999/09/23/0923np130493.htx)

Bei dieser Prognose ist nach Ansicht eines Branchendienstes "alles zum Bereich Multimedia gezählt worden, was sich nicht rechtzeitig auf die Bäume retten konnte". (iBusiness vom 22.9.99; http://www.hightext.de)

Um dieses Wachstum zu erreichen, will die Bundesregierung zusätzlich zu den bereits laufenden Förderprogrammen 3 Milliarden DM bis 2003 zur Verfügung stellen. Diese Gelder kommen überwiegend aus dem Etat des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung und zum kleineren Teil aus dem Etat des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Die Förderschwerpunkte umfassen:

Bis zum Jahr 2004 sollen 40% der deutschen Bevölkerung ständigen Zugang zum Internet haben. Nach Meinung der Bundesregierung "stehen wir vor einem Marathonlauf und müssen davon ausgehen, daß die USA schon zwei Kilometer Vorsprung haben." (Online-Welt)
Diese Aussagen fußen auf einem Gutachten der Unternehmensberatung Booz, Allen und Hamilton (BAH), München. Eine von dieser Firma durchgeführte Delphi-Studie zum selben Thema kommt bemerkenswerterweise zu einem ganz anderen Ergebnis. "Das Einsetzen eines globalen Netto-Arbeitsplatzeffektes wird nach dem Urteil der Befragten noch länger auf sich warten lassen, denn bis zum Jahr 2010 wird mehrheitlich keinerlei Effekt erwartet. Diejenigen, die einen Arbeitsplatzeffekt prognostizieren, neigen zu einer eher positiven Einschätzung: insbesondere nach 2015 wird (von einem Drittel der Experten) ein Zugewinn an Arbeitsplätzen erwartet."
Der scheinbare Widerspruch löst sich bei genauerem Vergleich der beiden Studien: Im ersten Fall wird nur der engere Bereich Multimedia betrachtet. Hier rechnen auch die Experten der Delphi-Umfrage mit hohen Wachstumsraten (z.B. zwischen 10,8% und 29,7 % bei Electronic-Commerce bis 2010.). Die arbeitsplatzvernichtenden Effekte sind jedoch hier nicht berücksichtigt. In der Delphi-Befragung finden diese Effekte jedoch gleichrangig Beachtung. Bleibt die Frage nach der Ursache für das Auseinanderklaffen von namentlich gezeichneter Veröffentlichung und anonym geäußerten Antworten zu den gleichen Sachverhalten.
Bei namentlich gezeichneten Veröffentlichungen von Wissenschaftlern und Politikern überwiegen – wie hier schon mehrfach erwähnt – die positiven Einschätzungen zum Netto-Arbeitsplatzeffekt. Äußert sich eine vergleichbare Gruppe dagegen anonym (es wurden bei der Delphi-Umfrage 360 internationale Fachleute aus Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft beteiligt) entfallen offensichtlich taktisch-strategische Verhaltensweisen, ohne die man nicht an die Fördertöpfe oder an die Macht gelangen kann.

Nahe an den Schätzungen in der zitierten Delphi-Umfrage liegt die Unternehmensberatung Arthur D. Little. Sie unterscheidet zwischen Anwender- und Anbieterbranchen bei der Informations- und Kommunikationstechnik.
Die Anwenderbranchen werden bis zum Jahr 2000 760.000 Arbeitplätze verlieren, wobei besonders die Finanzdienstleistungen, der Handel, die Touristik, das verarbeitende Gewerbe und die staatlichen Dienstleistungen betroffen sind. Langfristige Arbeitsplatzgewinne bis zum Jahr 2015 in Höhe von netto ca. 60.000 Arbeitsplätzen bringen innerhalb der Anwenderbranche die Bereiche Logistik, Verkehr, sonstige Dienstleistungen, Bildung/Wissenschaft und Gesundheitswesen.
In den Anwenderbranchen entstehen bis 2015 ca. 150.000 Arbeitsplätze netto. Entscheidend sind nach Arthur D. Little jedoch die beschäftigungserhaltenden Wirkungen durch den konsequenten Einsatz von IuK-Technologien: Sie erhalten 1,2 Millionen Arbeitsplätze, die ohne den Technologieeinsatz verlorengingen.

Eine rundum optimistische Schätzung gibt schließlich die Cisco-Studie für die USA ab (Cisco ist der führende Hersteller von Routern und Software für Netzanwendungen). Allein 1,2 Millionen neue Arbeitsplätze sind danach 1997 durch das Internet geschaffen worden. Umsätze von 300 Milliarden Dollar seien ebenfalls 1997 in den USA durch das Internet bewirkt worden; Arbeitskräfte, die ständig das Internet nutzen, sind um 65% produktiver als solche ohne Netzzugang.
Wachstumsbranchen sind Produzenten der Netzinfrastruktur, Hersteller von Hard- und Software für die Verknüpfung der Netze, Suchmaschinen, Multimediaapplikationen, Vermittler, Anzeigenagenturen, Portale für den Netzzugang, Produzenten von Inhalten für das Netz, Betreiber von E-Commerce.
Auch hier finden sich keine Aussagen über die Produktivitätseffekte und die Berechnungsgrundlagen im Einzelnen.
Solange innovative Firmen wie Netscape und Amazon trotz fehlender Gewinne höchste Aktienkurse erzielen, weil die Zukunftserwartungen so hoch sind, scheint dies auch nicht nötig zu sein.
Übereinstimmend sehen aber alle Gutachter die Nutzungsentwicklungen beim Internet als den eigentlichen Motor der Entwicklung an. Hier waren viele Abschätzungen bereits kurz nach ihrem Erscheinen durch die Realität ein- und überholt. In Kenntnis dieser Dynamik nennt eine neue Studie folgende Daten:

Internetnutzung in Mio Nutzern

 

1995

2000

2005

weltweit

39,479

318,650

717,083

Nordamerika

26,217

148,730

229,780

Westeuropa

8,528

86,577

202,201

Osteuropa

1,26

32,7

151,8

Asien/Pazifischer Raum

3,628

57,607

171,098

Süd/Zentralamerika

0,293

10,766

43,529

Mittlerer Osten/Afrika

0,444

7,482

26,708

(Quelle: Computer Industry Almanac; http://www.c.i.a.com/199908iu.htm)


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