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Höhepunkte
Als die Deutsche Nationalbibliothek am
2. Oktober 2012 in ihren groSSen „Geburts-
tag“ hineinfeierte,
bildete dies den Höhepunkt in
einer langen Reihe von rund 100 Veranstaltungen, Ausstel-
lungen, Konzerten und Lesungen zu ihrem Jubiläum. An
jenem Abend waren 400 Gäste aus dem In- und Ausland
nach Leipzig gekommen, um an dem zentralen Festakt
in dem von den grünen Leselampen erleuchteten Großen
Lesesaal des historischen Gründungsbaus teilzunehmen.
Die Festredner, darunter der Staatsminister für Kultur und
Medien Bernd Neumann, nahmen die Gelegenheit zum
Anlass, an die Gründung am 3. Oktober 1912 zu erin-
nern, auf die bewegte Historie des Hauses zurückzubli-
cken und über die Herausforderungen zu sprechen, die
sich aus einer sich wandelnden Mediengesellschaft in ei-
ner digitalisierten Welt ergeben. Jean-Frédéric Jauslin, dem
ehemaligen Chef der Schweizerischen Nationalbibliothek
und heutigen Direktor des Schweizerischen Bundesamts
für Kultur, blieb es vorbehalten, den Zuhörern einen Satz
von Winston Churchill mit auf den Weg zu geben: „Je
weiter man zurückblicken kann, desto weiter wird man
vorausschauen.“
Also der Reihe nach. Denn dass die Deutsche Nationalbi-
bliothek dieses Jubiläum überhaupt begehen konnte, ist im
Rückblick alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Tat-
sächlich war schon ihre Gründung – zu einer Zeit, in der
Länder wie Frankreich bereits mit Stolz auf eine Tradition
„ihrer“ Nationalbibliothek blicken konnten – eine äußerst
schwere Geburt, der ein Jahrzehnte währender mühsamer
Prozess voller Rückschläge vorausgegangen war. So wurde
bereits 1843 in einer Eingabe an die Preußische Akademie
der Wissenschaften vergeblich gefordert, man solle nach
französischem Vorbild von jedem gedruckten Werk ein
Exemplar aufbewahren. Nach der Reichsgründung 1871
scheiterte die Einrichtung einer zentralen Reichsbiblio-
thek zunächst an den föderalen Strukturen und dann an
der Finanzierung. Über die Jahre hinweg wuchs jedoch der
Unmut über die Verhältnisse. So kam es schließlich, dass
auf Veranlassung des Börsenvereins der Deutschen Buch-
händler zu Leipzig die „Deutsche Bücherei“ gegründet
wurde. Das Königreich Sachsen, die Stadt Leipzig und der
Börsenverein der Deutschen Buchhändler unterzeichneten
am 3. Oktober 1912 den Gründungsvertrag und gaben da-
mit „grünes Licht“ für eine deutsche Nationalbibliothek.
Ihr Weg sollte jedoch viele Jahrzehnte lang steinig blei-
ben. Kaum gegründet, brach der Erste Weltkrieg aus. Es
folgten die Wirren der Weimarer Republik, die nationalso-
zialistische Herrschaft, der Zweite Weltkrieg, die Teilung
Deutschlands, die repressiven Bedingungen in der DDR.
Auf immer neue Weise wurden die Nationalbibliothek,
ihre bibliografsche bzw. bibliothekarische Arbeit und die
mit ihr verbundene Idee der Freiheit des Geistes auf harte
Proben gestellt. Immer wieder aber ist es ihr – auch dank
der Unterstützung ihrer Träger und Partner – gelungen,
durch alle politischen und wirtschaftlichen Schwierigkei-
ten hindurch ihre Existenz zu sichern und ihre Arbeit mit
hohem Sachverstand fortzusetzen. Während der deutschen
Teilung geschah dies angesichts der faktischen Koexistenz
zweier Nationalbibliotheken an zwei Standorten gleichzei-
tig, in der Deutschen Bücherei in Leipzig und der 1946 als
westdeutsches Pendant gegründeten Deutschen Bibliothek
in Frankfurt am Main. Doch auch dieses Kapitel zweier
getrennter Institutionen fand ein Ende. Nach dem Fall der
Mauer wurden die beiden Bibliotheken im Zuge des Eini-
gungsvertrages am 3. Oktober 1990 unter der Bezeichnung
„Die Deutsche Bibliothek“ zusammengeführt und endgül-
tig auf stabile institutionelle Füße gestellt. 2006 erhielt die
an zwei Standorten angesiedelte, aber vereinte Institution
ihren heutigen Namen.
Dieser kurze Blick zurück zeigt: Die Deutsche National-
bibliothek hat es allen historischen Umwälzungen zum
Trotz geschaft, Kontinuität zu verkörpern. Seit 100 Jah-
ren bewahrt sie das wissenschaftliche und kulturelle Erbe
Deutschlands, sammelt sie gemäß ihrem Auftrag, archi-
viert und schützt sie die Werke und macht diese zugleich
allen Interessierten zugänglich. Heute können die Nutze-
rinnen und Nutzer auf einen auf 28 Millionen Medienein-
heiten angewachsenen Bestand in den Lesesälen an beiden
Standorten zugreifen. Gleichzeitig, auch das zeigt sich im
Rückblick, basierte diese Kontinuität jedoch auf einem
beständigen Wandel. Unübersehbar zeigt sich dies in den
vielfältigen baulichen Veränderungen, Modernisierungen
und Erweiterungen an beiden Standorten: In diesen spie-
gelt sich nicht nur die Notwendigkeit, erweiterte Kapazi-
täten für einen unaufhörlich wachsenden Bestand schaf-
fen zu müssen. Vielmehr drückt sich in ihnen auch die
Überzeugung aus, sowohl der bibliothekarischen als auch
der intellektuellen Arbeit in den Lesesälen stets zeitgemäße
Bedingungen und Räume bieten zu wollen.
Trotz ihrer herausgehobenen Stellung hat sich die Deut-
sche Nationalbibliothek nie als Einzelkämpferin verstan-
den; dies schon deshalb nicht, weil sie eine in Netzwerke
eingebundene Institution mit gesetzlichem Auftrag ist. Sie
war von Anfang an aufs Engste mit der Buch- und Verlags-
branche verbunden, auf deren zuverlässige Ablieferung sie
angewiesen war und ist. Ein partnerschaftliches Verständ-

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