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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 8, 98

Digitales Urheberrecht - eine Gefahr für die Bibliotheken?


Harald Müller*)

Bibliotheken und digitales Urheberrecht

Das Urheberrecht gewährt dem Urheber und seinem Werk einen möglichst weitgehenden Schutz, indem es hauptsächlich die vielfältigen Nutzungsarten eines Werkes rechtlichen Regelungen unterwirft1). Die Zielsetzung von Bibliotheken beschränkt sich jedoch nicht allein darauf, Medien zu sammeln, zu katalogisieren und zu archivieren, sondern gemäß der obersten Maxime des bibliothekarischen Berufsstandes stehen alle Informationsträger jedermann zur uneingeschränkten Nutzung zur Verfügung. Im Laufe der letzten Jahrzehnte fanden allerdings immer wieder neue Bestimmungen Eingang in das Urheberrechtsgesetz, die eine direkte Auswirkung auf die bibliotheksbezogene Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke zur Folge hatten. Jede Gesetzesnovelle schränkte die Nutzung im Vergleich zu früher weiter ein. Folglich wird das Urheberrecht von Bibliothekaren in den meisten Staaten seit Jahrzehnten als eine kontinuierliche Gefährdung ihrer beruflichen Tätigkeit angesehen.

Natürlich gibt es kein "digitales Urheberrecht", genausowenig wie dessen logisches Gegenteil, nämlich ein "analoges Urheberrecht". Mit digitalem Urheberrecht ist hier die Gesamtheit aller Bestimmungen des Urheberrechts gemeint, die sich direkt auf digitale Medien beziehen. Aus der Formulierung der Überschrift dürfte bereits deutlich werden, daß die Kombination von digitalem Urheberrecht und Bibliotheken eine höchst problematische Symbiose darstellt. Der Begriff "Gefahr" bezieht sich jedoch nicht, wie man auf den ersten Blick meinen mag, auf das Verhältnis der Bibliotheken zu urheberrechtlichen Regelungen allgemein; vielmehr liegt ein konkreter Anlaß vor:

Am 10. Dezember 1997 veröffentlichte die EG-Kommission den "Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft"2). Dieser Richtlinienentwurf hat sogleich nach seiner Veröffentlichung eine bisher nicht gekannte Fülle an Aktivitäten bibliothekarischer Verbände in den EG-Mitgliedstaaten hervorgerufen. Bibliothekare in ganz Europa befürchten eine massive Beeinträchtigung ihrer Arbeit, wenn der Richtlinienentwurf in der vorgeschlagenen Fassung verabschiedet werden sollte.

Eine Stellungnahme der bibliothekarischen Initiative EBLIDA3) faßt die Befürchtungen der Bibliotheken wie folgt zusammen:

Wenn der EG-Richtlinienentwurf vom 10. 12. 1998 in Kraft tritt, dann sind Bibliotheken, Universitäten, Archive und Dokumentationszentren nicht mehr berechtigt, ohne eine vertragliche, vergütungspflichtige Genehmigung

Obwohl keine dieser Aktivitäten einen kommerziellen Charakter aufweist, werden sie zukünftig erst nach Abschluß eines entsprechenden Lizenzvertrages, nach Zahlung einer Vergütung rechtmäßig sein. Nach einhelliger Auffassung aller europäischen Bibliotheksverbände muß der Richtlinienvorschlag insofern revidiert werden, als er den freien Zugang zu Information und ihre nichtkommerzielle Nutzung einschließlich Vervielfältigung zu privaten Zwecken sowie für Bildung und Wissenschaft verhindert. Die Bibliotheken in ihrer Funktion als Bewahrer und Vermittler von Information, Kunst und Wissen können nur dann ihren Aufgaben für die Gesellschaft auch im Zeitalter der digitalen Medien gerecht werden, wenn der Interessenausgleich zwischen Nutzern und Rechteinhabern in fairer Weise ausbalanciert bleibt.

Digitales Urheberrecht

Das Urheberrecht, speziell auch für elektronische Werke, hat sich selbstverständlich nicht plötzlich, quasi über Nacht zu einer Gefahr für die Bibliotheken entwickelt. Vielmehr zeigt ein Rückblick auf die Rechtsentwicklung der letzten Jahrzehnte, wie das Urheberrecht seit der Reform 1965 4) schrittweise die Bibliotheksarbeit immer stärker tangiert, erschwert und eingeschränkt hat.

