DEUTSCHE FORSCHUNGSGEMEINSCHAFT
Neue Informations-Infrastrukturen für Forschung und Lehre
Empfehlungen des Bibliotheksausschusses und der Kommission für Rechenanlagen. Dezember 1995
4.VERBUNDFÖRDERKONZEPT: "Neue Informations-Infrastrukturen in Forschung und Lehre"
Neue Anwendungen der Telekommunikationstechnik, der internationalen Datennetze und des multimedialen Informationsaustauschs sind überwiegend im Hochschulbereich entwickelt und erstmals eingesetzt worden. Das kreative Potential der Hochschulforschung muß auch zukünftig als Motor für die Gestaltung der Informationsgesellschaft genutzt werden.
Um dies zu erreichen, ist eine verstärkte Förderung innovativer Netzanwendungen in Forschung und Lehre erforderlich.
Wesentliche Förderungsmaßnahmen werden in diesem Bereich derzeit auf den Weg gebracht oder vorbereitet. Die einzelnen Projekte und Initiativen arbeiten jedoch vielfach in zu großer Isolierung voneinander. Gerade in der Bundesrepublik scheitert ein effektiver Ergebnistransfer bei Infrastrukturprojekten oftmals schon an den Ländergrenzen. Daß so Produkte und Dienstleistungen kaum in den internationalen Markt getragen werden können, darf nicht verwundern. Die eingesetzten Mittel erreichen damit nicht den notwendigen und möglichen Wirkungsgrad.
In der Bundesrepublik bestehen derzeit Defizite bei der
- Bündelung von Förderaktivitäten,
- Auswahl und Ergebniskontrolle zukunftsträchtiger Entwicklungslinien,
- konzentrierten Durchsetzung konkurrenzfähiger Produkte sowie der
- Mitgestaltung von Entwicklungen in internationalen Standardisierungs- und Arbeitsgruppen.
Um hier Verbesserungen zu erzielen, sollten der Bund, die Länder, die Deutsche Forschungsgemeinschaft und weitere Träger der Wissenschaftsförderung Projekte und Förderanstrengungen unter dem Dach eines koordinierten Verbundförderkonzeptes für die elektronische Informationsversorgung in Forschung und Lehre zusammenführen. Ein Verbundkonzept muß so aufgebaut sein, daß die Freisetzung von experimenteller Kreativität sowie eine gezielte Unterstützung des Selbstorganisationsprinzips gefördert werden. Die Offenheit von Entwicklungen gilt es zu sichern und nicht durch vorab geforderte Einpassungen in vorhandene institutionelle Strukturen zu gefährden.
Eine verbesserte Koordination sollte nicht nur zwischen
- Bund, Ländern und Fördereinrichtungen,
sondern auch auf den Ebenen
- öffentliche Hand - Privatwirtschaft
- Grundlagenforschung - Aufbau von Infrastrukturen - Entwicklung von Anwendungssystemen und Produkten
angestrebt werden.
4.1 Instrumente der Koordinierung
Ein Verbund von Förderungsprogrammen verschiedener Träger muß von einer nach außen hin deutlich erkennbaren gemeinsamen strategischen Zielsetzung geprägt sein. Eine koordinierende Struktur für die verschiedenen Förderansätze sollte ausgerichtet sein auf Abstimmung, Informationsaustausch und Ergebnisbewertung zwischen den einzelnen Projekten und Projektbereichen. Aufwendige Bürokratie ist auf jeden Fall zu vermeiden. Die Priorität muß auf der Koordination von Prozessen und nicht auf einer festen Strukturbildung im Informationssektor liegen. Mittelfristig ist zu prüfen, ob die Einrichtung eines ständigen Koordinierungsgremiums erforderlich ist. Zunächst jedoch sollten die angesprochenen Träger geeignete informelle Instrumente nutzen, um die erforderliche Abstimmung und koordinierte Steuerung der Einzelinitiativen zu erreichen:
- Rundgespräche bieten flexible Möglichkeiten, die verschiedenen fachbezogenenFragestellungen, interdisziplinären Aspekte und differenzierten Anforderungen verschiedener Fachdisziplinen aufzugreifen. Ebenso können heterogene Teilnehmergruppen (technisch orientierte Forschung, Verleger und Industrie)flexibel in einen Koordinationsprozeß einbezogen werden.
