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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 12, 2000

Rechtskommission des EDBI

Herbstsitzung in Berlin

Helmut Rösner

 

Bevor die Rechtskommission auf der Herbstssitzung am 30. und 31. Oktober 2000 in die Sachthemen ihrer umfangreichen Tagesordnung eintrat, hatte sie sich mit ihrer eigenen Zukunft zu beschäftigen. Auch im Zuge und nach der Abwicklung des EDBI wird sie in der Fachöffentlichkeit einmütig als unverzichtbar bewertet; dies war kurz zuvor vom Vorsitzenden des Deutschen Bibliotheksverbandes (DBV), Dr. Arendt Flemming, erneut bekräftigt worden. Der DBV setzt sich generell für eine Fortführung der Kommissionsarbeit im Jahr 2001 ein, die weiterhin vom EDBI betreut werden soll, solange Personalkapazität vorhanden ist. Für eine Auffanglösung steht der DBV zur Verfügung. Für die Zeit nach 2002 ist vorgesehen, die Rechtskommission als "zeitlich befristeten Rechtsausschuss" in die Obhut des geplanten "Innovationszentrums für Bibliotheken (IZB)" an der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zu übernehmen (laut "Denkschrift" vom 12. September 2000, Protokollnotiz zu § 7 Abs. 1). Falls das IZB nicht zustande kommt, stellte Dr. Flemming die Übernahme der Rechtskommission durch den DBV in Aussicht. Alle anwesenden Mitglieder der Rechtskommission erklärten dankenswerterweise ihre Bereitschaft, letztmalig im Jahr 2001 für die Kommissionstätigkeit zur Verfügung zu stehen.

Folgende Themen wurden u.a. in der Sitzung behandelt:

 

Umsetzung des BGH-Urteils zum Kopienversand

Der Gesamtvertrag zwischen Bund/Ländern und Verwertungsgesellschaften über den Direktkopienversand ist rückwirkend zum 1. September 2000 in Kraft getreten; er ist online auf der DBV-Homepage http://www.bibliotheksverband.de zugänglich. Erstmals sind somit die Nutzer zur Zahlung einer urheberrechtlichen Abgabe verpflichtet, nicht mehr Bund und Länder. Dennoch ist nach bisherigen Erkenntnissen die Anzahl der Direkt-Dokumentlieferungen in den Bibliotheken nicht signifikant zurückgegangen. Im kommenden Jahr steht eine Neuverhandlung über die Höhe der Bibliothekstantieme an.

Als sehr hilfreich in den Vertragsverhandlungen hat sich eine neue starke Lobby-Gruppe erwiesen, die "Arbeitsgemeinschaft Tantiemeregelung", in der vor allem die Wissenschaftsgemeinschaft Leibniz (Fraunhofer-Institut, DFG, Max-Planck-Gesellschaft, Rektorenkonferenz ...) und die TIB sowie Zentralbibliothek der Medizin als Bibliotheken mit dem höchsten Kopienversandaufkommen vertreten sind. Diese Gruppe will sich jetzt auch mit der Zukunft des Leihverkehrs beschäftigen und plant hierzu eine gemeinsame Sitzung mit der Rechtskommission. In diesem Zusammenhang spielt ein "Strategiepapier Dokumentlieferung" vom 13. April 2000 eine wichtige Rolle, denn die Problematik ist von grundsätzlicher Bedeutung. Die Rechtskommission ist zu einer Stellungnahme zu den rechtlichen Grundlagen des Leihverkehrs aufgefordert, wobei vor allem die Frage untersucht werden soll, ob es einen grundgesetzlichen Anspruch auf kostenlose Versorgung mit Literatur geben kann. Auch die juristische Tragfähigkeit der Kriterien für Entgeltstaffelung nach Versandformen, Fristen usw. wird zu prüfen sein.

