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I. Aufgabe und Stellung der Bibliothek in der Gesellschaft

I.2. Aufgabe und Stellung der Wissenschaftlichen Bibliothek

Sammelauftrag, Medienvielfalt / Bildungs- und Informationsgesellschaft, Wirtschaftsfaktor Bibliothek / Wissens- und Wissenschaftsexpansion / Spektrum der Informationsversorgung / Kommunikationsprozeß und Bibliothek / Flexibilität / Leseplätze / Neue Informationstechniken

Information und Kommunikation sind prägende Elemente unserer Gesellschaft. Der hohe Stand der Informations- und Kommunikationstechnik charakterisiert die heutige Kultur- und Wissenschaftslandschaft. Bibliotheken sammeln seit jeher "Kommunikationsmedien" und sind Lieferanten von Informationen. Sie sammeln Literatur im weitesten Sinne, literarische, unterhaltende und bildende, informierende und wissenschaftliche Texte, Belletristik, Sachliteratur, Quellen- und Forschungsliteratur. Seit Alexandria ist dies der Kernbereich bibliothekarischer Arbeit. Dabei spielt es keine Rolle, in welcher materiellen Form die Texte vorliegen. Es kann sich um Keilschrifttexte auf Tontafeln, um handgeschriebene Texte auf Papyri oder um Pergamentcodices handeln, oder um Texte, die auf Papier gedruckt sind und in der Regel die Form eines Buches haben. Auch die Buchform ist nicht das Ausschlaggebende, es können die Texte verkleinert auf Mikrofilm oder Mikrofiche vorliegen, Schallplatten und Kassetten können gesprochene Literatur enthalten, die Texte können auf optischen Speichermedien oder in Datenbanken auf Magnetplatten verfügbar sein.

Große bedeutende Sammlungen sind so entstanden.
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Gute Sammlungen sind für jede Gesellschaft von Bedeutung. Ganz besonders für unsere moderne Bildungs- und Informationsgesellschaft. Auf der einen Seite geben sie Einblick in die kulturelle Entwicklung, auf der anderen Seite tragen sie mit bei, den wirtschaftlichen Wohlstand zu sichern. Es hat sich die Erkenntnis längst durchgesetzt, daß wirtschaftlicher Wohlstand und gesellschaftliche Entwicklung in engem Zusammenhang stehen mit Bildung und Wissenschaft. Weltweit werden leistungsfähige Bildungssysteme in den Mittelpunkt staatlicher Bemühungen gestellt. Sehr viele Mittel und Personal werden aufgewendet. Es ist unzweifelhaft, daß Bildungspolitik heute ein integraler Bestandteil einer Wachstumspolitik ist.

Die Ergebnisse dieses "biggest business" des 20. Jahrhunderts, wie der Aufbau eines konkurrenzfähigen Bildungswesens selbst in den USA genannt wurde, sind überall sprunghaft gestiegene Abiturienten- und Studentenzahlen und ein starker Ausbau der Möglichkeiten der beruflichen Aus- und Weiterbildung. Die Bereitschaft zum "life-long-learning" nimmt ständig zu. Die Universitäten entdecken als dritte Aufgabe neben Forschung und Lehre die Aufgabe des Kontaktstudiums.
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Aber nicht nur das Bildungswesen hat sich geändert - sich verstärkt und ausgeweitet - in den letzten Jahrzehnten. Es muß auch festgestellt werden, daß heute mehr Menschen wissenschaftlich tätig sind als jemals zuvor. Mehr als die Hälfte aller Wissenschaftler, die jeweils auf dem Planeten Erde gearbeitet haben, sind heute unsere Zeitgenossen. Wesentlich mehr Nationen als zu Beginn unseres Jahrhunderts nehmen an der wissenschaftlichen Forschung teil, und die Zahl wird noch wachsen.

Dies führt zu einem zunehmenden Bedarf an wissenschaftlichen Informationen, aber auch zu einer zunehmenden Produktion. Im Jahre 2000 kann mit viermal soviel Fachinformationen gerechnet werden wie im Jahre 1980.

