Publikationen Hierarchiestufe höher Vorherige Seite Nächste Seite

Bibliotheksdienst Heft 4, 1996

Ausleihanalysen als Instrument der Bestandsevaluierung

2. Ausleihanalysen und Bestandsaufbau in der UB Freiburg

Hannsjörg Kowark

Die Einbeziehung von Ausleihanalysen in den Bestandsaufbau gehören in Freiburg seit Jahren zur Tradition einer kritischen und bedarfsorientierten Erwerbungspolitik, vor allem jedoch in den primär frequenzorientierten Bestandsbereichen wie z. B. der Lehrbuchsammlung. Bis zur Einführung eines automatisierten Ausleihsystems mußten die Analysen konventionell durchgeführt werden und blieben, da das Verfahren als solches sehr aufwendig ist, im wesentlichen auf die Lehrbuchsammlung beschränkt. Jedes Lehrbuch wurde bei der Ausleihe auf der Innenseite des hinteren Buchdeckels mit dem jeweiligen Tagesdatum abgestempelt. Die Fachreferenten prüften in unterschiedlichen Zeitabständen den Bestand ihrer Fächer, um festzustellen, welche Titel besonders häufig bzw. nicht oder nur wenig ausgeliehen wurden. Diese konventionell durchgeführten Analysen in der Lehrbuchsammlung galten über mehrere Jahre hinweg als Grundlage für einen bedarfsgerechten Bestandsaufbau. Auf Grund des hohen Aufwandes ließ sich dieses Verfahren auf keine anderen Bestandsgruppen übertragen.

Mit der sukzessiven Einführung der Online-Ausleihe-Freiburg (OLAF) wurden erstmals 1980 rechnergestützte Bedarfsanalysen für den Gesamtbestand der Bibliothek möglich. In der Anfangszeit war dieses neue Hilfsmittel, das seit Einführung von OLAF systematisch für den Bestandsaufbau herangezogen wird, noch etwas gewöhnungsbedürftig. Inzwischen ist der Stellenwert der frequenzorientierten Bedarfsanalyse akzeptiert. Ausschlaggebend war wohl in erster Linie die Erfahrung, daß die gefühlsmäßige Nutzungserwartung eines Titels in vielen Fällen doch nicht mit der Realität übereingestimmt hat. Heute kann sich jeder Fachreferent an seinem Arbeitsplatz-PC entsprechende Ausleihprofile einzelner Titel oder Bände erstellen und ausdrucken. Aus Freiburger Sicht gehört dies zur Standardausrüstung eines jeden Fachreferenten, um die Nutzung des erworbenen Bibliotheksgutes systematisch hinterfragen zu können. Größere Bestandsauswertungen werden über den Zentralrechner erstellt.

Lehrbuchsammlung

Wichtigste Bestandsgruppe für die laufende Auswertung bleibt nach wie vor die Lehrbuchsammlung, da hierüber die Grundversorgung mit Lehrbüchern für 23.746 Freiburger Studenten sicherzustellen ist. Seit Jahren zählt die Lehrbuchsammlung mit ihren knapp 90.000 Bänden zu den ausleihintensivsten Beständen der Universitätsbibliothek. 1994 entfielen 552.125 Entleihungen auf die Lehrbuchsammlung (35 % der Gesamtentleihungen). Auf Grund des hohen Bedarfes sind in den vergangenen fünf Jahren im Durchschnitt ca. 700.000,- DM pro Jahr für die Lehrbuchsammlung ausgegeben worden.

