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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 12, 2000

Zur weiteren Entwicklung der Handschriftenkatalogisierung

Arno Mentzel-Reuters

 

Grundsätzliches

Die Handschriftenkatalogisierung in Deutschland wird durch einen im Oktober 2000 gefassten Beschluss des Bibliotheksausschusses der Deutschen Forschungsgemeinschaft grundlegend verändert. Dieser Beschluss basiert auf einem Arbeitspapier einer vor Jahresfrist einberufenen Arbeitsgruppe "Neue Konzepte der Handschriftenerschließung"1; seine Folgen sind kaum abzuschätzen. Ausgehend von der in der Probephase befindlichen Handschriftendatenbank, von der noch zu reden sein wird, sieht man Möglichkeiten für ein stärker selektives Vorgehen und den partiellen Ersatz herkömmlicher DFG-Kataloge durch Kurztitelkataloge, also Handschriftencensus. Als Kernthese wird eine Verlagerung der Förderung von einer Handschriftenkatalogisierung zu einem "Data Mining und Knowledge Engineering" angestrebt, worunter ein "Leitkonzept für Informationssysteme zur Mittelalter- und Frühneuzeitforschung" verstanden wird.2 Dies soll primär eine Öffnung zu freieren Formen ermöglichen, als es der traditionelle Handschriftenkatalog darstellt; als Ausführungsinstanzen werden jedoch weiterhin die sogenannten "Handschriftenzentren" angesprochen.

So sehr die angestrebte Flexibilisierung an sich begrüßenswert ist, so sehr muss man jedoch befürchten, dass sie die bislang abgesicherte deutsche Handschriftenkatalogisierung für externe Begehrlichkeiten öffnet. Hintergrund der Veränderungen sind nämlich Zahlenszenarien. Hiernach wären für die abschließende Katalogisierung aller noch nicht in moderner Form erschlossenen Handschriften der Bundesrepublik Deutschland weitere 60-80 Jahre intensiver Förderung erforderlich. Die derzeitige Fördersumme beläuft sich bei ca. 30 Projekten auf immerhin jährlich 3 Mio. DM3, also etwa soviel, wie für einen größeren Sonderforschungsbereich in den Natur- oder Ingenieurwissenschaften jährlich zur Verfügung steht und doppelt so viel, wie für einen Sonderforschungsbereich der Geisteswissenschaften ausgegeben wird.4 Insgesamt stünde eine Gesamtsumme von 200 Millionen zur Debatte. Für die Deutsche Forschungsgemeinschaft mit einem Jahresetat von etwa 2,2 Milliarden DM entstünde durch ein solches Unternehmen eine erhebliche Belastung. Außerdem würde offengelegt, dass es sich um ein geschlossenes wissenschaftliches Langzeitunternehmen handelt. Für deren Förderung wären im deutschen Wissenschaftssystem jedoch eher die Akademien zuständig. In der Tat drängt sich die Frage auf, ob mit den hier skizzierten Beschlüssen ein Auslaufen der Förderung von Handschriftenerschließung auf hohem Niveau eingeleitet wird, auch wenn das vom Bibliotheksausschuss verabschiedete Papier Nachdruck darauf legt, dass Katalogunternehmen herkömmlicher Art weiterhin möglich sein und allenfalls um eine webfähige Komponente ergänzt werden sollten. Insgesamt erwartet, ohne dass dies klar ausgesprochen würde, das neue Papier eine deutlichere Orientierung an den wohlerwogenen allgemeinen Prinzipien der DFG, als die bisherige Praxis dies im Grunde tat, und verstärkt daher den Zwang zu zeitlich sehr eng umrissenen, leicht wieder zu stoppenden Einzelprojekten.5

Die Schlüssigkeit der Prinzipien der Forschungsgemeinschaft ist nicht von der Hand zu weisen. Umso dankbarer muss man dafür sein, dass die DFG mit dem Handschriftenkatalogisierungsprogramm etwas begonnen hat, das sie, von diesen eigenen Regeln her gesehen, niemals hätte anfangen dürfen. Der Grund war schlicht, dass sich kein anderer Träger hätte finden lassen, obschon der Sache nach die Akademien der Wissenschaften für derartige Unternehmen bestimmt und mit Planstellen ausgerüstet sind. Das Schicksal der 1979 eingestellten "Mittelalterlichen Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz" (MBK) kann als Modellfall dienen.6

Äußerlich musste die DFG aber dennoch an der Form von jeweils genehmigungspflichtigen Einzelanträgen festhalten. Diese Vorgehensweise ist, neben den schwerwiegenden Folgen für die Katalogbearbeiter, die auf diese Weise nur befristet beschäftigt werden können, auch Ursache für eine bedenkliche inhaltliche Entwicklung. Sie führte nämlich letztlich dazu, dass wir es nicht zu Wege gebracht haben, die großen zentralen Handschriftenbestände der Staats- bzw. Landesbibliotheken in München, Berlin und Stuttgart umfassend zu erschließen. Nimmt man die durch die deutsche Teilung als Sonderfall zu behandelnde Berliner Staatsbibliothek aus, so hätte man sehr wohl die bedeutendsten Sammlungen - die Stuttgarter Bestände problemlos, die Münchner zwar nur mit hohem aber lohnendem Aufwand – abschließend neu katalogisieren können.

