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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 4, 98

Wege in die Zukunft - Elektronische Zeitschriften II

Workshop in Berlin

Diann Rusch-Feja, Uta Siebeky

Am 16. und 17. März fand in der Humboldt-Universität zu Berlin ein IuK-Workshop zum Thema elektronische Zeitschriften statt. Es nahmen ca. 150 Wissenschaftler, Bibliothekare, Rechenzentrenleiter und -mitarbeiter, Verleger und Herausgeber teil, um sich über den Status des elektronischen Zeitschriftenangebotes zu informieren und darüber zu diskutieren.

Das steigende Angebot von elektronischen Parallelausgaben von Printzeitschriften sowie die zunehmende Zahl "rein" elektronischer Zeitschriften im wissenschaftlichen Bereich gab Anlaß für diesen Workshop. Einige von diesen "rein" elektronischen Zeitschriften werden von Wissenschaftlern selbst produziert. Hinzu kommt, daß es zunehmend Einzelverhandlungen zwischen Bibliotheken (einzelnen Bibliotheken, Bibliotheksverbünde und Konsortien) und Anbietern von elektronischen Zeitschriften gibt, die eine sehr unterschiedliche Preispolitik verfolgen und unterschiedliche Nutzungsbedingungen in den verschiedenen Regionen anbieten. Zu guter Letzt sind es auch die steigenden Kosten wissenschaftlicher Zeitschriften und die schwindenden Bibliotheksetats, so daß dieses Thema den IuK-Mitgliedern höchst relevant und diskussionswürdig erscheint. Ziel des Workshops war es, neben informativen Zwecken, die Bedürfnisse der Wissenschaftler und Bibliotheken gegenüber den Verlagen darzustellen, und tragfähige Lösungsansätze zu suchen. Dieser Workshop folgte einem ersten IuK-Workshop zum Thema elektronische Zeitschriften, der am 1. Dezember 1997 in der Staats- und Universitätsbibliothek unter der Leitung von Prof. Dr. Elmar Mittler stattfand. (vgl. BIBLIOTHEKSDIENST 32. (1998) 1, S. 67 - 72)

Das Programm

Als Auftakt sprach Prof. Dr. Thomas Beth (Institut für Algorithmen und Kognitive Systeme, Universität Karlsruhe) über mögliche Methoden der Sicherheit im elektronischen Netzverkehr. Dazu ging er zunächst auf folgende Begriffe ein: Verfügbarkeit (ungehinderte befugte Benutzung), Integrität (Daten sollen nicht unbemerkt verändert werden), Authentizität (Identität des Autors kann nicht gefälscht werden), Vertraulichkeit (nur Befugte können lesen), Chiffrat (verschlüsselte Daten, für Unbefugte unkenntlich), Schlüssel (Einstellparameter für Chiffren) und Signatur (Zusatz, der Authentizität und Integrität gewährleistet). Herr Beth erläuterte, wie leicht fehlende Netz- und Datensicherheit gravierende Eingriffe in persönliche Daten oder Falschinterpretationen entstehen lassen können. Er zeigte eine Methode zur zielgerechten Zustellung und Sicherung der Inhalte elektronischer Dokumente unter Verwendung der digitalen Signatur und mit Hilfe von Verschlüsselung. Diese Aspekte könnten in Zukunft wichtig werden, um die Zuverlässigkeit von E-Journals zu gewährleisten.

Dr. Michael Keller (Direktor der Universitätsbibliotheken der Stanford University in Kalifornien und gleichzeitig auch Direktor für wissenschaftliche Informationsquellen (Director of Academic Informationen Resources) sowie Direktor des Highwire Verlages) stellte dar, wie die Fachzeitschriften einiger amerikanischer Fachgesellschaften auf elektronischer Basis von HighWirePress angeboten werden. Sie sind preisgünstig, recherchierbar und mit Vorwärts- und Rückwärts-Links versehen. Durch Abkommen mit kommerziellen Verlagen und mit Fachgesellschaften wird ein Programm zur Gestaltung und ein Angebotsprofil zusammengestellt. Die Rechte und Zugriffszulassungen über IP-Nummer bleiben dem Verlag erhalten, aber durch HighWirePress können einzelne Hefte, Artikel aber auch die gesamten Inhalte aller von Highwire aufgearbeiteten E-Journals durchsucht werden. Das gesamte Angebot verfügt über Referenzlinks, die auch in andere Datenbanken hineinführen. (http://intl.highwire.org)

