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verwalten, das einzelne Werk wiederzu­
fnden und es von einem titelgleichen
zu unterscheiden.
FREIHANDBESTAND
Wer in der Deutschen Nationalbib-
liothek eine Medieneinheit ausleihen
möchte, muss sie im Online-Katalog
bestellen und kann sie schon wenige
Stunden später an der Bücherausgabe in
Empfang nehmen. Selbst in den Maga­
zinen stöbern darf man natürlich nicht
– dafür aber in den Handbibliotheken
bzw. im Freihandbestand. Das meint die
Zeitschriften, Zeitungen und Bücher,
die in den Lesesälen aufbewahrt werden.
Hier haben die Nutzer freie Hand.
GEDÄCHTNIS DER NATION
In dieses Bild kleidet die Deutsche
Nationalbibliothek ihr Selbstverständnis:
Sie ist eine Einrichtung, die sich an alles
erinnert, was hierzulande geschrieben
und vertont wurde, und es für die Zu­
kunft bewahrt. Natürlich meint sie nicht
das menschliche Gedächtnis mit all sei­
nen Schwächen, sondern einen Idealty­
pus eines Gedächtnisses: eines, das nie
etwas vergisst, das nichts verdrängt und
das im Alter nicht nachlässt.
GERMANICA
Dieses Wort weckt düstere Assoziatio­
nen. Es führt einen in den Teutoburger
Wald, an das kriegerische Denkmal am
Rhein oder an Hitlers Pläne für eine
Welthauptstadt. Doch Vorsicht, die bei­
den letztgenannten heißen Germania.
Germanica hingegen meint – ganz nüch­
terner Fachbegrif – alles Deutsche. Im
Bibliothekswesen sind Germanica alle
im Ausland veröfentlichten fremdspra­
chigen Medienwerke, die einen Bezug zu
Deutschland haben. Was hierzu genau
zählt, ist oft nicht leicht zu entscheiden,
und die Beschafung aufwendig. Aber
vor solchen Herausforderungen schreckt
die Deutsche Nationalbibliothek nicht
zurück.
DATENTRÄGERMIGRATION
Welche Daten müssen wandern? Und
wohin? Allein das Deutsche Musik-
archiv hat knapp 500.000 CD-Tonträger
in seinem Bestand, die ältesten stammen
aus dem Jahre 1983. Doch an ihnen
nagt der Zahn der Zeit, Kratzer sind
das eine, materialimmanente chemische
Prozesse das andere. Um die Werke zu
retten, hat die IT-Abteilung der Bib-
liothek 2010 begonnen, sie in ein siche­
res Speicherumfeld zu übertragen. Aus
CDs werden zukunftsfeste Daten mit
Migrationshintergrund.
DREIFACHKNICKPROBE
Ein schöner Name für einen Test, mit
dem geprüft werden kann, inwieweit Pa­
pier geschädigt ist. Hierbei knickt man
ein Eselsohr in die Seite und falzt es drei
Mal um. Gesundes Papier verträgt diese
Prozedur, bei saurem Papier bricht die
Ecke ab. Eine sanftere Methode besteht
darin, mit dem Finger gegen die Seite zu
schnalzen. Gutes Papier klingt straf und
hell, geschädigtes tonlos und dumpf.
Um zu überprüfen, ob ein Papier holz­
haltig ist, machen die Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter in der Erschließung (>)
mit einem Spezialstift einen Strich auf
das Papier. Färbt er sich lila, kommt
das Medienwerk auf die lange Liste der
Entsäuerungskandidaten (> Massenent­
säuerung).
ERSCHLIESSUNG
Ein Grundstück kann erschlossen wer­
den. Was aber meint der Begrif im
Bibliothekswesen? Jedes Medienwerk,
das dort eintrift, wird in zwei Schritten
erschlossen – zunächst formal, dann
inhaltlich bzw. sachlich. Formal meint:
Alle Fakten eines Werks (Titel, Her­
ausgeber, Seitenzahl, Größe, Gewicht
und vieles mehr) werden festgehalten.
Inhaltlich-sachlich meint: Der Inhalt
des Werks wird in einige Schlagwörter
übersetzt. Am Ende des Prozesses ist
das Werk bibliografsch verzeichnet. Es
hat eine Standortsignatur, ist einer Sach­
gruppe zugeordnet und verschlagwortet
(>). Das mag bürokratisch klingen, ist
aber Voraussetzung, um die Masse zu
ARCHIVALE
Zentrale Aufgabe der Deutschen Nati­
onalbibliothek ist es, von allen schrift­
lichen und musikalischen Veröfentli­
chungen ein bzw. zwei Exemplare zu
archivieren. Was aber, wenn es von einer
Veröfentlichung überhaupt nur ein Ex­
emplar gibt? Dann hat die Bibliotheks­
sprache dafür einen eigenen Begrif:
Archivale. Auch solche Archivalien hat
die Einrichtung, nicht zuletzt durch ihre
Sondersammlungen, in ihrem Bestand –
Urkunden, Akten, Briefe oder Fotos.
AUTOPSIE
Dieses Wort kennt jeder, der regelmä­
ßig „Tatort“ schaut: Woran ist der Tote
gestorben? Das hat die Autopsie zu klä­
ren. Eigentlich umfasst der Begrif aber
jede Form der „Inaugenscheinnahme“,
also der Untersuchung eines Gegen­
standes mit den Augen, ganz gleich, ob
es sich nun um einen toten Menschen
oder ein lebendiges Buch handelt. In der
Bibliothek bildet die Autopsie den Auf­
takt des Erschließungsprozesses (>): Ist
das Medienwerk vollständig? Was gehört
alles dazu? Wie ist es erhalten? Im Ge­
gensatz zum „Tatort“ ist es dabei uner­
heblich, wie es in seinen Zustand gekom­
men ist.
BESTANDSERHALTUNG
Die Deutsche Nationalbibliothek muss
immer an morgen denken. Schließlich
sollen die Monografe von 1921, die
Schriftenreihe von 1963, die CD von
1991 und das E-Paper von 2009 auch
in hundert Jahren noch lesbar sein.
Dem steht die Vergänglichkeit der Me­
dienwerke entgegen: Bindungen, die an
Klebekraft verlieren, Papiere, die brüchig
werden, digitale Datenträger, deren In­
halte verschwinden. Um die Medien zu
erhalten, werden Gefährdungsanalysen
erstellt, Bücher restauriert und entsäu­
ert (>Massenentsäuerung), Daten neu
abgespeichert (>Datenträgermigration)
und Konzepte zur digitalen Langzeitar­
chivierung erarbeitet. All das hat einen
Namen: Bestandserhaltung.
DIE BIBLIOTHEK
ENTSCHLÜSSELN
In der Deutschen Nationalbibliothek wird Deutsch gesprochen,
aber irgendwie auch Fachchinesisch. Was Bibliothekaren
selbstverständlich über die Lippen geht, ist für andere mitunter
unverständlich. Ein Glossar hilft, diese Begriffswelt zu verstehen.
TEXT: CHRISTIAN SÄLZER FOTO: STEPHAN JOCKEL
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