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Höhepunkte
MIT EINEM BRIEF FING ALLES AN.
Die Literaturno-
belpreisträgerin Herta Müller forderte im Sommer 2011
in einem Schreiben an Bundeskanzlerin Angela Merkel ein
Museum des Exils. Die selbst 1987 vor dem neostalinisti-
schen Diktator Nikolae Ceaușescu aus Rumänien geflohene
Schriftstellerin wünschte sich einen Ort, „an dem Biographi-
en erzählt werden können, die mit dem Exil verknüpft sind“.
Eine Gedenkstätte, „die sich allen Facetten des Exils und
seiner Konsequenzen in Sammlungen, Ausstellungen und
Diskussionen widmet“. Und eben auch einen Raum, der alle
Exil-Künstler und -Künstlerinnen und deren Werk würdigt
unabhängig davon, ob sie vor dem nationalsozialistischen
Regime geflohen oder ob sie später aus anderen Diktaturen
nach Deutschland gekommen sind.
Ein solches Museum existierte bis dato nicht und ein sol-
ches Museum gibt es auch bis heute nicht. Dennoch ver-
hallte der Ruf Herta Müllers nicht ungehört. Er gab den
Anstoß für ein anderes Projekt. Ein Online-Projekt mit dem
Namen „Künste im Exil“. Dabei handelt es sich um kein
Gegenmodell, keine Alternative und auch um keine Vorstu-
fe zu dem geforderten Museum, sondern um etwas ganz
Eigenes und Eigenständiges. Und um ein Projekt, das allein
aufgrund seiner Größe und der Zahl seiner Unterstützer
und Träger etwas ganz besonderes ist. So haben sich dafür
mehr als 30 Forschungseinrichtungen, Archive und Aus-
stellungshäuser in einem Netzwerk zusammengeschlossen:
neben dem Deutschen Literaturarchiv Marbach – das von
Anbeginn an der Konzeption beteiligt war – beteiligen sich
unter anderem die Jüdischen Museen in Frankfurt, Berlin
und München, das Bundesarchiv, das Max-Beckmann-Ar-
chiv, die Akademie der Künste und die Gesellschaft für
Exilforschung. Die Österreichische Exilbibliothek in Wien,
das Thomas-Mann-Archiv in Zürich sowie das Schweize-
rische Literaturarchiv sind ebenfalls dabei. Und natürlich
das Deutsche Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Natio-
nalbibliothek, das auch die Federführung für das Projekt
übernahm.
Vorrangiges Ziel dieser virtuellen Ausstellung ist, „Leben
und Werk exilierter Künstler und Intellektueller zugäng-
lich zu machen – als einen wichtigen und entscheidenden
Teil unserer Kulturnation und als Zeichen des Gedenkens
und Erinnerns“, betonte der damalige Kulturstaatsminister
Bernd Neumann am 18. September 2013 bei der Präsen-
tation im Bundeskanzleramt. Neumann hatte das Projekt
ein Jahr zuvor auf den Weg gebracht und eine dreiviertel
Million Euro in einem ersten Schritt zur Verfügung ge-
stellt. Weitere zwei Millionen Euro flossen bzw. fließen in
die Digitalisierung von Kunstwerken in den verschiedenen
teilnehmenden Einrichtungen, um die Ausstellung aufzu-
bauen. „Durch das Projekt ‚Künste im Exil‘ wird erstmalig
die unschätzbar wertvolle Arbeit der zahlreichen Einrich-
tungen und Initiativen, die sich mit dem Thema Exil be-
fassen, digital vernetzt und aus einer neuen Perspektive
zugänglich gemacht. Schon die Unterschiedlichkeit der
Kunstgattungen zeigt, wie schwer es sein würde, einen
einzigen zentralen Ort für verfolgte Künste zu etablieren.
Dennoch war es unser fester Wille, ein Zeichen für das
Gedenken an exilierte Künstlerinnen und Künstler zu set-
zen“, so Neumann.
Herausgekommen ist eine Website, die auf eindrückliche
Weise Exilanten und Exilantinnen und deren Werk in das
öffentliche Bewusstsein rückt. So lässt sich anhand einer
Vielzahl von Biografien nachverfolgen, wie dramatisch der
Weg ins Exil oft war. Wie zum Beispiel anhand der Biogra-
fie von Max Beckmann. Der Künstler war bereits vor der
Machtergreifung“ durch die Nationalsozialisten Angriffen
von deren Seite ausgesetzt. Angriffen, die sich nach dem 30.
Januar 1933 weiter steigerten. Noch im gleichen Jahr wurde
ihm als Lehrer an der Kunstgewerbeschule in Frankfurt am
Main gekündigt. Und auch die folgenden vier Jahre in Berlin
ließen jegliche Hoffnung auf eine politische Wende schwin-
den. So wurden seine Ausstellungen nicht mehr gezeigt oder
aufgelöst, später sogar Kunstwerke beschlagnahmt und teil-
weise auch vernichtet. Am 19. Juli 1937 wurde dann noch
in München die Propagandaausstellung „Entartete Kunst“
eröffnet, in der auch Werke Beckmanns zu sehen waren. Viel-
leicht gab das schließlich den Ausschlag, denn zwei Tage zu-
vor emigrierte Beckmann mit seiner Frau nach Amsterdam.
Was zunächst nur als Durchgangsstation geplant war, wurde
schließlich zu einem zehn Jahre währenden Exil, in dem
trotz schwierigster Lebensbedingungen ein in jeder Hinsicht
reiches Werk entstanden ist.
Ein solches oder ähnliches Schicksal teilten während der nati-
onalsozialistischen Diktatur mehr als 8.000 Kulturschaffende
zum Beispiel Bildende Künstler, Fotografen, Schriftsteller,
Architekten, Theater- und Filmregisseure, Tänzer, Schauspie-
ler und Musiker. Ihnen widmet sich das Projekt „Künste im
Exil“ vorrangig. Daneben soll aber auch das Leben und das
Werk der Emigranten und Emigrantinnen aus der ehemali-
gen DDR sowie das der Exilkünstler und -künstlerinnen, die
aufgrund politischer Verfolgung heutzutage ihre Zuflucht in
Deutschland suchen, gewürdigt werden. Insgesamt gibt es
also für das Projektteam des Deutschen Exilarchivs der Deut-
schen Nationalbibliothek jede Menge zu tun: „Die Zahl der
Personen, die man hier berücksichtigen könnte oder auch
müsste, ist natürlich riesig“, weiß Sylvia Asmus, Leiterin des