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DER GERUCH
DES TODES
Das Stichwort „Bibliothek 3000“ und die Bitte nach einem Beitrag
für das Jubiläumsmagazin. Diesmal: Eine Kurzgeschichte der
Schriftstellerin Sibylle Berg über die Einsamkeit in einer
Bibliothek, Italienreisen und abgenutzte Erinnerungen.
ILLUSTRATIONEN: ANDREA RUHLAND
Ich bin die Einzige in der Bibliothek. Da kommt keiner mehr,
seit Bücher nur noch dazu dienen, um Bildung zu demonstrie­
ren in teuren Salons. Der moderne Mensch liest online. Das
Buch ist der Generationsgraben. Die davor und die danach.
Ein Museum ist es, in das ich hervorragend passe. Ich sehe mir
Bilder an, in richtigen Büchern.
Es ist so ein perfekter Moment, abends, ein Kiosk in Sestri
Levante, das Meer rechts, die Pinien (Könige der Bäume) oben,
und grüne alte Neonschrift davor. Der Kafee in dieser kleinen
Bude besser als in allen deutschen Gaststätten, die Luft mild
und kein Staunen mehr da. Die Schönheit macht nichts mehr
mit mir, die Luft nicht und das Meer nur Wasser. Die Erin­
nerung das einzig Lebendige, Trauer um die Zeit, in der alles
Aufregung war.
Ich war wohl vor 20 Jahren das erste Mal in Italien, mit dem
ersten richtigen Freund, der ersten vermeintlichen Liebe, im
ersten Westauto. Und das erste teure Hotel meines Lebens,
dessen Namen ich nie vergessen werde: Villa Villoresi bei
Florenz. In den Suburbs da, ein Kasten, sicher 5.000 Jahre alt,
der Garten zugewachsen mit Pinien, und wie die duften in der
Nacht, und wie die Grillen Geräusche machen, und ich am
Fenster, nicht wissend, was man mit so einer Nacht anfangen
soll. Sie essen, vielleicht?
Ich in einem Hotel mit gedämpftem, gelben Licht, so einem,
vor dem ich sonst nur kurz gestanden war, die Buchsbäume
anschauend, links und rechts des Einganges, und denkend: Das
werde ich wohl nie erleben, so ein Hotel, von innen, und da
stand ich dann am Fenster und hatte ein wenig Angst, dass
einer klopfen könnte und sagen: Sorry Fräulein, wir haben
uns wohl verlaufen, der Campingplatz ist gegenüber. Wie ein
junger Hund komme ich mir vor, wenn ich heute daran denke.
Morgens aus dem Bett stürmen und raus, und alles ansehen
müssen, unbedingt, sofort, bis man Kopfweh bekommt. Die
Italiener, damals dachte ich, die schönsten Menschen der Welt,
in den seidig fallenden Trikotagen – redeten und ich glaubte,
sie sprächen in dantischen Versen, so klug sahen sie aus, so
selbstbewusst, und ich ...
Wie das war, als das Leben noch vor mir lag, und ich dachte:
Jetzt, jetzt geht das alles los. Mit der Liebe, mit Italien, und
dass es sich immer so anfühlen würde wie ein Rausch, dachte
ich, und nun, nun stehe ich an diesem Kiosk, trinke wunder-
baren Kafee und denke nur: Heute Abend gibt es schon wie­
der nichts Vernünftiges zu essen. Italienisch halt. Wie sich das
Leben abnutzt, das merkt man ja nur an Freunden und Län­
dern, die man immer wieder sieht, und die Falten werfen,
und die Gags, die hat man schon tausendmal gehört, und die
Kafeebuden tausendmal gesehen, und am Meer gestanden
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