Die verschiedenen Arten der Bibliotheksförderung mit besonderem Hinblick auf die Möglichkeiten für E-Journal-Projekte erläuterte Dr. Ewald Brahms (Deutsche Forschungsgemeinschaft). Er berichtete über die Projekte für wissenschaftliche Bibliotheken. Besondere Schwerpunkte für 1998 sind Projekte zum System der überregionalen Literaturversorgung und zur verteilten digitalen Forschungsbibliothek. Elektronische Zeitschriften werden als innovative Entwicklung im wissenschaftlichen Publikationsprozeß gesehen. (http://www.dbi-berlin.de/projekte/d_lib/d_lib_00.htm)

Die Verlagsperspektive und Philosophie von Elsevier Science hinsichtlich elektronischer Veröffentlichungen gab Dr. Hans Roosendaal in seinem Vortag wieder. Er sprach die Notwendigkeit für wissenschaftliche Standards und den Schutz des Besitzstandes ('ownership protection') an, betonte jedoch, daß Wissen Allgemeingut ist ('knowledge is common property'). Die Zertifizierung einer wissenschaftlichen Zeitschrift entsteht durch Peer Review, was wiederum festlegt, welche internen Heuristiken (methodologische Argumente etc.) im wissenschaftlichen Umfeld erlaubt sind. Der Verlag schätzt dagegen ab, welche externen Heuristiken (ökonomische Aspekte) eine wissenschaftliche Zeitschrift rentabel machen. Roosendaal betonte, eine neue Struktur für die wissenschaftliche Kommunikation sei das Bewußtsein, und für ihn sei die Hauptfrage hinsichtlich elektronischer Zeitschriften der Austausch von Ideen, der den wissenschaftlichen Prozeß vorantreibt.

Dr. Joachim Heinze (Springer Verlag, Direktor des Unterverlages für Mathematik) brachte die Validität der elektronischen Informationen in den Mittelpunkt seines Vortrages. Als Validität bezeichnete er die anerkannte adäquate Fachveröffentlichung, die durch die Akzeptanz der Inhalte, durch Peer Review und durch die Verbreitung der Inhalte gekennzeichnet wird. Andererseits spielen ökonomische Aspekte für den Verlag eine wesentliche Rolle: er unterliegt dem wirtschaftlichen Zwang, seine Investitionen wieder einbringen zu müssen. Elektronische Zeitschriften bedeuten ein verändertes Paradigma: Inhalte sind noch wichtiger als je zuvor, vor allem im Hinblick auf die strukturierte Veröffentlichung in einer traditionellen Zeitschrift oder in einer Alternativform. Für Heinze blieben die Fragen der Authentizität und der Archivierung noch unzulänglich gelöst. (Weiterführende Informationen zu Projekten siehe unter der URL: http://www.doi.org)

Die Bibliothekssicht vertrat Hazel Woodward (Pilkerton Library, Loughborough University, Großbritannien und Leiterin der IFLA Section of Serials Publications). Die Aufgaben der Bibliothekare in wissenschaftlichen Bibliotheken im Hinblick auf elektronische Zeitschriften beziehen sich nicht nur auf die Organisation und das Angebot einschlägiger E-Journals. Bibliothekare müssen oft individuell mit Verlegern über die Preise und die Benutzungsbedingungen für ihre Nutzer verhandeln und treten zunehmend für diesen Zweck in Konsortien ein. Ms. Woodward ging kurz auf die gegenwärtigen Entwicklungen, die auslaufende nationale Site-License für E-Journals in Großbritannien und die damit verbundenen neuen Verhandlungen, ein. Aber sie betonte auch, daß es die Bibliothekare sind, die sich über sämtliche Technologien, Formate und Ausdruckmöglichkeiten informieren müssen, um jedem Wissenschaftler mit seiner besonderen Ausstattung bei der Informationsvermittlung gerecht zu werden. Außerdem liegt es in dem Aufgabenkatalog der Bibliothekare, Schulungen und Hilfestellungen anzubieten, intensivere inhaltliche Erschließung der E-Journals zu leisten und vor allem die Einbindung der elektronischen Zeitschriften in die Struktur der übrigen Bibliotheksdienstleistungen zu gewährleisten. Ihr Vortrag enthielt eine Reihe wichtiger Stellen im Internet, die das breite Spektrum des E-Journal-Angebots gut abdecken. (http://www.lboro.ac.uk/library/ejournals.html; http://www.ukoln.ac.uk/services/elib/)

Prof. Michael Wegner (Technische Universität, Berlin und Mitglied der Veröffentlichungsgremien der European Mathematical Society) stellte das elektronische Veröffentlichungskonzept der EMIS (European Mathematical Information Service) vor. Die Sammlungen von Veröffentlichungen, die über das Internet frei zur Verfügung gestellt werden, bleiben Peer-Reviewed, haben standardisierte Titel und werden zuverlässig durch eine Redaktion bearbeitet. Einzelartikel sind eindeutig identifizierbar, werden weltweit verteilt und enthalten inhaltliche Links über die Referenzen zu anderen Datenbanken. Die gute Zugänglichkeit wird durch Server-Spiegelungen auf der ganzen Welt erreicht. Durch diese Aspekte wird eine verbesserte fachliche Anerkennung erzielt. Die EMIS-Journale werden in der Universität Osnabrück und der SUB Göttingen archiviert. (http://www.emis.de)

