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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 6, 2000

Print on Demand

Nur ein neues Schlagwort im Buchsektor oder eine neue Chance, die Vielfalt zu verbreiten?

Katrin Schaffner, Ingo-Eric M. Schmidt-Braul

 

Print on Demand als Dienstleistung auf Grundlage des Digitaldrucks wird sich in den nächsten fünf Jahren um 25% steigern; bis zum Jahr 2010 sollen 62% der Fachpublikationen nur noch elektronisch verfügbar sein. Zu dieser Prognose gelangen zwei im Rahmen des Projektes NEW BOOK ECONOMY_BIS (Building of the Information Society) in Deutschland durchgeführte Untersuchungen, die sich mit Fragen zur Beschäftigungssituation und zu Tätigkeiten im Buchsektor im nächsten Jahrzehnt auseinandersetzen.1

Print on Demand (PoD) als eine neue Möglichkeit, Bücher zu produzieren und zu vertreiben, könnte für eine Vielzahl von Verlagen interessant sein: Produktion eines Titels erfolgt auf Bestellung, der sog. Just-in-time-Druck; daneben der personalisierte Bedarfsdruck, wie der Brockhaus-Verlag mit seiner Millenniums-Ausgabe unlängst bewies, sind vielversprechende neue Alternativen zu konventionellen Abläufen.

Bislang wird PoD in bestehende Geschäftsmodelle integriert. Die Vorteile des Verfahrens können jedoch erst dann vollkommen genutzt werden, wenn sich Verlage dem multiple media publishing zuwenden, was bedeutet, eine neue Sicht auf den bisherigen Markt zu entwickeln, sein eigenes Marktpotential nicht nur zu sichern, sondern darüber hinaus zukunftsfähig durch die Nutzung digitaler Medien zu erweitern. Es bedeutet weiterhin, das Qualifikationsniveau nahezu aller Beschäftigten im Verlag sowie bei Dienstleistern im Vorstufenbereich und Druckereien den veränderten Anforderungen anzupassen. Dadurch, dass Titel nur noch virtuell gelagert werden, verändern sich auch Bestellwesen und Logistik gravierend. Entscheidend für den langfristigen Erfolg von PoD als workflow ist ein geschlossener rationalisierter Ablauf von der Freigabe des Manuskriptes bis zur Auslieferung des Buches auf dem Markt resp. der Veröffentlichung in anderen Trägermedien. Dieser geschlossene Ablauf ermöglicht eine effiziente, kostengünstige Produktion kleinerer bis hin zu Kleinstauflagen. Dafür ist allerdings auch ein nicht geringer Kapitalaufwand notwendig.

Im Rahmen des multinational durchgeführten Projektes NEW BOOK ECONOMY_BIS (Building of the Information Society), das auf eine Initiative des Europarates zurückgeht und aus Mitteln der Gemeinschaftsinitiative ADAPT des Europäischen Sozialfonds gefördert wird, fanden im Januar und Februar dieses Jahres zwei Symposien statt, auf denen sich internationale Fachleute intensiv mit dem Thema Print on Demand auseinandersetzten.

Vom 20.–21. Januar 2000 führten der Europarat und die IBA Internationale Medien & Buch Agentur, Berlin gemeinschaftlich den ersten Europäischen Workshop zu Print on Demand durch. Dabei sollte möglichst umfassend über wirtschaftliche, kulturelle sowie rechtliche Aspekte von Print on Demand informiert werden und gleichzeitig ein Forum für den Austausch von Erfahrungen zwischen den in diesen Wirtschaftszweig involvierten Hauptakteuren geschaffen werden. Das Aus für vergriffene Titel, der Wert elektronischer Titelkataloge für Verlage und Buchhandlungen, Strategien für Bibliotheken und Archive für die kostengünstige Produktion mittels PoD waren Themen, die in diesem Forum diskutiert wurden.

Der kulturpolitische Wert von Print on Demand, so Peter Curman, Autor und Präsident des Schwedischen Kommittees für Künstler- und Literaturberufe KLYS, liegt zu allererst in der Beförderung kultureller Vielfalt. Die Möglichkeit, Literaturgattungen wie Lyrik, auf dem Literaturmarkt gemeinhin als schwerverkäuflich bezeichnet, wie auch Werke unbekannter Autoren in kleinen Auflagen zu produzieren, mindert das finanzielle Risiko für Verlage und trägt, werden solche Nischen weiterhin auf dem Markt bestehen, zu Demokratie und Meinungsfreiheit in unserer Gesellschaft bei.

