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BIBLIOTHEKSDIENST Heft 6, 2000

Verwaltungsbücherei und Stadtbibliothek

Beispiel Berlin-Tiergarten

Christina Guth

 

Bisher existieren im Berliner Bezirk Tiergarten Verwaltungsbücherei und Stadtbibliothek als zwei voneinander unabhängige Einrichtungen. Während die Stadtbibliothek ihren festen Stellenwert im Bewusstsein der Bürger besitzt, wird der Wert der Verwaltungsbücherei nur von wenigen Mitarbeitern des Bezirksamtes erkannt, ihr Bestand in nur unzureichender Weise genutzt.

Als 1997 zum wiederholten Male die Schließung der Verwaltungsbücherei diskutiert wurde, setzte sich die bezirkliche Arbeitsgruppe "Qualitätsmanagement" unter Federführung der Stadtbibliothek für ihren Erhalt ein. Vom Lenkungsausschuss wurde das Thema aufgegriffen und durch den Bezirksbürgermeister im Bezirksamt vorgetragen – ein Vorgang, der zur vorläufigen Beibehaltung der Institution führte.

Im Zusammenhang mit der zum 1. Januar 2001 in Kraft tretenden Fusion der Bezirke Mitte, Tiergarten und Wedding wird derzeit überlegt, in einer Abteilung Dezentrale Bibliotheksdienste, Stadtteilbibliotheken und Verwaltungsbücherei zusammenzuführen. Damit böte die künftige Stadtbibliothek "Mitte" nicht nur neue Dienstleistungen an, sondern beherbergte auch eine wissenschaftliche Spezialbibliothek unter ihrem Dach. Diese Option veranlasste mich zu Überlegungen hinsichtlich einer Angleichung der Behördenbibliothek an ihre möglichen Partner – sei es durch zeitgemäße Ausstattung, ansprechende Gestaltung oder denkbare Verknüpfungen der unterschiedlichen Angebote.

 

Verwaltungsbücherei "Tiergarten"

Als integraler Bestandteil des Bezirksamtes Berlin-Tiergarten orientiert sich die Verwaltungsbücherei in ihrer Ausstattung an den Bedürfnissen der einzelnen Abteilungen. Zu ihren Sammelgebieten gehören neben allgemeinen Nachschlagewerken, dem Auftrag der übergeordneten Institution entsprechend

Insgesamt verfügt die Bibliothek über ca. 10.000 Buchbindereinheiten, die derzeit auf denkbar begrenztem Raum untergebracht und nur mangelhaft erschlossen sind. Die Betreuung der Bestände erfolgte jahrelang durch bibliotheksfremde Personen ohne entsprechende Berufsausbildung.

Von der geschilderten Ist-Situation ausgehend, wird im folgenden Beitrag versucht, mit Hilfe eines Aufgabenkataloges anderer Behördenbibliotheken, Impulse für die optimale Nutzung vorhandener Ressourcen zu geben. Ziel dieses Unterfangens ist es, Möglichkeiten aufzuzeigen, die eine Attraktivitätssteigerung der bezirkseigenen Verwaltungsbücherei unter den derzeitigen Gegebenheiten bewirken können. Langfristig dient die auf moderne Technologien gestützte Informationsvermittlung als Basis, die mit den neuen Medien verknüpften Zukunftschancen für Spezialbibliotheken als Informationsagenturen anzudenken. Abschließend wird ein Ausblick auf denkbare Organisationsformen gegeben.

 

Im Einzelnen

Zu den traditionellen Angeboten einer Behördenbibliothek gehört neben der Bereitstellung von Fachliteratur und der Organisation von Zeitschriftenumläufen auch die Ausstattung der Büros mit speziellen Nachschlagewerken. Um vorhandene Bestände nutzbar zu machen, reicht deren alphabetische Erfassung und systematische Erschließung. In einer Einrichtung allerdings, die sich über ihre originären Aufgaben hinaus als aktiver Partner des finanziellen Trägers versteht, muss auch der inhaltliche Informationsgehalt der örtlichen Sammlung Beachtung finden – eine Tatsache, die sich in allgemeiner Auskunftserteilung ebenso manifestieren kann wie in gezielter Auswertung einzelner Medien oder der Fertigung themengebundener Literaturzusammenstellungen.