Im Anschluß an die Vorträge des ersten Tages fand eine Podiumsdiskussion mit dem Thema "Sind elektronische Zeitschriften die Zukunft?" statt, die von Prof. Dr. Martin Grötschel (Konrad-Zuse-Zentrums, Berlin) moderiert wurde. In seiner Einführung zum Thema stellte er fest, daß es eine Reihe wichtiger, politischer Aspekte bei der Integration von elektronischen Zeitschriften in die wissenschaftliche Arbeitswelt gäbe sowie sehr viele technische Fragen. Vordergründig stünden die Fragen: wer bezahlt die elektronischen Zeitschriften und welche Rolle haben wissenschaftliche Zeitschriften in der Zukunft? Wenn die E-Journals den kostengünstigen Effekt hätten, den sich jeder wünscht, würde ein solcher Workshop nicht notwendig sein. Das Problem kreist darum, daß noch keine passenden, ökonomischen Modelle für E-Journals vorgestellt wurden. Welche Rolle haben die Universitäten in dieser Fragestellung und welche die Fachgesellschaften? Einige Wissenschaftler wollen die Verantwortung der wissenschaftlichen Veröffentlichung wieder zu den Wissenschaftlern in den Universitäten und den Fachgesellschaften verlagern. So sehr diese Lösung im Einzelfall oft gelungen ist, scheint es unmöglich, daß die deutschen Universitäten die Veröffentlichung wissenschaftlicher Zeitschriften in dem Maße übernehmen, wie es in dem Vortrag über die Stanford University (HighWire Press) dargestellt wurde.

Vor der Diskussion hatte jeder Teilnehmer der Podiumsrunde die Möglichkeit, sein Statement zu den Thesen von Herrn Grötschel darzulegen. Auf dem Podium saßen Peter Murray-Rust, Michael Keller, Joachim Heinze, Alexander Bradshaw, Hazel Woodward, Ewald Brahms, Michael Wegner, Hans Roosendaal und Martin Grötschel.

Peter Murray-Rust bedauerte die Entmutigung zur Innovation. Er vertritt die Meinung, daß die Verpackung den Unterschied macht - "Packaging makes the difference". Michael Keller betonte den Aspekt, daß Universitäten sich immer noch zwischen dem Schritt zu einer virtuellen wissenschaftlichen Gesellschaft im idealsten Sinne und dem Schritt zum Einsetzen von Marketing-Erfahrungen schwanken. Er gab an, wie teuer es ist, die Erstgestaltung eines E-Journals vorzunehmen und welche weiteren Kosten jährlich dazukommen. Bei HighWire zahlen nicht die einzelnen Wissenschaftler für die E-Journals, sondern die Institutionen.

Hans Roosendaal dagegen wünscht sich eine erneute Untersuchung des Produktionsprozesses und der Ziele einer wissenschaftlichen Zeitschrift. Die Frage, ob die Wissenschaftler selbst ihre Fachzeitschriften in elektronischer Form herstellen können, bleibt offen. Veröffentlichen im großen Rahmen erfordert bezahlte Kräfte, die die Herstellung und den Vertrieb ermöglichen. Joachim Heinze erkannte, daß die Wissenschaftler eigentlich im Vordergrund stehen, daß aber die Abnehmer oder Leser elektronischer Zeitschriften bisher außer Acht gelassen wurden.

Ewald Brahms sah die Situation nicht ganz so extrem: Verleger werden im Feld des Publikationsmarktes in den nächsten zehn Jahren noch stark vertreten sein, aber es wird weniger Vielfalt im kommerziellen wissenschaftlichen Veröffentlichungswesen geben. Hingegen werden innovative Wissenschaftler selbst für mehr Diversität in diesem Bereich sorgen. Ein weiteres und noch schwierigeres Problem ist es, den Anforderungen an die Bibliotheken und aus den Bibliotheken gerecht zu werden. Universitäten werden mehr Profil gewinnen müssen und ihr Informationsmanagement verbessern, mit dem Ergebnis einer größeren Spezialisierung. Das wird zur Folge haben, daß manche Universitäten mehr Studenten anziehen werden als andere, und entsprechend werden die Bibliotheksetats und Sammelpolitik eingeschränkt geregelt.