Im Verlauf des Workshops wurden ein Print-on-Demand Business-Modell, Drucktechniken und -technologien für den Arbeitsprozess sowie Strategien für Marketing und die Distribution praxisbezogen vorgestellt. Darüber hinaus wurden ökonomische Aspekte des Verfahrens sowie Möglichkeiten und Grenzen der Produktion kleiner Auflagen kontrovers diskutiert. Kulturpolitische und rechtliche Fragen von Print on Demand waren weitere Themenkomplexe. Ausgehend von den Erfahrungsberichten zweier Autoren aus Italien und Frankreich, die PoD entdeckt hatten und damit entdeckt wurden, wurden die Bedeutung von PoD für weniger populäre Literaturgattungen, für weniger verbreitete Sprachen und Kulturen sowie die möglichen Funktion in der Literaturproduktion diskutiert. Beinahe noch wichtiger ist PoD jedoch für spezifische Fachpublikationen und Lernmaterialien. In diesem Zusammenhang wurden die Funktion Virtueller Bibliotheken, die Digitalisierung alter Bestände und damit der Zugang für die Öffentlichkeit bzw. das Fachpublikum thematisiert. Eine entsprechende Erneuerung der Ansätze im Bildungswesen ist eine logische Konsequenz.

Die alle beschäftigende Copyright-Frage bei elektronischen Medien war bei beiden Symposien sowohl unter juristischen Aspekten wie auch hinsichtlich der für den Umgang damit erforderlichen Kompetenzen in den Unternehmen Thema. Unter Kenntnisnahme europäischer Bestrebungen wurden Überlegungen zu möglichen Empfehlungen angedacht, die auch den Komplex des cross media publishing (und damit auch Print on Demand) berücksichtigen sollen. Novellierungen bestehender nationaler Gesetze und internationaler Vereinbarungen sind seit langem in Arbeit. Unberücksichtigt ist bisher jedoch der Umgang in Verlagen und Bibliotheken mit der Vielzahl der bei Multimedia-Produkten zu berücksichtigenden unterschiedlichen Urheberrechte. Mitarbeiter müssen über spezifische Kompetenzen verfügen, die ihnen im Rahmen von Fortbildungen vermittelt werden müssen.

Im Anschluss daran fand das erste internationale NBE_BIS-Symposium vom 3.–4. Februar 2000 in Strasbourg statt, das einen Gesamtüberblick über die unterschiedliche Akzente setzenden nationalen Projekte, ihre Erfahrungen und Ergebnisse bot. Auch hier stand das Thema Print on Demand / neue Technologien im Buchsektor in einem übergreifenden Zusammenhang: Präsentiert und diskutiert wurden die damit verbundenen Rollen und Funktionen der einzelnen Akteure, potentielle neue Arbeits- und Geschäftsfelder sowie Konsequenzen für die Aus- und Weiterbildung. Die Intention des Projektes NEW BOOK ECONOMY, mittels Qualifizierung zur Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen im Buchsektor beizutragen, wurde hier überzeugend deutlich.

Berichtet wurde auf diesem Symposium auch über konkrete Maßnahmen zur Beförderung des kompetenten Umgangs mit neuen Technologien in Bibliotheken, Verlagen und Buchhandlungen. Das Verhältnis zwischen gedruckten und elektronischen Medien wird sich zunehmend in Richtung Konvergenz entwickeln, d.h. in der Zukunft wird Publizieren auf Basis von Volltext-Datenbanken erfolgen, deren Daten für unterschiedliche Medien, im Sinne des multiple media publishing, genutzt werden können. Dazu gehören zum einen Print on Demand und der Kleinauflagenbereich, zum anderen neue Informationsdienstleistungen – Information on Demand.

Im Bereich Print on Demand stellten schwedische Partner vier Modellprojekte vor. Podium beispielsweise publiziert ausgewählte vergriffene Texte von Mitgliedern des schwedischen Schriftstellerverbandes. Eines seiner wesentlichen Ziele ist die Veröffentlichung von Titeln in Minderheiten- und Immigrantensprachen. Die Vernetzung der an diesem Projekt teilnehmenden Verlage mit dem Schwedischen Buchhandel ist dabei ein wichtiger Faktor, um so den Vertrieb der Titel zu gewährleisten.

