10   Prognosen zur Entwicklung der Beschäftigung auf
      dem gesamten Online-Markt – die Pessimisten

Auch in den – vom Ergebnis her gesehenen – eher pessimistischen Prognosen wird bis auf wenige anderslautende Stimmen ein Wachstum in den Kernbereichen des Online-Marktes vorausgesagt. Dieses wird zu einer Zunahme der Zahl der Arbeitsplätze führen, die allerdings wegen des Produktivitätsfortschritts nicht dem Wachsen des Umsatzes entspricht. Dabei wird deutlich gemacht, daß die Zunahme der Produktivität auf zwei Ebenen stattfindet: sowohl die Anwenderbranchen als auch die Hersteller der IuK-Technik sparen laufend Arbeitsplätze ein. Der Einsatz von Multimedia birgt ein erhebliches organisationsveränderndes Potential. So verringert sich die Fertigungstiefe, Arbeitprozesse werden mit Hilfe des Netzes neu organisiert, Filialnetze schrumpfen, Medienbrüche innerhalb von Arbeitsprozessen können beseitigt werden.
Der Wandel zur Self-Service-Gesellschaft wird gefördert, denn Kunden übernehmen Dienstleistungen, die bisher von bezahlten Arbeitskräften erbracht worden sind. Die Effekte dieser Prozesse werden unterschiedlich hoch eingeschätzt.
Eine amerikanische Veröffentlichung weist nach, daß im E-Commerce pro Beschäftigten 250.000 Dollar umgesetzt werden, im herkömmlichen Laden – oder Versandgeschäft – jedoch nur 160.000 Dollar. Bei einer Verlagerung der Einkäufe hin zum E-Commerce werden also die eingesparten Arbeitsplätze im konventionellen Bereich nicht voll ersetzt.
Nach dem Ergebnis einer anderen Studie werden durch die zunehmende Vernetzung in und von Unternehmen in den nächsten zwei Jahren in Deutschland 100.000 Arbeitsplätze verlorengehen, in Europa stehen 400.000 Arbeitsplätze auf dem Spiel. "Grund für diese harten Einschnitte im Arbeitsmarkt sind die erheblichen Einsparpotentiale durch professionelles Business-to-Business, die bei etwa 4% der Kosten liegen." (iBusiness vom 22.9.99; http://www.hightext.de)
Die neuesten Statistiken scheinen diese Annahmen zu bestätigen. So haben sich die Umsätze der 150 größten IuK-Unternehmen von 1997 auf 1998 um 13,3% erhöht, zwischen 1997 und 1996 um 14,1%. Die Zahl der Beschäftigten stieg jedoch nur um 2%. "In den 150 größten IuK-Unternehmen lag 1998 der Umsatz pro Mitarbeiter bei 503.000 DM. 1997 waren dies noch 452.000 und 1996 411.000 DM." (iBusiness vom 15.07.99; http://www.hightext.de)
Die kleineren, auf innovative Produkte ausgerichteten Firmen konnten im selben Zeitraum jedoch ein Beschäftigungswachstum von 15% verzeichnen (ebenda).
Dabei muß wiederum beachtet werden, daß allein die Hälfte der gesamten Umsätze der deutschen IuK-Industrie von Siemens, Siemens-Nixdorf und der Deutschen Telekom erzielt werden.
Für die letztgenannte Firma sind die Prognosen bezogen auf die Zahl der Arbeitsplätze deutlich negativ: "Alle Welt spricht vom Übergang in die Informationsgesellschaft und verbindet damit große Beschäftigungshoffnungen, doch der Schlüsselsektor dieses Transformationsprozesses profitiert offenbar mitnichten von dieser Entwicklung, im Gegenteil: er verliert Arbeitsplätze en masse ..." Die Telekom hat nach der deutschen Vereinigung zwar 23.000 Arbeitsplätze übernommen, baut nach der Deregulierung aber in großem Ausmaß die Beschäftigten ab. In Frankreich hat dieser Prozeß bereits zum Verlust von 14.000 Stellen geführt, in England gingen 72.000 Stellen verloren.
Diese Entwicklung wird auch nach Abschluß der Anpassung an neue Strukturen anhalten, denn der Wettbewerbsdruck wächst. Außerdem vermindern sich bei Einführung digitaler Netze die Arbeitsplätze, da weniger Montageplätze und weniger Vermittlungsstellen benötigt werden. Die Glasfasernetze sind wegen des geringeren Lohnaufwandes um 30% billiger als die Kupfernetze. Neue Arbeitsplätze werden deshalb nur bei der Softwarentwicklung, bei den Produzenten von Inhalten und bei den Herstellern von Endgeräten entstehen.

