Seite 56-57 - DNB_Leseraum_FINAL

SEO-Version

57
56
Wer noch einen Restzweifel hegt, dass die Deutsche National-
bibliothek ein Eldorado für Abkürzungen ist, sollte Susanne
Oehlschläger in ihrem Büro besuchen. Ein großes Regal ist mit
Ordnern bestückt, deren Rückenbeschriftung Einblicke in ihre
tagtägliche Arbeit gibt: MARC Harmonization, IFLA-Konfe-
renz, STA-Sitzung, RDA-Gremien, RAK-AACR – so geht es dut-
zendfach weiter. Klar wird, dass sie mit Sitzungen, Ausschüssen
und Expertengruppen zu tun hat. Worum aber geht es dabei?
Vor zehn Jahren haben private Gründe die gebürtige Saarlän-
derin und gelernte Diplom-Bibliothekarin ins Rhein-Main-
Gebiet und berufich direkt in die Af S geführt, also in die
Arbeitsstelle für Standardisierung. „Wir kümmern uns auf vie-
len Ebenen um eine Vereinheitlichung von bibliothekarischen
Standards und Regelwerken“, erklärt sie. Tatsächlich arbeiten
schon innerhalb Deutschlands – der Föderalismus lässt grü-
ßen – nicht alle Bibliotheken nach den gleichen Standards.
Eklatant sind die Unterschiede im internationalen Kontext.
Jedes Land defniert eigene Normdaten, in den USA herrschen
andere Ansetzungsregeln als in Frankreich, das deutsche Da-
tenformat entspricht nicht dem in England verwendeten.
Die Folge: Viele Synergien können nicht genutzt werden.
Oehlschläger gibt ein Beispiel: „Momentan wird ein Buch
weltweit zigmal erschlossen. Würden überall die gleichen Re-
geln gelten, müsste das nur einmal passieren – und jede Bib-
liothek könnte die Daten übernehmen.“ Um solche Aufgaben
kümmert sich die Af S. Einige Harmonisierungen sind auf
den Weg gebracht. Seit Beginn des Bibliografejahrgangs 2009
etwa liefert die Nationalbibliothek Daten im Format MARC
21, auf das man sich international geeinigt hat und das den
Transfer vereinfacht. Ein anderes Beispiel ist der VIAF, an
dem die Einrichtung maßgeblich beteiligt ist. Ziel ist die Ver-
knüpfung nationaler Normdateien zu einer weltweiten virtu-
ellen Normdatei. Das zentrale Gremium, das in Deutschland
über die bibliothekarische Standardisierung entscheidet, ist der
Standardisierungsausschuss mit Vertretern aus Politik und dem
Bibliothekswesen. Die Geschäftsstelle sitzt in der Nationalbibli-
othek in Frankfurt am Main. Das momentan wichtigste Thema
ist die Umstellung von RAK auf RDA, also von dem deutsch-
sprachigen Regelwerk für die Formalerschließung auf ein neues,
internationales. Oehlschläger kam dabei auch die Rolle zu, die
englische Version der RDA – Umfang: eineinhalb dicke Ordner
– ins Deutsche zu übersetzen. In ihm ist alles bis ins kleinste
Detail geregelt, von der Ansetzung liturgischer Werke bis zum
Umgang mit dem Erscheinungsdatum juristischer Publikatio-
nen. Sich international zu einigen ist ein komplexes Unterfan-
gen. So war in einer älteren Fassung der RDA festgelegt, dass
ein Artikel am Anfang eines Titels wegzulassen sei. Also „Kleine
Nachtmusik“ statt „Eine kleine Nachtmusik“. Im Englischen
mag das angehen, im Deutschen kann es zu Verwirrung führen.
Die Bedeutung des Wortes „Band“ etwa hängt entscheidend
davon ab, ob davor „der“, „das“ oder „die“ steht. Ein Buch
mit dem Titel „Der seidene Faden“ würde als „Seidene Faden“
erschlossen, aus „Das müssen Sie wissen“ würde „Müssen Sie
wissen“. Also hat die Deutsche Nationalbibliothek einen An-
trag auf Änderung dieser Regel gestellt. Mit Erfolg.
Gleiche Standards der Bibliotheken weltweit ermöglichen also
einen Gewinn für alle – bis hin zu den Nutzern. Oehlschläger:
„Wenn man die RDA in all ihrer Schönheit anwendet, kann
das ein Beitrag dazu sein, dass die Daten über die Bibliotheks-
kataloge hinaus im World Wide Web verfügbar sind.“ Die Su-
che nach einem Werk bei Google etwa könnte dann auch zu
den Beständen in der Deutschen Nationalbibliothek führen.
Doch das ist noch ZM. Zukunftsmusik.
MIT STANDARDS RÜCKT
DIE WELT ZUSAMMEN
Gesichter der Nationalbibliothek, Frankfurt am Main: Susanne
Oehlschläger arbeitet in der Arbeitsstelle für Standardisierung.
Hier geht es darum, Voraussetzungen für die internationale
Vernetzung von Bibliotheken zu schaffen.
PORTRÄT: CHRISTIAN SÄLZER FOTO: STEPHAN JOCKEL

Entwickelt mit FlippingBook Publisher