Alexander Bradshaw problematisierte die Frage der Zukunft wissenschaftlicher Zeitschriften noch stärker: es gäbe zu viele Märkte, zu viele Journals, die zu wenige Leser "jagten"! Ein neues Finanzierungsmodell für wissenschaftliche Zeitschriften, das er am folgenden Tag erläutern würde, beinhaltete das Verursacherprinzip. Es besagt, daß diejenigen, die veröffentlichen wollen, auch die Produktionskosten tragen sollten, so daß die wissenschaftlichen Ergebnisse für alle Leser frei zugänglich wären.

Michael Wegner beschränkte seine Bemerkungen auf das Feld der Mathematik und auf die Parallelausgaben in sowohl elektronischer als auch Printform. Insofern werden wissenschaftliche Zeitschriften in derselben Art und Weise produziert wie bisher. Deswegen wäre es verfrüht, eine Prognose über die künftigen Entwicklungen von E-Journals abzugeben. Das Paradigma müsse sich ändern. Die vielen Mühen der Herausgeber und Verfasser werden im Dienst der Wissenschaft gemacht und nicht für den Verlag.

Zunächst kreiste die Diskussion um die unterschiedlichen Produktionskosten, die die drei vertretenen Verleger bei der Herstellung der Print- und elektronischen Zeitschriften angaben. Dahinter steht jedoch, daß die Anzahl der wissenschaftlichen Zeitschriften - auch Peer Review Zeitschriften - seit den siebziger Jahren enorm und stetig ansteigt und nun Bibliotheken und Einzelpersonen es sich nicht mehr leisten können, wenigstens die wichtigsten Zeitschriften der einzelnen Fachgebiete zu kaufen und zu sammeln. In Odlyzkos (Odlyzko, Andrew: Tragic Loss or Good Riddance? The impending demise of traditional scholarly journals, Intern. J. Human-Computer Studies 42 (1995), 71-122) ökonomischer Betrachtung wird diese Einengung der Bibliotheksetats auf die letzten drei Jahre beschränkt. Joachim Heinze erwähnte jedoch, daß diese Entwicklungen auch ihre Auswirkungen auf dem Verlagsmarkt haben: nur die Firmen, die Geld mit den wissenschaftlichen Zeitschriften verdienen, überleben und können neue Zeitschriften oder Zeitschriften in den sogenannten Orchideenfächern unterstützen.

Es wurde festgestellt, daß es nicht um den Preis der Zeitschrift und dessen Relation zu den tatsächlichen Produktionskosten geht. Die Formatfragen zeigen eine Verlagerung der Schwerpunkte beim Publizieren: Aktualität und breite Streuung sind die Gebote. Bei den Parallelausgaben von wissenschaftlichen Zeitschriften wird besonders deutlich, daß die Akzeptanz der Printausgaben immer noch höher ist als die der elektronischen Versionen. Dies hat auf der einen Seite technische (lesebedingte und ausstattungsbedingte) Gründe und auf der anderen Seite Prestige-Gründe in den wissenschaftlichen Kommunikationen. Unterschiede in den Präferenzen führen zum Teil zurück auf die einzelnen Disziplinen: die Naturwissenschaften haben mehr Tradition mit der Arbeit am Bildschirm und sind mit elektronischen Quellen vertrauter, als es in den Sozial- und Geisteswissenschaften üblich ist. Die Artikel in den letzteren Bereichen sind erheblich länger als im ersten und die Dominanz von internationalen wissenschaftlichen Regeln (Zitierverfahren, englischsprachige Dominanz, Verbreitung einer internationalen Klassifikation etc.) in den Naturwissenschaften und der Mathematik spielt hier eine große Rolle. Trotzdem verweigern sich auch aus diesen Bereichen Doktoren, ihre Dissertation in elektronischer Form der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen und bevorzugen die Buchform zur Veröffentlichung. Zur Situation der Parallelausgaben wurde ein Vergleich mit der Einführung des Fernsehens angestellt. Damals war eine breite Öffentlichkeit der Meinung, daß etwa Tageszeitungen durch das neue Medium verdrängt würden. Diese Prognose hat sich nicht bewahrheitet. Der Vergleich wurde im Hinblick auf die Akzeptanzfrage gegenüber den elektronischen Versionen von Zeitschriften erwähnt und verdeutlicht, daß auch fortschrittlich denkende Autoren aus Prestige-Gründen ihre Veröffentlichungen lieber "schwarz auf weiß" in gedruckter Form zum Vorzeigen und zum Zitieren parat haben.