Dabei sollte eine Forschungsförderung, die vom überregionalen Gesamtinteresse der Forschung ausgeht, doch vor allem da ansetzen, wo der größte und langfristige Nutzen für die Forschung zu erwarten ist. Da sich aber die Verteilung der Handschriften auf die heutigen Bibliotheken im wesentlichen durch die Säkularisation im frühen 19. Jahrhundert ergab, gibt es eine unverhältnismäßig hohe Konzentration von hochrangigen Handschriften in wenigen bedeutenden Bibliotheken. Daher kommt kaum eine mediävistische oder frühneuzeitliche quellenbasierte Studie ohne Schriftwechsel mit diesen Bibliotheken aus, wo nicht sogar Studienaufenthalte erforderlich werden. Schon rein quantitativ bedienen diese wenigen Einrichtungen den Löwenanteil der quellenorientierten Kontakte zwischen Fachwissenschaft und Bibliothek.7 Das belegen auch die Handschriftenkataloge selbst. Nimmt man etwa in den neueren deutschen Handschriftenkatalogen die Registereinträge zu den zitierten Handschriften anderer Bibliotheken (das Lemma "Handschriften, zitierte"), so wird man sofort, bei aller Zufälligkeit sonstiger Nennungen, den überproportional hohen Anteil der Handschriften der Gruppe "Cgm" (Codices germanici Monacenses) der Münchner Staatsbibliothek erkennen, wo man von Cgm 1 an die mittelalterlichen Bestände neu erschlossen hat. Was uns zur Verfügung stünde, wenn man ein ähnliches Instrument für die mittelalterlichen Handschriften der Codices latini Monacenses (Clm) besäße, lässt sich nur erahnen.8 Natürlich ist es immer misslich, ein Katalogprojekt gegen ein anderes aufzuwiegen – aber genau dies ist und war das wissenschaftspolitische Geschäft der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Ihr Etat ist eben nicht unerschöpflich.

Wenn auch die Lage in Berlin oder Stuttgart seitens der Wissenschaft keineswegs euphorisch umschrieben werden kann, so ist doch die Situation an der Münchner Staatsbibliothek weit bedenklicher. Man mag bibliothekspolitisch zu dieser Einrichtung stehen wie man will - ihre Handschriftenbestände sind neben der Bibliothéque Nationale in Paris, dem Britischen Museum in London und der Bibliotheca Vaticana die reichsten der Welt. Nun kann keine dieser soeben genannten Bibliotheken auf eine den modernen Anforderungen gerecht werdende abgeschlossene Handschriftenerschließung verweisen, aber erstens sind die Versäumnisse des Auslands keine Entschuldigung für eigene Fehlgriffe und zweitens steht München zumindest hinter der Bibliothéque Nationale und der Vaticana zurück.9

Die Frage, wie man die unzureichend erschlossenen Bestände vor allem in München angehen soll, ist also nicht bloß eine regionale Frage, sondern eine nationale, wo nicht eine des Weltkulturerbes. Sie wurde durch die Arbeitsgruppe und den Bibliotheksausschuss nicht einmal angegangen.10 Das war in der Frühphase der DFG-Katalogisierung anders. 1963 hat man dieses Projekt durchgerechnet. Man kalkulierte 200-300 Mannjahre.11 Die hier zu bewältigende Masse ist nicht durch bloße höhere lokale Eigenverantwortung aufzufangen, sie bedarf der öffentlichen Förderung. Die ansonsten von der DFG angeregten Kurzregister liegen bereits vor, sogar in elektronischer Form (aufgrund einer privaten Initiative, wir werden davon noch hören). Natürlich kann man diese Register mit Literaturnachweisen und Abbildungen anreichern, aber ein schaler Beigeschmack würde bleiben. Es wäre - um dem Herzen einmal Luft zu machen - der schiere Triumph der deutschen Kleinstaaterei und der wissenschaftspolitischen Gießkanne über ein Weltkulturerbe.

Doch auch für kleinere Bestände wird die Tauglichkeit der Vorschläge des Bibliotheksausschusses zu prüfen sein.