Ausleihvergütung 1972 und Kopierabgabe 1985

Die erste größere Änderung des Urheberrechtsgesetzes wurde 1972 vollzogen mit der Neufassung des § 27, die eine Vergütungsregelung für die Bibliotheksausleihe einführte (Bibliothekstantieme). 1985 erreichte die Medienindustrie eine Änderung der §§ 53, 54 UrhG, wonach für Kopien urheberrechtlich geschützter Werke eine Vergütung zu zahlen sei. In beiden Fällen gelang es den Bibliotheken, Pauschalvereinbarungen mit den Verwertungsgesellschaften abzuschließen, so daß eine direkte Zahlung einzelner Bibliotheken nicht erfolgen mußte5). Trotzdem begann diese Gesetzesänderung sich eindeutig zum Nachteil der Bibliotheken zu entwickeln. Einzelne Unterhaltsträger von Bibliotheken zogen die von ihnen zu entrichtende Kopiervergütung vom Erwerbungsetat ihrer Bibliotheken ab, so daß diese Bibliotheken entsprechend weniger Bücher und Zeitschriften kaufen konnten. Die Kommerzialisierung des Urheberrechts begann zu einer Verknappung der Informationsträger in Bibliotheken zu führen.

Schutz von Computerprogrammen 1993

Die eigentliche Geburtsstunde eines digitalen Urheberrechts in Deutschland fiel auf den 24. Juni 1993. An diesem Tag trat das zweite Änderungsgesetz zum Urheberrecht in Kraft, das die EG-Richtlinie über den Schutz von Computerprogrammen6) in deutsches Recht umsetzte. Bis dahin galt der Rechtsgrundsatz, daß die bestimmungsgemäße Nutzung eines urheberrechtlich geschützten Werkes nicht gesetzlich geregelt war7). Durch die neu in das Gesetz eingefügten Regelungen der §§ 69a bis 69g UrhG änderte sich dieser Zustand radikal: Der Ablauf eines Computerprogramms stellt nach Ansicht der Softwareindustrie zwangsläufig eine Vervielfältigung i.S. des Gesetzes dar, weil dabei das Programm von der Festplatte in den Arbeitsspeicher (RAM) des Computers geladen wird8). Im Hinblick auf die rechtmäßige Benutzung einer Software spielt der Vorgang allerdings keine Rolle, weil § 69d Nr. 1 UrhG klar macht, daß zur "bestimmungsgemäßen Benutzung" eines Programms durch einen Berechtigten keine Zustimmung des Urhebers erforderlich ist. Der rechtspolitische Effekt dieser neuen Regelung stellt sich jedoch als außerordentlich gravierend dar. Ein zuvor eher als unüberwindbar angesehener Damm war gebrochen. Das Urheberrecht regelt jetzt, wenn auch nur für eine im Vergleich kleine Gruppe von Werken, den bestimmungsgemäßen Gebrauch explizit. Während das Lesen eines Buches das Urheberrecht nicht betrifft, findet nun jede (!) Nutzung von Software in den Schranken des Urheberrechtsgesetzes statt.

Verleihrecht 1995

Mit der Umsetzung der Verleihrichtlinie der EG9) drohte neues Unheil. Die zuvor erwähnte EG-Richtlinie zum Schutz von Computerprogrammen hatte noch bestimmt, daß "der öffentliche Verleih aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie ausgeschlossen" bleibe. Demzufolge enthielt auch das Urheberrechtsgesetz weiterhin keine Regelung der Ausleihe. Die deutsche Softwareindustrie versuchte seit Jahren, den Bibliotheken die Ausleihe von Software zu verbieten, vorzugsweise durch ein gesetzliches Ausleihverbot. Sowohl das Justizministerium als auch die Bibliotheken versuchten eine Sonderregelung für Software in das Urheberrecht zu vermeiden, denn diese hätte die Gefahr einer schleichenden Ausweitung auf andere Medien bedeutet. Um ein generelles Ausleihverbot für Software zu verhindern, wurde schließlich eine Selbstverpflichtungserklärung der Bibliotheken formuliert, wonach bestimmte Standardsoftware in Bibliotheken ausschließlich zur Präsenznutzung angeboten wird. Damit war aus Sicht der Bibliotheken ein massiver Angriff auf die Informationsfreiheit gerade noch einmal abgewehrt worden10).