Auch die Probleme der Effektivität im Publikationswesen und die Authentizität wurden angesprochen. Die Tatsache, daß wissenschaftliche Publikationen zu Zwecken der Evaluierung von Einzelleistungen, als auch von Universitäten und in Abteilungen von Universitäten und Forschungseinrichtungen, herangezogen werden, wird sich durch den Umstieg auf elektronische Versionen nicht im wesentlichen verändern, solange die Strukturen dafür integriert sind. Zum Schluß konnte festgestellt werden, daß der "Industrie" wissenschaftlicher Zeitschriften eine ganze Reihe von Veränderungen bevorsteht. Aber auch die Bibliotheken in ihrer Notsituation müssen bereits jetzt beachtet und unterstützt werden - sonst werden sie ihrer Aufgabe der Literatur- und Informationsversorgung für die Wissenschaft nicht gerecht.

Am zweiten Tag setzte der Workshop mit einem Vortrag von Prof. Dr. Peter Murray-Rust (Virtual School of Molecular Pharmacy, Nottingham University) fort. Peter Murray-Rust, der sich selbst als Revolutionär bezeichnete, demonstrierte, wie sich XML (eXtensible Markup Language, Informationen zu XML: http://www.sil.org/sgml/xml.html) für die Darstellung komplexer Inhalte (z. B. chemische Formeln) im Internet eignet. XML ist eine vereinfachte Version des SGML (Standard Generalized Markup Language). In XML sind Möglichkeiten eingebaut, die sich auch in anderen Formaten wiederfinden. Dadurch werden Suchmöglichkeiten einerseits einfacher, bieten aber andererseits durch die Möglichkeit von Verknüpfungen eine differenziertere Suche an, wodurch genauere Ergebnisse erzielt werden. Murray-Rust bietet bereits online Vorlesungen an und hat Kontakte mit hunderten von Studenten, denen er vis-à-vis noch nie begegnet ist. Sein Hypertext-Glossar deckt eine Reihe von Möglichkeiten auf, die weit über die Zusammenführung und den Vergleich von Definitionen hinausgehen können. Er sprach die Fachgesellschaften direkt an. Sie sollten eine aktive Rolle bei der Gestaltung des elektronischen Publikationsprozesses übernehmen bzw. an sich nehmen, um dabei eine gewisse Lenkungsmöglichkeit bei den Wissenschaftlern selbst beizubehalten.

Vicky Reich (Assistant Director, HighWire Press, Stanford University, USA) sprach über Technologie-Probleme hinsichtlich elektronischer Zeitschriften in der Bibliothek sowie über Erfahrungen mit den Zeitschriften von HighWirePress. Seit 1992 beteiligen sich die Bibliotheken und das Rechenzentrum der Stanford University an Projekten zur Digitalen Bibliothek. (Informationen dazu: http://elib.stanford.edu/). U. a. gibt es ein Projekt zur Verbesserung der Benutzeroberfläche des Online-Kataloges (http://www-sul.stanford.edu). Traditionelle Bibliotheken machen das möglich, indem sie versuchen, Bücher und Zeitschriften so einfach wie möglich auffindbar und benutzbar zu machen. In Stanford gibt es eine Arbeitsgruppe (http://rits.stanford.edu), die das auf elektronischem Wege zu realisieren versucht, bis hin zu der Möglichkeit, daß Studenten ihre eigenen digitalen Bibliotheken erstellen können. Die Hauptaktivität in Stanford ist HighWirePress (http://highwire.stanford.edu, siehe Michael Keller). Dadurch, daß die Bibliotheken aktiv an HighWire beteiligt sind, haben sie die Möglichkeit den Publikationsprozeß aus Sicht der Verlage und der Bibliotheken zu betrachten. Bibliotheken sind dazu gezwungen eine Auswahl zu treffen. Es ist nicht möglich alle sich auf dem Markt befindlichen Informationen lokal zur Verfügung zu stellen. Um eine Auswahl zu treffen, sind Zitationsanalysen dienlich. Durch sie kann man einen schnellen Überblick zur "Qualität" einer Zeitschrift erhalten. Ca. ²/³ aller Zitationen beziehen sich maximal auf 500 Titel und wiederum ²/³ dieser 500 Titel sind Zeitschriften von Fachgesellschaften. Die Qualität einer Zeitschrift macht sich also auf gar keinen Fall am Preis fest! Drei weitere Aspekte sind wichtig im Bezug auf die Erwerbung von Online-Zeitschriften: das Design, der Service, die einfache Zugriffsmöglichkeiten und die Suchmöglichkeiten.