Ein besonders düsteres Bild zeichnen zwei Wissenschaftler aus Würzburg. Sie gehen davon aus, daß in Schlüsselbereichen von Wirtschaft und Gesellschaft bis zu 60% der Arbeitsplätze wegfallen werden. Die Prognose lautet im Einzelnen:

Bereich

Beschäftigte

wegfallende Arbeitsplätze

%

Handel

3.400.000

1.700.000

- 50,96

öffentliche Verwaltung

2.700.000

1.242.000

- 46

Banken

777.000

474.000

- 61,8

Service insges.

21.700.000

6.700.000

- 31,6

(Quelle: Thome, Rainer und Boris Krems: Integrierte Informationsverarbeitung im Dienstleistungsbereich, Juli 1997, zitiert nach http://www.tse-hamburg.de/Papers/Internet/Int_ec2.html)

Dieser Trend wird ausgelöst durch das E-Commerce, durch Büroautomation und Selbstbedienung sowie durch konsequente Automatisierung aller sich wiederholender bzw. Information zusammenführender Tätigkeiten.

Lothar Späth schließlich stellt die These auf, daß mehr als 35% aller Arbeitplätze entfielen, wenn die Informationstechnik überall dort eingesetzt werden würde, wo sie eingesetzt werden könnte.
Gegen ein so rasches Vordringen der totalen Automatisierung und des E-Commerce scheinen neueste Studienergebnisse zu sprechen. So ist in den USA im zweiten Quartal 1999 die Zahl der Surfer, die auch etwas im Internet gekauft haben, von 74% auf 71% gesunken (iBusiness vom 11.08.99).
Andere Stimmen äußern sich kritisch zu den angeblichen Vorteilen des elektronischen Shoppings: "Das Angebot ist nicht größer, die Preise nicht niedriger, die Beratung nicht besser, der Zahlungsvorgang nicht einfacher und die Lieferung nicht schneller." (iBusiness vom 26.07.99) Hoher Beliebtheit erfreuten sich ausschließlich Bankgeschäfte, da hier eindeutige Vorteile gegenüber dem Besuch einer Bankfiliale zu verzeichnen sind (ebenda).
In welcher Höhe der Arbeitsplatzabbau wegen der Produktivitätsfortschritte tatsächlich stattfinden wird, ist nach den vorliegenden, in den Schätzungen weit auseinander klaffenden absoluten Zahlen nicht vorherzusagen. Daß er stattfinden wird, ist jedoch unbestritten: Kein Unternehmen wird neue Techniken einführen, wenn es sich davon keine kostensenkenden Wirkungen verspricht.
Die Kompensation dieser Einsparungen fällt deshalb besonders schwer, weil die neu entstehenden Arbeitsplätze grundlegend andere Qualifikationen als die wegfallenden erfordern. Ohne tiefgreifende Fortbildung werden die Arbeitslosgewordenen neue Stellen nicht bekleiden können. Daraus entsteht die paradoxe Situation, daß hohe Arbeitslosigkeit einhergehen kann mit einer hohen Zahl an offenen Stellen.
Bei dem schnellen technologischen Wandel reicht bei Aus- und Fortbildung auch die beste Vermittlung von Fakten und Wissen nicht aus, denn beides veraltet innerhalb weniger Jahre. Im Zentrum der Bemühungen muß deshalb die Vermittlung von Fähigkeiten zum lebenslangem Lernen stehen, das eine ständige Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen und Inhalte ermöglicht.

Selbst wenn man sich der Meinung anschließt, die Nettoarbeitsplatzeffekte von Multimedia und Internet seien negativ, darf nicht gegen den Ausbau dieses Sektors und gegen hohe Investitionen in neue Technologien, in Aus- und Fortbildung votiert werden: Nur wenn hier größte Anstrengungen unternommen werden, kann es gelingen, Nutzen aus den positiven Beschäftigungstendenzen zu ziehen. Geschieht dies nicht, werden neue Arbeitsplätze anderswo entstehen und allein die negativ wirkenden Einflußfaktoren die Entwicklung in Deutschland beeinflussen. Der Effekt der Arbeitsplatzerhaltung wie von Arthur D. Little hier zitiert, wird beträchtlich sein, wenn er auch nicht für jede Branche zuverlässig vorausgesagt werden kann.

 


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