 

Census-Kataloge

Grundsätzlich gilt:

  1. Je kürzer und knapper eine Information aufbereitet ist, desto sinnvoller ist ihre Präsentation im Internet, je komplexer sie ausfällt, desto mehr wird man die "konventionelle" Buchform bevorzugen – möglicherweise ergänzt durch elektronische Indices oder Volltextretrieval.
  2. Je mehr eine Information graphische Aufarbeitung verlangt, insbesondere Photographien, desto kostspieliger fällt eine Drucklegung aus und desto mehr empfiehlt es sich, sie in digitalisierter Form zu verbreiten.

Dieser zweite Punkt hebt aber den ersten nicht auf, nicht einmal für den Bereich der graphischen Information. Die Aufbereitung einer gescannten Handschriftenseite für eine intensive wissenschaftliche Benutzung erzeugt ein Dateisystem, das wegen seines Datenvolumens nicht mehr webfähig ist; außerdem erfüllen die heutigen Graphikkarten und Bildschirme noch längst nicht alle Wünsche.

Daraus folgt, dass das Web für Kurzkataloge, denen man ausgewählte Images beifügt, ein ideales Medium ist. In dieser Form könnte in der Tat manches einfach mit einem Bild gesagt werden, was in der raffiniertesten einbandkundlichen oder paläographischen Nomenklatur nicht gesagt werden kann. Nur sollte man berücksichtigen, dass den Einsparungen bei der Katalogisierung und der Drucklegung erhebliche Kosten bei der Webgestaltung gegenübertreten. Natürlich kann man ein Image einer Handschriftenseite durch Mapping für Vergrößerungen, Präsentation von wichtigen Details usw. aufbereiten. Aber dies muss jemand mit Sachverstand planen, muss jemand mit Sachverstand aktiv am Bildschirm definieren und in die geeignete Dateistruktur einpassen. Die Erfahrungen mit dem Merseburger Katalog, auf den ich noch zu sprechen komme, lassen mich weniger optimistisch sein als es der Bibliotheksausschuss offenbar ist.

Kurzkataloge sind jedoch auch grundsätzlich bedenklich.12 Man muss bei der Anlage eines Handschriftenkatalogs davon ausgehen, dass die meisten Katalogbenutzer die Handschrift selbst nicht vorliegen haben. Wäre dies nicht so, könnte ein großer Teil der Angaben entfallen und könnte sich das Katalogisat auf eine Art Inhaltsverzeichnis reduzieren lassen. Ohne die Handschriften oder wenigstens ihre vollständige Wiedergabe sind Kurzkataloge also wenig hilfreich; ob sie für eine Erschließung von vollständig digitalisierten Handschriften hinreichen, wird das an der Kölner Universität anlaufende Projekt der Digitalisierung der Handschriften der Kölner Dombibliothek zeigen.13

Beachtenswert ist der Vorschlag der DFG, man solle die an den Bibliotheken (meist als Zettelkasten) geführten Forschungsdokumentationen "im World-Wide-Web zugänglich zu machen und ein netzbasiertes interaktives System zur Fortschreibung solcher Forschungsdokumentationen zu schaffen".14 Dies wäre ein wichtiger Beitrag zur Ergänzung der abgeschlossenen Kataloge; allerdings darf man sich nicht – wie leider viele Bibliotheken, die solche Dokumentationen führen - in der Illusion wiegen, man könne auf der Grundlage von Verpflichtungserklärungen der Bibliotheksbenutzer wirklich einen Überblick über die Forschung zu den Handschriften erhalten. Vieles vollzieht sich ohne Kontaktaufnahme mit den Bibliotheken aufgrund der Kataloge, von unkontrollierbar weitergereichten Mikrofilmen und, so vorhanden, erst recht von Faksimiles. Je ausführlicher die Dokumentation einer Handschrift – womöglich gar im Internet - gestaltet wird, desto weniger besteht ein Grund, die besitzende Bibliothek zu kontaktieren, geschweige denn einen Sonderdruck abzuliefern. Wie soll das bewältigt werden? Allein die Sichtung der im Internet zur Handschriftenforschung angebotenen Seiten übersteigt bei weitem das Arbeitspensum eines einzelnen Mitarbeiters; die Übersichtsseiten "Handschriftenforschung im Internet" von Klaus Graf in Koblenz15 etwa, zweifellos das Beste, was wir haben, legen ein beredtes Zeugnis davon ab, wie sehr ein einzelner überfordert ist, zumal, wenn er dies nur neben oder am Rande seiner Dienstzeit erledigen kann. Es wäre sinnvoller, ein Handschriftendokumentationszentrum einzurichten, das Meldungen der Bibliotheken entgegennimmt und vor allem von sich aus aktiv wissenschaftliche Literatur sichtet. In der deutschen Wissenschaftslandschaft ist dies jedoch kaum zu finanzieren, da es mit Dauerstellen verbunden sein müsste.

