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Nachdem er sich aus meinem Leben verabschiedet hatte, der
Bergamo-Mann, war ich nach Capri gefahren, alleine, es war
im April nach dem Herbst mit ihm, ich war der erste Tourist
auf der Insel, und dachte, wenn ich vor Traurigkeit überhaupt
zum Denken kam, dass ich vielleicht einmal so reich würde,
mir einen dieser Paläste auf der Insel kaufen zu können, auf der
alles so perfekt ist, dass es weh tut. Ich war den Inselrundwan­
derweg gerannt, jeden Tag, um mich zu bewegen, weil ich sonst
nur zusammengekrümmt gesessen hätte, weil ich doch keine
Ahnung hatte, dass das Leben weitergeht, dass Erinnerungen
dünner werden, dass Liebe, die geht, keine Liebe ist, sondern
nur Sehnsucht.
Ich stand auf Capri und schaute Boote an, und dachte bei
jedem, da könnte er jetzt sein und kommen und mir erklären,
dass es ein Irrtum war. Heute weiß ich, dass solche Sachen nur
in Filmen stattfnden, in denen Meg Ryan mitspielt, aber unter­
des auch nicht mehr, denn sie ist jetzt ebenfalls zu alt, als dass
man ihre Naivität glauben würde.
Wie viel Jahre ist das her? In Bologna in einer hässlichen
kleinen Wohnung, zu Besuch bei einem Italiener, schwer
verliebt und kein Wort reden können, mit ihm dann ans
Meer, Rimini, die Eltern besuchen, und sich verabschieden
drei Tage später, wieder heimreisen, weinen und wissen, diesen
Mann wird man nie wiedersehen, vielleicht war das schon der
Beginn des Endes, dieses Wissen um Unmöglichkeiten. Das ist
es doch, das die Verzauberung nimmt. Allem. Das Wissen, dass
ein schönes Gebäude, der Duft von Pinien und Abendwärme
nichts an deinem Zustand ändern kann. Es wird schon bald
eine Erinnerung sein, dich nicht verändert haben, dein Leben
nicht.
Ich bin wieder zu Hause. In einem schönen Leben. In
dieser wunderbaren Bibliothek, in der als Bibliothekarinnen
verkleidete Informatikstudenten durch die unbenutzten Gänge
schleichen. Und ich bin die, die noch Bücher gekannt hat.
Vielleicht werde ich irgendwann im Winter wieder einmal
Sehnsucht bekommen, nach Italien, so wie viele. Und wir alle
werden wieder fahren, an einen See, ans Meer, in die Toskana,
und wir werden hofen, dass die Zukunft so sein wird wie
unsere Erinnerungen, mit Gerüchen und Gefühlen, wir wer­
den uns selber in Reisen nachspielen, doch glaubt mir, wir
werden es nie mehr fnden, das Gefühl unserer ersten Italien-
reise, das nur noch herzustellen ist, in dieser Bibliothek und dem
Geruch nach Tod.
SIBYLLE BERG
Die Schriftstellerin und Dramatikerin wurde 1962 als
Tochter eines Musikprofessors und einer Bibliothekarin in
Weimar geboren. Sie schreibt Romane, Essays, Kurzprosa
und Theaterstücke. 2009 erschien bei Hanser ihr jüngster
Roman „Der Mann schläft“. Seit Januar 2011 schreibt sie
für Spiegel Online die Kolumne S.P.O.N. – Fragen Sie Frau
Sibylle.
und gedacht: Also so schön werde ich wohl nie wieder am
Meer stehen. Und immer wieder kommt man, weil man doch
so hoft, dass wenigstens die Gefühle gleich bleiben, wenn
schon alles andere altert. Nichts da. Alles wird schwächer.
Wie die Erregung abnimmt, und das Verstehen wächst, aber es
hilft ja nichts. Es macht nicht einfacher, zu verstehen, nichts
angenehmer.
Cinque Terre, 15 Jahre später, sind nur noch Touristenmassen,
die sich mit Reiseleitern durch die kleinen Orte schieben, sind
überfüllte Restaurants mit viersprachigen Speisekarten, sind
das Gefühl ein Portemonnaie auf zwei Beinen zu sein, und das
Verstehen, dass sie recht haben, die Italiener. Wenn man schon
ihre netten Gassen verstopft, mit weißem Fleisch, dann muss
man dafür zahlen.
Irgendwo hier am Meer war ich mal tanzen, in dieser Art, dass
man verschwitzt ist und fast tot, wie nach einem Marathon,
in schwarzen Sachen, natürlich trug ich nur schwarz, und früh
am Morgen lag ich neben einem umgestülpten Boot – das war
wohl mit dem Freund, nach dem ersten Freund.
Ohne Auto und ohne Geld, und an Venedig erinnere ich
mich noch, im Herbst, und leer. Eine Pension für 30 Mark
und kein Geld mehr für gepfegte Speisen. Ziemlich hungrig
liefen wir durch die Stadt und warum vergisst man das nicht,
vergisst dafür die späteren gepfegten Reisen nach Venedig
in Ferienwohnungen erwachsener Freunde, Essen in teuren
Restaurants, die nie mehr das Gefühl machen werden, wie
der Hunger auf das Leben damals.
Und wie mir das nicht mehr einfele, heute, die ganze Nacht
durch die Stadt zu laufen, weil der Zug um sechs fuhr und
das Geld für eine Übernachtung nicht mehr vorhanden,
heute, da ich am liebsten um zehn zu Bett gehe, und auch
daran einige Ansprüche habe. Und des Morgens immer öfter
erwache, und der Rücken schmerzt und es dauert, bis die
Gliedmaßen wissen, was zu tun ist. Das Alter ist mir näher
als die Jugend. War das früher besser? Als ich noch Illusionen
hatte? Mit welchem Mann war das nur?
In Bergamo, dem Schönsten, was man als Ort in den Bergen
so werden kann, nachts vor einer bereits geschlossenen Bar,
und der Wirt stellte zwei Stühle für uns wieder vom Tisch,
und ich saß da und redete atemlos Schwachsinn, mit Angst,
dass ich nicht genügen würde, wenn ich schwiege. Ich genügte
letztlich auch nicht. Ein paar Monate später war der Mann
weg und Bergamo für immer besetzt mit seinem Schatten.
War das früher besser? Als ich noch Illusionen hatte?
Mit welchem Mann war das nur?
Ich bin wieder zu Hause. In einem schönen Leben.
In dieser wunderbaren Bibliothek.
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