Prof. Dr. Alexander Bradshaw (Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft, Berlin) stellte in seinem Vortrag zunächst den Ist-Zustand der Literaturproduktion - Veröffentlichen von wichtigen Forschungsergebnissen - im Bereich der Physik und die Arbeitssituation von Physikern dar, bevor er ein Modell einer elektronischen Zeitschrift - "New Journal of Physics" - darlegte. Physiker sind überarbeitet, unterbezahlt, überflutet von Informationen, zu spezialisiert etc. Die Folge davon ist, daß der Umfang von wissenschaftlichen Zeitschriften immens zunimmt, wodurch Verleger gezwungen sind, die Preise zu erhöhen. Demgegenüber müssen die Bibliotheken mit ihren schwindenden Etats Abonnements kündigen, um die Preissteigerungen aufzufangen, worauf die Verlage, um ihren Umsatz zu halten, die Preise wiederum erhöhen müssen (=Preisspirale). Der Seitenpreis wissenschaftlicher Publikationen von Fachgesellschaften ist günstiger als bei kommerziellen Verlagen (siehe V. Reich). Wir brauchen weniger Quantität und mehr Qualität auf dem wissenschaftlichen Publikationsmarkt. Verleger wollen scheinbar nur zögernd auf Papier verzichten. Die DPG hat ursprünglich kein eigenes Publikationsorgan, aber 30.000 Mitglieder. Elektronisches Publizieren ist die Gelegenheit für die DPG, sich zu engagieren. Aber dazu benötigt sie einen Partner und neue Ideen: New Journal of Physics. Die DPG möchte nicht mit kommerziellen Verlagen zusammenarbeiten. Eine 50:50 Verbindung mit dem IoP wäre wünschenswert, und beide Gesellschaften würden dann IoP-Publ. beauftragen, ein reines E-Journal zu publizieren, das für jeden Internet-Benutzer frei zugänglich ist. Die Kosten werden durch die Autoren getragen, die eine Gebühr dafür zahlen müssen, daß sie in der Zeitschrift veröffentlichen dürfen (=Verursacherprinzip). Finanzschwache Autoren könnten durch einen eingerichteten Fond von der DPG unterstützt werden. Durch ein strenges Referenzsystem wird ein sehr hoher Standard erzielt. Das elektronische Archivieren würde IoP-Publ. übernehmen. Die Optical Society of America bietet eine solche Zeitschrift an: Optics Express (http://epubs.osa.org/opticsexpress). Sein Fazit: "I don't think we need publishers and I don't think we need libraries!"

Dr. Harald Müller (Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Heidelberg) berichtete über das gegenwärtige und zukünftige Urheberrecht, welches den Schutz einer persönlichen geistigen Schöpfung = Werk gewährleistet. Nur der Urheber hat das Recht, sein Werk zu verwerten. In Bezug auf elektronische Medien ist das Urheberrecht z. Zt. noch nicht vollständig geklärt. Vom Europäischen Parlament wurde ein Vorschlag für eine Direktive zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts vorgelegt (http://europa.eu.int/comm/dg15/en/intprop/intprop/1100.htm). Außerdem werden viele Aspekte des Urheberrechts für elektronische Werke, z. B. elektronische Zeitschriften wie die Benutzung einer Datenbank, urheberrechtlich neu geregelt werden.

Frederick J. Friend (Director of Scholarly Communications, University College of London) berichtete über Alternativen der wissenschaftlichen Kommunikation gegenüber dem kommerziellen Publizieren. Kosten bei der Erstellung elektronischer wissenschaftlicher Kommunikation sind: Graphiken, Links zu relevanten Materialien und anderen Datenbanken etc., Kosten in der Struktur wissenschaftlicher Kommunikation sind: Artikel werden schneller produziert als die gesamte Zeitschrift etc. Es besteht ein großer Druck, schnell zu veröffentlichen, aber gleichzeitig wird auch die Frage wichtiger, welchen Wert hat der Zeitschriftentitel, in dem publiziert wird (z. B. Journal Impact Factor), welchen Wert hat der Verleger, bei dem publiziert wird etc. SPARC (Scholarly Publishing and Academic Resources Coalition, eine Initiative der ARL (Association of Research Libraries, http://www.arl.org) ist kein neues Verlagshaus, sondern stellt Möglichkeiten für neue Publikationswege bereit bzw. vor. Generelle Trends in der wissenschaftlichen Kommunikation: sie müssen ökonomisch und die Technik leicht handhabbar sein. Ein Beispiel dafür gibt das New Journal of Physics! Herr Friend berichtete außerdem über den nächsten Schritt bei dem ablaufenden National Site-Licensing Abkommen in Großbritannien für E-Journals im Rahmen des Elib-Projekts. Ein neues Verhandlungsgremium wird gerade zusammengestellt, um die Verhandlungen für alle Hochschulen und Bibliotheken in Großbritannien fortzusetzen.

Da Hans Geleijnse (Universitätsbibliothek Tilburg, Niederlande) nicht anwesend sein konnte, berichtete Prof. Dr. Elmar Mittler (Staats- und Universitätsbibliothek, Göttingen) über die Licensing Principles for Electronic Journals *) und ging auf die Verhandlungsschwierigkeiten bei Bibliotheken, Bibliotheksverbünden und -konsortien ein. Im Anschluß an die Sitzung berichtete Karl Wilhelm Neubauer (Universitätsbibliothek Bielefeld) über Stand und Ziel der Verlagsverhandlungen für das E-Journals-Angebot in Nordrhein-Westfalen.