Um den Bestand der Lehrbuchsammlung bedarfsgerecht zu halten, wird einmal pro Jahr eine sogenannte "Rennerliste" erstellt. Ausgedruckt werden für alle Fächer sämtliche Titel, die im Auswertungszeitraum durchschnittlich mindestens 10 Entleihungen pro Exemplar aufweisen. Dieser Parameter hat sich in den vergangenen Jahren bewährt, obwohl er für die geisteswissenschaftlichen Fächer als sehr hoch angesetzt erscheinen mag. Durch die automatisierte Auswertung vorgemerkter Titel (Dreifach-Vormerkungen) können jedoch eventuelle Unterbesetzungen korrigiert werden. Die Entleihungen werden pro Exemplar und Auflage differenziert nach zwei Erfassungszeiträumen (das laufende Jahr und das Vorjahr) angegeben. Diese Staffelung in zwei Erfassungsblöcke ist vor allem für die differenzierte Auswertung der geisteswissenschaftlichen Fächer notwendig, da im Unterschied zu den Naturwissenschaften bestimmte Lehrveranstaltungen zyklisch angeboten werden. Dies hat zur Folge, daß bestimmte Titel z. B. über zwei Semester nahezu keine Ausleihen ausweisen und erst im 3. Semester wieder zu einem "Renner" werden. Hier kann nur der Fachreferent die richtigen Schlußfolgerungen ziehen, da er das Lehrangebot seiner Fächer am besten überblickt. Das Beispiel macht auch deutlich, daß eine Auswertung auf Grund des reinen Zahlenmaterials nicht möglich ist.

Die sogenannten "Rennerlisten" für die Lehrbuchsammlung werden einmal jährlich, meist im Juni/Juli vom EDV-Dezernat erstellt. Jeder Fachreferent erhält die für seine Fächer relevanten Ausdrucke mit der Maßgabe, die Exemplarzahl der einzelnen Titel, falls der vorhandene Bestand auf Grund der festgestellten Nutzung nicht ausreicht, entsprechend zu erhöhen. Nach der Bearbeitung durch die Fachreferenten gehen sämtliche Listen an den Leiter der Erwerbung zurück. Dieser kann entsprechend der Etatsituation die angegebenen Exemplarzahlen für den Nachkauf noch entsprechend verändern. Danach werden Listen von der Akzession mit Priorität bearbeitet, um die nachgekauften Lehrbücher bis zum Wintersemester im Regal stehen zu haben.

Um den Bestand aktuell und aktiv zu halten, wird in gleicher Weise eine jährliche Negativauswertung vorgenommen, um veraltete Lehrbücher und ältere Auflagen entsprechend ihrer Nutzungsfrequenz regelmäßig aus dem Bestand herausnehmen zu können. Auch hier werden die Fächerlisten vom EDV-Dezernat erstellt. Der Leiter der Erwerbung sieht die Listen durch und macht für diejenigen Titel, die im Durchschnitt weniger als drei Ausleihen pro Exemplar aufweisen, einen Vorschlag über die Anzahl der auszusondernden Exemplare. Lehrbücher, die über einen längeren Zeitraum weniger als drei Entleihungen aufweisen, gehören primär in den normalen Magazinbestand. Die Listen werden von den Fachreferenten endgültig bearbeitet, um anschließend die Aussonderung der veralteten Lehrbücher durchführen zu können.

Für die Auswahl neuer Lehrbuchtitel können Ausleihanalysen ebenfalls eine wertvolle Hilfe bieten. Sofern diese Titel vom Lehrkörper vorgeschlagen werden, ist zunächst zu prüfen, ob sich dieser Titel bereits im normalen Bestand befindet. Falls ja, kann ein Ausleihprofil bereits Hinweise über die künftige Nutzung geben. Falls bei neuen Lehrbuchsammlungen keine Faktoren bekannt sind, die auf eine hohe Benutzungsfrequenz schließen lassen, wird in der Regel mit der Aufstellung von drei Exemplaren begonnen. Durch gezielte Ausleihprofile, sonstige Hinweise oder die jährliche "Rennerliste" kann die Exemplarzahl jederzeit erhöht werden. Die Aufstockung einzelner Lehrbücher auf Grund konkreter Exemplarangaben des Lehrkörpers kann mit Hilfe der Ausleihprofile ebenfalls empirisch überprüft werden. Oft ist die gewünschte Exemplarzahl zu hoch, so daß zunächst mit weniger Exemplaren begonnen werden kann. Sofern Lehrbuchtitel nicht angenommen werden, erfolgt im Rahmen der "Negativ-Auswertung" eine natürliche Bereinigung.