IuKD-Gesetz und Schutz von Datenbanken t1998

Die jüngste Änderung des Urheberrechtsgesetzes trat zum 1.1.1998 in Kraft. Mit Art. 7 des IuKDG11) setzte der deutsche Gesetzgeber die Richtlinie der EG zum Schutz von Datenbanken12) in das Urheberrecht um. Leider waren in diesem Fall die Bemühungen der Bibliothekare nicht so erfolgreich wie in den Jahren zuvor. Datenbanken werden jetzt ausdrücklich dem Schutz des Urheberrechts unterstellt, entweder als Datenbankwerk gemäß § 4 Abs. 2 UrhG oder als Datenbank gemäß § 87a UrhG (das sogenannte "Recht sui generis"). Eine im bibliothekarischen Bereich wichtige Art der Werknutzung, die Vervielfältigung, erfährt im Vergleich zum Vervielfältigungsrecht für andere urheberrechtlich geschützte Werke erhebliche Einschränkungen13).

Für die Werkgruppe der Datenbanken hat sich somit die urheberrechtliche Kopierfreiheit in ein faktisches Kopierverbot umgewandelt. Diese gesetzliche Regelung begünstigt einseitig die wirtschaftlichen Interessen der Urheber und der Medienindustrie zu Ungunsten des Grundrechts der Informationsfreiheit. Das digitale Urheberrecht für Datenbanken hindert den Bürger an der umfassenden Nutzung dieser Werke im gleichen Umfang wie der sonstigen in und durch Bibliotheken angebotenen Medien. Bibliotheken als Sammelstätten aller Art von Information können im Hinblick auf Datenbanken nur einen eingeschränkten Service anbieten, werden also für den Benutzer weniger wichtig.

Die nähere Zukunft des digitalen Urheberrechts

WIPO-Urheberrechtsvertrag vom 20. Dezember 1996

Im 20. Dezember 1996 verabschiedete die WIPO14) einen Vertrag zum Urheberrechtschutz digitaler Medien. In dieser Konvention werden Computerprogramme (Art. 4) und Datenbanken (Art. 5) urheberrechtlich geschützt. Art. 7 sieht ein Vermietrecht für Software vor15). Als internationaler Vertrag zwischen Staaten entfaltet die WIPO-Konvention zunächst keine Rechtswirkungen im nationalen Recht.

EG Richtlinienentwurf Dezember 1997

Mit dem bereits anfangs zitierten "Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft" vom 10. Dezember 1997 wollen die EU-Behörden den WIPO-Vertrag in Europäisches Recht umsetzen. Ein Vergleich beider Texte macht jedoch schnell deutlich, daß der EG-Richtlinienvorschlag sich nicht an die Vorgaben der WIPO hält, sondern teilweise die Rechte des Urhebers einseitig erweitert. Die Informationsfreiheit soll zum Nachteil des Nutzers weiter eingeschränkt werden. Die Restriktionen bei der Benutzung digitaler Medien resultieren einzig und allein aus der EG-Richtlinie. Der WIPO-Vertrag enthält dagegen eine wesentlich ausgewogenere Berücksichtigung allseitiger Interessen.

Persönliche geistige Leistungen müssen geschützt werden, wobei die physische Form des Werkes keine Rolle spielt. Daher unterliegen auch digitale Werke dem Schutz des Urheberrechts. Jedoch ist stets zu beachten, daß ein der Öffentlichkeit zugänglich gemachtes Werk durch seine Veröffentlichung Teil der Gemeinschaft und damit Gemeineigentum geworden ist16). Die Kenntnisnahme des Werkes ist ein demokratisches Grundrecht und zugleich als Menschenrecht (Informationsfreiheit) durch internationale Verträge bestätigt. Der bestimmungsgemäße Zugang zu einem veröffentlichten Werk ist noch keine Verwertung seines Inhalts. Im Interesse der Allgemeinheit und ihres Rechtsanspruchs auf Informationsfreiheit kann der Urheber nicht unbeschränkt über sein geistiges Eigentum verfügen. Wie jede Art von Eigentum unterliegt es dem Sozialstaatsprinzip.