Zielgerichtete Informationsvermittlung wird durch den Umstand begünstigt, dass sich die Leserschaft einer Behördenbibliothek aus Fachleuten zusammensetzt. Nutzer dieses Bibliothekstyps können regelmäßig über aktuelle Marktangebote, Neuerwerbungen und Rezensionen informiert werden. Relevante Medien werden speziell für diesen Interessentenkreis aufbereitet und erschlossen.

Das Angebot der Tiergartener Verwaltungsbücherei beschränkt sich bislang auf die allgemein üblichen Dienstleistungen. Allerdings ist die alphabetische Erfassung der Literatur lückenhaft, deren systematische Erschließung unzulänglich. Für die angestrebte Effizienzsteigerung der Bibliotheksarbeit erscheint eine Korrektur dieser Versäumnisse unbedingt notwendig.

Darüber hinaus sind folgende Ergänzungen der Basisofferten denkbar:

Voraussetzung für die hier aufgeführten Leistungen ist der permanente Dialog mit der Leserschaft. Nur persönliche Gespräche oder allgemeine Kundenbefragungen ermöglichen eine elastische Anpassung an den jeweiligen Bedarf. Hinsichtlich der Verwaltungsreform sind in diesem Zusammenhang einschlägige Titel zu Betriebsführung und -organisation als zeitgemäße Ergänzung des vorhandenen Angebots wünschenswert.

 

EDV

Seit die elektronische Datenverarbeitung Eingang in das Bibliothekswesen gefunden hat, haben sich die Erwartungen der Benutzer bezüglich des Serviceangebotes dieser Einrichtungen gewandelt. Die Bibliotheken tragen dem veränderten Anforderungsprofil Rechnung, indem sie durch verstärkte Nutzung elektronischer Auskunftssysteme eine schnelle Bereitstellung der gewünschten Informationen ermöglichen.

Für den Bereich "Recht" sei in diesem Zusammenhang auf JURIS (Juristisches Informationssystem für die Bundesrepublik Deutschland) verwiesen – ein Datenbanksystem, in dem neben Gesetzestexten, Literaturerfassungen und Rechtsprechung – nach Schlagworten, Aktenzeichen und Paragraphen recherchierbar – auch eine Pressedatei enthalten ist.

Der Einsatz ausgewählter Informationsangebote des JURIS-Systems ist für die Verwaltungsbücherei Tiergarten ebenso vorstellbar, wie CD-ROM-Recherchen in anderen juristischen Sammlungen.

Im Rahmen der geplanten Vernetzung des Bezirkes kann auch eine Online-Verbindung der Verwaltungsbücherei mit der Stadtbibliothek erwogen werden. In diesem Falle hätten beide Bibliotheken wechselseitig Gelegenheit, ihre Informationsangebote durch den digitalen Zugriff auf den Bestand der jeweils anderen Einrichtung zu erweitern. Langfristig ist sogar eine Netzanbindung einzelner Arbeitsplätze an die bezirkseigene Bücherei denkbar.

 

Personal

Umfang und Qualität des bis hierher vorgestellten Leistungsspektrums sind eng verknüpft mit der personellen Ausstattung des Anbieters.

Die Verwaltungsbücherei hat den Status einer "One-Person-Library" und wird seit Jahren von bibliothekarischen Laien betreut. Das berufsfremde Management bedingt zwangsläufig eine Beschränkung auf traditionelle Angebote, da die Voraussetzung für fachgerechte Auskunftserteilung fehlt. Abhilfe kann hier die Anstellung von Diplom-Bibliothekaren oder Bibliotheksassistenten schaffen. Unter ihrer Regie ist die Bibliothek auch künftig als OPL führbar, da ein fachlich geeigneter Mitarbeiter über die notwendige Kompetenz für qualitativ hochwertige Auskunftsvermittlung verfügt. Als Spezialist verschafft er nicht nur Informationen und vermittelt sie adressatengerecht, sondern nimmt auch Beratungsaufgaben wahr, analysiert und interpretiert.