Allenthalben entstehen Informationsdatenbanken, die ihrerseits aber umfassende und leistungsfähige Literaturversorgungssysteme fordern.

Da neue Forschungsergebnisse sehr rasch in neue Produkte oder Technologien umgesetzt werden, ist, um Doppelentwicklungen zu vermeiden, sehr wichtig, daß eine rechtzeitige und richtige Information damit verbunden ist. Gerade manche Eigenentwicklungen in Zusammenhang mit der Raumfahrt haben zum Beispiel der amerikanischen Volkswirtschaft Millionen Verluste gebracht. Ein ausgebreitetes Informationswesen ist unverzichtbar für eine hochentwickelte Wirtschaft, Technik und Verwaltung.
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Alle diese Entwicklungen, die alle Bereiche der Gesellschaft betreffen, konnten und können nicht ohne Einfluß auf die Bibliotheken bleiben. Noch nie war deshalb das Bibliothekswesen von so zentraler Bedeutung wie in unserer Zeit. Kinder und Schüler, Lehrlinge und Studenten, Berufstätige und Forscher, an Fortbildung Interessierte und ihre Freizeit sinnvoll Gestaltende sind auf Informationen und Literatur angewiesen.

Die Bibliotheken sind angesprochen und gefordert. Sie müssen eine optimale benutzerorientierte Literatur- und Informationsversorgung einer Universität, einer Stadt, einer Region oder eines Landes sichern. Sie müssen in der Lage sein, der Wissenschaft und Lehre, der beruflichen Arbeit und Fortbildung jederzeit optimal zu dienen, die Kommunikation zu fördern.
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Dazu brauchen sie ein richtiges Gehäuse; ein Gehäuse, das kommunikativ ist.

Jede Zeit hat diesen Kommunikationsprozeß unterschiedlich gewichtet und unterschiedliche Lösungen für die Bauten gefunden. Unsere moderne Informationsgesellschaft braucht reich ausgestattete Bibliotheken, die gut zugänglich sind, die moderne Formen der Speicherung, der Dokumentation und Informationsvermittlung zeigen. Auf Abruf muß jede gewünschte Information geboten werden.

Eine solche Zielsetzung prägt den Bibliotheksbau. So hat in den letzten Jahrzehnten die alte funktionelle Dreiteilung in Benutzerbereich - Magazinbereich - Verwaltungsbereich eine Umstrukturierung erfahren. Die starre Gliederung ist einer weitgehenden Flexibilität gewichen. Massiver Vollwandbau wird abgelöst von einem Skelettbau im Modularsystem.

Leseplätze sind heute nicht nur eine Aneinanderreihung von Tischen in einem möglichst großen Saal. Man gestaltet individueller. Leseplätze werden direkt an Fenster gebracht, z.T. in eigenen Nischen, z.T. in Gruppen zwischen den Regalen mit Freihandbeständen angeordnet. Kleine abgeschlossene Einzelarbeitsplätze zum konzentrierten Arbeiten, "Carrels" und Gruppenarbeitsräume entstanden. Mediotheken erlauben den Zugang zu Nichtbuch-Materialien. Den Benutzern soll der Aufenthalt in der Bibliothek so angenehm wie möglich gestaltet werden, er soll in der Lage sein zu "kommunizieren". Bequeme Sitzgruppen in Ruhezonen, Zeitungsleseräume bieten die Möglichkeit. Längst hat sich auch der Teppichboden in allen Lesezonen durchgesetzt.
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Auf moderne Techniken wie Personalcomputer oder CD-Player, Kopierer und Hochleistungsdrucker, Kassetten- und Videorecorder muß der Benutzer nicht mehr verzichten.

Dies macht deutlich, daß Bibliotheksbau nicht eine einfache Angelegenheit ist. Auch eifrige Bibliotheksbenutzer machen sich gewöhnlich keine Vorstellung von der Kompliziertheit der Materie, was Architektur, Funktion, Konstruktion, Organisation und Wirtschaftlichkeit betrifft.

Dazu, daß diese Aufgabe gut bewältigt werden kann, soll dieses Kompendium zum Bau von Bibliotheken beitragen.

Dr. Rudolf Frankenberger


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