Stefanie Gehrke (Swets & Zeitlinger, Frankfurt) erläuterte die Aufgabe der Zeitschriftenagentur als der intellektuellen Schnittstelle zwischen Verlag und Bibliothek. Dienstleistungen einer Agentur im elektronischen Zeitalter sind vor allem: das Angebot von Gateway-Lösungen - bei Swets & Zeitlinger z. B.. SwetNet - die es ermöglichen, heterogene und kleine Informationsanbieter unter einer Oberfläche zu bündeln und so den Kunden zur Verfügung zu stellen. Ein wichtiger Punkt bei der Entwicklung neuer Produkte ist die Beachtung der Z39.50 Schnittstelle, damit ein leichterer Datenaustausch gewährleistet ist. Für eine Agentur ist es besonders wichtig, den Informationsmarkt konstant zu beobachten und zu analysieren, um der Informationsnachfrage auf der einen Seite und dem Informationsangebot auf der anderen Seite gerecht werden zu können.

Der Vortrag von Dr. Irina Sens (Staats- und Universitätsbibliothek, Göttingen) kreiste um Picarta und elektronische Dokumentlieferdienste, die den Nutzern der SUB Göttingen zur Verfügung gestellt werden. Einer der wichtigen Dokumentlieferdienste ist SUBITO der deutschen Bibliotheken (neu, schnell und bundesweit funktionierend). Picarta ist die Verknüpfung zwischen elektronischen Volltexten und bibliographischen Daten, so wie es auch in Webdoc verwirklicht wird. Das internationale Webdoc-Projekt hat gemeinsam mit der PICA-Stiftung zum Ziel, elektronische Dokumente für Endnutzer über das WWW verfügbar zu machen. Ein nächster Schritt ist die elektronische Dokumentlieferung über das Internet mit der Bereitstellung von direkt über die elektronisch verzeichneten und abrufbaren Dokumente der Bibliothek. (http://www.sub.uni-goettingen.de/f-doklie.htm)

Dr. Evelinde Hutzler (Universitätsbibliothek, Regensburg) stellte das Projekt "Aufbau einer Elektronischen Zeitschriftenbibliothek" in Regensburg vor. Ziele und Aufgaben des Projektes sind die Bestandsaufnahme der bereits im Volltext verfügbaren elektronischen Zeitschriften und die einfache Bereitstellung - durch vorherige Klärung der Fragen zu Zugangsberechtigung und Lizenzen - dieser Zeitschriften im Internet. In das Projekt werden neben den von der Universitätsbibliothek abonnierten Zeitschriften auch alle anderen im Internet verfügbaren elektronischen Zeitschriften im Volltext erfaßt und Fachlisten zugeordnet. Bisher konnten ca. 1.450 Titel ermittelt werden. Auf den WWW-Seiten wird durch farbige Punkte kenntlich gemacht, unter welchen Bedingungen die Zeitschrift im Volltext benutzt werden kann (grün = frei zugänglich, gelb = nur für Angehörige der Einrichtung zugänglich, rot = nicht zugänglich). Evelinde Hutzler ging auf die Nutzungshäufigkeit der E-Journals ein. Allerdings können nur Aussagen über die Zugriffe auf die Projektseiten gemacht werden und nicht die eigentlichen Zeitschriften oder gar die Artikel selbst, da diese Angaben nur von den Anbietern selbst gemacht werden könnten. Für die Zukunft ist geplant, auch die Artikel der E-Journals zu erschließen, weil erst dann eine wirklich effektive Nutzung ermöglicht wird. (http://www.bibliothek.uni-regensburg.de/ezeit/ezb.phtml)

Nach allen Vorträgen faßte Dr. Diann Rusch-Feja (Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin), die den Workshop federführend organisiert hat, noch einmal zusammen, daß die Beantwortung der Frage nach der Zukunft der elektronischen Zeitschriften, - besonders in Bezug auf die Nutzung und Finanzierung - zwar ein großes Stück vorangetrieben wurde, aber immer noch nicht ausreichend im Rahmen dieses Workshops gelöst werden konnte. In diesem Zusammenhang betonte sie, daß Fragen der Akzeptanz unter den verschiedenen Disziplinen noch zu beachten sind, daß Bibliotheken eine wichtige Rolle vor allem in der angemessenen Angebotsgestaltung von E-Journals spielen, und daß Konsortien eine große Rolle bei den erreichten Preis- und Zugriffbedingungen spielen. Daraufhin berichtete Dr. Friedrich Froben (Freie Universität, Berlin und Sprecher des Friedrich-Althoff-Konsortiums) über den neuesten Stand der Verhandlungen in Berlin/Brandenburg mit den Verlagen Academic Press und Springer.