Der Einsatz elektronischer Auskunftsmöglichkeiten kann in einer OPL die Arbeit wesentlich erleichtern. Zu den Obliegenheiten der Bibliotheksleitung gehört es, entsprechend den Bedürfnissen der jeweiligen Institution zu prüfen, in welchen Bereichen ein EDV-Einsatz wirklich sinnvoll ist. Bedingt durch die Vielfalt auf dem Gebiet der EDV-Medien ist Fachkompetenz erforderlich, wenn es gilt, aus dem umfangreichen Angebot diejenigen Dienstleistungen auszuwählen, die - gemessen an den Gegebenheiten vor Ort - geeignet erscheinen, die Arbeitsabläufe optimal zu unterstützen.

 

Raumbedarf

Letztlich trägt auch die räumliche Unterbringung zur Funktionsfähigkeit einer Informationseinrichtung bei. Sie muss so gestaltet sein, dass neben einer übersichtlichen Literaturpräsentation die Aufstellung technischer Hilfsmittel in angemessener Form ermöglicht wird.

Diese Überlegungen - auf die Situation in Tiergarten übertragen - lassen für die Verwaltungsbücherei ein Drei-Raum-Modell geeignet erscheinen. Voraussetzung ist die Aufteilung der Bestände nach inhaltlichen Gesichtspunkten. Medien mit geringer Ausleihfrequenz, wie beispielsweise Archivmaterialien, können komprimiert in einer mittelgroßen Kammer eingelagert werden. Zwecks Unterbringung der verbleibenden Schriften wären zwei miteinander verbundene Arbeitszimmer wünschenswert. Während einer der beiden Räume neben allgemeinen Nachschlagewerken und elektronischen Auskunftsmitteln den Arbeitsplatz der Bibliotheksleitung beherbergt, bleibt der andere Gesetzestexten, Kommentaren und Periodika vorbehalten.

 

Zusammenfassung

Die Verwaltungsbücherei als Partner der Stadtbibliothek ist ein Modell, das meines Erachtens als Chance verstanden werden sollte. Neben Angebotserweiterung und Synergieeffekten kann es sich für die Öffentliche Bibliothek langfristig als Vorteil erweisen, mit der Behördenbibliothek einen Standort im Bezirksamt zu besitzen und auf diese Weise unmittelbare Präsenz gegenüber dem Finanzier beider Einrichtungen zu demonstrieren.

In dem Bestreben, eine Perspektive für den langfristigen Erhalt der Verwaltungsbücherei in Berlin-Tiergarten aufzuzeigen, wurde hier ein Vorschlagskatalog erarbeitet, der als Diskussionsgrundlage gedacht ist. Die Tatsache, dass Information heute neben Kapital, Arbeit und Immobilien als vierter Produktionsfaktor gilt, bildet die Basis für die vorgestellten Ideen. Gerade effektive Informationsnutzung kann wesentlich zum Wohlergehen eines Unternehmens beitragen. Ob, inwieweit und in welcher Form die vorgestellten Dienste erbracht werden können und sollen, hängt von den Bedürfnissen der Nachfrager ab. Das Wissen um deren Erwartungen und Anforderungen ist deshalb Voraussetzung für bedarfsgerechte Planung. Positive Erfahrungen anderer Behördenbibliotheken mit den geschilderten Serviceangeboten zeigen, dass entsprechende gedankliche Investitionen durchaus lohnen können. Die Verwaltungsbücherei des künftigen Bezirks "Mitte" könnte sich zu einer modellhaften Einrichtung in Berlin entwickeln, sofern die notwendigen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.


Stand: 31.05.2000
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