Ein Teil der neuen Lehrbuchtitel wird auch durch systematische Auswertung der vorgemerkten Titel in den Magazinbereichen ermittelt. Wenn bei lehrbuchverdächtigen Titeln keine Option des Lehrkörpers vorliegt, beschränkt man sich oft auch darauf, den Titel zunächst in das Freihand-Magazin zu stellen. Wird das Buch ständig vorgemerkt, kann der Fachreferent den Titel entweder sofort in die Lehrbuchsamlung stellen oder den Bedarf nochmals anhand eines zweiten Magazin-Exemplares beobachten. Hier ist das Fingerspitzengefühl des Fachreferenten bzw. seine Kontakte zum Fachbereich gefragt. Dieses Verfahren erlaubt, den Lehrbuchbestand auf rationelle Weise aktuell und aktiv zu halten.

Für das neue Ausleihsystem OLAF III ist eine weitere Differenzierung der Ausleihstatistik zur Erstellung von Bedarfsanalysen geplant. Künftig soll in den Auswertungslisten ein dritter Erfassungszeitraum pro Exemplar bzw. die Anzahl der eingetragenen Vormerkungen angegeben werden. Bei den titelbezogenen Ausleihprofilen ist dies schon im alten System realisiert. Angestrebt wird ferner, sämtliche Ausleihprofile wie in Heidelberg grundsätzlich mit Kurztitelangaben zu versehen. Die Bestandsauswertungen müssen für den Fachreferenten so transparent aufbereitet sein, daß anhand der Nutzungsfrequenz einzelner Titel über Bestandsergänzungen oder Aussonderungen entschieden werden kann.

Dreifach-Vormerkungen

Ein weiteres Instrument zur Bedarfsermittlung ist, unabhängig von den "Rennerlisten", durch die automatische Auswertung der sogenannten "Dreifach-Vormerkungen" vorhanden. Damit kann laufend der Spitzenbedarf einzelner Titel in allen Ausleihbereichen (Lehrbuchsammlung, Freihandmagazin, Tiefmagazine) überprüft werden. Der Altbestand wird derzeit nicht ausgewertet, da Bestandsergänzungen aus diesem Bereich oft nicht mehr möglich sind.

Mit Hilfe des Ausleihsystems werden täglich alle Signaturen ausgedruckt, die erstmals drei oder mehr Vormerkungen gleichzeitig aufweisen. Die Signaturen werden in der Akzession mit den bibliographischen Daten ergänzt - in der Regel mit Hilfe eines SWB-Ausdrucks - und zusammen mit einem Ausleihprofil dem betreffenden Fachreferenten vorgelegt. Diese Bearbeitung in der Monographien-Akzession nimmt pro Woche ca. 2 - 3 Arbeitsstunden in Anspruch, was durch die Vorteile der Auswertung uneingeschränkt gerechtfertigt ist. Die Fachreferenten erhalten dadurch laufend Informationen über stark gefragte Literatur, was oft in direktem Zusammenhang mit einzelnen Lehrveranstaltungen zu sehen ist. Neue Titel aus dem Bereich Belletristik oder Buchtitel, die gerade in den Medien besprochen werden, weisen oft Mehrfach-Vormerkungen auf. Hier bietet es sich an, erst einmal abzuwarten, ob es sich um einen punktuellen Spitzenbedarf oder um einen längerfristigen Mehrbedarf handelt. Das Auswertungsprogramm für Vormerkungen ist so angelegt, daß der Titel nach vier Monaten automatisch wieder vorgelegt wird, falls der Bedarf anhalten sollte.

Der Fachreferent entscheidet anhand des Titels und des vorgelegten Ausleihprofils, ob weitere Exemplare angeschafft werden müssen oder ob bei nur temporärem Bedarf erst einmal abgewartet werden soll. Der Nachkauf über die "Dreifach-Vormerkung" wird im Geschäftsgang als Eilt-Fall behandelt, so daß davon auszugehen ist, daß die Vormerker relativ schnell an die gewünschten Titel kommen. Pro Woche werden durchschnittlich ca. 30 Titel gemeldet, die einen Spitzenbedarf aufweisen. Die laufende Analyse des Spitzenbedarfs hat sich auf Grund von fast 15-jährigen Erfahrungen als äußerst sinnvoll erwiesen, da sich auch hierüber ständig neue Erkenntnisse über bestimmte Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte innerhalb der Hochschule gewinnen lassen.

