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Oben:
Bestandserhaltung
ist vor allem liebevolle Hand-
arbeit. Martina Hohensee
widmet dabei jedem Objekt
die gleiche Aufmerksamkeit
– egal ob Adressbuch oder
Erstaufage eines Literatur-
klassikers.
Unten:
Die Fadenheftma-
schine aus den 30er-Jahren
gehört ins Museum. Und in
die Werkstatt der National-
bibliothek. Denn wie sollte
Gisela Rechenberger sonst
lose Bögen wieder zu Buch-
blöcken zusammenbinden?
was in der Fachsprache „Massenentsäuerung“ heißt. Und es
ist in der Tat eine Menge, die hier entsäuert wird. Allein von
der Nationalbibliothek sind es rund 30 Tonnen im Jahr. Ziel
ist es, die Säure im Papier zu neutralisieren und damit den
Zerstörungsprozess zu stoppen. Zurückdrehen lässt sich die
Uhr freilich nicht, die bereits eingetretenen Schäden bleiben
bestehen. „Deshalb ist es so wichtig, dass die Bücher recht­
zeitig hierherkommen,“ meint Adriana Lorenz, Restauratorin
der Preservation Academy. Und sie ist überzeugt: „Durch die
Massenentsäuerung steigert sich die Lebenszeit des Buches um
das Drei- bis Fünfache.“
Aber was tun, wenn ein Buch
nicht mehr gerettet werden kann?
Zunächst werden die Bücher in einem Kühlraum auf minus
15 Grad gekühlt. Danach kommen sie in die Entsäuerungs­
kammer, in der ihnen ein Vakuum die Restfeuchte entzieht.
Das folgende Bad in der Behandlungslösung dauert etwa
eine viertel Stunde. Ist die Lösung wieder aus der Kammer
gepumpt, werden die Bücher durch ein erneutes Vakuum
getrocknet. Noch klamm, werden sie weitere 12 bis 24 Stunden
in Lüftungsschränken gelagert, bevor sie wieder ihre Heimreise
antreten dürfen. „Ich werde immer gefragt, ob man sieht, dass
ein Buch entsäuert wurde. Aber man kann es nicht sehen, man
kann es nur messen“, sagt Adriana Lorenz. Und man merkt
es noch Jahrzehnte später, weil man es dann immer noch
benutzen kann.
Für einige Bücher kommt jedoch auch diese Hilfe zu spät.
Sie sind so stark geschädigt, dass die Blätter bei der Massen­
entsäuerung zerfallen würden. In solchen Fällen würde allen­
falls die Papierspaltung helfen, ein aufwendiges Verfahren, das
ausschließlich per Handarbeit von Spezialisten durchgeführt
werden kann. Hierbei wird jedes Blatt in der Mitte gespalten
und zwischen den beiden Hälften ein neuer, stabiler Papier­
kern eingesetzt. Das Verfahren ist so kostspielig, dass es nicht
unbedingt bei einem Adressbuch von Wanne-Eickel aus dem
Jahre 1936 angewendet wird. Allein: Was macht man dann
mit Objekten, die man aufgrund ihres Zustandes nicht mehr
nutzen kann? Zunächst werden sie weggesperrt und der Nut­
zung entzogen. Da dies freilich keine befriedigende Dauerlö­
sung ist, hat die Deutsche Nationalbibliothek im September
des vergangenen Jahres ein Projekt gestartet. Rund 4.000 irre­
parabel geschädigte Bücher werden im Jahr gescannt und den
Benutzern und Benutzerinnen zumindest in digitaler Form
zugänglich gemacht.
Mit der Digitalisierung von Daten hört das Problem mit der
Bestandserhaltung allerdings immer noch nicht auf. Im Gegen­
teil, für die IT fängt es damit erst richtig an – zumal es dabei
nicht nur um die jährlich 4.000 gescannten Werke, sondern
um Millionen weitere geht. Denn der gesetzliche Sammlungs-
und Archivierungsauftrag der Nationalbibliothek erstreckt
sich nicht nur auf Publikationen auf Papier, sondern auch
auf elektronische Speichermedien sowie auf Veröfentli­
chungen im Internet, den sogenannten „Netzpublikationen“.
Diese Daten müssen sicher und dauerhaft archiviert und ihre
Verfügbarkeit muss auch in Zukunft gewährleistet sein.
Wie schwierig diese Aufgabe ist, wird auch dem Laien schnell
bewusst, wenn er versucht, an alte Dateien zu gelangen, die
er erst vor wenigen Jahren auf einer Diskette gespeichert hat.
Oder wenn er seine alten Beatles-Schallplatten beim Auf­
räumen des Kellers wiederentdeckt – und sich schmerzhaft
daran erinnert, dass der Schallplattenspieler längst auf dem
Sperrmüll gelandet ist. Selbst wenn man noch ein geeignetes
Abspielgerät hat, ist man bei Datenträgern nicht zwangsläu­
fg auf der sicheren Seite, wie das Beispiel der Audio-CDs
eindrücklich zeigt. „Dort haben wir massive Schadensbil­
der feststellen müssen“, berichtet Reinhard Altenhöner, der
als Abteilungsleiter nicht nur für die IT, sondern für die
Koordination der Bestandserhaltung insgesamt zuständig ist.
„Irgendwann fallen die regelrecht auseinander. Was übrig
bleibt, ist nur noch Geräuschmüll.“ Doch die Nationalbib-
liothek hat reagiert und bereits 20.000 CDs auf Festplatte
überspielt. Die Migration anderer Medien wie Kassetten,
Videos und Disketten steht noch aus.
Digitalisierung ist eine Lösung –
aber nicht für alle Probleme
All diese Daten müssen in Formaten gespeichert werden,
die auch in der Zukunft noch lesbar sind. Und da der tech­
nische Fortschritt seine eigene Dynamik hat, wird man nicht
umhinkommen, die digitalen Informationen immer wieder
neu anzupacken und umzuformatieren. „Das ist eine Arbeit,
die uns dauerhaft beschäftigen wird“, weiß Reinhard Alten­
höner, „und eine Arbeit, die uns nur im Schulterschluss mit
anderen internationalen Institutionen gelingen kann.“ Zumal
sich irgendwann die Frage der Digitalisierung von Medien und
deren Langzeitarchivierung auch für größere Teile des Buchbe­
standes der Nationalbibliothek stellen wird. Denn trotz lebens­
verlängernden Maßnahmen sind die Tage eines jeden Buches
gezählt. Keine schöne Vorstellung. Da ist es doch beruhigend,
dass selbst das Adressbuch von Wanne-Eickel zumindest in
einer digitalen Welt weiterleben wird.
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