Neue Formen der Literatur (hypertext, cyberdrama), Literatur im Netz und deren globale Verfügbarkeit wurden ebenso angesprochen wie der Internet-Buchhandel und die Tatsache, dass das Publizieren nicht mehr nur die Herstellung von Büchern meint. Auch die Definition und das Verständnis der Verleger, Buchhändler und Bibliothekare wird sich ändern. Dienstleistungen im Bereich des Information broking, die die Leser befähigen, die Vielfalt und Vielzahl von Information bzw. Wissen zu nutzen, sind zunehmend gefragt. Für Buchhändler und Bibliothekare bedeutet dies neue Rollen bei gleichbleibender Funktion: Multimedia-Bibliothekar, Informations-Manager, Webmaster/ Webwatcher oder Multimedia-Buchhändler/ Informationshändler sind solche neuen Tätigkeitsprofile.

Auf Grundlage der in einzelnen Projekten durchgeführten Untersuchungen wurden Fortbildungsprogramme entwickelt, die der Vermittlung neuer Kernkompetenzen und spezifischer Fähigkeiten für die Informationszugangsberufe dienen. Für den Bildungsbereich wurden Perspektiven wie Lesekompetenz in Bezug auf gedruckte und elektronische Medien in der Schul-, Fort- und Weiterbildung, oder für das lebenslange Lernen herausgearbeitet. In den Niederlanden befassten sich die Partner dabei vorwiegend mit dem Bildungsbereich im Schulwesen und stellten neue Ansätze vor, die notwendigerweise auch eine Veränderung der Rolle der Lehrer hin zu Mentoren erfordere.

Bei der Weiterbildung sind die Voraussetzungen andere. Die Altersstruktur der in diesem Bereich Agierenden wird vielfach als Hemmnis im Umgang mit der sich permanent und in hohem Tempo weiterentwickelnden technologischen Entwicklung angesehen, ein Beobachtung, die bei intensiver Beschäftigung nur bedingt aufrecht zu erhalten ist. Insbesondere deshalb setzen die einzelnen Projekte für die Qualifizierung dieser Zielgruppe unterschiedliche Schwerpunkte, orientieren sich insgesamt aber sowohl an traditionellen wie innovativen Vermittlungsformen, beispielsweise spielt auch Telelearning hier eine Rolle. Die beiden deutschen Projektträger stellten eine virtuelle Akademie für die Zielgruppe Druckvorstufe sowie ein Telelearning-Programm für Elektronisches Bibliographieren vor und skizzierten curriculare Eckpunkte für eine den Anforderungen angepasste Aus- und Fortbildung, die notwendigerweise die schon fortgeschrittene Praxis integrieren muss. Mit den modellhaft erarbeiteten Kursen werden die Voraussetzungen geschaffen, um Inhalte und ihre Verbreitungsformen künftig so aufzubereiten, dass sie als ein (spezifisches) Angebot für lebenslanges Lernen wirken können.

Die Überlegungen zu einem Anschlussprojekt im Rahmen der neuen, in Vorbereitung befindlichen Initiative EQUAL und die abschließenden Ausführungen zu den sozio-ökonomischen und kulturellen Auswirkungen im Kontext des Elektronischen Publizierens machten deutlich, dass der Konvergenzprozess im Buchsektor bei weitem noch nicht abgeschlossen ist und nach wie vor Handlungsbedarf im Hinblick auf die Nutzung der mit den neuen Technologien verbundenen Potentiale besteht. Einen Schritt in diese Richtung sind die beiden internationalen Symposien gegangen.

Entscheidend waren jedoch die Ausblicke auf mögliche Perspektiven für Erwerbstätige und für neue Formen der Beschäftigung im Bereich des Elektronischen Publizierens. Dass dabei eher verhaltene Prognosen laut wurden, entspricht dem heutigen Stand der Erkenntnisse, auch wenn diese aufgrund neuer Entwicklungen morgen bereits überholt sein können.

Detaillierte Informationen zum Projekt New Book economy_BIS (Building of the Information Society) erhalten Sie beim deutschen Projektträger: IBA · INTERNATIONAL MEDIA & BOOK AGENCY URL: http://www.nbe.de; http://www.iba-berlin.de

 

1 Informationsgesellschaft und Beschäftigung – Märkte und Produkte, Konzentration und Jobs. Eine Untersuchung von Prof. Günther Beyersdorff und Kirsten Hoferer, Ehemaliges Deutsches Bibliotheksinstitut, Berlin, ca. XII, 64 Seiten; Die Zukunft der Buchbranche in der Informations- und Wissensgesellschaft – eine Delphi-Studie. Erarbeitet unter der Leitung von Prof. Norbert Lang, IMAC Information & Management Consulting, Konstanz/ Berlin, ca. VI, 48 Seiten mit Tabellen und Graphiken. Beide erschienen Ende April 2000.


Stand: 31.05.2000
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