- State of the Art Reports und Fortschrittsberichte sind geeignete Instrumente,zunächst eine Bestandsaufnahme zu den vorgeschlagenen Aktionsbereichen (s.u. Abschnitt 4.2) zu erstellen, um den Ist-Stand einschließlich der heute in Deutschland erreichten Stellung im internationalen Wettbewerb aufzuzeigen und lohnende Projektinhalte für zukünftige Entwicklungen zu identifizieren. Die Auswertung von Fortschrittsberichten sollte auch für eine Steuerung der Projekte genutzt werden.
- Für Leitprojekte in den einzelnen Aktionsbereichen sollten geeignete Organisationsformen gewählt werden. Wichtig ist die gezielte Ausrichtung auf einen organisatorisch effektiven Technologietransfer. Projektgruppen sollten daher je nach Themenstellung gemeinsam von Hochschulinstituten, Softwarehäusern, anderen Partnern aus der Wirtschaft (z.B. Netzanbietern, Verlagen) und Anwendern (z.B. Bibliotheken) getragen werden. Ziel ist die kooperative Entwicklung von Lösungskonzepten und die Realisierung von Prototypen in einem Förderzeitraum von maximal 3 Jahren. Nach der Projektzeit können Softwarehäuser und Partner aus der Wirtschaft die Prototypen in eigener Finanzierung zur Produktreife entwickeln und vermarkten. Auch während der Projektzeit sollte ein Finanzierungsanteil der privatwirtschaftlichen Partner gegeben sein.
- Als geeignete Organisationsform zur Förderung anwendungsorientierter Grundlagenforschung in den angesprochenen Themenbereichen bringt die Deutsche Forschungsgemeinschaft das Instrument der Schwerpunktprogramme in ein Verbund Förderkonzept ein. Mit der Einrichtung neuer Schwerpunktprogramme im Schnittfeld angewandter Informatik-Forschung, Fachinformationssystemen und Bibliotheken unterstreicht die DFG die Bedeutung der Informations-Infrastrukturen in Forschung und Lehre.
4.2 Inhaltliche Förderbereiche
Die Arbeitsgruppe empfiehlt dem Bund, den Ländern und der Deutschen Forschungsgemeinschaft, ein gemeinsames Verbundförderkonzept für neue Informations-Infrastrukturen in Forschung und Lehre aufzubauen. Bereits vorhandene Projekte und Förderinitiativen sollten in ein solches Konzept integriert werden.
Zur Vorbereitung und Koordinierung des Förderkonzepts sollten die in Abschnitt 4.1 genannten Instrumente wie Rundgespräche und Forschungsberichte eingesetzt werden. Parallel zur Vorbereitung des Verbundförderkonzeptes sollte der Ist-Stand in State of the Art Reports für die einzelnen Aktionslinien festgestellt werden.
Für das Verbundförderkonzept werden die folgenden Aktionslinien vorgeschlagen:
1. Netzinfrastruktur und Geräteausstattung
- Um die benötigten Entwicklungsplattformen (vgl. 3.1) rasch bereitstellen zu können, sollte ein koordiniertes Vorgehen von Telekom, sonstigen Netzanbietern, DFN-Verein und den verschiedenen regionalen Initiativen zum Aufbau von Hochgeschwindigkeitsnetzen auf der Basis eines Netzinvestitionsprogramms initiiert werden.
- Ein zusätzliches gesondertes Ausstattungsprogramm für Fachbereiche und Serviceeinrichtungen der Hochschulen sollte ausgerichtet werden auf
- die rasche flächendeckende Bereitstellung von Hochgeschwindigkeits-Internet-Zugängen,
- die technische Ausstattung, um den wesentlichen Output der Fachbereiche an Texten, Daten, Algorithmen, Bildern, Softwareprogramme usw. digital zu speichern und in den internationalen Wissenschaftsnetz auf dem heutigen Stand der Technik (WWW-Servern) in hoher Qualität anbieten zu können, sowie
- Geräteverbünde zur hochqualitativen und flexiblen Reformatierung digitaler Informationen von und auf Papier (Hochleistungsdruckzentren).