Weiterhin zog Frau Rusch-Feja die Konsequenzen des Workshops: Zwei Themen traten während des Workshops immer wieder auf: Bei einer sich verändernden Paradigme in der Kommunikation wissenschaftlicher Ergebnisse durch Fachveröffentlichungen stehen immer noch die Validität des Peer-Review-Prozesses und das Prestige des Zitierens im Vordergrund. Mehr Kooperation zwischen Bibliotheken, Verlagen und den Fachgesellschaften als Vertreter sowohl der Autoren als auch der Leser/Nutzer wurde gefordert. Der Vorteil der aktuellsten Lieferung von Informationen durch elektronische Veröffentlichungen (als Pre-Print, als Artikel, etc.) brachte die Diskussion zu der einschlägigen Frage: Besteht bald die wissenschaftliche Kommunikation aus Einzelartikeln oder werden sich die "Sammlungen" von Artikeln in Zeitschriften immer noch durchsetzen? Und daraus erhebt sich die Frage, was diese Aspekte für die künftige Informationsversorgung der Wissenschaft und für eine adäquate Archivierung von diesen wissenschaftlichen Ergebnissen bedeuten. Solche Fragen konnten nicht im zweitägigen Workshop gelöst werden, deshalb wurde seitens des Planungskomitees dieses Workshops angeregt, daß die IuK-Kommission eine Fachgruppe zur Fragen Elektronischer Zeitschriften gründet. So lud Diann Rusch-Feja alle Interessierten ein, sich im Anschluß an dem Workshop zu einer Diskussion zur Gründung einer solchen IuK-Fachgruppe zusammenzufinden.

In dieser Anschlußsitzung wurden die Schwerpunkte und Ziele einer IuK-Fachgruppe diskutiert. Zielsetzung der Fachgruppe ist es, die Interessen der Fachgesellschaften und den Bibliotheken in allen Aspekten von elektronischen Zeitschriften zu vertreten und vertiefende Informationen zu diesem Thema zu sammeln und unter den Fachgesellschaften zu verbreiten. Die Anwesenden einigten sich darauf, die Gruppe vorläufig "IuK-Fachgruppe E-Journals" zu nennen und Frau Rusch-Feja wurde für die Anfangsphase als Vorsitzende beauftragt. Es wurden zwei Arbeitsgruppen gebildet. Eine AG, die eine Bestandsaufnahme von bereits bestehenden Bibliotheksangeboten in Bezug auf E-Journals durchführt (unter der Leitung von Evelinde Hutzler) und eine zweite AG, die eine Bestandsaufnahme aktueller Produktionsmodelle sowie Seitenpreisanalyse der wichtigsten wissenschaftlichen Zeitschriften durchführt (unter der Leitung von Michael Wegner und Dr. Friedrich Froben). Die offizielle Gründung der IuK-Fachgruppe "E-Journals" wird in der nächsten Vollversammlung der Mitglieder der IuK-Kommission der Fachgesellschaften am 16.3.98 beantragt. Interessenten, die aktiv in dieser Fachgruppe mitwirken wollen, sind gebeten, sich mit Frau Hutzler (E-Mail: Evelinde.Hutzler@bibliothek.uni-regensburg.de) oder Prof. Wegner (E-Mail: wegner@math.tu-berlin.de) bzw. mit Frau Rusch-Feja (E-Mail: ruschfeja@mpib-berlin.mpg.de) in Verbindung zu setzen.

Der WWW-Seite (http://elfikom.physik.uni-oldenburg.de/IuK/980216-rf.de.html) des Workshops werden die nun eingehenden schriftlichen Fassungen der Vorträge hinzugefügt. Die Bibliographie der weiterführenden Literatur und Hinweise auf interessante E-Journal-Seiten werden ebenfalls weiter aktualisiert und ergänzt, so daß an dieser Stelle eine Art Nachschlagewerk zum Thema elektronische Zeitschriften für die IuK entsteht. Hinweise zu weiteren einschlägigen Literaturstellen oder exemplarischen E-Journals-Angeboten werden dankbar aufgenommen. Hier wird auch die Bestandsaufnahme der ersten Arbeitsgruppe der neuen IuK-Fachgruppe E-Journals über das Angebot und die Erschließung elektronischer Zeitschriften an deutschen Bibliotheken zu finden sein, ebenso auf dem Regensburger Server (http://www.bibliothek.uni-regensburg.de/iuk/).

*) Englische Version: http://cwis.kub.nl/~dbi/cwis/licprinc.htm
Deutsche Version: http://www.sub.uni-goettingen.de/z_aktkon.htm


Stand: 21.04.98
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