 

Elektronisch basierte Handschriftenerschließung

Seit etwa 1993 wird die Diskussion um eine deutsche Handschriftendatenbank geführt. Ein Prototyp16 entstand unter Verwendung des Programmsystems HIDA17, das Mitte der 80er Jahre für die elektronische Indexierung zum Marburger Bildindex entwickelt und seither von verschiedenen Seiten getestet wurde. Die Beurteilung fällt zwiespältig, teilweise gar negativ aus.18 Besonders stieß sich die Kritik aus der Sicht der Handschriftenbearbeiter an der mangelnden Benutzerfreundlichkeit, ja der schieren Unfähigkeit, die Struktur einer komplexen Handschrift wirklich abbilden zu können. Statt dessen werden für die Erstellung eines neuen Katalogisats eine ganze Reihe von zusätzlichen Erfassungsarbeiten verlangt. Für jedes "Dokument" (was nicht nur in etwa jedem zu beschreibenden Text entspricht, aber auch Teiltexten, wie jede erwähnte Einzelpredigt aus einer Sermones-Reihe, jedem Bibelprolog usw.) ist ein Normdatensatz anzulegen, der neben Verfasserangaben, Initium und Explicit auch Literaturhinweise enthalten sollte. Dies soll später einmal zu Rationalisierungseffekten führen, denn die Handschriftenkataloge sind durch eine enorme Redundanz von stereotypen Kommentaren und Literaturhinweisen geprägt.19 Das wäre durch eine Normdatei sicher abzufangen, doch müsste diese weit über das hinausgehen, was aktuelle bibliothekarische Normdaten bieten. Es bedeutet also vorerst enorme Aufbauarbeit. Ob der Abschluss eines solchen Werkes realistisch ist, braucht man nicht zu diskutieren – es ist illusorisch, insbesondere bei dem zeitlichen Druck, unter dem DFG-Projekte stehen.20 Selbst bei bescheideneren Projekten – etwa der retrospektiven Zusammenführung von mediävistischen Standardrepertorien in einer Datenbank – sollte man sich hinsichtlich der technischen Realisation keine Illusionen machen. Es muss zur Digitalisierung unweigerlich das Erschließen des Digitalisierten treten, sonst schafft man nur weitere Zahlen- und Imagegräber. Dies ist für Initienverzeichnisse noch vergleichsweise rasch zu leisten – obschon auch hier Fallstricke genug lauern – aber bei Einbandstempeln, Wasserzeichen21 usw. sind erhebliche Normierungsarbeiten erforderlich, von Schriftproben ganz zu schweigen.22

Bei dem Ruf nach digitalen Hilfsmitteln muss man sich immer vergegenwärtigen, dass nicht alles für eine Digitalisierung geeignet ist. Vieles ist auf nicht absehbare Zeit sehr wohl besser in gedruckter Form zu benutzen. Eine andere Arbeitsgruppe der DFG hat dies mit aller wünschenswerten Klarheit herausgestellt.23 Daher ist bei der von der Bayerischen Staatsbibliothek im Auftrag der DFG übernommenen Digitalisierung der gedruckten Handschriftenkataloge die Verbindung mit den bereits maschinenlesbar erfassten Lemmata der Register wichtig. Denn das System wird nicht auf Volltexten beruhen, sondern auf Abbildungen der Druckseiten. Auf diese Weise wird das Retrieval enorm beschleunigt, aber nicht erweitert. Der Mehrwert besteht also in einer katalogübergreifenden Suche und einer rascheren Erreichbarkeit des jeweiligen Katalogisats. Jedoch können Katalogisate von spätmittelalterlichen Sammelhandschriften leicht über zehn Seiten Text im Quartformat umfassen. Diese sind am Bildschirm nicht mehr studierbar. Überhaupt müsste bei einer stärkeren Einbindung der Handschriftenkataloge ins Internet berücksichtigt werden, dass sich die Textkataloge weit weniger eignen als stark an Bilder gebundene Kataloge datierter oder illuminierter Handschriften.24 Außerdem wird die Bereitstellung älterer Katalogwerke unweigerlich den Wunsch nach Nacharbeiten evozieren – vor allem bei den Katalogen vor 1945, die in der Regel keine Initienregister enthalten. Diese sind nur von Fachleuten und natürlich nur als Volltexte zu erstellen.