Solche Geräteverbünde sollten die Großgerätekriterien des HBFG erfüllen und dort z.B. als "vernetzte DV-Systeme" mitfinanziert werden können.
- Ein bundesweites, gemeinsam von Serviceeinrichtungen und Fachbereichen getragenes Projekt zur sachlichen Strukturierung und Erschließung der von deutschen und ausländischen Hochschulen in die Wissenschaftsnetze eingespeisten digitalen Informationsobjekte sollte unverzüglich eingeleitet werden.
2. Leitprojekte zur raschen Umsetzung innovativer, multimedialer Anwendungssysteme für wissenschaftliche Kommunikation und Publikation.
- Um die Möglichkeiten und Vorteile avancierter Technik beim innovativen Einsatz in Forschung und Lehre zu demonstrieren, sollte eine begrenzte Zahl ausgewählter Leitprojekte finanziert werden.
- Leitprojekte sollten etwa gleichmäßig die Bereiche wissenschaftliche Kommunikation (vgl. Abschnitt 2.1) und wissenschaftliche Publikation (vgl. Abschnitt 2.2) berücksichtigen.
- Leitprojekte sollten durch Projektgruppen der in Abschnitt 4.1 beschriebenen Form umgesetzt werden. Im Bereich der wissenschaftlichen Publikation sollten auch Wissenschaftsverlage beteiligt sein.
- Als Auswahlkriterien für Projekte im Bereich der wissenschaftlichen Kommunikation kommen in Frage:
- verteilte Informationssysteme für bestimmte Fachgebiete,
- Anwendungen für besondere anspruchsvolle Formen digitaler Objekte (z.B. Bewegtbilder).
- Im Bereich der wissenschaftlichen Publikation sollten unter anderem Vorhaben zur elektronischen Dokumentlieferung von Verlagspublikationen sowie zur innovativen multimedialen Umsetzung von Lehrbüchern und Kursen gefördert werden. Die Erprobung von Regelungen der urheber- und verlagsrechtlichen Probleme sowie von Modellen zur Abrechnung, Authentifizierung, Integrität und Dauerhaftigkeit des Zugriffs (
- s. Elektronische Publikationen im Literatur- und Informationsangebot wissenschaftlicher Bibliotheken, Positionspapier der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Juni 1995) sollten Bestandteil solcher Projekte sein.
- Die Leitprojekte sollten auf die rasche Umsetzung von Anwendungssystemen ausgerichtet sein, d.h. im wesentlichen fortgeschrittene vorhandene Technik nutzen. Ziel ist es, mit solchen Entwicklungen auch die internationale zukünftige Entwicklung der wissenschaftlichen Informationssysteme mitzugestalten.
- Die Deutsche Forschungsgemeinschaft sollte solche Leitprojekte im Rahmen von laufenden und im Aufbau befindlichen Programmen der Bibliotheksförderung mit unterstützen.
3. Aufbau einer virtuellen digitalen Forschungsbibliothek
- Um in einer qualitativen Auswahl historische Quellen und Texte der deutschen Bibliotheken sowie wesentliche Forschungsliteratur auf digitale Träger zu übertragen und im Rahmen einer nationalen digitalen Forschungsbibliothek in verteilten Informationssystemen zur Verfügung zu stellen, sollte ein Sondermittelprogramm des Bundes und der Länder initiiert werden.
- Die Deutsche Forschungsgemeinschaft sollte ein solches Sondermittelprogramm organisatorisch durchführen.
4. Stärkung der anwendungsorientierten Grundlagenforschung im Bereich Information-Retrieval und multimediale Informationssysteme
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft plant, in diesem Bereich mehrere Schwerpunktprogramme einzurichten. Dabei spielt ebenfalls der Gesichtspunkt einer Verbundförderung mit dem Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie eine wichtige Rolle. Es sollte geprüft werden, ob sich diese Aktivitäten in geeigneter Weise in das Verbundförderkonzept einbringen lassen.