 

EU-Richtlinie zur Harmonisierung des Urheberrechts

Nach Verabschiedung einer Gemeinsamen Position des Rates liegt die aktuelle Fassung des Richtlinienvorschlags (vom 14. September 2000) nun dem Europäischen Parlament zur 2. Lesung vor. Eine Kurzinformation hierzu sowie die deutsche Übersetzung zweier Stellungnahmen (EFPICC und EBLIDA) wurden im Bibliotheksdienst Heft 11/2000 veröffentlicht.

Die jetzt vorliegende Fassung der Richtlinie wird in europäischen Bibliothekskreisen übereinstimmend als Fortschritt gegenüber den früheren Fassungen gewertet. Es gilt vor allem, die erreichte Balance der Interessen zu erhalten. Da einige Punkte noch heftig umstritten sind, ist mit erheblichen nachträglichen Änderungen zu rechnen.

Die Rechtskommission sieht kaum Möglichkeiten, zum jetzigen Zeitpunkt noch auf die Entwicklung Einfluss zu nehmen. Dennoch soll Kontakt mit der BDB aufgenommen werden, um eine letzte Lobby-Aktivität in Richtung EP-Abgeordnete zu starten. Dabei könnte es vor allem darum gehen, a) den Erwägungssatz 40 (Verbot der Online-Dokumentlieferung) zu entschärfen und b) darauf hinzuwirken, dass gesetzliche Ausnahmen stärker als vertragliche Vereinbarungen bleiben sollten.

 

Mustervertrag für Ausleihe von Handschriften

Der von Dr. Gödan vorgetragene Entwurf eines kommentierten Mustervertrags für die Ausleihe von Handschriften zu Ausstellungszwecken wurde verabschiedet. Nach letzter Durchsicht soll das Gutachten nebst Mustervertrag im Bibliotheksdienst veröffentlicht werden.

 

Rechtsstreit Verwertungsgesellschaften gegen Freistaat Bayern

Einem von VG Wort, VG Bild-Kunst und GEMA angestrengten Verfahren gegen den Freistaat Bayern liegt der Streit zugrunde, ob die Landesbildstelle für das Ausleihen von Videokassetten von der Bibliothekstantieme erfasst wird. Dies wurde vom Landgericht München I mit Urteil vom 26.7.2000 (Az. 21 O 15056/99) verneint; der Freistaat Bayern wurde folglich verurteilt, den Verwertungsgesellschaften Auskunft zu geben, wie viele und welche Vervielfältigungsstücke audiovisueller Materialien von den Landesbildstellen jährlich ausgeliehen wurden.

In diesem Zusammenhang werden auch Anfragen einzelner Bibliotheken erwähnt, die Videokassetten unnötigerweise mit Ausleihrechten kaufen. Hierin zeigt sich wieder ein nicht selten zu beobachtendes Wissensdefizit in rechtlichen Fragen, das auch auf unzureichende Ausbildung an den Fachhochschulen zurückzuführen ist. Die Rechtskommission beschließt daher, über die "Konferenz der Informatorischen und Bibliothekarischen Ausbildungseinrichtungen" (KIBA) an die Fachhochschulen zu appellieren, um die Ausbildung in Rechtsfragen zu verbessern.

 

Veröffentlichungen

Die Vorsitzende dankte allen am Zustandekommen der "Entscheidungssammlung zum Bibliotheksrecht" (dbi-materialien 197) Beteiligten für den erfolgreichen Abschluss des Vorhabens.

Für die weiteren Veröffentlichungsvorhaben der Rechtskommission besteht zunächst das Problem, dass das EDBI mit Beendigung seiner Publikationstätigkeit zum Jahresende 2000 keine Möglichkeiten für die Herstellung und den Vertrieb mehr hat. Die als dritter Band der Kommissionsveröffentlichungen geplante "Gutachten-Sammlung" soll dennoch weiter verfolgt werden. Die vorliegenden Texte werden jeweils an die Autoren verteilt, um vor allem die älteren Gutachten auf eventuellen Aktualisierungsbedarf hin kritisch durchzusehen. Ergänzungen - vor allem solche Gutachten, die nicht beim (E)DBI erschienen sind - sollen ebenfalls durch die Rechtskommission sowie die VDB-Kommission für Rechtsfragen eingebracht werden. Gleichzeitig soll sondiert werden, ob einer der mit bibliothekarischer Fachliteratur befassten Verlage Interesse an dieser Publikation hat.