Schließlich muss bedauert werden, dass nirgends Überlegungen angestellt werden, wie die bereits realisierten elektronischen Handschriftenkataloge in solche Großprojekte einzubinden sind, obschon das Internet doch im Grunde genau für verteilte Systeme geschaffen ist. Man sollte frühzeitig daran denken, um den Entwicklern und Herstellern wenigstens einen gewissen Standard nahezulegen, da der Wildwuchs an Programmen recht groß ist und das Medium sich für eine Öffnung des Handschriftenkataloges zum Ausstellungskatalog besonders gut eignet und damit einen größeren Interessentenkreis ansprechen als die herkömmlichen Handschriftenkataloge.

Wer sich nun im Internet umsieht, wird vieles bereits realisiert finden, für das die DFG noch Pilotprojekte plant. Mehr wegen der unmittelbaren Kenntnis der Interna sei hier das von der Bibliothek der Monumenta Germaniae Historica betriebene Digitalisierungsprojekt eines älteren Kataloges der Handschriften der Domstiftsbibliothek Merseburg beschrieben. Es zeigt sowohl Möglichkeiten als auch Grenzen solcher Digitalisierungen auf: Das fehlende Register kann auf Image-Basis kaum ersetzt werden, selbst wo die Beschreibungen alle relevanten Angaben enthalten. Walther Holtzmann (1891-1963), ein langjähriger Mitarbeiter der Monumenta, hat vor nicht ganz siebzig Jahren einen fast abgeschlossenen Katalog dieser nicht unbedeutenden Sammlung angelegt (mit Ms. 1-171 von insgesamt 208 Codices sind alle mittelalterlichen Stücke enthalten). Dieser selbst als Manuskript erhaltene Katalog war in der Bibliothek der Monumenta im Grunde auch seit je zugänglich – vorausgesetzt, man wusste um seine Existenz.25 Die digitale Umsetzung muss zum einen das Original repräsentieren und zum anderen die zum Teil über mehrere Stellen verstreuten Hinweise zu dem jeweiligen Codex zusammenführen (z. B. Literaturnotizen, Bildmaterial zu 83 oder verschiedene Versionen der Katalogisate von Cod. 37 und 39). Das erfordert ein genau angepasstes Navigationsmenü (hier in JavaScript) und bei Bedarf weitere Navigationselemente. Aus einer tabellarischen Übersicht über die Handschriften (eigentlich eine Abschrift des in Merseburg selbst aufbewahrten Inventars26) wurde durch Image-Mapping eine Art Register geschaffen, so dass durch Anklicken der jeweiligen Zeile im Bild auf die ausführliche Holtzmann’sche Beschreibung umgeschaltet werden kann. Die erforderliche Nachbearbeitung war durchaus erheblich.

Noch weiter reicht die Initiative der Universitätsbibliothek Leiden. Sie stellte die Volltext-Digitalisierung eines älteren Katalogs abendländischer Handschriften von 1932 vor, der die anderen Leidener Kataloge teilweise ergänzt – die Kataloge der Codices Vulcaniani, Codices Bibliothecae Publicae Latini und der Codices Perozoniani sind vorher erschienen -, zum größten Teil jedoch durch neuere Arbeiten überholt ist (insbesondere bei den Codices Vossiani latini).27 Der Gewinn liegt vor allem darin, dass ein Volltext durchsucht werden kann und dass ein einheitliches Register über den gesamten Handschriftenbestand hinweg vorliegt.28 Außerdem wurde eine Bildsammlung beigefügt (der sogenannte "digitale paleografische atlas, schriftspecimina van middeleeuwse handschriften"29).

Für die Handschriften des ehemaligen Königsberger Staatsarchivs, die zum größeren Teil verloren sind, wurde vom BIS Oldenburg eine Datenbank geschaffen.30 Sie könnte technisch auch ausführliche Handschriftenbeschreibungen bewältigen – zur Zeit ist sie lediglich mit sehr disparatem Demonstrationsmaterial unterschiedlicher Herkunft besetzt und bietet daher Kurzeinträge neben Vollbeschreibungen (letztere sind teilweise aus dem von Ralf Päsler bearbeiteten Katalog der deutschen Handschriften in Königsberg übernommen31).