Der Richtlinienvorschlag vom Dezember 1997 koppelt sämtliche digitalen Werke vom freien Zugang ab und unterstellt sie dem Abschluß von Lizenzverträgen, für die sowohl die einzelnen Nutzer als auch die Bibliotheken Zahlungen zu leisten haben. Damit wird nicht nur die Verhandlungsposition der Urheber ungleichgewichtig verstärkt und die Herausbildung von Monopolstrukturen gefördert, sondern auch die Entstehung neuer Ungleichheiten zwischen denjenigen, die über Informationen verfügen, und denjenigen, die nicht darüber verfügen, begünstigt. Der Zugang zu Information wird neu definiert als implizite Schädigung der Rechteinhaber. Die wirtschaftlichen Interessen der Urheber werden als höherwertiger angesehen als die demokratische Informationsfreiheit.

Gegen die geplante EG-Richtlinie hat sich deshalb auf breiter Front ein europaweiter Widerstand formiert. Nicht nur die nationalen Bibliotheksverbände, sondern auch z. B. europäische Verbraucherverbände versuchen mit intensiver Lobbyarbeit der geplanten Richtlinie ein anderes Gesicht zu geben17).

Nicht Gefährdung, sondern Ausgrenzung

Stellt man sich als Bibliothekar an diesem Punkt erneut die in der Überschrift formulierte Frage, so kann es eigentlich nur eine einzige ehrliche Antwort geben:

Das digitale Urheberrecht gefährdet nicht etwa die Bibliotheken, es ist vielmehr auf dem besten Weg, die Bibliotheken von den digitalen Werken vollständig auszugrenzen.

Die Änderungen des Urheberrechtsgesetzes seit 1965 schränken die Nutzungsmöglichkeiten für digitale Medien in und durch Bibliotheken Schritt für Schritt immer mehr ein. Schon heute bewirken gesetzliche Restriktionen, daß ein Bürger bestimmte Medienarten wie z. B. Standardsoftware nicht mehr in seiner Bibliothek ausleihen kann. Andere elektronische Werke darf er lediglich höchst eingeschränkt nutzen. So können etwa Kopien aus Datenbanken zwar zu eigenem wissenschaftlichem Gebrauch angefertigt werden, aber z. B. nicht zur Verwirklichung eigener politischer Grundrechte! Die fortschreitende Kommerzialisierung des Urheberrechts wird dazu führen, daß Bibliotheken in Zukunft aus Geldmangel nur noch eine eng begrenzte Auswahl von Werken erwerben und anbieten können. Tendenzen für eine derartige Verarmung von Bibliotheksbeständen kann man ja bereits im Bereich der gedruckten Zeitschriften beobachten. Wenn zukünftig der Zugang zu digitalen Werken ausschließlich über Lizenzverträge möglich sein wird, deren Konditionen natürlich die anbietenden Monopolisten diktieren, dann werden viele Bibliotheken sich sehr schnell aus dem Bereich der elektronischen Medien verabschieden müssen.

Trotzdem bleiben Bibliotheken natürlich auch in Zukunft erhalten. Das klassische Bibliotheksgut Buch und Zeitschrift wird es auch weiterhin geben. Niemand vermag heute zu prophezeien, ob Druckwerke irgendwann einmal wie einst mesopotamische Tontafeln als Informationsträger überholt sein werden. Bibliotheken werden gedruckte Informationsmedien weiterhin sammeln, ordnen, erschließen, katalogisieren, archivieren und erhalten. Es sei der Hinweis gestattet, daß kein kommerzieller Anbieter es bislang geschafft hat, die vielfältigen kulturellen Dienstleistungsangebote von Bibliotheken zur Verfügung zu stellen.

