und angemessenen Gestaltung der öfentlich zugänglichen Be-
reiche wie Lesesaal, Vortragssaal und Ausstellungsräume sowie
der Schafung qualitätvoller Büroräume für 360 Mitarbeiter.
Wie entwickelten Sie das beschriebene Hybridgebäude?
KAISER
— Von der Mitte heraus mit der zentralen Rotunde, von
der die einzelnen Wege abgehen. Für uns standen Übersicht-
lichkeit, Funktionalität und Transparenz im Mittelpunkt.
Dem entsprach auch das einfache Materialkonzept Beton
beim Tragwerk, Holz für die Wände und Stahl an den Trep-
pen. Abgeschirmt von den viel befahrenen Hauptverkehrs-
straßen durch eine nahezu geschlossene Natursteinfront,
öfnet sich das Gebäude mit einer Glasfront über alle Stock-
werke in südlicher Richtung zum Garten hin. Durch die
Ruhe und das Licht entstehen optimale Bedingungen für das
Arbeiten in der Bibliothek. Konferenz- und Ausstellungshal-
len, die unabhängig von den Öfnungszeiten der Bibliothek
zugänglich sind, bieten die Möglichkeit für einen kulturellen
Austausch und öfnen das Haus nach außen.
Der zentrale Raum einer Bibliothek ist ja der Lesesaal.
KAISER
— Speziell in Archivbibliotheken wie der Deutschen Na-
tionalbibliothek, die nur eine Präsenznutzung zulassen, hat die
Leselandschaft eine zentrale Bedeutung bei der Bestandsvermitt-
lung. Deshalb wollten wir den Lesern einen hellen, bequemen
und ruhigen Arbeitsplatz zur Verfügung stellen, an dem sich
auch über einen längeren Zeitraum größere Mengen bereitge-
stellter Literatur studieren lassen. Wie gesagt, ist der Lesesaal
zum Garten hin vollständig verglast und durch die pyramiden-
artigen Oberlichter wird die Tageslichtausbeute weiter erhöht.
Das Erdgeschoss besteht aus drei zueinander versetzten Ebenen,
die auch den Geräuschpegel dämpfen. Am Eingang befndet
sich neben der Kontrolle die Bücherausgabe und Informations-
stelle. Die Freihandbibliothek mit etwa hunderttausend Bänden
wurde übersichtlich auf die Lesesaalebenen verteilt. Der gesam-
te Saal ist mit Hohlraumboden ausgestattet, der eine fächen-
deckende Verkabelung und das Arbeiten mit Computern zulässt.
Der Wettbewerb für Frankfurt war 1982, die Eröfnung
fand aber erst 1997 statt. In den 15 Jahren dazwischen
ist viel passiert. Wie kann man sich über so eine Dauer
bei Laune halten?
KAISER
— Diese außergewöhnlich lange Zeit war tatsächlich
nur deshalb zu einem glücklichen Ende zu bringen, weil der
Entwurf sehr funktional entwickelt war und alle Beteiligten
an einem Strang gezogen haben. Auch die Berücksichtigung
der damals aufkommenden Digitalisierung bereitete kaum
Probleme. Tendenziell wurde der Entwurf durch das lange
Prozedere eher strenger und klarer.
Und wie verhält es sich nach so einer Zeit mit der Mo-
dernität eines Gebäudes?
GLÖCKLER
— Ob etwas von Bestand ist, entscheidet sich meist
erst nach der übernächsten Generation. Beispielsweise lag
dem ersten Bau der Nationalbibliothek in Leipzig ein histo-
risierender Entwurf zugrunde. Das war damals eine Mode-
strömung, wenn Sie so wollen. Heute erfahren Gebäude aus
den 1950er-Jahren wieder viel Zuspruch. Ich hofe nur, dass
Waschbetonplatten niemals wieder en vogue sein werden.
Noch einmal zurück zur Zeitgeschichte: 1989 fel die
Mauer. Wurde in der Folge nicht der Neubau in Frank-
furt infrage gestellt? Schließlich brachte die Deutsche
Bücherei in Leipzig ihre Flächen ja in die neue Gesamt-
tinstitution mit ein.