In einer gemeinsamen privaten Initiative haben der Münchner Ordinarius Benedikt Vollmann und der Handschriftenbearbeiter Erwin Rauner die alten Kataloge der BSB zum ersten deutschen Handschriftenkatalog auf Volltextbasis konvertiert. Das von Rauner konzipierte Programm wurde bereits für einen elektronischen Katalog von Petrarca-Handschriften mit ausführlichen Beschreibungen verwendet.32 Diese Projekte ermöglichen damit eine Demonstration für das Verfahren, das zu Beginn der Diskussion um die Handschriftendatenbank vorgeschlagen wurde.33 Dieses Verfahren ist aufwendiger und mächtiger als jedes rein auf Bilddateien basierende System, da es Zugriffe auf Elemente erlaubt, die nicht in die Register aufgenommen wurden. Die historischen Münchner Katalogbände von Halm und Schmeller können hier sowohl als fortlaufender Text wie als Übersicht der Schlagzeilen betrachtet und durchsucht werden, die Suchsprache ist etwas gewöhnungsbedürftig. Die Suche nach von Schmeller aufgenommenen Textzitaten, die ja als solche nicht durch Register erschlossen sind, fördert durchaus manches zu Tage, unproblematisch aber ist das Ergebnis natürlich nicht.34 Man erhält Zufallstreffer, die dennoch u. U. wertvoll sein können, wenn alle anderen Mittel versagen; die Schwäche darf im übrigen nicht dem elektronischen System angelastet werden, das ja eher die Schwächen des gedruckten Werkes kompensiert. Bei Katalogen wie dem der Handschriften der Danziger Marienbibliothek von Otto Günther35 wäre die Ausbeute umfassender, da dort sehr sorgfältige Textzitate gesetzt worden sind, jedoch – wie bei fast allen deutschen Handschriftenkatalogen vor 1945 - auf ein Initienregister verzichtet wurde.

 

Folgerungen

Die über Jahrzehnte methodisch unbewegliche Handschriftenerschließung ist stark in Bewegung geraten. Man darf also davon ausgehen, dass derzeit Weichenstellungen erfolgen, deren Auswirkungen erst nach Jahren wirklich spürbar werden. Die Beschlüsse des Bibliotheksausschusses tragen der Vielfalt dieser Entwicklungen jedoch nur bedingt Rechnung. Der Wunsch der Forschung nach besserer Erschließung von Überlieferungs- und Rezeptionszusammenhängen wird bislang nur durch das von Rauner entwickelte System wirklich umgesetzt, es enthält Algorithmen, die aus der Fülle der Sammelhandschriften ähnlich konzipierte Überlieferungsträger heraussuchen können. Alle anderen Verfahren hängen zu sehr an der äußeren Anlage des gedruckten Buches und nutzen die wirklichen Chancen der EDV nicht. Diese sind aus dem Papier der DFG im übrigen gar nicht erkennbar. Es mangelt auch an einem Überblick über die nicht von zentraler Förderung getragenen Einzelinitiativen, die in mancher Hinsicht – insbesondere übrigens im Bereich der Benutzerfreundlichkeit und überhaupt der Verwendung aktueller Technologie - weiter gediehen sind als die zwangsläufig schwerfälligeren, wissenschaftspolitisch gebundenen Projekte der Forschungsgemeinschaft.

Hier ist sicher noch Entwicklungsarbeit zu leisten – und zwar sowohl in den Bibliotheken wie in den Fachwissenschaften. Besonders letztere halten sich mehr vornehm zurück. Damit begeben sie sich allerdings auch der Chance, von sich aus angemessene und realistische Forderungen an die Bibliotheken zu richten. Es sind aber wichtige Weichenstellungen zu treffen.

Dabei ist natürlich zu beachten, dass weniger das nunmehr vorliegende Papier als die zukünftige Genehmigungspraxis der Forschungsgemeinschaft darüber entscheiden wird, welche Richtung die nationale Handschriftenerschließung nehmen wird. Bibliotheken und Wissenschaft müssen jedoch damit rechnen, dass sich die DFG weiter aus der Handschriftenförderung zurückzieht. Die "neuen Konzepte" lassen eine solche Marschrichtung durchaus zu. Es ist jedoch fraglich, ob man dies einfach hinnehmen sollte. Auch sollte man nicht zögern, Forderungen und eigene Modelle – ggf. auch ohne Inanspruchnahme der DFG – zu entwickeln.

 

1 Neue Konzepte der Handschriftenerschließung. Informationssysteme zur Erforschung des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Vorlage der Arbeitsgruppe "Neue Konzepte der Handschriftenerschließung" für die Beratung des Bibliotheksausschusses auf seiner Sitzung am 05./06.10.2000. Bonn 2000, 27 S.

2 Neue Konzepte (wie Anm. 1) S. 5.

3 Angaben nach: http://www.dfg.de/foerder/biblio/handschriften/. - Eine Übersicht über die derzeit von der DFG geförderten Katalogisierungsprojekte für abendländische Handschriften findet sich unter http://www.dfg.de/foerder/biblio/handschriften/projekte.html. Es handelt sich um 33 Projekte, von denen zehn an der Bayerischen Staatsbibliothek, je vier in Berlin und Frankfurt und je drei in Kassel und Stuttgart angesiedelt sind, der Rest ist gestreut.

4 Deutsche Forschungsgemeinschaft, Jahresbericht 1999, Bd. 2. Programme und Projekte. Bonn 2000. Die SFB Geisteswissenschaften sind aufgeführt S. 583-622.

