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Auf den ersten Blick wirkt Uta Spaets Reich unspektakulär:
Regale voller Aktenordner und Bücher, ein Computer, ein
gut gefüllter Schreibtisch. Als „Gedächtnis der Nation“ wird
die Bibliothek gern bezeichnet – hier schauen wir einer ihrer
„Torwächter“ über die Schulter. „Natürlich gibt es gesetzliche
Verordnungen und Sammelrichtlinien“, erklärt Spaet. „Doch
letztlich verantworten wir, was reinkommt.“
Eigentlich wollte die resolute Leiterin des Leipziger Erwerbungs­
referats Journalistin werden. Doch als sie nach ihrer Bibliothe­
karsausbildung 1984 in der Erwerbung der Deutschen Bücherei
anfng, hatte sie „Blut geleckt“ – und ihren Traumjob gefunden.
Daran haben auch die Wende, die Geburt ihrer Tochter und
eine stationenreiche Karriere im Haus am Deutschen Platz
nichts geändert: „Das Aufspüren von Büchern und Medien
hat durchaus etwas Detektivisches. Um das Gewünschte auch
zu bekommen, müssen wir, im engen Kontakt mit Verlegern,
Buchhändlern und Bibliothekskollegen, ständig neu reagieren.
Kein Tag ist wie der andere. Das macht die Sache spannend.“
Bearbeitet werden die eingehenden Medien arbeitsteilig in
Frankfurt und Leipzig. Spaet und ihre 25 Leipziger Mitarbeite­
rinnen und Mitarbeiter kümmern sich um die Erwerbung aus
sechs Bundesländern und Berlin sowie um das Ausland. Allein
die Zahl der „Pfichtexemplare“ geht pro Tag leicht in die Hun­
derte. In Spaets Referat wird der Zugang überprüft und in den
Geschäftsgang eingebracht. Binnen 24 Stunden sollten die Bü­
cher ihren Weg von der Poststelle bis zur Formalerschließung,
ihrer nächsten Station, zurückgelegt haben. Ohne Computer
ist das nicht zu bewältigen: Täglich werden die aktuellen Daten
des Verzeichnisses lieferbarer Bücher (VLB) eingespielt, nach er­
folgter Titelaufnahme der Bücher sind diese automatisch in der
Deutschen Nationalbibliografe gelistet. Rechner sind es auch,
die bei nicht fristgerecht eingegangenen Titeln ein Mahnver­
fahren einleiten. „Über 70 Prozent der Fälle“, so Spaet, „klären
sich mit einer freundlichen Erinnerung“. Nur selten müsse zu
Zwangsmitteln wie der Beibringung eines Buchs mithilfe des
Zolls gegrifen werden. „Diplomatie und Fingerspitzengefühl“,
so Spaet, „sind auch im Pfichtbereich gefragt. Man sollte
immer miteinander reden – auch wenn unser Ziel klar ist.“
Dass die Deutsche Nationalbibliothek auch ausländische
Literatur sammelt, ist weniger bekannt. Dabei liegt hier
gemessen an Aufwand und Personaleinsatz sogar der Schwer­
punkt des Referats. Es beschäftigt 16 Fachleute in zwei Aus­
landsteams, eines zuständig für Österreich und die Schweiz,
das andere für 200 Staaten rund um den Globus. Erworben
werden deutschsprachige Veröfentlichungen, Übersetzungen
und sogenannte „Germanica“, also fremdsprachige Werke
mit Bezug zu Deutschland. Die Abgrenzung ist oft schwierig:
Gehört ein Büchlein über den VW Käfer auf Koreanisch in die
Sammlung? Für Spaet sind die Recherche und Erwerbung im
Ausland einer der spannendsten Aspekte ihrer Tätigkeit: „Man
erfährt, wie über uns refektiert wird.“
2010 wurden Medienwerke aus 82 Ländern erworben, ganz
vorn lagen, hinter Österreich und der Schweiz, Polen, die
Niederlande und Frankreich. Neben der Pfichtabgabe bei
Übersetzungen stehen Schenkungen und Tausch hoch im
Kurs. Zu über 110 Tauschpartnern – meist Nationalbiblio­
theken, aber auch kleine Institute – pfegen Spaet und ihre
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter enge Kontakte. Man spürt:
Die Hilfsbereitschaft der Kollegen in aller Welt, die Akzeptanz
und Wertschätzung ihrer Arbeit bedeuten Uta Spaet sehr viel.
Gut möglich, dass mehr als einer ihrer Bibliotheksazubis hier
seinen Traumjob fndet.
MIT DETEKTIVISCHEM
SPÜRSINN
Gesichter der Nationalbibliothek, Leipzig: Erwerbungsarbeit verlangt
neben Fachkenntnis große Beharrlichkeit und diplomatisches Geschick.
Ein Traumjob, fand Uta Spaet vor gut 25 Jahren. Seit 2001 ist sie Leiterin
des Referats Monografen Erwerbung in Leipzig.
TEXT: NILS KAHLEFENDT FOTO: STEPHAN JOCKEL
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