KAISER
— Diese Argumentation gab es natürlich. Letztendlich
wurde aber 1990 im Einigungsvertrag festgelegt, dass die
Deutsche Nationalbibliothek künftig an den beiden Stand-
orten Frankfurt am Main und Leipzig vertreten sein soll.
Wie glücklich sind Sie mit der Kunst am Bau, die ja
nicht direkt in Ihrem Verantwortungsbereich lag? Die
dominante rote Arkade bzw. die roten Backsteintore
von Per Kirkeby direkt vor dem Gebäude lassen nicht
mehr viel von Ihrem Eingangsbereich erkennen.
KAISER
— Das ist zwar richtig, aber die Abschirmung des Vor-
platzes vom viel befahrenen Alleenring hatten wir auch im
Sinn, nur etwas näher an unserer Architektur. In der Rotun-
de hatten wir uns einen künstlerisch überhöhten Einblick in
die Tiefen der Magazine gewünscht, sozusagen in das Herz
dieser Bibliothek. Aber ich denke, die Skulptur „Armalamor“
von Georg Baselitz, die jetzt dort steht, betont sehr gut die
Mitte der gesamten Anlage.
Die Deutsche Nationalbibliothek hat ja durch ihren
Sammelauftrag den Anspruch, ihren Bestand für die
Ewigkeit aufzubewahren. Färbt dieser Ewigkeitsaspekt
auf die Architektur ab?
KAISER
— Was könnte denn Ewigkeit darstellen? Ein massiver
Bücherspeicher? In Beton? Oder ein dorischer Säulen-Porti-
kus? Diese Symbolik haben wir nicht gesucht. Uns genügt
der Begrif dauerhaft, heute würde man ‚nachhaltig‘ sagen.
Mit kurzlebig hätten wir auch Probleme: Ein Mitarbeiter
aus den USA verblüfte uns einst mit der Frage, für welche
Lebensdauer wir Häuser planen würden: 20 Jahre? 40 Jahre?
Wie würden Sie denn ganz allgemein Architektur def-
nieren?
GLÖCKLER
— Architektur ist mehr als nur die Disziplin, Bau-
werke zu errichten, aber weniger als die Erschafung autono-
mer Kunstwerke. Das erste ist dem Ingenieur vorbehalten,
das zweite dem Künstler. „Kunst am Bau“ ist die Addition.
Architektur ist die Synthese. Für mich heißt Architektur: die
rationale Umsetzung der Bedürfnisse der Nutzer in einer
sinnlichen und ästhetischen Form, die auch das Umfeld an-
gemessen refektiert.
IhrEntwurf trägtdenNamen:„Umschlag–Hülle–Inhalt“.
Was verstehen Sie unter dieser Leitidee?
GLÖCKLER
— Um das Skelett aus Geschossdecken und Stützen,
das die Bücher trägt, also den Inhalt, liegt die Außenwand-
konstruktion des Baukörpers – die Hülle. Eine silbrig glänzen-
de Wetterhaut, die die äußere Form des Baukörpers defniert,
steht für den Umschlag und umschließt die unterschiedlichen
Bereiche. Der Umschlag mit seinem trigonalen Fugenraster
vermittelt eine stofiche Haptik, schmiegt sich faltenlos an
und bietet sowohl dem Inhalt als auch der Hülle Schutz.
Durch diesen Aufbau erinnert der Erweiterungsbau an
die Form eines Buches. In den senkrechten Streifen der
Glasfassade könnte man Buchrücken erkennen. Hinzu
kommt, dass die abgestuften roten Fassadenelemente die
Umsetzung der Vierten Goldberg-Variation von Bach
darstellen und den Bezug zum Deutschen Musikarchiv
g
Für uns standen Über-
sichtlichkeit, Funktionali-
tät und Transparenz im
Mittelpunkt.
HANS-DIETER KAISER
Der Erweiterungsbau
in Leipzig spricht sowohl
Rationalität als auch
Emotion an.
GABRIELE GLÖCKLER
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