Eine bibliothekarische Offensive für digitale Medien

In der weltweiten Auseinandersetzung um die Fortentwicklung des digitalen Urheberrechts haben Bibliotheken einen schweren Stand. Die Medienindustrie vermag mit hohem Kapitaleinsatz eine gezielte Lobbyarbeit und einseitige Beeinflussung der Gesetzgeber durchzuführen, der die Bibliotheksverbände kaum gewachsen sind. Die schleichende Veränderung des Urheberrechts weg von einem Schutzinstrument für geistiges Kulturgut hin zu einem reinen Wirtschaftsrecht scheint kaum aufzuhalten zu sein. Ein zynischer Blick in die Zukunft sieht deshalb den Bibliothekar beschränkt darauf, mit einem Pinsel in der Hand den Staub von Büchern zu entfernen, die seit Generationen kein Mensch mehr in die Hand genommen hat.

So weit muß es aber nicht kommen! Information ist ein Kulturgut, das Informationsrecht gilt als Menschenrecht. Bibliotheken stehen deshalb vor der Aufgabe, ihren Benutzern den Zugang zu digitalen Medien genauso zu ermöglichen wie zu klassischen Druckmedien. Wenn allerdings das Urheberrecht hier Schranken errichtet, gilt es, Mittel und Wege zu finden, dennoch zum gewünschten Ziel zu kommen. Die europäische Interessenvertretung der Bibliotheken EBLIDA betreibt unermüdlich Lobbyarbeit in Brüssel.

Es mag vielleicht viele Angehörige des bibliothekarischen Berufsstandes überraschen, aber den Bibliotheken stehen durchaus noch andere Möglichkeiten zur Verfügung, eine Ausgrenzung von den digitalen Werken zu vermeiden. Zu diesem Zweck ist allerdings in erster Linie ein wenig unkonventionelles Denken gepaart mit einer emotionslosen Analyse der Situation notwendig. Die Bibliothekare sollten sich von althergebrachten Denkweisen befreien. Wenn das Urheberrecht sich zu einem hauptsächlich marktwirtschaftlichen Instrument entwickelt, müssen Bibliotheken diese Tatsache akzeptieren und ihr Handeln darauf einstellen. Sie müssen ihr bisheriges Verhalten radikal ändern und ebenfalls nach marktwirtschaftlichen Gesetzen handeln. Ein digitales Urheberrecht als reines Linzenzrecht stellt dann kein Problem dar, wenn den Bibliotheken ausreichend Geld zur Verfügung steht, um solche Lizenzen finanzieren zu können. Bislang floß das Geld stets nur in eine Richtung, nämlich weg von den Bibliotheken hin zu den Verlagen, Händlern, Urhebern, Verwertungsgesellschaften. Gleichzeitig erbringen Bibliotheken eine Fülle von Dienstleistungen praktisch zum Nulltarif. Das muß nicht länger so sein!

Was hindert eigentlich die Bibliotheken, den Verlagen, Händlern, Urhebern, Verwertungsgesellschaften folgende Dienstleistungen in Rechnung zu stellen:

Solche Überlegungen erscheinen nur auf den ersten Blick radikal und neuartig. Gerade im Wissenschaftsbetrieb existieren bereits Beispiele dafür, wie man der Herausforderung durch digitalen Medien und durch das digitale Urheberrecht mit unkonventionellen Konzepten begegenen kann. Auf dem IuK-Workshop am 16./17. Februar 1998 in Berlin wurde über eine physikalische Zeitschrift berichtet, der eine überraschend neuartige Konstruktion zugrunde liegen wird. Diese Zeitschrift soll ausschließlich in elektronischer Form im Internet erscheinen. Sie wird von Fachgesellschaften produziert, nicht mehr in einem kommerziellen Verlag. Und schließlich: Nicht der Abnehmer, etwa eine Bibliothek zahlt für die Zeitschrift, sondern der Autor muß Geld für die Veröffentlichung seines Werkes in einem renommierten Publikationsorgan entrichten18). Bibliotheken könnten sich von diesem Beispiel inspirieren lassen.

Bibliotheken sollten der Bedrohung durch das digitale Urheberrecht dadurch begegnen, daß sie gemeinsam vorgehen und den kommerziellen Spieß einfach umdrehen. Bibliotheken sollten insbesonders von der finanzstarken Medienindustrie Geld dafür fordern, daß sie für deren Produkte eine Vielzahl von Dienstleistungen erbringen. Die hier zum Schluß vorgetragenen Gedanken stellen natürlich kein fertiges Programm dar! Sie sollen lediglich Anstoß dazu geben, daß Bibliotheken und ihre Verbände beginnen, offensiv und durchaus auch unkonventionell gegen die drohende Ausgrenzung durch das digitale Urheberrecht vorzugehen.