Ausleihprofile

Neben diesen automatisierten Auswertungsverfahren hat der Fachreferent jederzeit die Möglichkeit, für jede Magazinsignatur gezielte Ausleihprofile zu erstellen. Die Ausleihprofile weisen im Unterschied zu den globalen Bestandsauswertungen folgende Differenzierung auf:

LB 28/387 Steinbuch, P.A. ; Olfert, K.: Fertigungswirtschaft. 4. Aufl. 1989

ExemplarStatusVormerkungenAusleihen 1995Ausleihen 1994Ausleihen vor 1994Erfassungsdatum
01ausgeliehen0274011.4.1989
02 - 0062911.4.1989
03 - 08103711.4.1989
04 - 0532811.4.1989
Mittelwerte - - 3633 -

Die Nutzungsfrequenz der einzelnen Buchtitel kann ab dem Zeitpunkt der Erfassung im Ausleihsystem überwacht werden. Ferner werden die eingetragenen und noch nicht erledigten Vormerkungen, was auf eine verstärkte Nachfrage schließen läßt, festgehalten. Die Angaben sind wie immer auf die jeweiligen Auflagen und Exemplare bezogen, so daß vor allem bei älteren Auflagen die Nutzungsfrequenz eindeutig überprüfbar ist.

Dies ist vor allem beim Nachkauf neuer Auflagen hilfreich. Vor der Kaufentscheidung kann auf diese Weise der Bedarf nochmals hinterfragt werden. In Freiburg hat es sich inzwischen bestens eingespielt, daß die dem Erwerbungsleiter zum Abzeichnen vorgelegten Neuauflagen in der Regel mit einem Ausleihprofil versehen sind. Die Ergebnisse sind oft überraschend. Titel mit hoher Benutzungserwartung sind unter Umständen noch nie ausgeliehen worden, so daß auf die neue Auflage eventuell verzichtet werden kann.

Darüber hinaus sind auch globale Bestandsauswertungen möglich. Um festzustellen, ob die Bibliothekare mit ihren Kaufentscheidungen richtig liegen oder bestimmte Bestandsgruppen eine ausreichende Nutzungsfrequenz aufweisen, können mit Hilfe des Ausleihsystems entsprechende Auswertungen vorgenommen werden. Um beispielsweise das Argument zu entkräften, die Bibliothek kaufe zu viele originalsprachliche Titel in italienisch, die ja kaum einer lesen könne, ist die Nutzungsfrequenz der italienischen Literatur im Freihandmagazin überprüft worden. Die Ausleihwerte wichen vom übrigen Bestand nur unwesentlich ab, so daß sich für den weiteren Bestandsaufbau keine unmittelbaren Konsequenzen ergaben.

Eine Prüfung der Freizeitbücherei, wo eine hohe Ausleihfrequenz erreicht werden soll, ergab 1995, daß ca. 90 % des Bestandes ausgeliehen werden sowie 40 % fast ständig ausgeliehen sind. Mit diesem Ergebnis kann man zufrieden sein. Im übrigen wird auch die Freizeitbücherei einmal pro Jahr einem Negativlauf unterzogen, um die weniger aktiven Titel aus dem Bestand nehmen zu können.

Die Auswahlkriterien für einen sinnvollen Bestandsaufbau bedürfen einer permanenten kritischen Reflexion, um den ständig sich verändernden Rahmenbedingungen innerhalb eines universitären Bibliothekssystems gerecht zu werden. Hier können EDV-gestützte Bedarfsanalysen eine wertvolle Unterstützung bieten, um die zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel möglichst effizient einsetzen zu können. Dies gilt um so mehr in Zeiten finanzieller Restriktionen, wo es oft nur noch darum geht, die Grundversorgung sicherzustellen.


Seitenanfang