Hans Peter Thun
Eine Einführung in das Bibliothekswesen der Bundesrepublik
Deutschland
DEUTSCHES BIBLIOTHEKSINSTITUT
1998
6. Ausbildung
Die Aufzählung der bibliothekarischen Berufsverbände deutet bereits die Vielfalt der Ausbildung in Deutschland an. Bibliothekare, Dokumentare und Informationsfachleute werden in Deutschland getrennt ausgebildet, wobei Lehrinhalte mehr oder weniger aufeinander Bezug nehmen.
Es gibt mindestens drei Berufsebenen im Bibliothekswesen, von denen sich die eine noch in zwei Bibliothekssparten unterteilen läßt, so daß man, wie zuvor bereits erwähnt, fast von vier Berufen sprechen kann. Drei Ebenen deshalb, weil durch sogenannte Laufbahnverordnungen der Länder und bundesweit geltende Vorschriften für die Einstellung und Bezahlung von Bibliothekaren bestimmte Gesetzmäßigkeiten existieren, die verhindern, daß Absolventen der einen Ausbildung ohne Schwierigkeiten auch in den Bereichen tätig werden können, für die eine andere Gruppe ausgebildet wurde.
Alle drei Gruppenbezeichnungen stammen nicht aus dem Bibliotheksbereich, sondern geben allgemein die Laufbahnen der staatlichen Beamten wieder.
Da ist zunächst einmal der sog. höhere Bibliotheksdienst. Er repräsentiert die höchste Rangstufe des bibliothekarischen Berufsstandes. Aus dieser Ausbildung rekrutieren sich die Leiter der großen wissenschaftlichen Bibliotheken, die Abteilungsleiter und mindestens die Fachreferenten. Auch großstädtische Bibliothekssysteme stellen als Leiter nicht ungern Absolventen dieser Berufsausbildung ein, seitdem es auch einen Ausbildungszweig für diesen Bibliothekstyp gibt.
Die von den Bundesländern erlassenen Laufbahnverordnungen, die aber im wesentlichen Einheitlichkeit aufweisen, besagen, daß ein Beamter des höheren Dienstes ein abgeschlossenes Hochschulstudium zu absolvieren hat, früher gar oft noch zusätzlich eine Promotion nachweisen mußte, um auf eine Stelle des höheren Dienstes eingestellt werden zu können. Daher muß also ein Bibliothekar des höheren Dienstes zunächst einmal irgend ein wissenschaftliches Studium erfolgreich abgeschlossen haben. Anschließend ist dann noch eine zweijährige Berufsausbildung einschließlich eines Studiums an einer bibliothekarischen Fachhochschule erforderlich. Ausbildungsinstitute gibt es in Frankfurt, Köln und München.
Am Institut für Bibliothekswissenschaft der Berliner Humboldt-Universität und an der Philosophischen Fakultät der Universität Köln ist seit kürzerer Zeit das Studium der Bibliothekswissenschaft als Haupt- oder Nebenstudium möglich, ohne daß die Auswirkungen für die Laufbahn des höheren Dienstes völlig geklärt sind.
Der gehobene Dienst dagegen hat zwei Ausbildungen: Den
Dipl.-Bibliothekar
an wissenschaftlichen Bibliotheken und den
Dipl.-Bibliothekar
an Öffentlichen Bibliotheken. Beide Ausbildungsgänge werden
an Fachhochschulen durchgeführt, Voraussetzung ist aber das Abitur,
also die Hochschulreife. Sie dauern i.d.R. drei Jahre, aber seit 1995 bietet
die Hochschule für Bibliotheks- und Informationswesen in Stuttgart auch
ein siebensemestriges
Studium für den gehobenen Dienst an wissenschaftlichen Bibliotheken
an, das vielleicht zukunftsweisend für die künftige Entwicklung
dieser Ausbildung sein könnte. Einen postgradualen Fernstudiengang
"wissenschaftliche
Bibliothekarin" / "wissenschaftlicher Bibliothekar" und einen
Magister-
/ Masterfernstudiengang Bibliothekswissenschaft bietet das Institut
für Bibliothekswissenschaft der Berliner Humboldt-Universität an.
Folgende Ausbildungseinrichtungen gibt es derzeit:
Berlin: Humboldt-Universität Berlin, Institut für Bibliothekswissenschaft | ||
Bonn: Fachhochschule für das öffentliche Bibliothekswesen Bonn | ||
Frankfurt a. Main: Bibliotheksschule in Frankfurt am Main, Fachhochschule für Bibliothekswesen | ||
Hamburg: Fachhochschule Hamburg, Fachbereich Bibliothek und Information | ||
Hannover: Niedersächsische Landesbibliothek, Niedersächsische Bibliotheksschule Hannover | ||
Hannover: Fachhochschule Hannover, Fachbereichs Informations- und Kommunikationswesen | ||
Köln: Fachhochschule Köln, Fachbereich Bibliotheks- u. Informationswesen | ||
Köln: Universität zu Köln, Lehrstuhl für Bibliothekswissenschaft | ||
Leipzig: HTWK Leipzig, Fachbereich Buch und Museum | ||
München: Bayerische Bibliotheksschule | ||
München: Bayerische Beamtenfachschule-Fachbereich Archiv- u. Bibliothekswesen | ||
Potsdam: Fachhochschule Potsdam, Fachbereich Archiv-, Bibliotheks-, Dokumentations-u. Informationswesen | ||
Sondershausen: Thüringische Bibliotheksschule Sondershausen | ||
Stuttgart: Hochschule
für Bibliotheks- und Informationswesen, Stuttgart
wobei nicht an allen Stellen beide Ausbildungen angeboten werden. Wo das der Fall ist, existieren im allgemeinen auch einige gemeinsame Ausbildungsmodule. Die verliehenen Abschlüsse der Ausbildungen sind uneinheitlich. Während der Abschluß an einigen Instituten nur zu einer Berufsbezeichnung Dipl.-Bibliothekar führt, wird an anderen Fachhochschulen ein gleichnamiger akademischer Grad verliehen.
Den mittleren Dienst, deren Absolventen auch
Assistent
an Bibliotheken heißen, gibt es erst seit einigen Jahren.
Es ist ein Ausbildungsberuf, der dem aus der DDR bekannten
Bibliotheksfacharbeiter entspricht und als Voraussetzung den
10-jährigen Realschulabschluß verlangt. Die Ausbildung erfolgt
praktisch in der Bibliothek mit begleitendem Berufsschulbesuch, in dem besondere
Bibliothekskenntnisse vermittelt werden. Als Besonderheit bietet auch die
Bibliotheksschule
in Sondershausen eine theoretische Ausbildung für diesen Beruf.
Erforderlich aus europäischer Sicht wäre mittelfristig neben der Zusammenführung von Bibliothek, Information und Dokumentation zu einer mindestens eng verzahnten Ausbildung ein stärkerer Abbau der laufbahnbedingten nationalen Besonderheiten und ein intensives Einbringen internationaler, insbesondere europäischer Lehrinhalte.
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