*) Gekürzte und veränderte Fassung eines Vortrags auf der Veranstaltung "Urheberrecht im digitalen Zeitalter" am 3. Juni 1998 im Rahmen des 88. Deutschen Bibliothekartags, Frankfurt/M., unter Mitwirkung der DBI-Rechtskommission und des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels.
Der originale Wortlaut des Vortrags wird im ZfBB-Sonderheft erscheinen.

1) Ulmer, Eugen: Urheber- und Verlagsrecht. Berlin u. a. 1980. S. 1.

2) KOM(97) 628 endg.; auch Amtsblatt EG C 108 vom 7. April 1998, S. 6 - 13.

3) Save future access to information now! : EBLIDA position paper, in: http://www.kaapeli.fi/~eblida/posharmo.htm.

4) Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte vom 9. 9. 1965 (BGBl. I S. 1273), in Kraft seit 1. 1. 1966.

5) Einzelheiten bei Sinogowitz, Bernhard: Die Bibliotheken unter neuem Urheberrecht, in: ZfBB 33 (1986) S. 1 - 15.

6) Richtlinie des Rates der EG vom 14. Mai 1991 über den Rechtsschutz von Computerprogrammen, in: Amtsblatt der EG 1991 Nr. L 122, S. 42.

7) vgl. BGHZ 112, 264 - 278: "Die Benutzung eines Werkes als solche ist kein urheberrechtlich relevanter Vorgang."

8) vom BGH allerdings noch offen gelassen ! Vgl. BGH Urteil vom 20. 1. 1994, in: JurPC 1994 S. 2476-2480.

9) Richtlinie 92/100/EWG zum Vermiet- und Verleihrecht vom 19. November 1992, in: Amtsblatt der EG 1992 Nr. L 346, S. 61 - 66.

10) vgl. Peters, Klaus: Neues Verbreitungsrecht, in: Bibliotheksdienst 29 (1995) S. 1828 - 1835, mit einem Anhang: Erklärung der Deutschen Bibliotheksverbände zum Verleihrecht für Computerprogramme.

11) Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetz vom 13. Juni 1997, in: BGBl I 1997, S. 1870.

12) Richtlinie 96/6/EG über den rechtlichen Schutz von Datenbanken vom 11. März 1996, in: Amtsblatt der EG 1996 Nr. L 77, S. 20.

13) vgl. Beger, Gabriele: Kopieren aus Datenbanken, in: BIBLIOTHEKSDIENST 32 (1998) S. 942 - 944.

14) World Intellectual Property Organisation - Weltorganisation für geistiges Eigentum , mit Sitz in Genf.

15) weitere Einzelheiten bei Peters, Klaus: Urheberrecht und Informationsgesellschaft, in: BIBLIOTHEKSDIENST 31 (1997) S. 1127-1133.

16) so das Bundesverfassungsgericht in: BVerfGE 58, 137 (148 f.)

17) vgl. Rösner, Helmut: New Developments in Electronic Copyright : EBLIDA-Konferenz und Workshop in Kopenhagen, in: BIBLIOTHEKSDIENST 32 (1998) S. 541 -547. Die Vorträge und Ergebnisse der Konferenz in Kopenhagen 11. - 13. Februar 1998 unter: http://www.kaapeli.fi/~eblida/copenhagen/

18) vgl. Bradshaw, Alexander: An alternative concept for electronic journals : New Journal of Physics; sowie Friend, Frederick: Alternatives to cemmercial publishing for scholarly publication, in: http://elfikom.physik.uni-oldenburg.de/IuK/, http://elfikom.physik.uni-oldenburg.de/IuK/980216rf.en.html;
siehe auch Rusch-Feja, Diann und Siebeky, Uta: Wege in die Zukunft - Elektronische Zeitschriften II, in: BIBLIOTHEKSDIENST 32 (1998) S. 712-723.


Stand: 05.08.98
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