 

Vorteilsgewährung

Zu der Anfrage einer Universitätsbibliothek - Professoren erzielen Vergünstigungen beim Erwerb von Zeitschriften-Abos durch Verknüpfung mit der Anschaffung durch Bibliotheken - hat Dr. Gödan ein ausführliches fachliches Gutachten vorbereitet. Darin werden vier Fall-Konstellationen zugrunde gelegt und unter wettbewerbsrechtlichen, strafrechtlichen und disziplinarrechtlichen Aspekten untersucht.

Da der Handlungsort ausschlaggebend ist, gilt grundsätzlich deutsches Recht. Relevant sind das Rabattgesetz, die Zugabeverordnung und das Gesetz gegen Unlauteren Wettbewerb. Verstöße dagegen werden als Ordnungswidrigkeit geahndet. Diese können strafrechtlich relevant sein als Annahme materieller Vorteile durch Amtsträger in ihrer Dienstausübung; auch die Verlage, die solche Vorteilsannahme begünstigen, machen sich strafbar. Daneben ist auch bei Verletzung der Pflicht zur Uneigennützigkeit ein disziplinarrechtlicher "Überhang" zu berücksichtigen, d. h. ein disziplinarrechtliches Verfahren kann nach der Bundes- bzw. Landesdisziplinarordnung auch ohne strafrechtliches Verfahren stattfinden.

Das Gutachten soll nach Überarbeitung im Bibliotheksdienst veröffentlicht werden.

 

Benutzungsordnung / Verschuldensunabhängige Haftung

Die Rechtskommission diskutierte eingehend über zwei neuere Gerichtsurteile, in denen eine in der Benutzungsordnung niedergelegte Klausel der "verschuldensunabhängigen Haftung des Entleihers" als nicht zulässig gewertet wird. Die Haftung bei Verschulden ist ein Grundprinzip unserer Rechtsordnung; es gibt auch keine höchstrichterliche Entscheidung, die eine verschuldensunabhängige Haftung stützen würde.

In beiden Urteilen wird bekräftigt, dass die Rechtsgrundlage für die Haftungsklauseln in Benutzungsordnungen das AGB-Gesetz (§ 9) ist; eine Bestimmung in der Benutzungsordnung, die eine verschuldensunabhängige Haftung vorsieht, ist ein Verstoß gegen das ABG-Gesetz. Da sich derartige Bestimmungen in den Benutzungsordnungen zahlreicher Bibliotheken finden, beschließt die Rechtskommission, hierzu eine Empfehlung auszusprechen, ihre Benutzungsordnung entsprechend zu ändern sowie eine zusätzliche Identifikation des Entleihers bei Selbstverbuchung (Passwort oder PIN-Nr.) einzuführen.

 

Bibliothekartag Bielefeld

Für den Bibliothekartag, 2. - 5. April 2001 in Bielefeld, wurde eine öffentliche Veranstaltung von DBV, Börsenverein und Rechtskommission zum Thema "Urheberrecht im Wandel" angemeldet. Außerdem wird die Rechtskommission in einer öffentlichen Veranstaltung über "Aktuelle Probleme des Bibliotheksrechts" berichten; Schwerpunktthemen:

  1. Vorteilsgewährung durch Freiexemplare (Dr. Gödan)
  2. Benutzungsordnungen und die verschuldensunabhängige Haftung (Dr. Müller)
  3. Rechtsgrundlage für Gebühren- und Entgelterhebung (Moeske)
  4. Schenkungsvertrag (Dr. Gödan)

 