5 Dementsprechend wurde schon vorher die Genehmigungspraxis dahin umgestellt, dass nicht mehr Bibliotheksbestände als solche für die Katalogbearbeitung bewilligt werden, sondern nur mehr einzelne Katalogbände, deren jeder als einzelnes Projekt zu gelten hat.

6 Bemerkenswert, dass nunmehr seitens der DFG die Stagnation dieses Projektes moniert wird, vgl. Neue Konzepte (wie Anm. 1) S. 14.

7 Zu den Chancen einer solchen Zentrierung vgl. Klaus Garber: Erwartungen der Wissenschaft an Erschließung und Benutzungsmöglichkeiten älterer Literatur. Deutscher Nationalkatalog und Deutsche Nationalbibliothek, eine gesamtdeutsche Aufgabe im gesamteuropäischen Kontext. In: Literaturversorgung in den Geisteswissenschaften, 75. Deutscher Bibliothekartag in Trier 1985. Frankfurt 1986 (Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie. Sonderhefte 43), S. 206-233, hier S. 209 f.

8 Zu den Größenordnungen: Cgm umfasst 1570, Clm jedoch 13.860 mittelalterliche Handschriften.

9 Die auf Kurztiteln basierten Kataloge des Britischen Museums entsprechen in Form und Anlage noch am ehesten den Münchner Kurzkatalogen von Halm und Schmeller.

10 Neue Konzepte (wie Anm. 1) S. 27 versucht lediglich, die bislang geleistete Teilkatalogisierung webfähig zu machen und gleichsam das Warten auf das Erscheinen eines gedruckten Bandes abzukürzen. Was aber ist mit der Gesamtmasse der Codices latini Monacenses?

11 Vgl. Gustav Hofmann: Stand der Handschriftenkatalogisierung, in: Köttelwesch, Clemens (Hrg.): Zur Katalogisierung mittelalterlicher und neuerer Handschriften, Frankfurt a.M. 1963 (Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie. Sonderheft), S. 2-16, hier S. 12 f., wo für die Neukatalogisierung der mittelalterlichen lateinischen Handschriften (Clm) werden dort 10 Akademiker mit einem Beschäftigungszeitraum von 20-30 Jahren angesetzt werden.

12 Man vgl. die Reaktionen auf den Kurzkatalog der Handschriften in Ottobeuren von Hermann Hauke: Alexander Patschovsky im Deutschen Archiv für Erforschung des Mittelalters 31 (1975), S. 236-238 und Raimund Kottje in der Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben 69 (1975), S. 140 f.

13 Dieses DFG-finanzierte Unternehmen wird im Papier des Bibliotheksausschusses seltsamerweise nicht erwähnt.

14 Neue Konzepte (wie Anm. 1) S. 10.

15 http://www.uni-koblenz.de/~graf/hsslink.htm.

16 Der Prototyp ist benutzbar unter: http://www.fotomr.uni-marburg.de/HS-bank.htm. Ausführlich hierzu: Lutz Heusinger, Projekt "Handschriftendatenbank", Vortrag auf der von der DFG ausgerichteten Internationalen Handschriftenbearbeitertagung in Leipzig 1999, Adresse: http://www.dfg.de/foerder/biblio/handschriften/heusinger.html; vgl. auch Joachim Ott: Protokoll der Diskussion zum Thema "Handschriftendatenbank", Adresse: http://www.dfg.de/foerder/biblio/handschriften/ott.html.

17 Eine Übersicht bietet der Vortrag von Lutz Heusinger; Migration einer Datenbank – Erfahrungsbericht aus der HIDA-Entwicklung (EDV-Tage Theuern 1997), Adresse: http://www.bayern.de/HDBG/t97heusi.htm.

18 Eef Overgaauw: Die Datenbank "Handschriften des Mittelalters" aus der Sicht eines Handschriftenbearbeiters, Vortrag auf der Internationalen Handschriftenbearbeitertagung in Leipzig 1999, Adresse: http://www.dfg.de/foerder/biblio/handschriften/overgaau.html, ähnlich Joachim Ott, Klaus Graf: Handschriftenforschung im Internet, Adresse: http://www.uni-koblenz.de/~graf/hsslink.htm.

19 Die enorme Redundanz zwischen den Beschreibungen könnte durch Fremddatennutzung erheblich verbessert werden. Die Lösung scheint mir eher in einer elektronischen Volltextversion wenigstens ausgewählter Kataloge zu liegen als in der opulenten Datenbank. Vgl. Arno Mentzel-Reuters, Vorüberlegungen zu einer Handschriftendatenbank, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie 41 (1994), S. 476-499, hier S. 488 f.

20 Vgl. die Forderung bei Mentzel-Reuters (wie Anm. 19), S. 491: "Der Handschriftenbearbeiter erstellt also nicht die Datenbank (ebensowenig, wie er im konventionellen Verfahren an der Druckmaschine steht), er erstellt die Daten ... der eigentliche Handschriftenbearbeiter ist und bleibt für den Inhalt der Katalogisate verantwortlich, nicht für ihre formale Aufbereitung."

21 Ein erstes Modell kann man bei der Österreichischen Akademie der Wissenschaften betrachten: http://www.oeaw.ac.at/~ksbm/wz/wwwdb/index.htm. Als Hilfsmittel für die Praxis dürfte diese Version jedoch noch weit hinter den gedruckten Repertorien zurückstehen.

22 Wenig sinnvoll ist der Gedanke der Arbeitsgruppe, ein Repertorium der Handschriftenkataloge - Paul O. Kristeller: Latin manuscript books before 1600, a list of the printed catalogues and unpublished inventories of extant collections. 4th revised and enlarged ed. by Sigrid Krämer. München 1993 (MGH Hilfsmittel 13) – zu "digitalisieren" (als Images?) Die neueren Handschriftenkataloge sind in jedem Bibliotheksverbund oder zentral (einschließlich nur als Website publizierter Listen) im Katalog der Bibliothek der Monumenta Germaniae Historica http://www.mgh.de/bibliothek/katalog.html recherchierbar, die bei Kristeller aufgeführten ungedruckten Inventare dürften sich in Zukunft kaum vermehren und sind ohnedies ja nur lokal zugänglich.

23 Retrospektive Digitalisierung von Bibliotheksbeständen für eine Verteilte Digitale Forschungsbibliothek. Bericht der Facharbeitsgruppe Inhalt zur Vorbereitung des Programms "Retrospektive Digitalisierung von Bibliotheksbeständen" (..), Internet-Adresse: http://www.sub.uni-goettingen.de/ebene_2/vdf/empfehl.pdf.

24 Solche Katalogwerke würden im Internet auch zum ersten Mal wirkliche Verbreitung finden, da sie als Druckwerke wegen ihrer enorm hohen Kosten (der einzelne Band oft über DM 500) erstmals auch an weniger kaufkräftigen Einrichtungen zur Verfügung stünden.

25 Das Werk ist z. B. nicht genannt bei Kristeller (wie Anm. 22), vgl. zu Merseburg dort sonst S. 587.

26 Vgl. Kristeller (wie Anm. 22) S. 587.

27 Vgl. Kristeller (wie Anm. 22) S. 520 f.

28 Das Register ist direkt abrufbar unter http://www.etcl.nl/bc/whs/catalogi/catcomp1/.

29 Die angegebene Adresse: http://www.etcl.nl:8080/bc/bnm/zoek.htm ließ sich jedoch trotz mehrfacher Versuche nicht aufrufen.

30 Kurzverzeichnis der Handschriften des ehemaligen Königsberger Staatsarchivs. Ein Projekt des FB 11 – Germanistik der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, des BIS Oldenburg und des Geheimen Staatsarchivs–PK Berlin, Projektleiter Uwe Meves, Projektbearbeiter Ralf G. Päsler, Oldenburg 2000, Internet-Adresse: http://www.bis.uni-oldenburg.de/kbg_hss_archiv/.

31 Katalog der mittelalterlichen deutschsprachigen Handschriften der ehemaligen Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, nebst Beschreibungen der mittelalterlichen deutschsprachigen Fragmente des ehemaligen Staatsarchivs Königsberg, auf der Grundlage der Vorarbeiten Ludwig Deneckes erarbeitet von Ralf G. Päsler, hg. von Uwe Meves München 2000 (Schriften des Bundesinstituts für ostdeutsche Kultur und Geschichte 15).

32 Vgl. die Rezension Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 54 (1998), S. 590 f. und 593.

33 Mentzel-Reuters (wie Anm. 19), S. 494: "Vielleicht wäre es sinnvoll, wenigstens probehalber sogar einen der gedruckten Vorkriegskataloge zu scannen. Diese haben nämlich oft – trotz sonst fundierter Anlage – ein ganz wichtiges Arbeitsinstrument nicht: das Initienregister. ... Die Anlage und Publikation neuer Initienregister zu alten Katalogen wäre teuer, aufwendig und irgendwie auch eigenartig. Hier wäre es weit sinnvoller, die alten Kataloge maschinenlesbar zu erfassen und als Datei suchbar zu machen."

34 Als Testfrage wurde das Adventsinitium "Hora est iam" (Rm 13,11) verwendet.

35 Die Handschriften der Kirchenbibliothek von St. Marien in Danzig, bearbeitet von Otto Günther. Danzig 1921 (Katalog der Danziger Stadtbibliothek 5).


Stand: 15.12.2000
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