Anfragen an die Rechtskommission

Urheberrechte bei Exilzeitschriften
Zur Frage nach der Zulässigkeit der Digitalisierung von Exilzeitschriften wurde unter Hinweis auf das Gutachten Peters: "Rechtsfragen der Bestandserhaltung durch Digitalisierung" (Bibliotheksdienst 32, 1998, H. 11, S. 1949 ff.) festgestellt, dass der Vorgang des Digitalisierens zulässig ist bei Zeitschriften, die seit mindestens zwei Jahren vergriffen sind. Davon zu trennen ist aber die Nutzung der digitalisierten Zeitschriften: eine interne Nutzung - ohne Zugriffsmöglichkeit durch Außenstehende - ist zulässig.

Überführung einer kommunalen Bibliothek in gGmbH
Eine Stadt will ihre Bibliothek als kommunale Kultureinrichtung in eine neue Rechtsform als gGmbH überführen; dabei soll sie das Eigentum an den Beständen behalten, aber nicht selbst Gesellschafterin werden. Die Rechtskommission rät hiervon dringend ab, da die Kommune keinerlei Einfluss mehr auf die Bibliothek besitzen würde; sie sollte zumindest in einer neuen Rechtsform Hauptgesellschafterin bleiben. Anderenfalls könnte der Bibliotheksrabatt aufgrund des Sammelrevers nicht mehr gelten, außerdem würden öffentliche Fördermittel an eine rein privatrechtliche Einrichtung nicht mehr vergeben werden können.

Immer wieder GEMA
Die Rechtskommission erreichten mehrere Anfragen aus kleinen Bibliotheken vorwiegend in den neuen Bundesländern, wonach die GEMA Verträge über die Video-Ausleihe vorlegte. Sie weist erneut darauf hin, dass derartige Versuche der GEMA ungerechtfertigt und unzulässig sind. Erwogen wurde eine Aufsichtsbeschwerde beim Bundeskartellamt; zuvor soll jedoch noch einmal versucht werden, eine gütliche Beilegung dieses Dauer-Streitpunktes zu erreichen.

5. Urheberrechts-Änderungsgesetz und Urhebervertragsrecht
Ein akuter Handlungsbedarf wird zur Zeit nicht gesehen, da das Bundesjustizministerium die Verabschiedung der EU-Copyright-Richtlinie abwarten will. Entsprechend dem Zweiten Vergütungsbericht wäre eine neue Geräteabgabe für Festplatten, CD-ROM-Brenner u. ä. schon jetzt möglich, das BMJ will sie aber erst im 5. Änderungsgesetz vornehmen. Die Erhöhung der Geräteabgabe würde voraussichtlich im Durchschnitt DM 40,- betragen.

Eine Gefahr sieht die Rechtskommission für die Bibliotheken, falls es außerdem zu einer zusätzlichen pauschalen Betreiberabgabe kommen sollte. Gemeinsam mit der BDB sollen die Kultusministerien, die Hochschulen und die Forschungseinrichtungen sensibilisiert werden, um eine Betreiberabgabe zu verhindern.

Zitatrecht
Ausgehend von dem Fall einer Universitätsbibliothek, die zahlreiche Filme gekauft, in einer Datenbank katalogisiert sowie einzelne Szenen als Anregung digitalisiert und über das Internet angeboten hat, wurde grundsätzlich über das deutsche Zitatrecht diskutiert. Eine bloße Aneinanderreihung von Zitaten ohne eigene Erläuterungen ist nicht zulässig. Zitate sind nur gestattet zur Erläuterung und Illustration eigener Meinung, dies ist auch auf Filmwerke anwendbar. Im angloamerikanischen Copyright gibt es kein Zitatrecht, daher muss selbst für Kleinzitate die Genehmigung eingeholt werden; diese Rechtslage spielt jedoch für Deutschland wegen der "Inländerbehandlung" nach Art. 5 RBÜ keine Rolle.


Stand: 15.12.2000
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